Theseus auf Kreta - Versuch einer moralischen Wertung


Pre-University Paper, 2008

25 Pages, Grade: 15


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund des Geschehens auf Kreta

3 Theseus, der Minotaurus und Ariadne im Text von Ovid
3.1 Ovid – Leben, Werk und zeitgeschichtlicher Hintergrund
3.2 Zusammenfassung des Mythos bei Ovid
3.3 Analyse des Textes
3.3.1 Formal
3.3.2 Inhaltlich
3.4 Interpretation

4 Ariadne und Theseus – Darstellung in Jean-Baptiste Regnaults Gemälde
4.1 Jean-Baptiste Regnault – Leben, Werk und zeitgeschichtlicher Hintergrund
4.2 Analyse des Bildes
4.3 Interpretation

5 Vergleich zwischen Text und Bild

6 Beurteilung von Theseus’ Verhalten
6.1 Allgemeine Definition von Werten
6.2 Werte zur Zeit Ovids
6.3 Werte zur Zeit Regnaults
6.4 Werte heute
6.5 Bezug zum Mythos

7 Fazit

8 Anhang

8.1 Literaturangaben
8.2 Antike Überlieferung des Mythos
8.3 Das Labyrinth – eine Gegenüberstellung des deutschen und des lateinischen Textes
8.4 Bilder
8.5 Erklärung der selbstständigen Erarbeitung
8.6 Einverständniserklärung

1 Einleitung

In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit dem antiken griechischen Mythos über Theseus und den Minotaurus. Ich versuche, das Verhalten von Theseus moralisch zu bewerten und beziehe mich dabei sowohl auf antike als auch auf neuzeitliche Wertmaßstäbe. Ich habe die Arbeit in drei größere Abschnitte untergliedert. Anfangen werde ich mit der Bearbeitung des Mythos aus den Metamorphosen von Ovid. Der zweite Teil ist dem Gemälde „Ariadne und Theseus“ von Jean-Baptiste Regnault gewidmet. Sowohl den Text als auch das Gemälde analysiere ich zu- nächst und schließe dann eine Interpretation der jeweiligen Darstellung an. Ich beende diesen Teil mit einem Vergleich der beiden Werke. Der dritte und letzte Teil dient der Beantwortung meiner Leitfrage. Über eine allgemeine Wertebeschreibung komme ich zur Beurteilung des Verhaltens von Theseus.

2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund des Geschehens auf Kreta

Mit dem folgenden einleitenden Kapitel soll ein Überblick gegeben werden über die Situation auf Kreta zu der Zeit, in der der Mythos angesiedelt werden kann. Ich habe die Geschichte und die Traditionen Kretas bis zum Ende der minoischen Zeit dargestellt.

Die ersten Menschen kamen zwischen 6000 und 5000 v. Chr. aus Asien oder Afrika nach Kreta. Sie wohnten erst halbnomadisch in Höhlen, begannen aber schon früh Wohnhäuser zu errichten. 3000 v. Chr. kamen erneut Einwanderer aus Hochkulturen Kleinasiens nach Kreta und assimi- lierten sich schnell mit der dort schon lebenden Bevölkerung. Sie brachten Kenntnisse und Fä- higkeiten mit, die Kreta schon bald zu einem Aufschwung führten: es entstand ein reger Handel und Austausch mit dem Festland und anderen Kulturen. Diese neue Bevölkerung nannte sich Minoer. (vgl. Fohrer, S. 74 f.)

2000 v. Chr. hatten sich die Minoer ihre Herrschaft im Mittelmeer gesichert und begannen Pa- läste zu bauen. Nachdem die Paläste Kretas durch eine Naturkatastrophe, wahrscheinlich durch ein Erdbeben, um 1700 v. Chr. zerstört worden waren, wurden sie noch komplizierter und ein- drucksvoller wieder aufgebaut. Die nächsten 250 Jahre gelten als der Höhepunkt der minoischen Kultur. Knossos war in dieser Zeit der Mittelpunkt der Insel. Der Handel und das Handwerk blühten und der Lebensstandard der Bevölkerung war gut. Zwischen 1450 und 1400 v. Chr. zer- fiel die minoische Herrschaft und die Mykener übernahmen die Herrschaft auf Kreta sowie auf dem Festland. (vgl. Fohrer, S. 74 – S.81)

