Diskrepanz zwischen subjektiv wahrgenommener und objektiv erfasster psychischer Belastung


Thèse de Bachelor, 2021

112 Pages, Note: 1,5


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Abstract

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Darstellung des Forschungsstands und der Problemstellung
1.2 Zielsetzung, Forschungsfrage und Hypothesen
1.3 Aufbau

2 Begriffsbestimmungen und zentrale Konzepte
2.1 Psychische Belastung
2.2 Psychische Fehlbelastung
2.3 Psychische Beanspruchung
2.4 Psychische Fehlbeanspruchung
2.5 Ressourcen
2.6 Gefährdung

3 Quellen psychischer Belastung

4 Psychische Belastung und Auswirkungen auf die Gesundheit: theoretische Erklärungsmodelle
4.1 Belastungs-Beanspruchungs-Modell
4.2 Arbeitsanforderungs-Kontroll-Modell oder Job-Demand-Control-Model
4.3 Das Transaktionale Stressmodell nach Lazarus

5 Folgen psychischer Beanspruchung
5.1 Kurz- und mittelfristige Folgen
5.2 Langfristige negative Auswirkungen

6 Die Rolle der subjektiven Verarbeitung

7 Bewertungsebenen und Prozesse der Gefährdungsbeurteilung

8 Methodische Ansätze zur Erhebung psychischer Belastung
8.1 Objektive und subjektive Verfahren
8.2 Bedingungsbezogene Methoden
8.3 Personenbezogene Methoden
8.3.1 Analyse der Beanspruchung
8.3.2 Analyse der negativen Beanspruchungsfolgen

9 Methodik und Vorgehensweise
9.1 Stichprobenbeschreibung
9.2 Variablen
9.3 Beobachtungen
9.4 Interview
9.5 Fragebogen
9.6 Datenaufbereitung

10 Ergebnisse
10.1 Quantitative Erhebungen
10.2 Qualitative Erhebung

11 Diskussion
11.1 Limitationen
11.2 Implikationen
11.3 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang
Anhang A
Anhang B
Anhang C
Anhang D
Anhang E
Anhang F
Anhang G
Anhang H
Anhang I
Anhang J
Anhang K

Zusammenfassung

Das Arbeitsschutzgesetz fordert eine regelmäßige Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Für die Analyse und Beurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz werden hauptsächlich Befragungsstudien durchgeführt. Diese Art der Erhebung wird jedoch vielfach kritisiert und die Validität angezweifelt. Es wird angenommen, dass eine Diskrepanz zwischen der subjektiv wahrgenommenen und der objektiv erhobenen psychischen Belastung vorliegt. Aufgrund dessen widmet sich die vorliegende Arbeit der Aufklärung der Frage, wie sich die subjektive Einschätzung der Belastung durch den Beschäftigten von der objektiv erhobenen Belastung durch einen externen Beobachter unterscheidet. Dafür wird psychische Belastung an einem Arbeitsplatz im Rahmen einer Einzelfallstudie jeweils subjektiv und objektiv erhoben. Die Beobachtung durch einen externen Beobachter soll eine objektive Erhebung der psychischen Belastung ermöglichen. Anhand eines Fragebogens wird die subjektiv von dem Beschäftigten wahrgenommene Belastung erhoben. Zur Ergänzung, und um mögliche Ursachen für die Diskrepanz zu identifizieren, wird zusätzlich ein Interview durchgeführt. Die Daten der beiden quantitativen Erhebungen werden mittels Mann-Whitney-U Test verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich insgesamt zwei der fünf untersuchten Merkmalsbereiche psychischer Belastung – Arbeitsinhalt und Arbeitsumgebung - signifikant unterscheiden. Die beiden signifikanten Ergebnisse zeigen, dass die objektiv erhobene psychische Belastung und die subjektiv wahrgenommene psychische Belastung sich in der Ausprägung und Stärke einzelner Komponenten unterscheiden. Die Auswertung des Interviews identifiziert Wahrnehmungs- und Beurteilungsprozesse, sowie intervenierende und moderierende Variablen als mögliche Ursache. Die kritische Diskussion der Ergebnisse ergibt weiteren Forschungsbedarf.

Deutsche Schlüsselwörter: psychische Belastung, psychische Fehlbelastung, Gefährdungsbeurteilung, Arbeitsschutz

Abstract

The Occupational Health and Safety Act requires regular risk assessment of mental work strain. The most popular method for recording data in work strain analysis is the questionnaire. However, this type of survey is often criticized and its validity is doubted. It is assumed that there is a discrepancy between the subjectively perceived and the objectively surveyed mental strain. For this reason, the present work is dedicated to clarifying the question of how the subjective assessment of mental work strain by the employee differs from the objectively ascertained mental work strain by an external observer. For this purpose, mental strain at a workplace is assessed subjectively and objectively in the context of an individual case study. Observation by an external observer is intended to enable an objective survey. A questionnaire surveys the subjectively perceived strain by the employee itself. To supplement this, and to identify possible causes for the discrepancy, an interview is conducted additionally. The data from the two quantitative surveys are compared using the Mann-Whitney-U test. The results show that a total of two of the five investigated characteristic areas of mental work strain- work content and work environment - differ significantly. The two significant results show that the objectively assessed mental strain and the subjectively perceived mental strain differ in the expression and strength of individual components. The evaluation of the interview identifies perception and assessment processes, as well as intervening and moderating variables as possible causes. The critical discussion of the results reveals a need for further research.

Englische Keywords: mental (work) strain, mental aversive strain, risk assessment, occupational safety

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1. Taxonomie psychischer Belastung (Ferreira & Schat, 2020, S. 5).

Abbildung 2. Einordnung der individuellen Wahrnehmung und Verarbeitung der Belastungsfaktoren im Belastungsprozess.

Abbildung 3. Prozess der Gefährdungsbeurteilung (eigene Darstellung in Anlehnung an BAuA, 2019, S.1).

Abbildung 4. Darstellung des Forschungsvorgehens (eigene Darstellung)

Abbildung 5. Mittelwerte der fünf Merkmalsbereiche für Beobachtung und Fragebogen.

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Übersicht über Messverfahren zur Ermittlung von Komponenten psychischer Belastungen und Beanspruchungen und deren Folgen (modifiziert nach Böckelmann & Seibt 2011)

Tabelle 2 Test auf Normalverteilung

Tabelle 3 Vergleich der zentralen Tendenz der fünf Merkmalsbereiche zwischen Befragung und Beobachtung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung

Die Arbeitswelt unterliegt einem kontinuierlichen Wandel, der geprägt ist von „Verwissenschaftlichung, Mediatisierung, Dienstleistungsorientierung, Dezentralisierung von Unternehmen, Transnationalisierung, neue[n] Beschäftigungsformen, neue[n] Organisations- und Managementsysteme sowie Arbeitsschutzprobleme[n] neuen Typs“ (Senghaas-Knobloch, 2008, S. 28). Mit diesem Wandel sind neue Anforderungen an die Beschäftigten verbunden und erhöhte Flexibilität, Mobilität und erweiterte Qualifikationen und Kompetenzen gefordert (Hacker & Sachse, 2014, S. 27; Lenhardt, Ertel & Morschhäuser, 2010, S. 336). Die Arbeitsbedingungen und -prozesse verändern sich und damit auch die Art und der Umfang der Belastung, mit der die Beschäftigten konfrontiert sind. In vielen Bereichen sind die Anforderungen an das psychische Leistungsvermögen der Beschäftigten gestiegen und das Belastungsspektrum umfasst nicht mehr nur physische Anforderungen, sondern auch zunehmend Wissens- und Denkanforderungen (Hacker & Sachse, 2014, S. 29). Dadurch vollzieht sich eine Anforderungsverschiebung weg von primär körperlichen, hin zu vorrangig psychischen Tätigkeiten (Senghaas-Knobloch, 2008, S. 28f., Siegrist & Dragano 2008, S. 305).

Diese Entwicklungen äußern sich auch in dem stetigen Anstieg von psychischen Erkrankungen, die von den Statistiken der Krankenkassen dokumentiert werden. Der Anstieg der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen stellt laut DAK eine der auffälligsten Entwicklungen in den letzten Jahren dar (DAK, 2020, S. 17). Der DAK-Psychoreport (2020) zeigt darüber hinaus auf, dass die Krankheitstage, welche psychischen Erkrankungen zugeschrieben werden können, in der Zeit von 2000 bis 2019 um 137 Prozent zunahmen. Hieraus ergibt sich sowohl für die Unternehmen als auch für die Volkswirtschaft ein hoher Schaden. Die Krankheitskosten für psychische Erkrankungen betragen 44,4 Milliarden Euro pro Jahr (statistisches Bundesamt, 2017, Abs. 1).

Trotz der bereits lange Zeit bekannten Auswirkungen von Arbeitsbelastung auf die Gesundheit der Beschäftigten, wird erst seit vergleichsweise kurzer Zeit versucht die Arbeitsbedingungen zu erheben, zu bewerten, in Zusammenhang mit verschiedenen gesundheitlichen Auswirkungen zu setzen und somit adäquate Maßnahmen zur Belastungsreduktion zu entwickeln. Die Erhebung, Beurteilung und Prävention psychischer Belastung zur Sicherung und Förderung der Gesundheit am Arbeitsplatz sind laut Arbeitsschutzgesetz zwar vorrangig rechtliche und humanitäre Pflichten, die dargestellten Zahlen und Kosten zeigen jedoch, dass diese Prozesse auch eine wirtschaftliche und politische Relevanz aufweisen.

