»Ein kneht, der lag verborgen« - Tageliedkritik oder gattungsstabilisierende Variationsform?


Seminararbeit, 2006

13 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Autor

3 Interpretation
3.1 Formalanalyse
3.2 Technik der Parodierung
3.3 Interpretationsansätze

4 Zusammenfassung

5 Anhang
5.1 Selbstständigkeitserklärung

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Lyrik des Minnesangs stellte in seiner Blütezeit um 1200 eine „hochgezüchtete Kunst“[1] dar, mit ausgefeilter theoretischer Konzeption. Es handelte sich um eine Lyrik „von Könnern für (den kleinen Kreis der) Kenner im Rahmen einer Adelsgesellschaft“[2].

Den Höhepunkt erreichte die klassische Phase am Ende des 12. Jh., Anfang des 13. Jh.. Die einsetzende Stilwende ist laut Kuhn gekennzeichnet durch die Außenperspektive, die Additions- oder Summenstruktur und die Tendenz zur Schriftlichkeit. Unter Außenperspektive ist das Überschreiten der höfischen Perspektive gemeint, und damit das Erschließen neuer literarischer Realitäten, Situationen etc., aber auch ein neues Bewusstsein über Autorschaft und den Wert der Gattung.[3]

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich als Untergattung das mhd. Tagelied, welches die Normen des ‚Hohen’ Minnesangs in gewissem Maße sprengt. Das Minneparadox der unnahbaren Dame und des leidvoll hoffenden Ritters wird aufgelöst. Eine gemeinsam verbrachte Liebesnacht hat stattgefunden, und thematisiert wird nun die schmerzhafte Trennung bei Tagesanbruch, die wiederum Impuls für eine sexuelle Erfüllung in Form der Umarmung der Liebenden darstellt[4]. Ursache für das Abschied nehmen ist die Angst vor Verlust von lîp und êre. Das Tagelied erzeugt dadurch eine Spannung zwischen zweiseitiger offener Erotik und einer suggerierten Gefährlichkeit der Situation. Neben den Liebenden gibt es in den meisten Fällen einen Wächter, der als Morgenverkünder fungiert, einen Repräsentanten der Gesellschaft darstellt und darüber hinaus aber paradoxer Weise die Funktion der Vertrauensperson vom Liebespaar übernimmt.

Typische Motive des Tagelieds sind Tagesanbruch, Weckruf, Abschiedsklage und urloup (letzte Hingabe und Verabschiedung). Der Handlungsort ist fast immer das Schlafgemach der Frau. Formale Charakteristika sind der Dialog, ein Refrain und die Dreistrophigkeit. Ein lyrisches Ich, das sich ausspricht, das analysiert und reflektiert fehlt und wird mit dem genre objectif ersetzt.

Die fest verfügbare Form dieser Gattung bietet die Möglichkeit autorspezifischer Experimente. Es entstanden eine Reihe von unterschiedlichsten Variationen, bei denen Personal substituiert oder weggelassen wurde, die Anzeichen für den Morgen und die Abschiedsszene vorwiegend verändert wurden.

Dieses Spiel mit der festen Gattung Tagelied führte schließlich zu verschiedenen Sonderformen. Diese sind das Anti-Tagelied, das abendliche Einlass-Lied, das bäuerliche Tagelied (Steinmar 8), die Tageliedspiegelung und die Kombination von Tagelied und Kreuzzugs-Abschiedslied.

Die Gattung als solche, einzelne Dichter oder konventionelle Gesellschaftsstrukturen und –normen werden dadurch zunehmend parodiert.

Unter einer Parodie wird die Nachahmung eines, „bei den Adressaten [...] als bekannt vorausgesetztes Werk unter Beibehaltung kennzeichnender Formmittel, aber mit gegenteiliger Intension“[5] verstanden. Das dies bei Steinmars Tagelied, Ein kneht, der lag verborgen, der Fall ist, ist in der Sekundärliteratur unbestritten.

