Das Un-Ding der Gabe

Die Gabe bei Jacques Derrida


Seminararbeit, 2008

12 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1 Allgemeines

2 Zur Gabe-Philosophie Derridas – das Paradox der Unmöglichkeit der Gabe.
2.1 Dissemination des Gebens und Nehmens
2.2 Dimensionen des Gebens
2.3 Äquivalenz und Ambivalenz im Gabe-Ereignis
2.4 „es gibt“ - sprachliche Eigenarten und ihre Paradoxien

Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Einleitung

„En même temps nous pensons l'impossible,

et c'est en même temps.“

(Jacques Derrida)

Mit der „Möglichkeit des Unmöglichen“ wird nun, nachdem die Soziologie Jahrzehnte lang die Tausch- und Gabeereignisse in verschiedenen Kulturen beschrieben hat, die semantische Seite der Gabe und des Gebens geöffnet und betrachtet. Jacques Derrida spielt in diesem Kontext eine entscheidende Rolle in der postmodernen Philosophie, fordert und fördert neue Denkprozesse und polemisiert den Gabebegriff in Marcel Mauss' Essai sur le don. Die Kernfrage, die sich Derrida stellt lautet: Gibt es Gabe? Dabei geht er formalistischen und strukturalistischen Ansätzen nach, indem er den Begriff der Gabe einerseits aus ökonomischen Aspekten, andererseits jedoch auch aus linguistischen Erkenntnissen her konstruiert. Die Gefahr der Formalisierung des Gabeereignisses in der Hinsicht, dass es sich jeden Augenblick selbst zerstören und zu einem bloßen Tauschakt werden könnte, zeigt die Polemik des Gabendiskurses, der Derrida entschieden und mit einem Komplex von Fragen nachgeht. Kann man geben, ohne zurückzugeben? Kann man schenken, ohne sich im ökonomischen Kreislauf von Tausch, Verpflichtung und Schuld zu verstricken? Kann man „sich geben“? Zwar begibt sich Derrida bei dem Versuch, diese Fragen zu klären, immer wieder auf einen gedanklichen Spießrutenlauf durch die unlogische Logik der Paradoxien, zeigt aber gerade dadurch, dass man mit einem anderen Denken neue Erkenntnisse gewinnen kann. Er fordert eine klare Abgrenzung der Gabe vom ökonomischen Kreislauf, aber gleichzeitig sieht er die Integration (wenn auch nicht statisch) der Gabe im selben System. Ist es denn überhaupt möglich, in einer Gesellschaft, die so stark von ihren Ökonomien geprägt ist, zu „geben“? Wenn ja, wie kann die Gabe als „reine“ Gabe dann stattfinden ohne sich gleichzeitig wieder im ökonomischen Teufelskreis zu verirren und sich somit selbst zu annullieren? Vielleicht kann eine Diskussion über offensichtliche Paradoxien selbst nur im Paradox enden, jedoch gewinnt man in diesem Gedankenprozess neue Erkenntnisse und Einsichten, die die Mauss'sche Vor-gabe des Gabenverständnisses neu überdenken lässt.

