Der Stoff aus dem die Ängste sind

Der Streit um das Kopftuch (In Deutschland, Frankreich und der Türkei)


Hausarbeit, 2008

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung: Symbolik von Kleidung
I.I Mode nach Façon des Staates
I.II Die Symbolkraft des Kopftuches

II Historische Bedeutung / Kopftuch im Koran
II.I Koran und Sunna
II.II Verschleierung im Koran
II.III Das Tuch als historische Sozialverfassung

III. Das Kopftuch in der öffentlichen Debatte
III.I Testobjekt für nationale Freiheit
III.II Der Fall Fereshta Ludin in der BRD
III.III Diskret oder Ostentativ?

IV Kopftuch-Debatten in laizistischen Staaten
IV.I „Nouvelle Laicité“ in Frankreich
IV.II Kemalistische Elite und Schleier in der Türkei

V Muslime in Deutschland – ein Spiegelbild der Statistiken?
VI Fazit / Kommentar
VI.I Islamophobie in modernen Gesellschaften
VI.II Deutschland und sein „rotes Tuch“
VI.III Einbahnstrasse Symbolik

VII Literaturverzeichnis

I Einleitung: Symbolik von Kleidung

I.I Mode nach Façon des Staates

Die Soziologie der Mode sagt innerhalb eines Staates oder Kulturkreises viel über dessen politischen Status Quo aus: Spezifische, ästhetische Wertevorstellungen bündeln sich zu sichtbaren sozialen Normen (Kleidungsvorschriften) über individuelles oder soziales Verhalten.

Im Russland des 16. Jahrhunderts ließ Zar Peter den Bojaren, slawischen Adligen unterhalb des Fürstenranges, die Bärte abschneiden. Mitte des 20. Jahrhunderts verbot Schah Reza iranischen Frauen den Tschador, einen umhangartigen schwarzen Schleier, welcher den ganzen Körper bedeckt und nur Gesichtspartien freilässt. 1980 untersagte die Türkei ihren Studentinnen, das Kopftuch innerhalb der Universitäten zu tragen, um eine als mitunter rückständig angesehene Religiosität aus dem säkularen, öffentlichen Raumes zu verbannen.[1]

An den drei vorangestellten Beispielen fällt auf, dass staatlich oktroyierte Modernisierungen häufig von außen nach innen gewandt scheinen und deshalb nicht selten an Körper und Kleidung exerziert werden. Mit einem neuen pauschalen Anstrich sollen tradierte innere Überzeugungen überwunden und modern definiertes Denken öffentlich zelebriert werden - in der Hoffung, dass, „wenn erst das Äußere modernisiert wäre, auch das Bewusstsein nachziehen werde“.[2]

Auch wenn die vorangestellten Fälle in ihrer Entstehung und ihren gesellschaftlichen Folgen nicht direkt miteinander zu vergleichen sind, so bleibt zumindest eine starke Symbolkraft festzuhalten, die innerhalb politischer wie religiöser Orientierungsphasen von bestimmten Kleidungsstücken ausgeht: An „ostentativen Accessoires“[3], die von ihren Trägern nicht selten bewusst „zur Schau“ gestellt und von unterschiedlichen Interessensgruppen mit zusätzlicher Symbolkraft aufgeladen werden, können schnell gesamtgesellschaftliche Debatten im öffentlichen Raum entbrennen.

I.II Die Symbolkraft des Kopftuches

Dem mitunter auch als „Religiöse Reizwäsche“[4] bezeichneten Kopftuch hängen determinierte Konnotationen sowie unterschiedliche Interessensgruppen an. So wird es als hinreichendes Erkennungsmerkmal für sowohl religiöse, politische als auch emanzipatorische Ideologien interptiert und als konsequente Ein- oder Abgrenzung von bestimmten Lebensmustern wahrgenommen. Seit einigen Jahren gibt es in vielen europäischen Ländern eine scharf geführte Debatte rund um das Kopftuch: „In ihr geht es über das konkrete Thema hinaus um grundlegende Fragen des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, Politik und Religion, um Religionsfreiheit und staatlichen Erziehungsauftrag, um kulturelle Identität und Integration.“[5] Auch aufgrund einer omnipräsent-symbolischen Erhöhung des Kopftuches, hat sich eine ideologisch gefärbte Spaltung entwickelt, innerhalb derer sich Befürworter und Gegner des Kopftuches sowie generelle kulturelle Vorbehalte gegenüberstehen. Diese stehen aber nicht nur zwischen vermeintlich unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen oder „Parallelgesellschaften“, sondern auch zwischen Interessensgemeinschaften innerhalb ein- und desselben Kulturkreises.