Die Menschen, die aus Asien kamen, glaubten an die „Magna Mater“ (Mutter Erde). Sie lebten nicht in einem Patriarchat, sondern in einem Matriarchat, also einer weiblich-mütterlichen Kul- tur. (vgl. Jaskolski, Kap. 3, S. 7 f.) Verehrt wurde „die große Göttin, die Mutter allen Lebens. Sie bleibt sich ewig gleich, während ihr Paredros, sozusagen ihr ‚ständiger Begleiter’, der stier- gestaltige Geliebte, dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfen, stirbt und aufersteht.“ (Jaskolski, Kap. III, S. 8).

Diese Vermutung lässt sich z.B. an den noch vorhandenen Darstellungen aus der minoischen Zeit belegen, denn es wurden ausschließlich selbstbewusste Frauen mit entblößten Brüsten dar- gestellt, keine Männer. (vgl. Fohrer, S. 77 f./ S.80) Der Stier als symbolischer Begleiter der Muttergöttin wird geopfert, um das Königreich zu erhalten und zu stärken, da er das Symbol für Fruchtbarkeit und Stärke ist. (vgl. Jaskolski, Kap. III, S. 9 f.) Stieropfer lassen sich also durch diesen Kult erklären.

3 Theseus, der Minotaurus und Ariadne im Text von Ovid

3.1 Ovid – Leben, Werk und zeitgeschichtlicher Hintergrund

Um Ovid richtig einordnen zu können, ist es sinnvoll, auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund einzugehen. Ovid wurde im Jahre 43 v. Chr. in Sulmo geboren, zu einer Zeit, als die Bürger- kriege ihren Höhepunkt erreicht hatten. Auch Cicero wurde ein Opfer dieser Bürgerkriege. De- ren Folge war die Beseitigung der römischen Republik und Demokratie sowie die Errichtung der Alleinherrschaft des Augustus. Der Einzelne verlor seine bürgerlichen Freiheiten und wurde auch in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt. Augustus betrieb eine Kulturpolitik, die zum Ziel hatte, die neue Monarchie zu propagieren. Das wirkte sich nachhaltig auf das gesamte Kul- turleben aus, natürlich auch auf Ovid.

Nun zur Biographie Ovids:

Ovid wurde unter dem Namen Publius Ovidius Naso am 20.3.43 v.Chr. geboren. Seine Familie gehörte zum römischen Landadel. Aus diesem Grund konnte er ein Rhetorikstudium absolvie- ren und übte verschiedene untere Ämter in der Verwaltung Roms aus. Er war aufgrund seiner guten juristischen Kenntnisse unter anderem als Richter in Zivilfragen tätig. Da er durch seine Familie die finanziellen Mittel besaß, zog er sich dann aus dem politischen Leben Roms zurück und begann sich als Dichter zu betätigen. Er war dreimal verheiratet und hatte eine Tochter. Es ist nur sehr wenig über sein Leben in Rom bekannt und auch der Grund für seine Verbannung durch Augustus im Jahre 8 n. Chr. bleibt im Dunkeln. Ovid wurde nach Tomi verbannt und starb dort etwa um 17. n. Chr. (vgl. Holzberg, S. 9-13; http://www.gutenberg.spiegel.de) Vergleichbar mit Vergil entwickelte Ovid sein literarisches Können in drei Stufen. Er begann in jungen Jahren mit Kleindichtung, wie auch sein erstes Werk „Amores“ zeigt, welches in elegi- schen Distichen1 verfasst wurde. In der Kleindichtung legte Ovid den thematischen Schwer- punkt auf Erotik und Liebe. Auch auf der zweiten Stufe, der didaktischen Poesie, war das The- ma der Erotik und Liebe wichtig. Es entstanden weitere Werke im Versmaß des elegischen Dis- tichons, wie „Ars Amatoria“ (Liebeskunst) oder „Remedia amoris“ (Liebestherapie). Er erreich-

5 te die höchste Stufe der Dichtung mit den „Metamorphosen“ und den „Fasti“. Beide gehören zur Form der epischen Dichtung, doch sind die „Metamorphosen“ ein Hexameteropus und die

„Fasti“ sind in elegischen Distichen verfasst. Ovid sah in Vergil ein Vorbild, aber auch eine Konkurrenz. Obwohl beide einen sehr ähnlichen Werdegang hatten, war Vergil Ovid mögli- cherweise durch sein Alter lange Zeit überlegen. Jedenfalls stellte Ovid den bedeutenden Wer- ken Vergils jeweils zwei eigene Werke entgegen. So stehen Vergils „Bucolica“ nicht nur Ovids „Amores“, sondern auch seine „15 Epistulae Heroidum“ gegenüber. (vgl. Holzberg, S. 9-13) Bis heute gab es immer wieder Zeiten, von Ludwig Traube genannt „Aetas Ovidiana“ (Holz- berg, S. 118), in denen die Menschen gerne Ovid lasen, in denen Ovid in der Schule behandelt und neu übersetzt wurde. Die erste Blütezeit der Ovidrezeption war zwischen dem 11.- 13.

Jahrhundert. Nachdem Ovid für eine Weile weniger aktuell war, erlebten seine Werke, vor al- lem die „Metamorphosen“, in der frühen Neuzeit wieder einen Aufschwung. Gerade in dieser Zeit wurden die „Metamorphosen“ häufig Thema der bildenden Künste. Ab der Epoche der Klassik entstand vor allem in Deutschland eine feindliche Haltung der Menschen gegenüber O- vid und seinen Werken. Ab 1922 begann langsam eine Rehabilitierung Ovids in der Literatur.

Der Durchbruch gelang 1988 mit dem Roman „Die letzte Welt“ von Christoph Ransmayrs. So kann man sagen, dass es seit ca. 20 Jahren eine neue Blütezeit der Ovidrezeption gibt. (vgl. Holzberg, S.9-13, 118-121)

3.2 Zusammenfassung des Mythos bei Ovid

Als Grundlage meiner Ausführungen benutze ich die „Metamorphosen“ von Ovid in der Über- setzung von August von Rode und Gerhard Fink. (siehe: 8.3 Das Labyrinth) Der Mythos um Theseus, den Minotaurus und Ariadne entstand um 8 n. Chr. Er behandelt das Thema eines Helden, der seine Heimatstadt und seine Landsleute von einem Monster befreit. Der Minotaurus2 ist herangewachsen und er beschämt Minos, den König von Kreta, da er den Ehebruch seiner Frau Pasiphae für jedermann sichtbar macht. Also lässt Minos von Dädalus3 ein Labyrinth bauen, in dem der Minotaurus eingesperrt wird. Dieses Labyrinth entsteht in der Mä- anderform und ist so verwirrend, dass Dädalus selbst den Ausgang fast nicht findet. Alle neun Jahre werden Menschen aus Athen ausgewählt, die in das Labyrinth geschickt und dadurch dem Minotaurus ausgeliefert und zum Fraß überlassen werden. Zu der dritten Gruppe von Opfern gehört Theseus. Die Tochter des Minos hilft ihm, indem sie ihm einen Faden gibt. Nachdem Theseus den Minotaurus bezwungen hat, findet er so zum Eingang des Labyrinths zurück und flieht mit der Königstochter (Ariadne). Theseus lässt sie dann aber auf Naxos4 zurück. Dort fin- det Bacchus5 sie und gibt ihr Schutz und Liebe. Außerdem nimmt er ihre Krone und lässt diese als Sterne zum Himmel hinaufwandern.

3.3 Analyse des Textes

3.3.1 Formal

Im Folgenden betrachte ich die Sprache und den Aufbau dieser Darstellung.

„Weil eine Jungfrau ihm half, kam er zur schwer auffindbaren Tür zurück, die keiner seiner Vorgänger zum zweiten Mal gesehen hatte; […].“ (Rode/ Fink, S. 188). Hier steht der Neben- satz an erster Stelle. Durch diese Anordnung liegt die Gewichtung nicht auf dem Hauptsatz, sondern auf dem untergeordneten Satz. Für Ovid scheint also die im Nebensatz erwähnte Hilfe sehr wichtig zu sein. Auch kann man annehmen, dass dieser Satzbau für Ovids Stil typisch war, denn er ist mehrfach in dem Mythos zu finden.

Auffallend ist außerdem der häufige Gebrauch von Adjektiven. Ovid benutzt zur Beschreibung des Minotaurus ausschließlich Adjektive mit einer negativen Konnotation wie „schändlich“ (Rode/ Fink, S.187) und „grässlich“ (Rode/ Fink, S.187). Aber auch bei der Beschreibung des Labyrinths werden sehr viele Adjektive benutzt, die dem Leser das Gefühl von Gefahr und Fins- ternis geben. Dem Leser wird also die Empathie mit den Personen und der Gesamtsituation er- leichtert. Das Wichtigste ist aber, dass insgesamt Adjektive mit wertendem Charakter verwendet werden. So wird uns unweigerlich die Meinung Ovids zu dem Mythos und dem Charakter der Personen mitgeteilt und leicht kommen wir, ohne es wirklich wahrzunehmen, mit seinem Urteil überein.

Den Eindruck des Labyrinths illustriert Ovid noch durch einen sehr ausführlichen Vergleich:

„Gleichwie in Phrygien der klare Strom der Mäander sein Spiel treibt […].“ (Rode/ Fink, S.188). Die Art des Labyrinths und die Aussichtslosigkeit, jemals aus diesem zurückzufinden, werden so sehr deutlich gemacht. Außerdem lässt der Vergleich den Leser viele Eindrücke sammeln und seine Fantasie weit ausschweifen.

Die „Metamorphosen“ sind ein Hexameteropus und können der epischen Dichtung zugeordnet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten6

Vota Iovi Minos taurorum corpora centum

Dies ist der erste Vers des Mythos (siehe: 8.3 Das Labyrinth). Die eingetragenen Längen und Kürzen sind typisch für einen Hexameter.

3.3.2 Inhaltlich

Inhaltlich steht im Mittelpunkt des Mythos nicht, wie man annehmen könnte, der Handlungsver- lauf, sondern die Beschreibung des Labyrinths. Sie macht etwa ein Drittel des Textes aus. Die- ser Teil scheint außerdem mit einer gewissen Begeisterung geschrieben zu sein. Das Labyrinth wird detailliert und bildhaft beschrieben, wie schon vorher im Vergleich (siehe: 3.3.1 Formal) angedeutet. Das Ende des Abschnitts erscheint überspitzt. Dadurch entsteht ein Höhepunkt von fast satirischer Wirkung, denn „Dädalus [zieht] unzählige Irrgänge und hätte beinahe selbst nicht den Rückweg zum Eingang gefunden, so verwirrend ist sein Bauwerk!“ (Rode/ Fink, S.188). Wenn sich der Baumeister selbst nicht mehr in seinem Bauwerk zurechtfindet, kann man auch von keinem anderen Menschen erwarten. So wird einerseits die Komplexität, Perfek- tion und Vielfalt von Dädalus Werk dargestellt und andererseits wird die Leistung von Theseus noch mehr verdeutlicht. Indirekt wird so auch die Wichtigkeit des Fadens der Ariadne angedeu- tet.

Im Gegensatz zum Labyrinth wird die Beziehung und Handlung zwischen Ariadne und Theseus sehr kurz in etwa zwei Sätzen beschrieben, obwohl diese sehr umfangreich hätte sein können (siehe: 8.2 Antike Überlieferung). Das einzige Bemerkenswerte an diesem Teil ist das Wort „grausam“. Ovid benutzt es, um Theseus´ Verhalten gegenüber Ariadne zu beschreiben, als er sie auf Naxos verlässt.

Das Wort Minotaurus besteht aus den Worten „Minos“ und „Taurus“. „Minos“ lässt sich ein- fach erklären: Minos ist der König von Kreta und Mann von Pasiphae. „Taurus“ ist lateinisch und bedeutet „Stier“. Also heißt „Minotaurus“ nichts weiter als „Stier von Minos“. (vgl. Jaskolski, Kap. 1, S. 2) Ovid hebt in seinem Text besonders die Abartigkeit und die Schrecken des Minotaurus hervor (siehe: 3.3.1 Formal). Um den Erwartungen der Leser gerecht zu werden, „ [stillt das Ungeheu- er] zweimal seinen Durst mit Athenerblut […].“ (Rode/ Fink, S. 188).

Ovid lässt den Minotaurus für den Leser also sehr gefährlich und grausam erscheinen. Theseus wird, indem er also den Minotaurus tötet, für den Leser zum Erlöser, Retter und Helden.

Ovid wählt außerdem ein ganz spezielles Ende. Bacchus bereitet Ariadne den Weg zum Olymp, indem er sie heiratet. Ariadne erhält damit sogar eine sehr viel wichtigere Position als vorher. Sie wird glücklich, obwohl Theseus sie verlässt. Die Verwandlung der Krone in ein Sternbild ist eine der Metamorphosen aus Ovids Werk.

5 3.4 Interpretation

Das Labyrinth hat eine zentrale Bedeutung in dem Mythos, es dient dort als Gefängnis für den Minotaurus. Die Kreter hatten Ehrfurcht vor diesem Wesen, das so anders war als sie. Die Be- völkerung musste zwar vor dem Minotaurus geschützt werden und doch bewunderten sie seine Erscheinung und nannten ihn „Asterion“7. Da der Stier den Kretern heilig war, muss der Mino- taurus für sie auch ein heiliges Wesen gewesen sein. Somit hatte das Labyrinth auch die Bedeu- tung eines Tempels. (vgl. Jaskolski, Kap.1, S.2)

Im Folgenden beziehe ich mich auf die Ergebnisse der modernen archäologischen Forschung. Ovid waren diese Erkenntnisse unbekannt, da die minoische und die mykenische Kultur unter- gegangen waren, ohne für die damalige Zeit lesbare Aufzeichnungen zu hinterlassen.

Eine der bekanntesten Überlegungen über das Labyrinth stammt von Sir Athur Evans8 (vgl. Jaskolski, Kap.2, S.4). Der Palast von Knossos war tatsächlich ein sehr verschlungenes und verwirrendes Gebäude, wie man heute noch aufgrund der Mauer- und Treppenreste schließen kann (vgl. Fohrer, S.232). Ein Grund dafür könnte sein, dass an den Palast immer wieder Räu- me angebaut worden sind. So wurde aus einem kleinen Palast ein immer größeres, weitläufige- res Bauwerk. An vielen Stellen des Palastes ist das Symbol der Doppelaxt angebracht. Die Doppelaxt (siehe: 8.4 Bilder) ist ein minoisches Kultsymbol, ähnlich dem christlichen Kreuz heute. Die Bedeutung der Doppelaxt ist ungeklärt. (vgl. Fohrer, S. 81/ S.232) Das Wort heißt im Altgriechischen „Labrys“. Klar erkennbar ist die sprachliche Verwandtschaft mit dem Wort La- byrinth, was soviel heißt wie „Haus der Doppeläxte“. So ist also die eine Erklärung des Laby- rinths der Palast. (vgl. Hunger, S. 508) Ariadne war tatsächlich eine minoische Göttin, wahrscheinlich eine Vegetationsgöttin (Herder, S. 30) und wurde sowohl auf Naxos als auch auf Kreta verehrt (Hunger, S.508). Auch Homer kommt auf sie in seiner „Ilias“ zu sprechen, als er die Abbildung auf dem Schild des Achilles beschreibt: „Und auf ihm bildete einen Reigen der ringsberühmte Hinkende, dem gleichend, den einst in der breiten Knosos Daidalos gefertigt hatte für die felchtenschöne Ariad- ne.“ (Jaskolski, Kap. 2, S. 3).

Die Griechen benutzten für „Reigen“ das Wort chorós. Es kann Tanz oder Tanzplatz bedeuten. Man kann also vermuten, dass es in Knossos entweder einen Tanzplatz oder einen Tanz für Ari- adne gab. Da Ariadne aber auch als Herrin des Labyrinths bezeichnet wird, ist anzunehmen, dass der Tanzplatz oder der Tanz mit dem Labyrinth in Verbindung stehen. (vgl. Jaskolski, 5 Kap.2, S. 3)

Der Stier ist ein heiliges Wesen in der minoischen Kultur (siehe: 2. Zeitgeschichtlicher Hinter- grund) und wurde von den Bewohnern Kretas in Kulthandlungen geopfert. Wollte man also an- nehmen, dass Pasiphae, die Kuhgöttin, die Muttergöttin Kretas war, so war Minos ihr Paredros9. Erst lange Zeit nach dem Fall des minoischen Reiches wird der Begleiter der Pasiphae in drei unterschiedliche Gestalten geteilt: in Minos, der ihr Mann und König wird und seine Stiergestal- tigkeit verliert, in den Stier des Poseidon, der Minos geschenkt wird, damit er ihn opfere, und schließlich in den Minotaurus. (vgl. Jaskolski, Kap. 3, S. 9) Dabei wurde wahrscheinlich auch der Mythos der Ariadne in das Geschehen mit eingefügt.