1 Allgemeines

Die Leitthese, die Bernhard Waldenfels in seinem Aufsatz über »Das Un-ding der Gabe« aufstellt zeigt gleich zu Anfang einen sich selbst widersprechenden Punkt, der in das Paradox der Gabe einführt. Er spricht von einem gleichzeitigen Erscheinen und Nichterscheinen der Gabe. Als Voraussetzung sei hierfür ein „ungeschriebener Vertrag“[1] zwischen miteinander kommunizierenden Menschen notwendig. Dies zeigt sich schon in den Ausdrücken, die man einem Referenten gegenüber äußert: „ihm Aufmerksamkeit schenken“ oder „Sinn geben“. Das heißt also, dass zwischen diesen Parteien in gewisser Weise unbewusst ein Vertrag konstituiert sein muss, der dem Redner eine Vor-gabe[2] ermöglicht, die durch seine Rezipienten beantwortet wird (eben durch ihre Aufmerksamkeit etc.). Derrida selbst schreibt dem Gabenereignis eine ternäre Struktur zu: „»irgend›einer‹« (A) hat die Intention, B an C zu geben“[3]. Durch diese formalistische Ausdrucksweise droht jedoch eine stetige Mutation der gegebenen Sache zu einem Tauschobjekt. Durch diesen formalistischen Ansatz entsteht eine Skepsis an derer Möglichkeit überhaupt einer „Gabe“. Etwas soll also existieren, indem es seine Eigenexistenz selbst annulliert.[4] Dieses offensichtliche Paradox wird dadurch erklärbar, dass die Gabe sich als unmöglich erweist, „indem sie als Tausch konzipiert und praktiziert wird“[5]. An dieser Stelle zeigt sich gleichzeitig der Vorwurf an Mauss, der den Widerspruch des Gabeereignisses zum Tauschakt nicht bedacht habe. Aufgrund dessen analysiert Derrida die (vermeintliche) Gabe, in Abgrenzung zum Tausch, als klarer Kritikpunkt zu Mauss: „Man könnte soweit gehen zu sagen, daß selbst ein so monumentales Buch wie der Essai sur le don von Marcel Mauss von allem möglichen spricht, nur nicht von der Gabe: der Essai handelt von der Ökonomie, dem Tausch und dem Vertrag (do, ut des), vom Überbieten, dem Opfer, der Gabe und der Gegengabe, kurz von allem, was aus der Sache heraus zur Gabe drängt und zugleich dazu, die Gabe zu annullieren.“[6]

2 Zur Gabe-Philosophie Derridas – das Paradox der Unmöglichkeit der Gabe

2.1 Dissemination des Gebens und Nehmens

Bei der Dissemination, also der Ausbreitung oder Verstreuung der Gabe wird der Sprechakt als intentionaler Akt betrachtet. Dabei wird zwischen einem verbalen „Geben“ und der nominalen „Gabe“ an sich und schließlich zwischen einem Geben von etwas und dem Geben, das Bedingungen für alles Gegebene darstellt, unterschieden.[7] Bei diesem Gabevorgang besteht wiederum eine „rückkehrlose Dissemination“ nach Derrida, die sein formalistisches Denken bestärkt. Es besagt also, dass es in diesem Zusammenhang eben kein „Geben und Nehmen“ geben kann, da es sonst in einem Tauschcharakter enden würde. Demnach muss im Akt des Gebens das Gegebene stets weitergegeben werden, jedoch nie zurück. Die Gabe muss als Gabe jede Reziprozität, die aus ihr resultieren könnte, umgehen, um sich selbst aufrecht erhalten zu können. Durch diese Unumkehrbarkeit zeichnet sich ein „Außen des Gebens“ ab, da es weder bei sich selbst beginnen, noch bei sich enden kann. Dieses „Außen“ bedeutet also eine Art „nicht feste“ Integration, wenn man so will, ein „internes Außen“ des Gebens / der Gabe in einem ökonomischen Kreislauf.[8] Eine „reine“ Gabe, falls es sie geben sollte, distanziert sich somit von diesem Kreislauf einer Gegen-gabe, da sie sonst nicht sein kann, was sie vor-gibt, sondern lediglich Tausch-Objekt ist: „Gabe, wenn es sie gibt, gibt es nur in dem, was das System unterbricht und das Symbol zerbricht, in einem rückkehrlosen Aufbruch, in einer Division ohne Dividende, das heißt ohne das systematische oder symbolische Mit-sich-sein eines Gabe-gegen-Gabe.“[9] (Falschgeld, Seite 24)

Und Derrida geht in diesem Paradox noch weiter: „Folglich gibt es keine Gabe, wenn es keine Gabe gibt, aber eine Gabe gibt es auch dann nicht, wenn es eine Gabe gibt, die vom anderen als Gabe gewahrt oder bewahrt wird; in jedem Fall existiert und erscheint die Gabe nicht. Wenn sie erscheint, erscheint sie nicht mehr.“ (ebd, Seite 26)

Also ist neben der allgemein logischen Schlussfolgerung, dass es etwas nicht geben kann, dass es nicht gibt, nach Derrida das Gabeereignis als solches in sich paradox, da es nicht offensichtlich oder bewusst wahrgenommen werden kann und darf. Sobald es als Gabe ersichtlich wird, kann es sich selbst in seinem Wesen nicht mehr aufrecht erhalten und wird zu einem Tauschakt. Ein Geburtstagsgeschenk[10] veranschaulicht diesen Sachverhalt ganz gut: Jemand schenkt aus freien Stücken jemand anderem zum Geburtstag eine Sache. Im gleichen Augenblick der Über-gabe erhält jedoch der Gebende vom Empfänger etwas als Gegen-gabe zurück. In diesem Moment zerstört der Empfänger selbst das Präsent als Präsent und macht es zu einem bloßen Tauschobjekt. In der sozialen Beziehung der beiden Akteure entstünde somit sogar eine Beleidigung des ursprünglichen Gebenden[11]. Auch eine erwiesene Dankbarkeit ist nach Derrida als eine Form der Gegen-gabe zu sehen. Im Diskurs um die Gabe entsteht hier eine enorme Problematik der Empfänger einerseits darf die Gabe als Gabe in keiner Weise anerkennen, um sie aufrecht erhalten zu können. Auf der anderen Seite darf ebenso der Gebende keinerlei Gegen-gabe erwarten oder seine eigene Gabe selbst im Gedächtnis behalten.[12] Ein Vergessen der Gabe ermöglicht also erst ihre existentielle Fortführung. Dieser Punkt verdeutlicht, dass der Gebende in einem vollkommen selbstlosen Akt handeln muss. Ihm muss völlig egal sein, wie der Empfänger reagiert (der auch selbst keine Emotionen, auf die Gabe beziehend, zeigen darf und wenn dann am ehesten noch negative) und vor allem warum er eigentlich „gibt“.[13]

[...]


[1] Bernhard Waldenfels: »Das Un-ding der Gabe«, in: Ders./Hans-Dieter Gondek (Hg.): Einsätze des Denkens. Zur Philosophie von Jacques Derrida, Frankfurt 1997, Seite 386.

[2] Ich werde im Folgenden die von Derrida verwendete Getrenntschreibung von bestimmten Schlüsselbegriffen verwenden, da diese so semantisch noch besser erfasst werden können.

[3] Jacques Derrida: Falschgeld. Zeit geben I, München 1993, Seite 21.

[4] Waldenfels, Seite 388.

[5] Ebd.

[6] Derrida: Falschgeld, Seite 37.

[7] Waldenfels, Seite 392.

[8] An dieser Stelle sei erwähnt, dass sich Derrida oft auf die Ökonomie zur Verdeutlichung bezieht. Die eigentliche Abgrenzung der Gabe von einem ökonomischen System soll sich hierbei gerade durch ihre uneigentliche Integration in ihm konstituieren. Wie dies zu verstehen ist, wird an späterer Stelle angeführt.

[9] Hier wird deutlich, dass das Gegebene nicht unbedingt eine Sache, ein Ding im ökonomischen Sinn sein muss, sondern durchaus auch symbolischen Gabe-wert besitzen kann.

[10] Ein „Geschenk“ kann und darf nicht mit irgendetwas anderem zurückgefordert werden. Andernfalls wäre es auch hier wiederum ein bloßes Tauschobjekt mit der Erwartung einer Reziprozität an den Empfänger.

[11] Hier] zeigt sich einerseits die Frage nach der Zeit. Die Gabe benötigt demnach anscheinend eine Art Inkubation, um nicht zu einem Tauschhandel zu mutieren.

[12] Vgl. dazu: Falschgeld, Seite 36.

[13] Siehe dazu auch spätere Ausführungen unter 2.4 zum Vernunftprinzip.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Das Un-Ding der Gabe
Untertitel
Die Gabe bei Jacques Derrida
Hochschule
Universität Erfurt
Veranstaltung
Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
12
Katalognummer
V117282
ISBN (eBook)
9783640197477
ISBN (Buch)
9783640197729
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marcel, Mauss, Form, Funktion, Austauschs, Gesellschaften, Unding, Derrida, archaische Gesellschaften, Soziologie, Philosophie, Gabe
Arbeit zitieren
Mathias Seeling (Autor:in), 2008, Das Un-Ding der Gabe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117282

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