Der Prozess der Entstehung des Homunkulus. Johann Wolfgang von Goethes Faust II


Trabajo, 2017

20 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Homunkulus - zu Begriff, wissenschaftshistorischen Hintergründen und den Einflüssen der Alchemie

3. Im Laboratorium

4. Die Klassische Walpurgisnacht

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Laboratoriumsszene in Goethes Faust II ist insofern von großer Bedeutung, dass darin als Resultat alchemistischer Experimente, mit dem Ziel der Erzeugung eines künstlichen Menschen, ein geistiges Lichtwesen mit hoher Intelligenz und besonderen Fähigkeiten entsteht, dass im Kontext der Klassischen Walpurgisnacht schließlich einen Weg zu vollständigem Werden sucht, in der Bemühung, seine körperliche Unvollkommenheit auszugleichen. Der Homunkulus stellt dabei zugleich ein wichtiges Bindeglied der Fausthandlung dar und ist Medium der Vermittlung naturphilosophischer Erkenntnisse und Diskussionen der Zeit Goethes, die im Faust in Rückgriff auf mythologische und antike Traditionen literarisch verarbeitet werden.

Im Folgenden gilt es zu untersuchen, inwiefern der Prozess der Entstehung des Homunkulus funktional in die Fausthandlung eingebettet ist, welche Symbolik die Darstellung des Werdens begleitet und wie die Figur sich im Kontext des Dramas und im Verhältnis zu Mephistopheles positioniert.

Der Homunkulus weist Parallelen zur Faustfigur auf und wird als zentraler Initiator für den Fortgang der Handlung inszeniert, der den Übergang zur Klassischen Walpurgisnacht einleitet, um dort nach körperlicher Vollendung zu streben, indem er auf Basis grundlegend differenter Entwicklungstheorien im Akt einer Vereinigung der Elemente den Evolutionsvorgang einer natürlichen Schöpfung vollzieht und damit in pathetischer Selbstauflösung den Schlussakkord der Szene bestimmt. Sowohl im Laboratorium als auch in der Klassischen Walpurgisnacht ist Homunkulus der signifikant gestaltende Part und zudem gegenüber Mephisto in superiorer Stellung konturiert.

Die Forschung hat sich in Bezug auf die Figur des Homunkulus mit zahlreichen unterschiedlichen Ansatzpunkten auseinandergesetzt. Unter anderem ist der Aspekt einer möglicherweise impliziten Mitwirkung Mephistopheles bei der Erzeugung des Homunkulus strittig, ebenso wie die Bedeutung der Figur für die Klassische Walpurgisnacht. Dabei spielt die Frage eine Rolle, ob Homunkulus lediglich als Mittel zum Zweck das passende symbolträchtige Bindeglied für den Übergang der Fausthandlung ist oder als eigenständiger Charakter von zentraler Bedeutung betrachtet werden muss. Auch die naturphilosophische Diskussion um die Auseinandersetzung zwischen Vulkanisten und Neptunisten ist Gegenstand zahlreicher Betrachtungen rund um die Homunkulushandlung.

Um sich der Figur zu nähern, wird im Folgenden zunächst eine Begriffsdefinition, auch in Rückgriff auf die historisch-wissenschaftliche Tradition der Idee eines Homunkulus und unter Einbeziehung alchemistisch-chemischer Erkenntnisse, gegeben, um damit auch die Hintergründe der goetheschen Inszenierung genauer analysieren zu können. Anschließend wird die Laboratoriumsszene, mit besonderem Augenmerk auf die darin enthaltene Symbolik, die Fähigkeiten des Homunkulus und die Rolle Mephistos, genauer untersucht. Schließlich wird im Übergang zur Klassischen Walpurgisnacht die naturphilosophische Diskussion im Kontext der Begegnung des Homunkulus mit den antiken Philosophen Thales und Anaxagoras in Bezug auf seinen angestrebten Entstehungsprozess in den Blick genommen, bevor abschließend das Fazit folgt.

