Social Distancing durch die Corona Pandemie. Über die Auswirkungen auf Menschen mit Demenz

Überlegungen über Interventionsmöglichkeiten innerhalb der stationären sozialen Altenhilfe


Bachelorarbeit, 2021

72 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Abbildungsverzeichnis

2 Einleitung

3 Covid-19-Pandemie
3.1 Begriff „Pandemie“
3.2 Beginn Pandemie
3.3 Pandemiebekämpfung
3.4 Risikogruppen

4 Lebensphase Alter
4.1 Altersbilder
4.2 Risiken des Alterns
4.3 Theorien sozialer Beziehungen im Alter
4.3.1 Soziologische Theorien
4.3.2 Psychologische Theorie: Sozioemotionale Selektivitätstheorie (SST)

5 Demenz
5.1 Symptomatik
5.1.1 Diagnostik
5.1.2 Der demografische Wandel und Demenz
5.1.3 Die Bedeutung des Wohlbefindens

6 Social Distancing - der Mensch als soziales Wesen
6.1 Social Distancing/ Soziale Isolation/ Einsamkeit - Eine Abgrenzung der Begriffe
6.2 Soziale Isoaltion
6.2.1 Soziale Isolation und die Lebensphase Alter
6.2.2 Unterschiede innerhalb der Geschlechter
6.2.3 Verstärkung von Demenz durch soziale Isolation
6.2.4 Digitalisierung und Isolation
6.3 Social-Distancing im Kontext der Pandemie
6.3.1 Herausforderung: Schutzmaßnahmen

7 Zwischenfazit

8 Kann die Soziale Arbeit in Altenheimen den besonderen Bedürfnissen der Demenzpatient*innen während der Pandemie gerecht werden?
8.1 Soziale Altenhilfe
8.2 Stationäre Altenhilfe
8.2.1 Rahmenbedingungen der stationären Altenhilfe
8.2.2 Die stationäre soziale Altenhilfe außerhalb der Pandemie
8.2.3 Die stationäre soziale Altenhilfe und die Coronakrise
8.3 Welche Maßnahmen sind in Präsenz mit Menschen mit Demenz möglich?
8.3.1 Wohlbefinden
8.3.2 Die Profile des Wohlbefindens
8.4 Aktivität
8.5 Biographiearbeit
8.6 Welche Maßnahmen sind Digital mit dementen Personen möglich?
8.6.1 Technische Rahmenbedingungen
8.6.2 Einsatz digitaler Mittel
8.6.3 Ausblick

9 Fazit

10 Literaturverzeichnis

1 Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Foto: Adobe Stock, Illustration: Kest. In: HEINRICH, Christian 2019: Gegen das Vergessen. Ausgabe 1/2019. https://www.jku.at/kepler-tribune/arbtikel/gegen-das-vergessen (aufgerufen am 30.06.2021).

Diese Abbildung war auf dem Deckblatt zu sehen und wurde aus urheberrechtlichen Gründen von der Redaktion entfernt.

2 Einleitung

„Auch Bewohnerinnen und Bewohner von stationären [...]Einrichtungen haben ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und soziale Kontakte. Die gilt ungeachtet der erheblichen Gefahren, die eine mögliche Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus gerade für sie bedeutet (SOZIALE TEILHABE IN ALTEN- UND PFLEGEHEIMEN AUCH UNTER CORONA-BEDINGUNGEN SICHERSTELLEN 2020).“

Der Mensch hat ein grundlegendes Bedürfnis nach sozialen Kontakten und Nähe. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wurde dieses Bedürfnis durch die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung stark eingeschränkt. Um Risikogruppen zu schützen wurde unter anderem das Social-Distancing angeordnet. Ziel ist es eine physische Distanz zwischen den Menschen herzustellen und somit die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Insgesamt erscheinen die Maßnahmen der Corona-Pandemiebekämpfung im Hinblick auf die Risikogruppen paradox: Ziel ist es, Risikogruppen durch soziale Isolation zu schützen. Zeitgleich kann ein verminderter Kontakt zu anderen Menschen in Vereinsamung münden und kognitive Einschränkungen fördern. Mehrfach schwerwiegend sind die Maßnahmen somit für demente Menschen. Zum einen, da diese vermehrt Vorerkrankungen haben oder sich in der Lebensphase Alter befinden und somit unter die Risikogruppe zu fassen sind. Dieser Teil der Bevölkerung wird deswegen zunehmend isoliert und kann Einsamkeit erfahren. Zum anderen fördern die Maßnahmen den kognitiven Zerfall, wodurch die Maßnahmen vermindert begriffen und durchgeführt werden können. Erkrankte, welche in Altenpflegeinrichtungen untergebracht sind, verstehen die veränderten Strukturen wie zum Beispiel Einschränkungen der Besuche von Angehörigen nicht. Mit Bezug auf das oben genannte Zitat wird deutlich, dass die soziale Teilhabe, trotz der Maßnahmen ein Recht der Bewohner*innen darstellt. Ein Recht, welches wie so viele andere auch, innerhalb der Corona-Pandemie eingeschränkt wurde. Die Maßnahmen haben insgesamt in vielen Bereichen Auswirkungen auf demente Menschen. Aus diesem Grund wird innerhalb dieser Ausarbeitung die Fragestellung

„Welche Auswirkungen hat Social-Distancing als Maßnahme der Pandemiebekämpfung auf Menschen mit Demenz und wie kann die stationäre soziale Altenhilfe ihnen entgegenwirken?“ bearbeitet. Zunächst soll innerhalb des zweiten Kapitels das Wort Pandemie definiert werden, um anschließend auf den Ausbruch der Corona-Pandemie eingehen zu können. Hierbei wird auf die Maßnahmen der Pandemie-Bekämpfung eingegangen, welche für die Risikogruppe der Bevölkerung durchgeführt werden. Weswegen im Anschluss beschrieben werden soll, welche Teile der Bevölkerung ein Teil der Risikogruppe sind. Da die Fragestellung den Fokus auf demente Menschen in stationären Altenpflegeeinrichtungen richtet, ist der Schwerpunkt dieser Ausarbeitung auf die Risikogruppe „Alter“ oder „vorerkrankte Alte“ gerichtet. Die nachfolgenden zwei Kapitel gehen deswegen auf die Risikogruppen „Alter“ und „Demenz“ ein.