Aber eine Parodie übt auch immer in gewissem Maße Kritik und genau hier unterscheiden sich die Interpretationsansätze. Handelt es sich bei diesem Lied um eine Kritik an einer ‚überzüchteten’ Gattung, um eine Kritik an der höfischen Scheinwelt oder eher um Kritik an der frivolen Freizügigkeit des niederen Volkes?

Das Ziel dieser Arbeit soll es sein, eben diesen Fragen nachzugehen. Dabei wird zunächst geklärt werden, was Steinmars Lied, Ein kneht, der lag verborgen, zur Parodie macht, mit welchen Mitteln er arbeitet, um anschließend verschiedene Interpretationsansätze diskutieren zu können. Erst wenn klar ist, was Steinmar eigentlich parodiert, kann die Frage geklärt werden, ob man eher von einem destruktiven oder einem konstruktiven Parodiebegriff ausgehen sollte.

2 Der Autor

Die Identität Steinmars ist bis heute ungeklärt. In der Sekundärliteratur stehen sich bei dieser Frage zwei Vermutungen gegenüber, welche sich beide als lückenhaft erweisen.

Die ältere Forschung geht davon aus, dass es sich um „Berthold Steinmar von Klingenau, einen im schweizerischen Aargau beheimateten Ministerialen Walthers von Klingenau“[6], handelt. Dieser wird urkundlich erwähnt und hat zwischen 1251 und 1293 gelebt.

Krywalski geht davon aus, dass der Autor der Lieder Steinmar von Siessen-Stralegg, ein oberschwäbischer Ritter (1259-94) ist.[7]

Es gibt urkundliche Erwähnung eines Steinmars in Wien und Meißen, aber auch diese bieten keine sicheren Anknüpfpunkte zur endgültigen Klärung seiner Identität.

Als sicher gilt jedoch die Annahme, dass er im südwestdeutschen Raum gewirkt haben muss.

Auch seine Lebzeit lässt sich zwischen 1250 und 1290 relativ sicher festlegen, da es neben den Vermutungen zu seiner Identität auch Bezüge zwischen dem literarischen Schaffen anderer Autoren dieser Zeit gibt. So lassen sich bei Steinmar unter anderem Einflüsse von Ulrich von Lichtenstein (1227-1274), Gottfried von Neifen (1234-1255) und Ulrich von Winterstetten (1241-1280) feststellen. Wohingegen seine Werke später von Hadloub (ca. 1302) aufgegriffen werden.[8]

In der Heidelberger Liederhandschrift sind von Steinmar 51 Strophen in 14 Liedern überliefert, wobei fast alle Lieder einen Refrain oder zumindest refrainartige Elemente aufweisen. Damit ist das Œuvre Steinmars recht klein, jedoch sehr variantenreich gestaltet und es wird deutlich, dass er sehr souverän über die Traditionen der Literatur verfügt.[9]

[...]


[1] Mehler, Ulrich: Techniken der Parodierung, S. 253

[2] ebd.

[3] vgl. Kuhn, Hugo: Aspekte des 13. Jahrhunderts, S. 51

[4] vgl. Mehler, Ulrich: Techniken der Parodierung, S. 253

[5] Schweikle, Günther; Schweikle, Irmgard (Hg.):Metzler Literatur Lexikon, S. 342

[6] Lübben, Gesine: „Ich singe daz wir alle werden vol“, S. 49

[7] vgl. Krywalski, Diether: Untersuchung zu Leben und literaturgeschichtlichen Stellung des Minnesängers Steinmar

[8] vgl. Borck, Karl Heinz: Zu Steinmars Tageliedparodie, S. 93 f.

[9] vgl. Angermann, Norbert u. a. (Hg.): Lexikon des Mittelalters

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
»Ein kneht, der lag verborgen« - Tageliedkritik oder gattungsstabilisierende Variationsform?
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
2,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
13
Katalognummer
V117442
ISBN (eBook)
9783640196005
ISBN (Buch)
9783640196128
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tageliedkritik, Variationsform
Arbeit zitieren
Melanie Teege (Autor:in), 2006, »Ein kneht, der lag verborgen« - Tageliedkritik oder gattungsstabilisierende Variationsform?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117442

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