„Gerade weil es so schwer ist, seine religiösen von seinen kulturellen und politischen Bedeutungen zu scheiden, setzt es so mächtige Emotionen frei“, schreibt die Soziologin und Islamforscherin Nilüfer Göle über das Kopftuch[6]. Gerade solche Differenzierungen scheinen aber unverzichtbar ob des undurchsichtigen Konglomerates an Zuschreibungen für ebendieses. Deshalb stellt diese Arbeit im Folgenden die Selbst- und Fremdwahrnehmung muslimischer Frauen mit Kopftuch in den Mittelpunkt. Dabei sollen die unterschiedlichen Ebenen auf denen das Kopftuch diskutiert wird, historisch eingeordnet und abseits medialer Aufwertungen sachlich kategorisiert werden. So stellt die Arbeit zunächst einen kurzen Abriss historischer Islam-Quellen vor, welche sowohl Kopftuchkritiker als auch Befürworter des Öfteren rezitieren.

Auch auf dieser Grundlage werden exemplarisch die öffentlichen Kopftuchdebatten der vergangenen Jahre in Deutschland, Frankreich und der Türkei an gewissen „Präzedenzfällen“ skizziert. Hinzu kommen aktuelle Studien und Statistiken über den Islam im Allgemeinen[7] sowie über das Kopftuch im Speziellen. Abschließend fasst der Kommentar die gemachten Aussagen auch im Sinne eines Ausblickes zusammen und setzt sich kritisch mit dem Begriff der Symbolik auseinander.

II Historische Bedeutung / Das Kopftuch im Koran

II.I Koran und Sunna

Im Wesentlichen stützt sich der Islam theologisch gesehen auf zwei Quellen: Die Erste ist der Koran, der nach dem Tod des Propheten Mohammed zwischen 632 und 652 in 114 Kapiteln (Suren) schriftlich verfasst wurde. Dem muslimischen Glauben zufolge erhielt Mohammed zwischen 610 und 632 zahlreiche göttliche Offenbarungen, welche seine Jünger auswendig lernten. Die zweite Quelle ist die Sunna, welche im Gegensatz zum Koran nicht als heilige Schrift angesehen und deren Authentizität von einigen Theologen in Frage gestellt wird. In der Sunna zeugen kurze Erzählungen, die Hadiths, von den Gewohnheiten, Handlungen und Aussagen Mohammeds.

Im Koran ist erstmals in der Geschichte des Islam von der Verschleierung der Frau die Rede. Der Koran ist per se keine wie auch immer geartete Gesetzgebung für die Rolle der Frau, da diese selbstverständlich auch zivilisatorisch mitbestimmt wurde. So sollte zwingend zwischen der theologischen Theorie und der gelebten Praxis des Islam unterschieden werden.

II.II Verschleierung im Koran

Die heilige Schrift gilt in islamischen Kulturkreisen bis heute als wichtige Legitimation, als mitunter axiomatischer Wegweiser für die Stellung der Frau – sowohl Gegner einer weiblichen Selbstbestimmung als auch emanzipatorische Strömungen berufen sich bis heute unter anderem auf folgende Verse des Koran:[8]

Der Himãrvers (Tugendvers), Sure 24, Verse 30 und 31, 626 nach Christus:

„Sag den gläubigen Männern, sie sollen ihre Augen niederschlagen, und sie sollen darauf achten, dass ihre Scham bedeckt ist und sie diese bewahren. So halten sie sich am ehesten sittlich. (...)

„Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Augen niederschlagen und sie sollen darauf achten, dass ihre Scham bedeckt ist, den Schmuck, den sie am Körper tragen, nicht offen zeigen, soweit er nicht sichtbar ist, ihren Schal sich über den Schlitz des Kleides ziehen und den Schmuck den sie am Körper tragen niemanden offen zeigen, außer ihrem Mann, ihrem Vater, ihren Brüdern, den Söhnen ihrer Brüder und ihren Schwestern, ihren Frauen, ihren Sklavinnen, den männlichen Bediensteten die keinen Trieb mehr haben und mit den Kindern, die noch nichts von weiblichen Geschlechtsteilen wissen. (...)[9]

Der Gilbãvers, Sure 33, Vers 59, 625 nach Christus:

„Prophet! Sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen sich etwas von ihrem Gewand über den Kopf herunterziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie erkannt und daraufhin nicht belästigt werden. (...)[10]

Der Higãbvers, Sure 33, Vers 53, 627 nach Christus:

