Die Öffnung der Mauer: ein historischer Irrtum oder gewollt herbei geführt?

Die Interpretation der Ereignisse aus Sicht der wissenschaftlichen Fachliteratur und aus Sicht Günter Schabowskis


Hausarbeit, 2007

40 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Ostblock der 1980er Jahre
2.1 Die Volksrepublik Polen
2.2 Die Volksrepublik Ungarn

3 Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der DDR am Ende der 1980er Jahre

4 Der Mauerfall

5 Sichtweisen auf den Mauerfall
5.1 Die Sicht Günter Schabowskis auf den Mauerfall
5.2 Die wissenschaftliche Interpretation des Mauerfalls

6 Resümee

7 Literaturverzeichnis

8 Anhang

9 Biografien

1 Einleitung

Die „Öffnung der Mauer“ soll mein Referatsthema für das Seminar „Die deutsche Einheit: Mythen, Realitäten, Folgen“ sein. Sofort sehe ich Bilder wie die Folgenden vor mir:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Auf der Panzermauer am Brandenburger Tor, 9./10. November 1989[1]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 Der Grenzübergang Invalidenstraße nach der Maueröffnung, 10 November 1989[2]

Mir wird bewusst, dass ich außer diesen Bildern in meinem Kopf nicht viel davon weiß, wie es zu dem Fall der Mauer kam und ich beginne mich in die Fachliteratur einzulesen. Dies scheint jedoch nicht einfach in anbetracht der Fülle der vorhandenen Literatur, von der Eckhard Jesse schreibt: „ Wer die einschlägigen Bücher zu sichten versucht, gerät angesichts der Masse der Literatur in Schwierigkeiten. Es ist kaum möglich der Fülle ihrer Vollständigkeit auch nur zu erfassen, geschweige denn zu lesen.[3] So findet sich u.a. in dem 1992 erschienen Buch: „ Die Gestaltung der Deutschen Einheit Geschichte Politik und Gesellschaft“ herausgegeben von Eckhard Jesse und Armin Mittler eine thematisch geordnete und kommentierte Auswahl an Literatur.[4] Hans Hermann Hertle bietet in seinem Buch „ Der Fall der Mauer Die unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates “, aus dem Jahr 1996, dem Leser ebenfalls ein ausführliches, dem Stand der Zeit entsprechendes, Literaturverzeichnis, in dem neben der Forschungsliteratur auch Gespräche mit Zeitzeugen berücksichtigt werden.[5] In dem Buch „ Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel “ aus dem Jahr 2003 verschafft Alexander von Plato dem Leser ebenfalls einen ausführlichen Überblick über die vorhandene Forschungsliteratur zum Thema Mauerfall und Wiedervereinigung.[6]

Nachdem ich die ersten Bücher zu dem Thema gelesen hatte wird es offensichtlich, dass ich mich, wenn ich eine Hausarbeit schreiben wolle auf einen kleinen Teilaspekt der Öffnung der Mauer beschränken müsse. Die Auswahl viel nicht leicht, da eine Vielzahl von interessanten Blickwinkeln eine genauere Betrachtung lohneswert erscheinen ließ, wie z.B. die Frage danach welche Einfluss die Bürgerrechtsbewegungen auf den Fall der Mauer hatten oder die Frage danach inwieweit die Fotos und Fernsehbilder, die im Herbst 1989 um die Welt gingen die Interpretation des Mauerfalls und der Wiedervereinigung beeinflussten. Nachdem ich dann auf den von Marcus Heumann zusammengestellten Tondokumenten zum Mauerbau ein Interview Günter Schabowskis hörte, in dem er erläuterte: „ Am 9. November 1989 begannen wir unter dem Druck der Menschen den Mauerabriss um die DDR zu retten.“[7] war die Entscheidung für einen Themenkomplex gefallen. Auf Grund dieser Aussage eines ehemals führenden SED-Funktionärs begann ich mich genauer mit den unterschiedlichen Interpretationsweisen des Mauerfalls in Fachliteratur und der ehemaligen DDR Führungsspitze zu beschäftigen. Dabei sollen die Fragen im Vordergrund stehen, in wie weit die Darstellungen der wissenschaftlichen Literatur mit denen der ehemaligen DDR-Eliten übereinstimmen oder sich unterscheiden und ob es nicht vielleicht eine eigene „Geschichtsschreibung“ der ehemaligen SED-Führung gibt?