Innerhalb des dritten Kapitels wird auf die Lebensphase Alter und das heutige Konstrukt dieser Lebensphase eingegangen. Hierbei werden auch Altersbilder und deren Auswirkungen beschrieben, da diese im Hinblick auf die Kategorisierung der Bevölkerung in Risikogruppen Auswirkungen auf alternde Menschen haben. Insgesamt werden auch die generellen Risiken des Alterns dargestellt. Da der Fokus dieser Ausarbeitung auf das Social-Distancing gerichtet ist, soll im Anschluss auf Theorien sozialer Beziehungen im Alter eingegangen werden. Versucht wird hierdurch, die Wichtigkeit sozialer Beziehungen für alte Menschen darzustellen und inwiefern soziale Beziehungen mit dem Ende der Erwerbsfähigkeit aufrechterhalten werden. Dargestellt werden lediglich ausgewählte soziologische und psychologische Theorien, welche von Relevanz für diese Ausarbeitung sein können.

Mit ansteigendem Alter nimmt das Risiko an Demenz zu erkranken zu: weswegen das Kapitel 4 auf die Demenz-Erkrankung eingehen soll. Aufbauend auf die Bedeutung des Wortes Demenz wird oberflächlich auf die Erkrankung und die Diagnose eingegangen. Beschrieben wird auch die gesellschaftliche Relevanz der Thematik Demenz, in Bezug auf den Demographischen Wandel, da die zunehmende Alterung der Bevölkerung mehr demente Menschen hervorbringt. Wichtig ist es deswegen ein Bewusstsein für die Bedürfnisse der Erkrankten zu schaffen, weswegen auch die Wichtigkeit des Wohlbefindens angeführt wird.

Nachdem die für die Ausarbeitung relevanten Risikogruppen thematisiert wurden, wird innerhalb Kapitel 5 auf das Social-Distancing eingegangen, da dies Einschränkungen für die Risikogruppen bedeutet. Zunächst werden die Begriffe Social-Distancing, Soziale Isolation und Einsamkeit abgegrenzt. Die Bedeutung von sozialer Isolation soll zunächst allgemein in Bezug auf die Lebensphase Alter und das Geschlecht durchgeführt werden. Im Hinblick auf die Digitalisierung werden ebenfalls Gedanken festgehalten. Zu hinterfragen ist inwiefern die Digitalisierung Isolation reduzieren kann oder, aufgrund fehlender technischer Fähigkeiten, die Isolation bestehen bleibt.

Der Fokus auf die Pandemie und das Social-Distancing wird im Anschluss gemacht. Zunächst werden allgemein die Folgen auf den Menschen dargestellt. Schwerpunkthaft soll der Fokus hier jedoch auf demente Menschen gesetzt werden, da gerade diese Schwierigkeiten mit dem Umsetzen der Maßnahmen haben und insgesamt zunehmende von Isolation im Rahmen der Pandemie betroffen sind.

Da die Fragestellung dieser Ausarbeitung zweigeteilt ist, wird nachfolgend bereits ein Zwischenfazit festgehalten. Der erste Teil der Fragestellung wird hierbei bereits versucht zu beantworten. Da die Rahmenbedingungen der Altenpflegeheime innerhalb der Corona- Pandemie jedoch erst nachfolgend beschrieben werden, kann in diesem Teil noch nicht ausführlich auf die Auswirkungen des Social-Distancing auf Menschen mit Demenz im Rahmen der stationären Altenhilfe eingegangen werden. Dies erfolgt erst innerhalb des abschließenden Fazits.

Das letzte Kapitel geht auf die stationäre Altenhilfe ein. Nach einer kurzen Einordnung des Bereichs werden die Allgemeinen Rahmenbedingungen (wie zum Beispiel personelle Ressourcen, fehlende Interdisziplinarität) innerhalb von Altenpflegeeinrichtungen beschrieben. Anschließend wird der auf die stationäre soziale Altenarbeit außerhalb und innerhalb der Pandemie eingegangen.

Basierend auf den Erkenntnissen dieser Ausarbeitung wird abschließend ausgearbeitet inwiefern die stationäre soziale Altenhilfe den Auswirkungen des Social-Distancing entgegenwirken kann. Hierbei wird das Paradox der Thematik berücksichtigt: Demente benötigen soziale Kontakte, sind aber zeitgleich ein Teil der Risikogrupp, weswegen sie Isoliert werden sollten. Aus diesem Grund werden Maßnahmen in Präsenz dargestellt, welche das Bedürfnis nach sozialen Kontakten stillen sollen und digitale Maßnahmen, welche die Gesundheit der Menschen bewahren sollen.

Abschließend wird in einem kurzen Fazit das Relevante für das Beantworten der Fragestellung dargestellt.

3 Covid-19-Pandemie

3.1 Begriff „Pandemie“

Ist ein Virus interkontinental aufzufinden und die Bevölkerung hat nur eine beschränkte oder keine Immunität, so spricht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von einer „Pandemie“. Geprägt ist eine Pandemie durch ein Krankheitsgeschehen, welches globale Folgen hat. Zudem sind die Auswirkungen einer Pandemie an verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichen Gebieten festzustellen (vgl. KNUFMANN-HAPPE 2011, S. 21).

3.2 Beginn Pandemie

Im Dezember 2019 wurde das Coronavirus SARS-CoV-2 entdeckt. Kurz darauf wurde die Infektionskrankheit, die dieser Erreger auslöst, als Covid-19 bezeichnet. Das Virus breitet, sich überwiegend, durch effiziente Aerosol- und Tröpfcheninfektion, schnell zwischen Menschen aus (vgl. PFENNINGER 2021, S. 304). Die WHO stufte im Januar, das zu diesem Zeitpunkt noch als Epidemie betitelte SARS-COV-2 Virus, als Notlage ein. Nachdem im Februar 2020 zunehmend Infektionen außerhalb von China erkannt wurden, wurde die Erkrankung am 11. März schließlich als Pandemie eingestuft (vgl. BENOY 2020, S. 23). Bereits im August 2020 meldete die WHO ca. 850.000 Tote bei 24 Millionen registrierten Angesteckten weltweit (vgl. PFENNINGER 2021, S. 304).

3.3 Pandemiebekämpfung

Das Ausmaß und die damit verbundene Dynamik von Pandemien sind nur bedingt abschätzbar. Festgestellt werden konnte jedoch, dass Pandemien wirtschaftliche Strukturen, Gemeinschaften und die individuelle Gesundheit beeinträchtigen. Im Hinblick auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind Maßnahmen erforderlich, um das Virus effektiv zu bekämpfen (vgl. KNUFMANN-HAPPE 2011, S. 22). In dieser Hinsicht sind die Entwicklung und Produktion eines Impfstoffes, die einen langen Zeitraum in Anspruch nimmt, aber dafür einen langfristigen Schutz darstellen kann, besonders wichtig. Politische Entscheidungsträger sehen sich hinsichtlich der Diskussion um notwenige Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor besondere Herausforderungen gestellt. So müssen auf der Basis von unzureichenden Informationen, schwerwiegende Entscheidungen in Bezug auf Grundrechte getroffen werden. Erschwert wird dies durch die Unvorhersehbarkeit des Verlaufs einer Pandemie, welche durch Mutationen begünstigt werden kann (vgl. ebd. S. 23). Essenziell ist zudem die Glaubwürdigkeit der Regierung und deren wissenschaftlichen Berater, welche eine wichtige Stütze in der Pandemiebekämpfung darstellen. So wird die deutsche Regierung ständige durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und das Robert-Koch Institut (RKI) beraten. Diese wiederum berufen sich in ihren Entscheidungen häufig auf die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) und auf Empfehlungen der WHO. Wissenschaftliche Einrichtungen haben jedoch nicht nur das Beraten von Politiker*innen als Aufgabe. Auch Informationen in Form von Empfehlungen und Richtlinien werden über besagte Institute an die breite Öffentlichkeit getragen. Das Informieren der Bevölkerung ist jedoch keine Garantie für eine gute Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen. Die Krisenkommunikation stellt also eine zusätzliche Herausforderung dar (vgl. SCHULZE HEULING 2020).

Die Bekämpfung der Pandemie ist abhängig von der Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung, die Maßnahmen durchzuführen. Besonders angewiesen ist die Regierung auf die Akzeptanz der Bevölkerung, wenn die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung noch keine Pflicht darstellen, sondern es sich lediglich um Empfehlungen handelt. In der Bundesrepublik Deutschland sind Maßnahmen, welche einen Zwang mit sich bringen, verfassungsrechtlich nur schwer durchzusetzen (vgl. KNUFMANN-HAPPE 2011, S. 24). Einschränkungen der Grundrechte sind nur möglich, wenn innerhalb des betreffenden Artikels, Beschränkungen vorgesehen werden (vgl. EPPING 2012, S. 18). Begründet werden diese schwerwiegenden Eingriffe mit dem ethischen Argument Menschenleben zu schützen. Innerhalb der öffentlichen Debatte werden die Kosten, die zu erwartenden Erfolge und die Zumutbarkeit als Grundlage herangezogen und gegeneinander abgewogen (vgl. SCHULZE HEULING 2020). Insgesamt sind pandemiebedingte Schutzmaßnahmen mit einem hohen Planungs- und Zeitaufwand verbunden. Zunächst ist es wichtig, durch Überwachung der Erkrankung die Ausbrüche der Krankheit und deren auftreten festzustellen, um daraus Vorhersagen über neue Ausbrüche zu machen (vgl. TAYLOR 2020, S. 39-40). Die Kommunikation in Bezug auf Risiken und Krisen stellt somit in einer Pandemie eine wichtige Basis dar, um die Gesundheit der Öffentlichkeit aufrechterhalten zu können. Wichtig ist es hierbei die Maßnahmen unter minimalen Veränderungen durchzuführen. In der Vergangenheit wurden Gesundheitsbehörden teilweise für ihre mangelhafte Kommunikation mit der Öffentlichkeit kritisiert. Gerade für die breite Öffentlichkeit ist dieser Weg der Information von Bedeutung, um fundierte Entscheidungen in Bezug auf den Gesundheitsschutz treffen zu können (vgl. TAYLOR 2020, S. 39-40). So müssen Langzeitpflegeeinrichtungen abwägen zwischen dem Erhalt der Freiheit und der Reduktion des Risikos für die gefährdeten Bewohner*innen, um eine hohe Sicherheit für die Bewohner*innen gewährleisten zu können (vgl. WEILGUNI 2020, S. 44.).

Insgesamt stellen Praktiken in Bezug auf die Hygiene eine wichtige Schutzmaßnahme da. Empfehlungen sind in Bezug auf das Niesen (Armbeuge), das Waschen der Hände, sowie die Reinigung von Flächen ausgesprochen worden. Auch das Tragen einer Maske im Gesicht und eine bewusste Bewegung der Hände (z.B. das Vermeiden Nase, Mund oder Augen zu berühren) wurden ausgesprochen. Die Wirksamkeit von Masken innerhalb der Öffentlichkeit ist unterschiedlich belegt. In Krankenhäusern dagegen konnte beobachtet werden, dass die Ausbreitung von Infektionen durch das Tragen von Masken reduziert werden kann (vgl. TAYLOR 2020, S. 40). Insgesamt kann festgehalten werden, dass es das „Ziel ist [...], allgemeine Hinweise zum Infektionsschutz [...] zugeben, um die Verbreitung von SARS-CoV-2 zu verlangsamen, Risikogruppen zu schützen und die Funktionsfähigkeit der [.] Strukturen zu gewährleisten.“ (PIETER u.a. 2021). Mit dem Schutz der Risikogruppen wir versucht, das Gesundheitssystem vor einer möglichen Überlastung zu schützen (vgl. PETERSEN/ BIERKE/ KARPINSKI/ HÄNER 2020, S. 2). Zunehmend konnte beobachtet werden, dass COVID-19 Patient*innen auf Intensivstationen behandelt werden mussten, woraus eine Versorgungsproblematik entstehen kann (vgl. PFENNINGER 2021). Meistens sind die Verläufe der COVID-19 Erkrankung mild. Jedoch benötigen ca. 5-8% der Patient*innen eine intensivmedizinische Behandlung (vgl. KLUGE 2020, S. 655). Ziel der Maßnahmen ist es somit die Risikogruppen zu schützen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.

3.4 Risikogruppen

Das Robert-Koch-Institut definiert den Begriff „Risikogruppe“ wie folgt:

„Teilbevölkerung, für die ein Risikofaktor/ ein Risikomerkmal die exponierende Ausprägung hat.“ (RKI o.J.).

Ein Risikomerkmal stellt ein Merkmal eines Individuums und somit auch einer Bevölkerung da. Die Ausprägung des Merkmals führt dazu, dass die Bevölkerung in Gruppen differenziert wird. Von Interesse sind hierbei jene Merkmale, welche die Wahrscheinlichkeit auf ein bestimmtes Ereignis erhöhen. Wird im Rahmen des erforschten Ereignisses ein Wirkzusammenhang entdeckt, so wird von einem Risikofaktor gesprochen (vgl. RKI o.J.). Im Rahmen der COVID-19-Pandemie wird von Seiten des Robert-Koch-Instituts ein erhöhtes Lebensalter als Hauptrisikofaktor angesehen. Verwunderlich ist es somit nicht, dass die Impfkampagnen gegen die COVID-19 - Erkrankung zunächst ältere Menschen priorisierten. Mit höherem Alter sind zudem chronische Krankheiten wie Demenz, Diabetes Mellitus, Herzinsuffizienz und Erkrankungen der Niere, assoziiert. (vgl. ROMMEL 2021, S. 2-3). In den Altersgruppen ab dem 60. Lebensjahr wurde ein vermehrtes Auftreten schwerer Erkrankungen mit dem Sars-CoV-2-Virus beobachtet (vgl. VOGEL 2021, S. 41). Älter inkludiert in diesem Kontext somit Individuen welche 60 Jahre und älter sind (vgl. VOGEL, Patric U.B. 2020, 43). Unter Anderem, infolge ihrer Vorerkrankungen, haben ältere Individuen häufiger ein schwaches Immunsystem, wodurch Infektionen leichter zu schweren Verläufen führen können (vgl. RKI 2020). Zudem konnte beobachtet werden, dass Individuen mit verschiedenen Risikofaktoren ein höheres Erkrankungsrisiko haben als Individuen, welche nur von einem Risikofaktor betroffen sind. So sind ältere Individuen mit Grunderkrankungen gefährdeter als alte Menschen ohne Vorerkrankungen (vgl. ebd. 2020). Jedoch erkrankten auch jüngere Patient*innen, welche vermehrt chronische Krankheiten haben (vgl. HÜFNER 2020 u.a., S. 133). Neben älteren Menschen gehören somit auch Vorerkrankte unter die Hochrisikogruppen der COVID-19 Pandemie. Bei diesen Gruppen kann eine Infektion vermehrt mit einem schweren Krankheitsverlauf und einem tödlichen Ende einhergehen (vgl. VOGEL 2021, S. 41). Schwere Verläufe der Krankheit treten zunehmend bei Diabetes, Erkrankungen der Niere, Lungenkrankheiten, Krebserkrankungen oder Herzkreislauferkrankungen auf. Auch Rauchen oder Adiposität sowie Vorerkrankungen in der Schwangerschaft steigern das Erkrankungsrisiko (vgl. ebd. 2020). Auch Individuen mit psychiatrischen Vorerkrankungen wie Demenz sind stärker von einer Erkrankung betroffen (vgl. RKI 2021).

Für die Risikogruppen ist ein besonderes Maß an Kontrolle, Prävention und Behandlung notwendig, weswegen Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen (vgl. BANYSCH 2020, S. 487).

Der Fokus dieser Ausarbeitung ist auf demente Menschen gerichtet. Diese sind im Hinblick auf die Corona-Pandemie in zwei Risikogruppen einzuordnen und haben somit ein erhöhtes Risiko einen schweren Verlauf der Corona-Erkrankung zu erleiden. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko an Demenz zu erkranken (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT 2019, S. 15). Sowohl die Lebensphase Alter als auch die Vorerkrankung Demenz stellen einen Risikofaktor für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung dar. Aus diesem Grund wird nachfolgend zunächst die Lebensphase Alter beschrieben. Darauf aufbauend sollt auf die Demenz-Erkrankung eingegangen werden.

4 Lebensphase Alter

Zunächst ist es sinnvoll eine Abgrenzung der Begriffe Altern und Alter festzuhalten. Individuelle Prozesse der Veränderung innerhalb der gesamten Lebensspanne werden durch das Altern beschrieben. Das Alter dagegen ist eine Etappe oder ein Abschnitt innerhalb des Lebenslaufs. Die Bedeutung und der Beginn dieses Begriffs sind kulturell unterschiedlich festgehalten (vgl. TESCH-RÖMER 2010, S. 16). Die Lebensphase Alter wird sozial konstruiert und ist immer in Abhängigkeit von geschichtlichen und aktuellen Ereignissen zu betrachten. Die Lebensphase wird somit in der Gegenwart reproduziert und unterliegt ständigen Veränderungen. Das heutige Konstrukt der Lebensphase Alter ist ein Erzeugnis der Moderne. Die Entstehung lässt sich auf das Jahr 1891 zurückdatieren. Bismarck führte in diesem Jahr die Rentenversicherung ein. Die Konstruktion Alter erfährt seither eine Abhängigkeit von der Erwerbsfähigkeit. Mit dem Austritt aus dem erwerbsfähigen Leben, wird der Eintritt in das Rentenalter vollzogen. Verknüpft ist dies mit dem Übergang in die Lebensphase Alte r, welche wiederum mit einer Zeit außerhalb des Erwerbslebens verbunden wird (vgl. OPPERMANN 2018, S. 239). Fortschritte innerhalb der Medizin, ein positiv veränderter Lebensstandard und ein besseres Verhalten in Bezug auf die Gesundheit machten das Alter zu einer eigenständigen Phase des Lebens. Diese Entwicklung lässt sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts beobachten. In den vergangenen Jahren steigerte sich die Wahrscheinlichkeit für Individuen den Ruhestand zu erreichen. Zudem ist mit dem Eintritt in den Ruhestand auch das Lebensende entfernter. So ist es nicht verwunderlich, dass die Lebensphase mehrere Jahrzehnte andauern kann. Rückzuführen ist dies auf eine verbesserte Gesundheit der Menschen zu Beginn des Rentenalters im Vergleich zu vorherigen Geburtskohorten (vgl. OPPERMANN 2018, S. 239). Die Lebensphase Alter ist innerhalb der modernen Gesellschaft von Entstandardisierungsprozessen geprägt. Festgelegte Lebensentwürfe im Alter werden, aufgrund von verbesserten gesundheitlichen Standards und Prozesse der Freisetzung aus standardisierten Lebensentwürfen, aufgelöst. Somit ist die Lebensphase Alter nicht mehr von den Gleichen Lebensentwürfen geprägt. Individuen erhalten Spielräume innerhalb der Lebensgestaltung und den eigenen Handlungen. Resultierend hieraus wurde das Alter zu einer selbstständigen Phase des Lebens, welche nicht mehr als Restzeit des Lebens betrachtet wird. Eine Konfrontation erfahren Menschen in dieser Lebensphase mit der Verantwortung den Entwurf des Lebens eigenständig zu gestalten (vgl. SCHWEPPE 2012, S. 505).

4.1 Altersbilder

Besonders dominant sind heute zwei duale Altersbilder: das positive und das negative Altersbild. Ersteres wird in der Wissenschaft mit Kompetenz, Aktivität, Entfaltung des Selbst und Produktivität verbunden. Im Gegensatz dazu fokussiert das negative Altersbild Defizite, Krankheiten, eine abnehmende Leistungsfähigkeit und findet vermehrt in der Medizin Anwendung (vgl. OPPERMANN 2018, S. 239). Im Rahmen der Coronapandemie scheint es lediglich das negative Altersbild zu geben (vgl. VOELCKER-REHAGE/ GODDE/ STAUDINGER 2006, S. 558). Auf Grundlage des regelmäßigen verwendeten Altersbildes, können innerhalb der Corona-Pandemie diskriminierende Regelungen für besagte Individuen entstehen. So wurden die Rechte Älterer massiv über einen längeren Zeitraum eingeschränkt, ohne einen angemessenen Ausgleich zu erlangen (vgl. MENSCHENRECHTE ÄLTERER AUCH IN DER CORONA-PANDEMIE WIRKSAM SCHÜTZEN 2020, S. 10). Sicherlich sind alternde Individuen, aufgrund von Vorerkrankungen und einer damit verbundenen zunehmenden Vulnerabilität, vermehrt von einem schweren Verlauf der SARS-CoV-2-Erkrankung betroffen. Jedoch wird hierbei nicht beachtet, dass die Gruppe der Alten nicht homogen ist. Physiologische, wirtschaftliche und gesundheitliche Faktoren treten höchst individuell auf, wodurch die Ressourcen und Risiken des Alters ebenfalls individuell sind. Menschen innerhalb der Lebensphase Alter zeigen größere Differenzen zu Gleichaltrigen in Bezug auf ihre Leistungsfähigkeiten auf. Bei jüngeren Geburtskohorten ist dieser Unterschied nicht so prägnant (vgl. VOELCKER-REHAGE/ GODDE/ STAUDINGER 2006, S. 558). In diesem Kontext ist auf die Prozesse der Entstandatisierung und Individualisierung des Alterns hinzuweisen, wodurch die Lebensläufe höchst individuell gestaltet sind und Ressourcen, sowie Risiken individuell angehäuft werden. Medien beschreiben jedoch alte Individuen konstant als „Risikogruppe“ im Kontext der Coronapandemie. Die Lebensphase Alter wird hierdurch gesammelt diskriminiert (vgl. KRICHELDORFF 2020, S. 745). Konstrukte des Alters bringen somit eine starke Stigmatisierung älterer Individuen mit sich. Der einseitige Blick verdeckt die tatsächliche Vielfältigkeit, welche mit dem Alter einhergeht. Aus diesem Grund setzt die Soziale Arbeit diesen Bildern ein differenziertes Altersbild entgegen. Der Fokus hierbei ist auf einer selbstreflexiven Arbeit. Die Einsicht, dass die Beteiligten der sozialen Altenarbeit das Konstrukt Alter beeinflussen, ist hierbei wichtig. Aus diesem Grund ist es sinnvoll regelmäßig zu reflektieren, inwiefern die Altersbilder innerhalb der eigenen Arbeit genutzt werden (vgl. OPPERMANN 2018, S. 239). Sinnvoll ist es deswegen Lebenslagen des Alters als eine Art Kontinuum zu beschreiben: An einem Ende des Pols befinden sich die alten Menschen, welche Lebensbedingungen in Bezug auf Armut, Behinderung oder Krankheit erfahren. Der entgegengesetzte Pol zeigt die Menschen, welche ein individualisiertes Altern erfahren dürfen (vgl. SCHWEPPE 2012, S. 505). Denn das Altern ist nicht nur mit Einschränkungen und Defiziten verbunden. Potenziale, Chancen und Kompetenzen Zeichen diesen Prozess ebenfalls aus. Der defizitäre Blick wird deswegen von der Gerontologie und der Entwicklungsforschung seit Jahren als unvollständig und einseitig bezeichnet (vgl. VOELCKER-REHAGE/ GODDE/ STAUDINGER 2006, S. 558). Dennoch werden die Alten derzeit in zwei Gruppierungen unterteilt. Ursächlich für die beschriebene Zweiteilung der alten Menschen ist die Unterscheidung zwischen einem höherem und einem hohen Lebensalter. Eine Prägung erfährt das höhere Alter durch die eigenständige Gestaltung von Aktivitäten, keine Einschränkungen der Gesundheit und eine gute Einbindung in soziale Netzwerke. Individuen sind in dieser Phase des Alters meist fähig die Anforderungen an sie zu bewältigen. Einschränkungen in Bezug auf Körper und Geist stellen dagegen ein Kriterium für das hohe Lebensalter dar. Insgesamt werden die individuellen Fähigkeiten den Defiziten zu begegnen, reduziert (vgl. MÜLLER/ ELLWARDT 2020, S. 228).