(...) Und wenn ihr die Gattinen des Propheten um etwas bittet, das ihr benötigt, dann tut das hinter einem Vorhang! Auf diese Weise bleibt euer und ihr Herz eher rein. Und ihr dürft den Gesandten Gottes nicht belästigen und seine Gattinnnen, wenn er nicht mehr da ist, in alle Zukunft nicht heiraten. Das würde bei Gott schwer wiegen.[11]

II.III Das Tuch als historische Sozialverfassung

Neben der Tatsache, dass diese Verse zwischen den Zeilen eine stark männlich-dominierte Gesellschaftshierarchie erkennen lassen, wird hier eine Verschleierung der Frau mit religiöser Tugend und Demut gleichgesetzt. Der normativ-islamische Verhaltenskatalog zwischen Mann und Frau bildet somit einen religiösen Überbau für das tägliche Miteinander. Laut der Historikerin Claudia Knieps geht es um ein verändertes Sozialverhalten zwischen den Geschlechtern, in dem Privatsphäre, Besitz und Höflichkeitsregeln vermittelt werden sollen.[12] Die sogenannte Higãbstruktur bricht, im Gewand einer Sozialverfassung, mit der Zeit des Vorislam und stellt ein neues koranisches Sittlichkeitsideal vor allem der Frau dar, deren Aushängeschild in der öffentlichen Wahrnehmung primär die Verschleierung, später vor allem das Kopftuch werden sollte. Die Verhüllung der gläubigen islamischen Frau[13] wurde in korantreuen Kreisen konstituierend und als hinreichendes Bekenntnis sowie ostentatives Symbol ihrer Ehrbarkeit gewertet. Die konkrete Art der Verschleierung war im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Zeiteinflüssen ausgesetzt, so dass es hierin unter Korankommentatoren bis heute keinen allgemeingültigen Konsens gibt.

Zudem wird schon an den hier aufgeführten Koranstellen deutlich, welche vielschichtige Symbolik der Verschleierung historisch innewohnt. Neben religiösen Faktoren impliziert beispielsweise der Gilbãvers erste Anzeichen einer Art von Stammeszugehörigkeit (Kaste) verschleierter Frauen. So verhüllte sich die ehrbare Frau, ihre Sklavin aber nicht – gemäß der Kleidung die sie trugen, wurden die Frauen dann auch auf der Strasse von den Männern behandelt. Historisch gesehen gibt es demnach durchaus Belege für religiöse, politische, soziale und emanzipatorische Konnotationen des Kopftuches, welche bis heute, wenn auch mitunter nur unterschwellig, in den öffentlichen Debatten über das Kopftuch mitschwingen.

[...]


[1] Zitat aus: Hoffmann, C. (27. Januar 2008), S. 58.

[2] Zitat nach ebd.

[3] Vgl. unter anderem Wohrab-Sahr, M. (2003)., S.273-297.

[4] Zum Beispiel bei Darnstädt, Thomas. (Februar 2008), S.81.

[5] Zitat nach Evangelischer Pressedienst. (13. August 2004), S.1.

[6] Zitat nach Göle, N. (26. Februar 2008), S.9.

[7] Auch wenn der eine allumfassende Islam ob diverser muslimischer Strömungen und unterschiedlich tradierter Verhaltensmuster dem Autor als höchst zweifelhaftes Konstrukt erscheint.

[8] Folgende Koranstellen samt Übersetzungen stammen aus Paret, R. (1993). In C. Knieps, S.200 ff.

[9] Ebd. S.204 f.

[10] Ebd. S.200.

[11] Ebd. S.206

[12] Vgl. Knieps, C. (1993), S.190.

[13] Ebd. S. 195. Zunächst hatten diese Vorbildfunktion laut Knieps nur die Frauen des Propheten inne. Durch deren Vorbildfunktion, so Knieps, hätte sich die Allgemeinheit diese Regeln als gelebtes Ideal zu eigen gemacht.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der Stoff aus dem die Ängste sind
Untertitel
Der Streit um das Kopftuch (In Deutschland, Frankreich und der Türkei)
Hochschule
Universität Leipzig  (Kulturwissenschaftliches Institut)
Veranstaltung
Konfliktfeld Islam in Europa
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V117505
ISBN (eBook)
9783640198399
ISBN (Buch)
9783640198504
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stoff, Konfliktfeld, Islam, Europa
Arbeit zitieren
Timo Gramer (Autor:in), 2008, Der Stoff aus dem die Ängste sind, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117505

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Der Stoff aus dem die Ängste sind



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden