Das Delikt der Abtreibung in der frühen Neuzeit


Seminararbeit, 2007

12 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. §133 Constitutio Criminalis Carolina – Die Theorie

III. Moral und Sitte – Die gesellschaftlichen Umstände

IV. Kräuter und Tränke – Abtreibungsmittel in der frühen Neuzeit

V. Abtreibung vor Gericht – Theorie und Praxis

VI. Gesetz versus Wirklichkeit – Schlussbetrachtung

VI. Bibliografie

I. Einleitung

Es gibt kaum ein Thema, welches die Gemüter mehr bewegt, als die Abtreibung. Vielen fallen da die Bilder der Frauenbewegung und ihre Forderung nach der Abschaffung des §218 ein. Doch ist dieses Thema nicht neu. Die vorliegende Arbeit möchte sich mit der Frage beschäftigen, wie der künstliche Schwangeschaftsabbruch zu Beginn der Neuzeit gesehen wurde. Zu untersuchen wird sein welche rechtlichen Grundlagen es gab und welche Normen und Moralvorstellungen das Leben der Menschen bestimmten. Wie sah es mit dem Stand und der Verbreitung von Wissen über Abortiva aus? Abschließend soll untersucht werden ob und wie fern sich die rechtliche Praxis von der Theorie abweicht.

Grundlage der Arbeit bilden vor allem Leibrock-Plehns Aufsatz in der von Jütte herausgegebenen Geschichte der Abtreibung[1], die rechtshistorische Untersuchung der Carolina von Kluge[2], die Monographie über die Abtreibung von Müller[3] und Schwerhoffs Werk über die Kölner Turmbücher[4].

II. §133 Constitutio Criminalis Carolina – Die Theorie

Die Gesellschaft der frühen Neuzeit war geprägt durch Übergangsprozesse. Das auslaufende Mittelalter, mit seinen von der omnipräsenten Kirche bestimmten Moralvorstellungen, war noch in vielen Bereichen des Zusammenlebens bestimmend, doch brachten Erfindungen wie der Buchdruck unwiderrufliche Wandlungsprozesse in Bewegung. Das Individuum rückte immer mehr in den Fokus der Gesellschaftsauffassung, doch sah sich der Bürger in zunehmendem Maße der Reglementierung der erstarkenden weltlichen Gerichtsbarkeit ausgesetzt. War zum Beispiel der Augsburger Rat zuvor „ auf einem kommunalen allgemeinen Willen“[5] gegründet, so ging man nun zu einer dominanteren, einem Familienvater ähnlichen Rolle über, welche auch „ein neues [regulativeres] Herrschaftsverhältnis gegenüber dem Körper“[6] zu Folge hatte.

So wurde nun auch das Delikt der Abtreibung, im Mittelalter hauptsächlich Objekt der klerikalen Rechtsprechung, zum Bestand der weltlichen Strafordnung.[7]

Zum ersten Mal als Strafbestand wird die Abtreibung in der Bambergischen Hals-gerichtsordnung von 1507 aufgelistet. Dieses von Johann Freiherr von Schwarzen-berg[8] verfasste Werk diente als Vorlage für den Reichstag zu Worms, der 1521 den sogenannten „ersten Entwurf“ zur Carolina, dem großen Gesetzeswerk Karls V., vorlegte. Mit der Veröffentlichung der Constitutio Criminalis Carolina 1532 erscheint zum ersten Mal ein für das gesamte deutsche Reich allgemeingültiger Gesetzestext strafrechtlicher Art.[9] Der Tatbestand der Abtreibung findet sich dort unter §133 festgehalten:

Item so jemandt eynem weibßbild durch bezwang, essen oder drincken, eyn lebendig kindt abtreibt, wer auch mann oder weib vnfruchtbar macht, so solch übel fürsetzlicher vnd boßhafftiger weiß beschicht, soll der mann mit dem schwert, als eyn todtschläger, vnnd die fraw so sie es auch an jr selbst thette, ertrenckt oder sunst zum todt gestrafft werden. So aber

eyn kind, das noch nit lebendig wer, von eynem weibßbild getriben würde, sollen die

vrtheyler der straff halber bei den rechtuerstendigen oder sunst wie zu end diser ordnung gemelt, radts pflegen.“[10]

Wie sich hier zeigt wird sowohl das -Abtreiben- als auch das -Abtreiben lassen- unter Strafe gestellt, sofern es sich um ein „lebendig kindt“ handelt. Als lebendig ist hier wohl beseelt zu verstehen.[11] Was zu der Frage nach dem Zeitpunkt der Beseelung führt.