2. Der Homunkulus - zu Begriff, wissenschaftshistorischen Hintergründen und den Einflüssen der Alchemie

Zunächst einmal muss untersucht werden, wo die Vorstellung vom Homunkulus ihren Anfang genommen hat. Der Begriff ,Homunkulus' ist der aus dem Lateinischen abgeleitete Diminutiv des Wortes ,homo'. Es handelt sich folglich um ein ,Menschlein', wodurch bereits die Wesenhaftigkeit der intendierten Vorstellung, die mit diesem Begriff verbunden ist, zutage tritt. Durch experimentelle Methoden, vorwiegend alchemistisch-magischer Natur, künstlich erzeugt, soll ein kleiner Mensch entstehen, der die defizitären Eigenschaften des natürlich gezeugten Menschen exkludiert.1

Die Idee eines künstlichen Menschen nahm ihren Ursprung schon in der Antike. Bereits um 300n.Chr. hatte der Alchemist Zosimus die Vision eines künstlichen Menschleins, das aus dem Schmelzprozess von Metallen entsteht. Ebenfalls um 300n.Chr. entstanden die pseudoclementinischen Homilien, nach denen ein gewisser Simon Magus erstmalig einen Menschen aus Luft erschaffen haben soll, indem er diese mehrfach umwandelte, zunächst in Wasser, dann in Blut und schließlich in Fleisch.2

Im Mittelalter schließlich schrieb Paracelsus in seinem Werk De natura rerum die Erzeugung eines Homunkulus erstmalig rezeptartig nieder. Er prägte maßgeblich die Vorstellung, dass es möglich sei, einen Menschen außerhalb des Mutterleibs zu entwickeln. Er setzt den Vorgang der ,,Putrefaction"3 als entscheidenden Aspekt einer künstlichen Geburt voraus und vergleicht dieses Vorgehen damit ,,wie eine Henne ihre Eier ausbrütet"4. Eine feuchte und warme Umgebung seien notwendig für die Entstehung eines Lebewesens.5 Auch ein Mensch könne auf ebensolche Weise ausgebrütet werden. Voraussetzung dieses Prozesses war die Vorstellung, dass der Mensch bereits im Spermium des Mannes angelegt sei und nur noch zu seiner vollen Gestalt entwickelt werden müsse: ,,Denn allemal, wie der Same ist, der gesät wird, eine solche Frucht wächst auch daraus"6. Daher sei es möglich einen Homunkulus zur Entstehung zu bringen, indem ,,das sperma eines Manns im verschlossenen Curcurbiten per se mit der höchsten Putrefaction, ventre equino, auf vierzig Tag putreficiert werde, oder so lang, bis es lebendig werde und sich bewege und rege [...]. Nach dieser Zeit wird es einem Menschen einigermaßen gleich sehen, doch durchsichtig, ohn ein corpus. Wenn es [...] mit dem arcano sanguinis humani gespeist und bis auf vierzig Wochen ernährt wird, und in steter gleicher Wärme ventris eqiono erhalten, wird ein recht lebendig menschlich Kind daraus [...], doch viel kleiner. Das selbige nennen wir ein homunculum."7

Hier verwendet Paracelsus also bereits den Begriff des Homunkulus, der demnach durch Fäulnisprozesse und die Ernährung mit menschlichem Blut entwickelt werden könne. Zudem spricht er übermenschliche Fähigkeiten in Bezug auf die Wissensdimension an, die auch dem Homunkulus in Goethes Faust zu Eigen sind. Die Homunculi seien ,,Wunder-Leut, die [...] alle geheimen und verborgenen Ding, welche allen Menschen sonst nicht möglich zu wissen sind, wissen"8. Der Vorgang der künstlichen Erzeugung wird somit zugleich als etwas dargestellt, aus dem eine Dimension resultiert, die oberhalb des menschlich Erfahrbaren angesiedelt ist. Das Produkt des von Paracelsus beschriebenen Prozesses befindet sich somit in gewisser Weise auf einer transzendentalen Ebene außerhalb menschlicher Erkenntnismöglichkeiten. Paracelsus verleiht diesem Gedanken ebenfalls Ausdruck, indem er darstellt, dass die Homunculi eher mit Geistern als mit Menschen zu vergleichen seien, was ihren herausgehobenen Status verdeutlicht.9

Die Überlegungen Paracelsus wurden Grundlage zahlreicher Nachahmer und Kritiker, die entweder seine Aussagen zum Homunkulus scharf kritisierten und derartige Versuche verurteilten oder aber selbst an alchemistischen Experimenten interessiert waren und seine Vorgaben modifizierten, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Der im 17. Jahrhundert lebende Schriftsteller Johannes Praetorius beispielsweise verurteilte Paracelsus als ,,gottlose[n] Mensch[en]"10 und unternahm die Bemühung, dessen Vorstellung einer extrakorporalen menschlichen Zeugung zu widerlegen. Paracelsus Vorgehen sei „vergeblich und erlogen: Sintemahl auß einem verfauleten/ und im Glase unterm Miste verstackten Saamen durchauß keine Menschliche Geburt werden kan"11.