In der nachfolgen Arbeit sollen zunächst die gesellschaftlichen und politischen Wandlungen in den Ostblockstaaten der 1980er Jahre dargestellt werden, um auf Grundlage dieser Rahmenbedingungen die Entwicklungen in der DDR am Ende der 1980er Jahre zu erläutern, die zum Mauerfall am 9. November 1989 führten. Dies erscheint notwendig, um die im Anschluss daran folgenden Interpretationen des Mauerfalls in der wissenschaftlichen Literatur und der ehemaligen SED-Führungsspitze, am ausgewählten Beispiel Günter Schabowski, gegenüberstellen zu können. Ein Resümee soll die Arbeit abschließen, die auf Grund der gebotenen Kürze nicht alle Aspekte der Maueröffnung mit einbeziehen kann und die Beschreibung und Beurteilung der Ereignisse mit dem 10. November 1989 abschließen, auch wenn dies als eigentlich unzulässige Verkürzung des Bildwinkels erscheint.

2 Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Ostblock der 1980er Jahre

Am 11. März 1985 wird Michail Sergewitsch Gorbatschow zum neuen Generalsekretär der KPdSU gewählt.[8] Seine Wahl markiert eine tiefe Zensur, sowohl für die Sowjetunion als auch für die restliche Welt. Gorbatschow gilt als Hoffnungsträger des Politbüros und verkündet auf dem 27. Parteitag der KPdSU die Notwendigkeit von Veränderungen.[9] So beginnt er die Reformen, die mit den Begriffen „ Perestroika “ und „ Glasnost “ umschrieben werden. Dabei soll der „ Umbau “ (russ. Perestroika) Handel und Industrie vorantreiben, wirtschaftliche Entscheidungsprozesse für die Bürger transparenter machen und das Mitbestimmungsrecht ausweiten. Hand in hand mit dieser Entwicklung geht die „ Offenheit “ (russ. Glasnost), die die Einführung auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit verspricht.[10] Darüber hinaus kommt unter Gorbatschow die Gipfeldiplomtie mit den USA wieder in Gang und ihm Zuge dieser unterzeichnen er und Ronald Reagan im Dezember 1987 in Washington, die so genannte „ Nulllösung “, die die Beseitigung aller Mittelstreckenraketen beider Länder besiegelt.[11] Die Bedeutung dieser langsamen Reformen wird deutlich, wenn der Historiker Michael Gehler in einem Aufsatz zu den Umsturzbewegungen 1989 in Mittel- und Osteuropa betont, dass die Veränderungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow den „ Andersdenkenden in den sozialistischen ‚Bruderstaaten’ politische Motivation und moralische Legitimation “ verliehen.[12]

Während die Perestroika- und Glasnostpolitik auch in den anderen Staaten der sowjetischen Einflusssphäre Handlungs- und Entscheidungsspielraum für Reformen schaffen sperrt sich der DDR Partei- und Staatsapparat dagegen und zeichnet sich durch Veränderungs- und Handlungsunfähigkeit aus.[13] Während die DDR-Führung die Veränderungen als überflüssig und sogar schädlich betracht und sich selbst isoliert stoßen die Reformen in der Volksrepublik Polen und der Volksrepublik Ungarn auf Resonanz.[14] Und so blicken die DDR-Bürger spätestens seit dem Frühjahr 1989 gespannt nach Ungarn und Polen, wo politische und gesellschaftliche Veränderungen in Gang gekommen sind.[15]