Die Festlegung des so genannten Animationspunktes ist laut Müller[12] strittig. So habe die in den Glosse ordinarie[13] geäußerte Vorstellung, dass zwischen Empfängnis und Beseelung 40 – bzw. bei männlichen Föten 40 und bei weiblichen 80 Tage - lägen im Rahmen der Vielzahl von verschiedenen Gelehrtenmeinungen nur „geringe Glaubwürdigkeit beanspruchen“[14] können. Es zeigt sich aber auch in dieser Frage der Wandlungsprozess der damaligen Zeit. So diskutieren sowohl Franciscus Torreblanca Villalpandus, als auch Antoninus Tessaurus die Frage nach dem Zeitpunkt, ab dem ein Fötus als Mensch gilt, auf einer viel wissenschaftlicheren Basis, als es zuvor üblich war. Für sie steht nun mehr die Frage nach der Lebensfähigkeit im Vordergrund, was sie in die Tradition des vorchristlichen Römischen Rechts stellt.

Tessaurus sieht das Kind erst zu Beginn des 9. Schwangerschaftsmonats soweit ausgebildet, dass es auch außerhalb der Mutter lebensfähig ist. Villalpandus hingegen sieht diesen Zeitpunkt schon viel früher, im 5 Monat erreicht. Beiden dienen die hippokratischen Schriften als Grundlage ihrer Erkenntnisse. Es lässt sich hier also eine klare Wende weg von der spirituellen Frage nach der Seele, hin zu einer wissenschaftlichen, auf Untersuchungserkenntnissen beruhenden[15] Meinung feststellen.

Die Unterscheidung zwischen „lebendig“ und „nit lebendig“ ist von maßgebender Wichtigkeit für die jeweils anzuwendende Strafe. So sind die Strafen für das Abtreiben eines „lebendigen“ Kindes vorgeschrieben: sollte ein Mann durch Gewalt oder andere Einwirkung auf den Körper der Mutter den Abort auslösen, so ist er durch das Schwert zu richten. Ergreift die Frau selbst Maßnahmen um die Schwangerschaft frühzeitig zu beenden so soll sie „ertrenckt oder sunst zum todt gestrafft werden“ [16] . Handelt es sich bei dem Kind aber um ein „nit lebendig“ Kind, so liegt die Strafe im Ermessen der Richter und ist somit keine peinliche .[17]

Wie zuvor dargestellt, gibt es aber keine exakte Methode um hier eine Unterscheidung zu treffen, so dass es wohl auch hier im Endeffekt eine Ermessensfrage bleibt. Auch die Täterbezeichnung als „Todtschläger“ ist interessant, da hier dezidiert eine Abstufung gegenüber des in § 131 behandelten Kindesmordes vorgenommen wird. Ein weiterer auffallender Aspekt ist, dass die Richter im Falle einer Ermessensentscheidung angehalten sind, sich bei „rechtuerstendigen oder sunst wie zu end diser ordnung (Carolina) gemelt,“ zu erkunden. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die in diesem Falle angedachten, Strafen meist dem alten Römischen Recht entsprachen und es sich bei den Richtern größtenteils um Laien handelte, die dessen wenig bis gar nicht kundig waren.[18]

Zur theoretischen Grundlage der Rechtsprechung im Reich lässt sich also zusammenfassend sagen, dass die Carolina eine nicht genau definierte Grenze festlegt, an der sich das Strafmaß orientiert. Entscheidend ist die Frage ob das Kind „lebendig“ ist oder nicht. Des Weiteren stellt sie auch eine, zum Verlust des Kindes führende, physische Einwirkung auf die Mutter unter Strafe.

III. Moral und Sitte – Die gesellschaftlichen Umstände

Was konnte nun eine Frau dazu bringen trotz der drohenden Todesstrafe eine Abtreibung vorzunehmen oder an sich vornehmen zu lassen? Als eine Hauptursache ist der in der damaligen Zeit geltende, im Zuge der Reformation und dem sich als Folge ausbreitenden Puritanismus sogar an Strenge zunehmende, Ehrbegriff zu sehen[19]. Die Ehre einer Frau wurde in großem Maße durch ihre individuelle körperliche Unversehrtheit bzw. Keuschheit bestimmt.[20] Für die soziale Stellung und das alltäglich Leben, war eine intakte Ehre unabdingbar. So konnte nur heiraten, wer „ehrlich“ war und eine Heirat war nach den geltenden, christlichen Normen Grundvoraussetzung für eine (sexuelle) Beziehung zwischen Mann und Frau. Für eine Frau war meist auch Ehre gleichbedeutend mit rechtlichem Schutz, so dass alles Versucht wurde um diese zu erhalten.