4.2 Risiken des Alterns

Auch wenn der Prozess des Alterns heutzutage individuell ist und nicht pauschalisiert werden sollte, lassen sich dennoch „klassische“ Risiken des Alterns beobachten. Bedingt werden die Risiken durch den kognitiven und körperlichen Zerfall. Auch Einsamkeit und Armut verstärken die Risiken des Alters. Verschiedene Forschungen stellten fest, dass vor allem das hohe Lebensalter Problembeladen ist und eine Konzentration von Abbauprozessen festzustellen ist (vgl. SCHWEPPE 2012, S. 505). Insgesamt schränkt der Prozess des Alter(n) Fähigkeiten auf der physischen und kognitiven Ebene ein. Mit der Zeit lassen sich Veränderungen des Erscheinungsbildes und der körperlichen Funktionen beobachten. Sensorische Funktionen, der Bewegungsapparat, Haut, Haare und innere Organe erfahren Veränderungen. Ab dem 30. Lebensjahr lassen sich die beschriebenen Prozesse beobachten, jedoch verlaufen diese schleichend und Veränderungen werden zunehmend erst im hohen Lebensalter sichtbar (vgl. VOELCKER- REHAGE/ GODDE/ STAUDINGER 2006 S. 558). Die Homöostase wird durch die körperlichen Veränderungen gestört, wodurch die Wiederstands- und Anpassungsfähigkeit des Organismus reduziert wird. Folglich sind alternde Individuen vulnerabler, also Krankheitsanfälliger, und die Fähigkeit Leistungen zu erbringen nimmt ab. In Bezug auf Multimorbidität, chronische Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit nimmt in diesem Kontext das Risiko zu (vgl. VOELCKER-REHAGE/ GODDE/ STAUDINGER 2006 S. 558). Auch führt dies zu einem erhöhten Risiko an COVID-19 zu erkranken. Der Organismus verlernt die Fähigkeit sich selbst zu regulieren, wodurch die Anfälligkeit in Bezug auf Infektionen und Erkrankungen zunimmt. Auch das Mortalitätsrisiko steigt an (vgl. WURM/ WIEST/ TESCH-RÖMER 2010, S. 499-500). In Bezug auf die Neuronen im Gehirn konnte beobachtet werden, dass die Anzahl mit dem Alter konstant bleibt oder nur eine geringe Veränderung aufzeigt. Hier ist eine Unterscheidung von einem gesunden Alterungsprozess und dem von Alzheimer Patient*innen zu machen. Bei letzterer Gruppe lässt sich eine Reduktion der Neuronen von bis zu 50% beobachten. In Bezug auf Aufgaben lässt sich bei einem gesunden Alterungsprozess beobachten, dass bestimmte Bereiche des Gehirns eine verminderte Aktivierung im Vergleich zu jüngeren Menschen erhalten, wodurch eine Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit festgehalten werden kann. Betroffen ist hiervon überwiegend der präfortale Kortex, wodurch die Enkodierung und das Abrufen von gespeicherten Informationen gestört sein kann. Auch die Wahrnehmungsgeschwindigkeit und eine damit verbundene verminderte Geschwindigkeit der Reaktion lassen sich beobachten. Durch die Abbauprozesse auf der biologischen Ebene, werden Verarbeitungsprozesse auf der kognitiven Ebene beeinträchtigt. Kognitive Ressourcen sind deswegen weniger vorhanden, wodurch automatisierte Prozesse wie das Sehen oder das Gehen mit den vorhandenen Ressourcen genutzt werden. Anderweitige kognitive Prozesse werden dadurch eingeschränkt (vgl. VOELCKER- REHAGE/ GODDE/ STAUDINGER 2006, S. 558ff.).