3.1 Die Volksrepublik Polen

In der Volksrepublik Polen gärt es schon seit dem Beginn der 1980er Jahre. Eine hohe Preisund Inflationssteigerung führt im Jahr 1980 zu Streiks. Um diese zu unterbinden lässt die polnische Regierung die Gründung von freien Gewerkschaften zu und im Zuge dessen wird am 17. September 1980 die unabhängige Gewerkschaft Solidarnóć zugelassen. Auf Grund des wachsenden Drucks der Gewerkschaften, der fortgesetzten Streiks, der anhaltenden Inflation und der drohenden Intervention der Sowjetunion sehen sich die polnischen Machthaber gezwungen am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht auszurufen. Die Streiks werden untersagt, die Solidarnóć aufgelöst und der Widerstand unterdrückt. Erst am 21. Juli 1983 wird das Kriegsrecht in Polen endgültig wieder aufgehoben. Die Situation in Polen stabilisiert sich nur für eine kurze Phase. Im Frühjahr und Sommer 1988 brechen erneut Streiks aus. Diese werden erst eingestellt als die polnische Führung der Wiederzulassung der Solidarnóć zustimmt.[16] In dem Glauben, dass der Weg aus dieser Krise nicht ohne die Einbeziehung der demokratischen Oppositionsbewegung zu führen könne, finden ab August 1988 Gespräche zwischen Regierung und Gewerkschaft statt.[17] Von Februar bis April 1989 treffen sich Vertreter der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP), der Blockparteien, der staatlichen Gewerkschaften um Gespräche im Rahmen eines „Runden Tisches“ zu führen. Am 25 April enden diese Diskussionen damit, dass die PVAP ihre Macht teilen muss. Sie lässt Solidarnóć offiziell wieder zu und stimmt der Bildung einer zweiten Kammer im Parlament zu.[18] So werden halbfreie Parlamentswahlen ermöglicht, die am 4. Juni 1989 stattfinden. Die Opposition geht als Sieger aus diesen Wahlen hervor. Die Solidarnóć bildet eine Koalition mit der Vereinigten Bauernpartei und der Demokratischen Partei, so dass am 24. August der Publizist Tadeusz Mazowiecki zum Regierungschef gewählt wird. Er tritt die Nachfolge des Generals Czesław Kiszczak an und ist der erste nichtkommunistische Staatschef in einem Warschauer Pakt Staat seit 40 Jahren.[19]

3.2 Die Volksrepublik Ungarn

In der Volksrepublik Ungarn gibt es schon vor der Wahl von Gorbatschow zum Generalsekretär der KPdSU kommunistische Reformbestrebungen. Dies zeigt sich u.a. durch den Beitritt Ungarns zum Internationalen Währungsfond und in die Weltbank im Jahr 1982 oder der Gründung eines ungarisch-dänischen Joint Ventures im Jahr 1984.[20] Nachdem am 20. Mai 1988 der Parteichef der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP), János Kádár, abgesetzt wird, tritt Károly Grósz, als sein Nachfolger, für eine Wirtschaftsreform und ein langsame Öffnung des politischen Systems ein.[21] Auf der Session des ungarischen Parlaments von 24-26. November 1988 wird dann allerdings Miklós Németh zum neuen Ministerpräsidenten ernannt.[22] Parallel zu den Reformbestrebungen der Parteiführung findet eine Neugestaltung von unten statt. Es kommt zu der Gründung von Parteien: am 27. September 1987 wird das Ungarisch Demokratische Forum, am 13. November 1988 der Bund der Freien Demokraten, am 18. November 1988 die Partei der kleinen Landwirte und am 11. Mai 1989 die Christlich Demokratische Volkspartei gegründet. Dadurch kommt es in Ungarn zu einem Transformationsprozess in dem Regime und Opposition paktieren, so dass der Systemwechsel rasch durchgeführt und durch Menschenrechte, Versammlungs-,Vereinigungs- und Pressefreiheit abgesichert wird.[23]

Der zunehmende Zerfall des Ostblocks führt in Ungarn zu einer Hinwendung zum Westen. Ab dem 2. Mai 1989 beginnt Ungarn die Sperranlagen an der Grenze zu Österreich abzubauen. Die Führung der Sowjetunion duldet diesen Schritt, wie Miklós Németh in einem Interview erläutert: „[…] Aber ich habe ihn (Michail Gorbatschow, a.d.V.) darüber informiert, dass wir die Stacheldrahtsperren zur österreichischen Grenzen nicht mehr erneuern werden. Gorbatschow fragte warum. ´Ich sagte, wir haben verschiedene Gründe, einer ist das wir kein Geld mehr haben. Ich befürchtete, er sagt: Wir bezahlen das. Dann hätte ich politische Gründe nennen müssen. Aber Gorbatschow hat gelächelt und von sich aus gesagt, dass die Breschnew-Doktrin, das heißt die Einmischung Moskaus in die Belange der anderen Staaten, beendet sei. […].“[24] Durch diese Handlung wird das „ Prinzip des Eisernen Vorhangs “ in Frage gestellt.[25] Einen weiteren Schritt in Richtung Zerstörung dieser Grenze geht Ungarn in dem es am 12. Juni 1989 der Genfer Flüchtlingskonvention beitritt. Diese besagt, dass Flüchtlinge nicht in den Staat zurückgeschickt werden dürfen aus dem sie kommen. Dies ist bis zu diesem Zeitpunkt die gültige Praxis zwischen der DDR und Ungarn.[26] Die endgültige Demontage des Eisernen Vorhangs findet ihren symbolischen Ausdruck als am 27. Juni 1989 der ungarischen Außenminister Gyula Horn gemeinsam mit seinem österreichischen Amtskollegen Alois Mock ein Stück aus dem Grenzzaun schneiden. Diese Vorgänge führen im Sommer 1989 zu einer Fluchtwelle von DDR-Bürgern über die ungarisch-österreichische Grenze. Als am 10./11. September 1989 offiziell die Grenze zur freien Ausreise geöffnet wird, gelangen binnen weniger Stunden über 12000 DDR-Bürger nach Österreich.[27] In der DDR führt diese Grenzöffnung zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen der Regierung und der Bevölkerung[28] und trägt zu den Veränderungen in diesem Staat bei. In Ungarn selbst folgt am 7./8. Oktober 1989, nach der Selbstentmachtung der USAP, die Konstituierung der Ungarischen Sozialdemokratischen Partei und am 23. Oktober desselben Jahres die Umbenennung der Volksrepublik Ungarn in Republik Ungarn.[29]