Festzuhalten ist jedoch, dass die ersten Vorstellungen eines Homunkulus weit zurückreichen und eine durchgehend starke Faszination ausgeübt zu haben scheinen. Verschiedenenartige Methoden zielten auf das letztendlich weitgehend identische Ziel der künstlichen Erzeugung eines Menschen ab und befassten sich eingehend mit Fragen nach Schöpfungsprozessen. Auch Goethe waren diese frühen Experimente und theoretischen Überlegungen dazu bekannt, wodurch er zu großen Teilen die Inspiration für die Figur des Homunkulus in Faust bezog.

Der Versuch, künstliches Leben zu produzieren, war zudem auch zentraler Bestandteil der Alchemie.12 Besondere Bedeutung hatte in der Alchemie die Transmutation, also der Prozess der Umwandlung von Stoffen. Das höchste alchemistische Ziel war die Herstellung des Steins der Weisen.13 Generell ist unter Alchemie jedoch zunächst einmal die magische Naturwissenschaft des Mittelalters zu verstehen, die sich mit der Herstellung von Gold mittels einer fünften Essenz, der sogenannten Quintessenz, beschäftigte und auf der Lehre von den vier Elementen basierte. Auch Goethe kam in Kontakt mit der Alchemie und las mit Interesse einige bedeutende Werke, auch wenn er die Alchemie zunehmend kritisch beurteilte. In seinen Werken, besonders im Kontext der Homunkulusfigur, bedient sich Goethe an Motiven und sprachlichen Ausdrücken der Alchemie und setzt diese in einem literarischen Sinne um.14

Starken Einfluss auf Goethes Konzeption der Laboratoriumsszene und der damit verbundenen Entstehung des Homunkulus hatte eine wissenschaftliche Entdeckung im Jahr 1828, die das vorherrschende Bild der Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts grundlegend modifizierte und gänzlich neue Perspektiven eröffnete. Dem deutschen Chemiker Friedrich Wöhler war es gelungen, erstmals synthetisch Harnstoff herzustellen und damit anorganische Stoffe in organisches Material umzuwandeln, ein Vorgang, der zuvor nicht realisierbar erschienen war. Mit dieser neuen Erkenntnis konnte der gesamte Schöpfungsprozess prinzipiell in Frage gestellt werden und die Möglichkeit der Produktion von Leben aus unorganischem Material war plötzlich scheinbar in greifbare Nähe gerückt. Diese wissenschaftliche Sensation war auch Goethe nicht entgangen, in der Folge nahm er diese revolutionären Denkweisen, die Wöhler in Gang gesetzt hatte, auf und setzte sie in Zusammenhang zu alchemistischen Vorstellungen.15

Inwiefern Goethe die Laboratoriumsszene aufbaut und auf welche Traditionen er mit Blick auf die Homunkulusfigur zurückgreift, soll Bestandteil der weiteren Betrachtungen werden.

3. Im Laboratorium

3.1 Aufbau der Szenerie, Symbolik und alchemistische Prozesse

Voraussetzung der Laboratoriumsszene in Goethes Faust II ist die Ohnmacht Fausts am Ende des ersten Aktes, die dazu führt, dass Mephistopheles mit ihm an einen Schauplatz aus Faust I zurückkehrt. Zurück am Ort, an dem die Handlung ihren Anfang genommen hatte, Fausts ehemaliges Studierzimmer und seine alte Umgebung, trifft Mephistopheles im Laboratorium auf Wagner, den ehemaligen Schüler Fausts, der sich mittlerweile selbst zu einem angesehenen Gelehrten hochgearbeitet hat und nun im Begriff ist, ein Experiment durchzuführen, dessen Resultat für den weiteren Handlungsverlauf sowohl im Sinne der weiteren Entwicklung Fausts als auch in Hinblick auf die daraus entstehende Nebenhandlung um die Homunkulusfigur selbst von großer Bedeutung für das Drama ist.