Theseus ist der bedeutendste athenische Nationalheros. Er wird als Vater und Begründer aller athenischen Erfindungen genannt, wie z.B. der Demokratie und des Rechts. Immer wieder wird versucht, seine sittlichen Vergehen, wie z.B. das Eindringen in die Unterwelt10, aus dem The- seusbild zu entfernen. (vgl. Hunger, S.507 - S. 509) Durch seine Erlebnisse, Abenteuer und Heldentaten wirkt Theseus vergleichbar mit Herakles11 (Herder, S. 217) und wurde auch von diesem aus dem Hades errettet. Theseus erscheint, obwohl er als Retter Athens gilt, als macht- hungrig, herzlos und naiv. Er verursacht, zumindest indirekt, mehrere Tode: Er ist vor allem schuld am Tod seines Vaters, der sich, nachdem er die schwarzen Segel, die für den Tod seines Sohnes stehen, gesehen hat, ins Meer stürzt. Außerdem muss er den Tod Minos´ verantworten, der auf der Suche nach seiner Tochter Ariadne auf Sizilien stirbt. (vgl. Richter-Ushanas, S7) Der Mythos an sich kann so gedeutet werden, dass die Kinder, welche die Athener nach Kreta schicken müssen, Symbol für die hohen Abgaben an Kreta sind. Athen ist zu dieser Zeit im Ge- gensatz zu Kreta höchstens eine kleine Stadt und Kreta ein mächtiges Königreich. Kreta hatte unter minoischer Herrschaft alle am Mittelmeer liegenden Städte unterworfen und die Herr- schaft über das ganze Gebiet inne. Da der Stier ja, wie oben erläutert, ein heiliges Wesen für die Kreter war, kann man annehmen, dass der Minotaurus für die Insel Kreta steht. Indem Theseus, der symbolische Athener, den Minotaurus tötet, besiegt er die Minoer.

[...]


1 Lateinisches Versmaß, bestehend aus Hexameter und Pentameter.

2 Mischwesen aus Stier und Mensch. Ging aus der Verbindung der Königin Pasiphae mit einem Stier hervor.

3 Bekannter Baumeister und Erfinder.

4 Insel in der Ägäis und liegt zwischen Kreta und Athen. Der römische Name war Dia.

5 Römischer Gott der Fruchtbarkeit und des Weins (griechisch Dionysos).

6 _ = lange Silbe; V = kurze Silbe; X = Satzende

7 Asterion heißt Sternenwesen

8 Er hat den Palast von Knossos ausgegraben und mit seinem Privatvermögen teilweise wieder errichtet.

9 Genauere Erklärung siehe: Zeitgeschichtlicher Hintergrund des Geschehens auf Kreta.

10 Zusammen mit Peirithoos dringt er in die Unterwelt ein, um die Göttin Persephone zu entführen.

Excerpt out of 25 pages

Details

Title
Theseus auf Kreta - Versuch einer moralischen Wertung
Grade
15
Author
Year
2008
Pages
25
Catalog Number
V117566
ISBN (eBook)
9783640208821
File size
630 KB
Language
German
Notes
Die Arbeit wurde im Seminarfach (fachübergreifender Unterricht) erstellt. Das Thema des Seminarfachs lautete "Antiker Mythos in Text und Bild". Die Arbeit wurde im Seminarfach (fachübergreifender Unterricht) erstellt. Das Thema des Seminarfachs lautete "Antiker Mythos in Text und Bild".
Keywords
Theseus, Kreta, Versuch, Wertung
Quote paper
Jutta Hagedorn (Author), 2008, Theseus auf Kreta - Versuch einer moralischen Wertung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117566

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