3 Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der DDR am Ende der 1980er Jahre

Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) ist ein sozialistischer Staat, in dem sich die sozialistische deutsche Nation entwickelt. Sie ist fester Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft […][30] so heißt es in der 3. Auflage von Meyers Jugendlexikon. Die Frage, die sich nach der Betrachtung der gesellschaftlichen und politischen Umgestaltung im Ostblock[31] stellt ist, wie man in der DDR auf diese Veränderungen in den „Bruderstaaten“ reagiert und welchen Konsequenzen sich daraus ergeben. Im folgenden Kapitel sollen daher die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der DDR der 1980er Jahre genauer betrachtet werden.

Die politischen Entwicklungen in der DDR am Ende der 1980er Jahre sind stark geprägt von der von der Sowjetunion ausgehenden Reformen. Zum einen gefährdeten die Neuerungen Gorbatschows den inneren Zusammenhalt, da sie auf eine Schwächung des Partei- und Machtapparats zielten.[32] Zum anderen ist das Verhältnis der DDR zur Sowjetunion immer davon geprägt gewesen, dass erst der von Moskau ausgehende psychologische Druck und die physische Macht die Existenz und die Stabilität der DDR sicherten. Mit der Politik von Glasnost und Perestroika wird diese Selbstverständlichkeit in Frage gestellt.[33] So beschreibt Gorbatschow das Verhältnis Erich Honeckers zu seiner Politik in einem Interview, wie folgt: „ […] Und als die Perestroika begann, nahm er [Erich Honecker, a.d.V.] diese Umgestaltungsprozesse mit Unmut hin […] Die DDR-Führung nahm eine ziemlich kritische Haltung ein. Sie begann Maßnahmen zu treffen, um eine Art Schutzgürtel gegen die Seuche aus der Sowjetunion, für die sie die Perestroika hielt, zu schaffen. Manche Zeitungen (wurden) verboten […] Außerdem wurde in der DDR eine Art Stab im Rahmen der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED gegründet, dessen Aufgabe darin bestand, alle Aussagen Gorbatschows und seine Veröffentlichungen in der Presse zu überprüfen und zu zensieren.[34] Die von Gorbatschow beschriebene ablehnende Haltung der DDR- Führung findet ihren Ausdruck in unterschiedlichen realpolitischen Handlungen.

Am 19. November 1988 wird in der DDR mit der Monatszeitschrift „ Sputnik “ erstmals ein sowjetisches Druckerzeugnis verboten.[35] Die SED-Führung hatte Anstoß genommen an einem kritischen Artikel über den Hitler-Stalin-Pakt im Jahr 1939 und den „ Sputnik “ mit der Begründung: „[ s]ie bringt keinen Beitrag, der der deutsch-sowjetischen Freundschaft dient, stattdessen verzerrende Beiträge zur Geschichte.[36] von der Postzeitungsliste gestrichen. Das Verbot löst in weiten Kreisen der Bevölkerung Empörung aus und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) erläutert in einem Bericht vom 30. November 1988, dass sich v.a. Angehörige der Intelligenz sowie Studenten kritisch äußerten und darauf hinweisen, dass „ [d]ie Maßnahme der DDR Ausdruck der grundsätzlichen zwiespältigen bzw. ablehnenden Haltung der Partei- und Staatsführung der DDR zur Politik der Umgestaltung in der UdSSR überhaupt [sei].“[37] Neben dem „ Sputnik “ werden gleichzeitig noch fünf Spielfilme aus der Sowjetunion aus dem Verleihprogramm der DDR genommen, weil sie sich kritisch mit dem Stalinismus auseinandersetzen.[38]

Das Verhältnis der politischen Führung zu seiner Bevölkerung in den Monaten vor dem Mauerfall lässt sich deutlich am Umgang mit den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 ablesen. Seit Beginn der 1980er Jahre hat die SED-Elite mit einer Erhöhung der Wahlverweigerer zu kämpfen. Sie reagiert auf dieses Problem mit verschiedenen Lösungsansätzen. So werden u.a. transportable Wahlurnen eingeführt, die bei Bedarf zu den Wählern gebracht werden oder bei einer offen ausgesprochenen Drohung nicht zur Wahl zu gehen reagierte man z.B. mit der Erledigung schon lange überfälliger Reparaturen. Bei der Bevölkerung ist dies bekannt, nur protestierte niemand dagegen öffentlich. Dass sich dies im Zuge der Kommunalwahl im Mai 1989 ändern könnte, wird der DDR-Führung dadurch bewusst, dass die Staatssicherheit bis zum 7. Mai 103 Vorkommnisse meldet, die gegen die Wahl gerichtet sind.[39] Der Wahltag selbst geht dann auch nicht ohne „Vorkommnisse“ von statten. So finden sich in vielen Städten der DDR engagierte Bürger als Wahlbeobachter in den Wahllokalen ein, um von ihrem Recht gebrauch zu machen, die Auszählung der Stimmen zu verfolgen.[40] Als am 8. Mai im Neuen Deutschland die Wahlergebnisse veröffentlich werden, können, die Bürger lesen, dass 98,85% der Wähler für die Nationale Front gestimmt haben, während 1,15 dagegen stimmten. Einerseits ist dies der höchste Anteil an Neinstimmen, die es in der Geschichte der DDR je gegeben hat, andererseits beträgt die Differenz zu den von den Wahlbeobachtern Angaben bis zu 10%.[41] Über die Wahlbeobachtung hinaus gibt es bereits am Tag der Wahl öffentliche Proteste, die wie z.B. in Berlin gewaltsam von der Staatsmacht aufgelöst werden. Die Einschüchterungsversuche der Staatssicherheit zeigen jedoch nicht mehr die gewünschte Wirkung, was u.a. daran deutlich wird, dass Berliner Bürgerrechtler fünf Tage nach der Wahl „ Einspruch gegen die Gültigkeit der Kommunalenwahlen “ an den Nationalrat richtet und beschließenden ihren öffentlichen Protest am jeweils 7. des Folgemonats fortzusetzen.[42]

[...]


[1] Aus: Chronik der Mauer: Photos: November 1989: http://www.chronik-dermauer. de/index.php/de/Start/Detail/id/659283/item/6/page/0

[2] Aus: Deutsches Historisches Museum: Photo Maueröffnung in der Invalidenstraße: http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/DieDeutscheEinheit_photoMaueroeffnungInvalidenstrasse/index.html.

[3] Vgl. Jesse, Eckhard; Mitter, Armin (Hrsg.): Die Gestaltung der Deutschen Einheit Geschichte Politik und Gesellschaft, Bouvier Verlag, Bonn; Berlin 1992, S.399.

[4] Vgl. Jesse, 1992, S.399- 419.

[5] Vgl. Hertle, Hans-Hermann: Der Fall der Mauer – Die unbeabsichtigte Selbstauflösung des SED-Staates, Westdeutscher Verlag, Opladen 1996, S. 566-581.

[6] Vgl. Plato, Alexander von: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel Bush, Kohl, Gorbatschow und die geheimen Moskauer Protokolle, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2003, S. 449-473.

[7] Heumann, Marcus: Niemand hat die Absicht ... Tondokumente zum Mauerbau, Random House Audio, 2001.

[8] Vgl. zur Biografie die Ausführungen unter Punkt 10 dieser Arbeit.

[9] Vgl. Lexikonredaktion des Verlages F.A. Brockhaus: Weltgeschichte der Neuzeit Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2005, S. 443.

[10] Vgl. Phoenix: 20 Jahre Perestroika: http://www.phoenix.de/27442.htm.

[11] Vgl. Kuhn, Ekkehard: Gorbatschow und die Deutsche Einheit Aussagen der wichtigsten russischen und deutschen Beteiligten, Bouvier Verlag, Bonn 1993, S. 215.

[12] Vgl. Gehler, Michael: Die Umsturzbewegungen 1989 in Mittel- und Osteuropa Ursachen – Verlauf – Folgen, in Aus Politik und Zeitgeschichte B 41 – 42/2004, S. 36.

[13] Vgl. Müller-Mertens- Eckhard: Politische Wende und die deutsche Einheit Fixierung und Reflexion der Ereignisse in der DDR 1989/1990, Fides Verlags- und Veranstaltungsgesellschaft, Berlin 1997, S. 19f.

[14] Vgl. Görtemaker, Manfred: Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Beck Verlag, München 2002, S 345.

[15] Vgl. Lexikonredaktion des Verlages F.A. Brockhaus, 2005, S 453.

[16] Vgl. Gehler, 2004, S. 36f.

[17] Vgl. Lexikonredaktion des Verlages F.A. Brockhaus, 2005, S 449.

[18] Vgl. Gehler, 2004, S. 37.

[19] Vgl. ebd.

[20] Vgl. Gehler, 2004, S 38f.

[21] Vgl. Lexikonredaktion des Verlages F.A. Brockhaus, 2005, S. 449.

[22] Vgl. Ungarn.hu: Geschichte: http://www.magyarorszag.hu/deutsch/uberungarn/Geschichte/chronologie.html,.

[23] Vgl. Gehler, 2004, S. 39.

[24] Vgl. Die Welt: 11.09.2004: Interview mit Miklos Nemeth, ungarischer Ministerpräsident a.D., auf: http://www.welt.de/print-welt/article339849/Gorbatschow__hat_nur_gelaechelt.html.

[25] Vgl. Görtemaker, 2002, S. 345.

[26] Vgl. Hertle, 1996, 93f.

[27] Vgl. Gehler, 2004, S. 39.

[28] Vgl. Hertle, 1996, S. 109.

[29] Vgl. Gehler, 2004, S. 39.

[30] Vgl. Meyers Jugendlexkion, 3 Aufl., Leipzig 1973, S. 144; zitiert nach: Judt, Matthias (Hrsg.): DDRGeschichte in Dokumenten – Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998, S. 518.

[31] Vgl. dazu Kapitel 2 dieser Arbeit.

[32] Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Deutsche Teilung – Deutsche Einheit 40 Jahre deutsch-deutsche Wirklichkeit: Veränderungen im Zeichen der Entspannung, auf: http://www.bpb.de/themen/0QHWIF,3,0,Ver%E4nderungen_im_Zeichen_der_Entspannung.html.

[33] Vgl. Görtemaker, 2002, S 341f.

[34] Interview Gorbatschows im ZDF, zitiert nach: Plato, Alexander von: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel Bush, Kohl, Gorbatschow und die geheimen Moskauer Protokolle, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2003, S. 54.

[35] Vgl. Lehmann, 2002, S321f.

[36] Vgl. Neues Deutschland vom 19.11.1988, zitiert nach: Lindner, Bernd: Die demokratische Revolution in der DDR 1989/90, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998, S. 18.

[37] Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Deutsche Teilung – Deutsche Einheit 40 Jahre deutsch-deutsche Wirklichkeit: Veränderungen im Zeichen der Entspannung, auf: http://www.bpb.de/themen/0QHWIF,4,0,Ver%E4nderungen_im_Zeichen_der_Entspannung.html#art4.

[38] Vgl. Lindner, 1998, S. 18.

[39] Vgl. Lindner, 1998, S.25f.

[40] So finden sich allein in Leipzig in über 160 Wahllokalen Beobachter ein. Vgl. Lindner, 1998, S. 27.

[41] Vgl. ebd.

[42] Vgl. Lindner, 1998, S.27ff.

Ende der Leseprobe aus 40 Seiten

Details

Titel
Die Öffnung der Mauer: ein historischer Irrtum oder gewollt herbei geführt?
Untertitel
Die Interpretation der Ereignisse aus Sicht der wissenschaftlichen Fachliteratur und aus Sicht Günter Schabowskis
Hochschule
Technische Universität Darmstadt  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Seminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
40
Katalognummer
V117069
ISBN (eBook)
9783640193141
ISBN (Buch)
9783640813216
Dateigröße
886 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mauer, Irrtum, Seminar
Arbeit zitieren
B.A. Katja Wüllner (Autor:in), 2007, Die Öffnung der Mauer: ein historischer Irrtum oder gewollt herbei geführt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117069

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