Der Einstieg in die Szene erfolgt ganz unmittelbar mit Wagner, der im Laboratorium ein Farbenspektakel mittels chemischer Mischungen veranstaltet, das beinahe wie eine Ankündigung für einen furiosen Abschluss magischer Experimente anmutet. Die beschriebenen Vorgänge der Farberscheinungen, die in einer Phiole vor sich gehen und diese erhellen ,,wie der herrlichste Karfunkel"16, sind Anzeichen für die verschiedenen Stufen eines alchemistischen Prozesses auf dem Weg zu seiner Vollendung.17

[...]


1 vgl. Höffgen, Thomas: Goethes Walpurgisnacht-Trilogie. Heidentum, Teufeltum, Dichtertum (Bochumer Schriften zur deutschen Literatur Bd. 1). Frankfurt a. M. 2015, S. 269.

2 vgl. Jacoby, Adolf: Homunculus. In: Bächtold-Stäubli, Hanns (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Bd. 4. Berlin/New York 2000³, S.288f.

3 Philippi Theophrasti von Hohenheim: De natura rerum. In: Peuckert, Will-Erich (Hrsg.): Theophrastus Paracelsus Werke Bd. 5. Pansophische, Magische und Gabalische Schriften. Darmstadt 1968, S. 57.

4 Ebd., S. 57.

5 vgl. Ebd., S. 57.

6 Ebd., S. 58.

7 Ebd., S. 62.

8 Ebd., S. 63.

9 vgl. Ebd., S. 63.

10 Praetorius, Johannes: Von chymischen Menschen. In: Völker, Klaus (Hrsg): Künstliche Menschen. Dichtungen und Dokumente über Golems, Homunculi, lebende Statuen und Androiden Bd. 308. München 1971, S.60-61, hier S.60.

11 Ebd., S. 60.

12 vgl. Wyder, Magrit: Von der Stufenleiter der Wesen zur Metamorphosenlehre: Goethes Morphologie und ihre Gesetze. In: Schrader, Hans-Jürgen; Weder, Katharine (Hrsg.): Von der Pansophie zur Weltweisheit. Goethes analogisch-philosophische Konzepte. Tübingen 2004, S.31-54, hier S. 33.

13 vgl. Laube, Stefan: Die Alchemie - Kontexte und Phänomene. In: Feuerstein-Herz; Laube, Stefan (Hrsg.): Goldenes Wissen. Die Alchemie - Substanzen, Synthesen, Symbolik. Wolfenbüttel 2014, S. 176-238, hier S. 194.

14 vgl. Jeßing, Benedikt: Alchimie. In: Jeßing, Benedikt; Lutz, Bernd; Wild, Inge (Hrsg.): Goethe Lexikon. Personen - Sachen - Begriffe. Stuttgart/Weimar 2004², S. 6.

15 vgl. Habrich, Christa: Von der Alchemie zur Förderung der chemischen Wissenschaft und Technik. Goethe zwischen hermetischem Denken und Pragmatismus. In: Schrader, Hans-Jürgen; Weder, Katharine (Hrsg.): Von der Pansophie zur Weltweisheit. Goethes analogisch-philosophische Konzepte. Tübingen 2004, S.9-30, hier S. 27f.

16 Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie Zweiter Teil. Stuttgart 2014, V. 6826.

17 vgl. Gaier, Ulrich: Kommentar zu Goethes Faust. Stuttgart 2002, S.171.

Final del extracto de 20 páginas

Detalles

Título
Der Prozess der Entstehung des Homunkulus. Johann Wolfgang von Goethes Faust II
Universidad
Ruhr-University of Bochum  (Germanistisches Institut)
Curso
Hauptseminar
Calificación
1,3
Autor
Año
2017
Páginas
20
No. de catálogo
V1169881
ISBN (Ebook)
9783346580856
ISBN (Libro)
9783346580863
Idioma
Alemán
Palabras clave
Faust I, Faust II, Homunkulus, Goethe, Alchemie, Laboratorium, Walpurgisnacht, Symbolik der Evolution, Vulkanisten, Neptunisten, geistige Entwicklung
Citar trabajo
Katharina Düsterwald (Autor), 2017, Der Prozess der Entstehung des Homunkulus. Johann Wolfgang von Goethes Faust II, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1169881

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