Neben genetischen Faktoren nehmen auch die Umwelt und der persönliche Lebensstil einen Einfluss auf den Prozess des Alterns. Entscheidend für eine spezifische Erkrankung sind somit die Wechselwirkungen der beschriebenen Faktoren. Insgesamt ist der Prozess des Alterns eine Wechselwirkung zwischen Biologie, Kultur und Person (vgl. WURM/ WIEST/ TESCH-RÖMER 2010, S. 499-500). Auch lassen sich Veränderungen in den sozialen Beziehungen und der Persönlichkeit beobachten (vgl. VOELCKER-REHAGE/ GODDE/ STAUDINGER 2006 S. 558). Veränderungen lassen sich immer in einem Geflecht sozialer Kontakte beobachten. So werden Partner in langen Partnerschaften gemeinsam alt, Freunde können ebenfalls gemeinsam alt werden oder neue Freundschaften entwickeln sich. Der Fokus dieser Ausarbeitung sollte jedoch nicht auf die verschiedenen Formen der sozialen Beziehungen im Alter gerichtet werden. Vielmehr wird versucht die Komplexität der sozialen Beziehungen aufzuzeigen und damit verbunden die Bedeutung für das alternde Individuum und die Gesellschaft (vgl. TESCH- RÖMER 2010, S. 16). Ziel ist es diese Bedeutung in einem Zusammenhang mit den Folgen von Isolation auf Alte Menschen zu betrachten und hieraus Präventionsmöglichkeiten für die soziale Altenhilfe abzuleiten.

4.3 Theorien sozialer Beziehungen im Alter

„Zwischenmenschliche soziale Beziehungen und Interaktionen sind vielseitig und komplex“. (HÜBNER 2017)“

So ist es nicht verwunderlich, dass Beziehungen Einfluss auf die Gesundheit, und das Wohlbefinden nehmen. Deswegen sind sie meistens über alle Lebensphasen hinweg ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Veränderungen der sozialen Beziehungen sind jedoch trotzdem zu beobachten. So verändert sich innerhalb der verschiedenen Lebensphasen die Quantität und die Qualität der Beziehungen. Beeinflusst werden sie zudem von individuellen und strukturellen Rahmenbedingungen (vgl. HÜBNER 2017, S. 123). Durch Theorien können die komplexen sozialen Beziehungen geordnet werden und die Realität kann in einfacher Form dargestellt werden. Mit der Hilfe von Theorien kann die Variationsbreite der menschlichen Beziehungen sortiert werden und das Bilden von Hypothesen in Bezug auf zu beobachtende Veränderung aufgestellt werden (vgl. TESCH- RÖMER 2010, S. 36). Richtet man den Fokus der zwischenmenschlichen Beziehungen nun auf die Alterung der Menschen, so kommen Fragen auf, welche durch die Theorien beantwortet werden sollten: Welche Veränderungen durchlaufen soziale Beziehungen innerhalb des Lebens? Sind Veränderungen in Bezug auf den sozialen Austausch, das Netzwerk oder die zwischenmenschliche Interaktion zu beobachten? Welchen Stellenwert erhalten soziale Beziehungen innerhalb der Lebensphase Alter? (vgl. HÜBNER 2017 S. 123)“

Thematisch befassen sich Theorien, welche das Alter und damit verbundene soziale Beziehungen untersuchen, mit der Verringerung von sozialen Beziehungen innerhalb des Alterungsprozesses (vgl. HÜBNER 2017, S. 125). Der Prozess geht damit einher, dass wir mit anderen Individuen gemeinsam altern. Auch ist die Alterung individuell und durch körperliche und kognitive Veränderungen geprägt. Aufgrund der andauernden Einbindung in soziale Netzwerke ist die Alterung von Menschen auch durch soziale Prozesse geprägt (vgl. TESCH-RÖMER 2010, S. 16). Um auf die Vielschichtigkeit sozialer Beziehungen einzugehen, werden nachfolgend Theorien in Bezug auf soziale Beziehungen im Alter aus der soziologischen und der psychologischen Sicht thematisiert. Ausgewählt wurden diese beiden wissenschaftlichen Disziplinen, da sie eine gute Ergänzung darstellen: Die Psychologie richtet den Fokus auf das Verhalten der Menschen, sowie die Gründe und Ursachen hierfür. Die Soziologie dagegen lehrt, dass die Ursachen in den Verhältnissen der Menschen zu finden sind. Verhältnisse, in welchen die Menschen leben und in Interaktion mit anderen Menschen stehen (vgl. OSWALD/ GATTERER/ FLEISCHMANN 2008, S. 79-80). Thematisiert wird innerhalb der Soziologie das soziale Zusammenleben unter der Berücksichtigung von den Rahmenbedingungen der Gesellschaft, Kultur und den Institutionen. Versucht wird das soziale Handeln zu verstehen, in dem ein Zusammenhang zwischen Gesellschaft und Individuum hergestellt wird (vgl. TESCH - RÖMER 2010, S. 43f.) In der Psychologie findet sich wiederum die Interaktion wieder, welche das Verhalten der Menschen beeinflusst. Altern ist ein Prozess, welcher nicht nur von physischen Veränderungen geprägt ist. Auch psychische Prozesse können beobachtet werden und beide Ebenen der Veränderung sind mit sozialen Bedingungen in Verbindungen zu bringen (vgl. OSWALD/ GATTERER/ FLEISCHMANN 2008, S. 79-80). Psychologische Theorien versuchen Individuen in Bezug auf ihre Motive, Kompetenzen und Emotionen nachzuvollziehen. Der Mittelpunkt psychologischer Untersuchungen ist somit das Individuum selbst und nicht die Beziehungen. Ziel ist es das Verhalten und individuelle Erleben zu erklären, beschreiben und vorherzusagen. Sozialen Beziehungen und zwischenmenschliche Interaktionen beeinflussen hierbei das Verhalten und Erleben der Individuen. Auch steht im Fokus, wie spezifische Merkmale eines Individuums das Netzwerk prägen (vgl. TESCH-RÖMER 2010 S. 71ff.). Insgesamt finden sich mehr Theorien sozialer Beziehungen im Alter, jedoch erfahren diese an dieser Stelle keine Darstellung. Ausgiebige Informationen über Theorien sozialer Beziehungen im Alter geben nachfolgende Werke: TESCH-RÖMER, Clemens 2010: Soziale Beziehungen alter Menschen. 1. Auflage. Stuttgart/ LANG, Frieder R. 2005: Entwicklung und Gestaltung sozialer Beziehungen. In: FILIPP, Sigrun-Heide/ STAUDINGER, Ursula M. (Hrsg.): Entwicklungspsychologie des mittleren und höheren Erwachsenenalters. Göttingen. Bern. Wien. Toronto. Seattle. Oxford. Prag, S. 381-408.

4.3.1 Soziologische Theorien

Im Folgenden werden drei soziologische Theorien vorgestellt und anschließend miteinander verglichen.

Disengagement Theorie

Bereits 1961 stellten Henry und Clumming die These in den Raum, dass mit zunehmendem Alter ein Rückzug aus den bestehenden Netzwerken stattfindet. Bezeichnet haben sie diesen Rückzug mit dem „Disengagement“ (vgl. ANER und RICHTER 2018, S. 574). Der Umgang von Individuen und der Gesellschaft mit der Alterung von Individuen und damit einhergehend dem Sterben, wird versucht mit der Disengagement-Theorie darzustellen (vgl. TESCH-RÖMER 2010 S. 50). Individuen ziehen sich aus den erworbenen Rollen, zwischenmenschlicher Beziehungen und Verpflichtungen zurück. Die Grundlage dieser Theorie stellt die Begrenzung (Endlichkeit) des Lebens da (vgl. TESCH-RÖMER 2010 S. 49). Der Begriff bringt keine negative Behaftung für ältere Menschen mit sich. Stattessen wird davon ausgegangen, dass der Rückzug von den Individuen gewollt ist. Das Resultat ist ein positives Erleben von sozialer Isolierung und eine damit verbundene steigende Lebenszufriedenheit. Der Fokus dieser Theorie ist jedoch auf die Abbauprozesse des Körpers gerichtet. Verschiedene Perspektiven interpretieren die Lebensphase Alter als eine Vorbereitung auf das Lebensende. Hierbei kommt es zu Fähigkeitsverlusten in Bezug auf der biologischen Ebene. Aus diesem Grund ist der Rückzug von alternden Menschen, funktional für die Gesellschaft. Die Erwerbspflicht innerhalb der Gesellschaft begründet diese Funktionslogik: jüngere Menschen ersetzten alternde Individuen, bevor diese selbst ihre Fähigkeiten einbüßen (vgl. ANER und RICHTER 2018, S. 574). Problematisch ist es für die Gesellschaft, wenn Funktions- und Rollenträger aufgrund steigender Mortalität, die gesellschaftlichen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können. Schwierig ist dies, da zuvor geregelt werden muss, wer in Zukunft die Rollen und Aufgaben übernehmen wird. Für die Gesellschaft entstehen durch Alterung und Sterben Beeinträchtigungen, welchen entgegengewirkt werden müssen. Die Lösungen sind hierbei Regelungen in Bezug auf den Ruhestand. Individuen verlassen hierbei die gesellschaftlichen Strukturen, bevor die Gesundheit abnimmt und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Tod eintritt. Diese Übergabe der Rollen wird von der Gesellschaft gewährleistet. Individuen dagegen Verringern im zeitlichen Verlauf ihren Lebenswillen, da diese körperlichen Abbauprozesse erfahren. Mit diesem Bewusstsein, dass der Körper abbaut entwickeln Individuen eine Bereitschaft ihre gesellschaftlichen Rollen abzugeben. Mit diesem Rückzug einhergehend ist die Reduktion von sozialen Kontakten zu beobachten. Für ältere Menschen bedeutet dieser Rückzug aus der Gesellschaft einen geringeren Einfluss durch bestehende Normen. Mit dem Rückzug aus der Gesellschaft sollen sich die Individuen auf den Tod vorbereiten (vgl. TESCH-RÖMER 2010, S. 69 f.).

Der Ansatz stellt sich gegen aktivierendes Vorgehen bei alternden Menschen. So führt die Aufforderung an sozialen Aktionen teilzuhaben zu einem Konflikt, da das eigentliche Interesse der Rückzug ist (vgl. MATOLYCS 2016, S. 15). Insgesamt wurde diese Theorie empirisch viel erforscht, jedoch konnte die Annahme nur in wenigen Studien belegt werden und sie wurde zunehmend hinterfragt (vgl. HÜBNER, S. 19/ vgl. MATOLYCS 2016, S. 15).

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Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Social Distancing durch die Corona Pandemie. Über die Auswirkungen auf Menschen mit Demenz
Untertitel
Überlegungen über Interventionsmöglichkeiten innerhalb der stationären sozialen Altenhilfe
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, früher: Berufsakademie Stuttgart
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
72
Katalognummer
V1173921
ISBN (eBook)
9783346592248
ISBN (Buch)
9783346592255
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demenz, Pandemie, Altenhilfe, Covid 19, Social Distancing, Stationäre Altenhilfe, Soziale Abeit, Intervention, Risikogruppe, Corona, Bachelorarbeit
Arbeit zitieren
Julia Stiller (Autor:in), 2021, Social Distancing durch die Corona Pandemie. Über die Auswirkungen auf Menschen mit Demenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1173921

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