[...]


[1] Leibrock-Plehn, Larissa: Frühe Neuzeit. Hebammen, Kräutermedizin und weltliche Justiz, in: Jütte, Robert (Hrsg): Geschichte der Abtreibung. Von der Antike bis zur Gegenwart, München,1993.

[2] Kluge, Dieter: eyn noch nit lebendig kindt. Rechthistorische Untersuchungen zum Abbruch der Schwangerschaft in den ersten 3 Monaten der Entwicklung der Frucht auf der Grundlage der Carolina von 1532, Frankfurt a.M., Bern, New York, 1986.

[3] Müller, Wolfgang P.: Die Abtreibung. Anfänge der Kriminalisierung 1140 -1650, Köln u.a., 2000.

[4] Schwerhoff, Gerd: Köln im Kreuzverhör: Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt, Bonn, Berlin, 1991.

[5] Rope, Lyndal: »Wille« und »Ehre«: Sexualität, Sprache und Macht in Augsburger Kriminalprozessen, in: Wunder, Heide. Vanja, Christina (Hrsg.): Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit, Frankfurt a.M., 1991. S.183.

[6] Rope, Lyndal: »Wille« und »Ehre«, S.183.

[7] Vgl. Leibrock-Plehn, Larissa: Frühe Neuzeit, S.68.

[8] Johann Freiherr von Schwarzenberg und Hohenlandsberg (1465-1528) gilt als einer der großen deutschen Rechtsdenker. Er entstammte einem vermögenden fränkischen Adelsgeschlecht. In seinen Funktionen als Vorsitzender des Hofgerichts des Bamberger Bischofshof und als Zentrichter seiner Herrschaften Seinsheim und Scheinfeld sammelte er praktische Erfahrung mit dem damaligen Recht. Angetrieben durch die in seinen privaten Studien gewonnenen Erkenntnisse über Rechtsgeschichte und einem frommen Gerechtigkeitsstreben stellte von Schwarzenberg Überlegungen, über die ein neues Rechtssystem an. Er versuchte aus dem gültigen Recht die gerechten Aspekte zu extrahieren und die Willkür der Gerichte durch eine genauere Strafgerichtsvorschrift zu verringern. Von Schwarzenberg war also kein Rechtgelehrter im eigentlichen Sinne, sondern ein Mann der Praxis, der den Laienrichtern einen Leitfaden an die Hand geben wollte.

Vgl.Wolf, Erik: Grosse Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 3.Aufl.,Tübingen, 1951, S.97ff.

[9] Vgl. Kluge, Dieter: eyn noch nit lebendig kindt, S.20.

[10] http://www.llv.li/pdf-llv-la-recht-1532__peinliche_halsgerichtsordnung__carolina_.pdf, 08.03.2008.

[11] Vgl. Kluge, Dieter. Ebenda, S.21.

[12] Vgl. Müller, Wolfgang P.: Die Abtreibung, S. 117ff.

[13] Glossa ordinaria in Biblia Sacra (Lugundi 1545) und Glossa ordinaria in Decretum (Venetiis 1584)

[14] Müller, Wolfgang: ebenda. S.119.

[15] Vgl. Müller, Wolfgang: Ebenda. S119ff.

[16] http://www.llv.li/pdf-llv-la-recht-1532__peinliche_halsgerichtsordnung__carolina_.pdf, 08.03.2008.

[17] Vgl. ebenda.

[18] Vgl. Müller, Wolfgang P.: Die Abtreibung. S.126f.

[19] Vgl. Schwerhoff, Gerd: Köln im Kreuzverhör, S.363.

[20] Vgl. Rope, Lyndal: »Wille« und »Ehre«, S.191.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Das Delikt der Abtreibung in der frühen Neuzeit
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
Frühneuzeitliche Gerichtsakten als Geschichtsquellen
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2007
Seiten
12
Katalognummer
V116973
ISBN (eBook)
9783640193394
Dateigröße
392 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Delikt, Abtreibung, Neuzeit, Frühneuzeitliche, Gerichtsakten, Geschichtsquellen
Arbeit zitieren
Jan Haluk Frank (Autor:in), 2007, Das Delikt der Abtreibung in der frühen Neuzeit , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116973

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