1.1 Darstellung des Forschungsstands und der Problemstellung

Aufgrund des einleitend skizzierten Wandels der Arbeitswelt wird die Betrachtung psychischer Belastung und ihrer Folgen immer bedeutender und rückt in den Fokus des gesetzlichen Arbeitnehmerschutzes, der betrieblichen Gesundheitsförderung sowie der Arbeitspsychologie.

Forschung und Veröffentlichungen, die sich mit den Auswirkungen von Arbeit auf den Menschen und seine Gesundheit befassen, unterteilen sich grob in drei Kategorien. Die Studien der ersten Kategorie widmen sich der Untersuchung des Einflusses der physischen Arbeitsbedingungen beziehungsweise -umgebung auf die Leistung und Gesundheit der Beschäftigten. Bei diesen Ansätzen wird die Arbeitsumgebung als ausschließlich physisch charakterisiert. Analyseverfahren orientieren sich dabei an Ursache-Wirkungs-Modellen, die die Beziehung zwischen der Arbeitsumgebung und dem Verhalten der Beschäftigten untersuchen. Studien der zweiten Kategorie untersuchen Merkmale der Arbeit vor dem Hintergrund der menschlichen Territorialität, bei der es um die Inbesitznahme und Personalisierung des eigenen Arbeitsplatzes durch Kontrollübernahme geht. Die dritte Kategorie orientiert sich an der Umweltkognition. Bei diesen Ansätzen wird die Arbeitsumgebung, beziehungsweise die Arbeitsbedingungen, danach beurteilt, wie die Beschäftigten diese wahrnehmen und bewerten und wie die Einschätzung sich zwischen den Beschäftigten unterscheidet (Vischer & Fischer, 2005, S. 74f.). Besonders wichtig für die vorliegende Arbeit sind die Aspekte der ersten und dritten Kategorie. Sowohl die physischen Aspekte der Arbeitsumgebung, als auch die Wahrnehmung und Bewertung dieser durch die Beschäftigten werden im Laufe der Arbeit näher beleuchtet und in Zusammenhang gebracht.

Um die negativen Auswirkungen bestimmter Arbeitsbedingungen zu erkennen, zu vermeiden und um Forderungen des Arbeitsschutzes nachzugehen, ist die Erhebung, die Analyse und die Beurteilung psychische Belastung am Arbeitsplatz im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung mittlerweile gesetzlich verpflichtend. Am Anfang lag der Fokus des Arbeitsschutzes jedoch lediglich auf der Erhaltung der Gesundheit und auf der Verhütung von Unfällen. Die ersten Schritte hin zu einer gesundheitsförderlichen Ausrichtung begannen mit der Veröffentlichung der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1948, in der Gesundheit als „der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“ definiert ist (WHO, 1948, Präambel). Auf Grundlage dieser salutogenen Definition von Gesundheit der WHO sind alle Aktivitäten, Richtlinien und Gesetze, die für eine schädigungsfreie, gesundheitsförderliche Arbeit sorgen sollen, entstanden. Im Jahr 1996 trat das Arbeitsschutzgesetz, über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit in Kraft. Dieses Gesetz regelt die Verpflichtung der Arbeitgeber die Arbeit derart zu gestalten, dass eine Gefährdung des Beschäftigten und seiner Gesundheit möglichst vermieden wird und die verbleibenden Gefährdungen möglichst gering zu halten sind (§ 4 ArbschG). Im Jahr 2007 taten sich, auf Basis § 20a ArbSchG, Bund, die Länder, die Unfallversicherungsträger und später auch die gesetzlichen Krankenkassen zu einem Arbeitsbündnis hinsichtlich des Unfall- und Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz zusammen und vereinbarten die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (Richardi, 2017 zitiert nach Ferreira & Vogt, eingereicht, S. 16). Diese verfolgt das Ziel, Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten durch einen abgestimmten Arbeitsschutz, ergänzt durch Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, zu erhalten und fördern und für ein vereinheitlichtes Vorgehen und Transparenz bei Gefährdungsbeurteilungen zu sorgen (GDA, n.d. a, Abs. 2). Dafür entwickelte die GDA Umsetzungs- und Prüfstandards der Gefährdungs- und Belastungsanalyse psychischer Belastung (GBApB) im Betrieb, die heute die Leitlinien für den gesetzlich geforderten innerbetrieblichen Prozess darstellen (Parpart, 2016, S. 347). Im Jahr 2013 wurde das Arbeitsschutzgesetz erweitert. In dieser Novellierung ist ausdrücklich der Schutz der psychischen Gesundheit vor arbeitsbezogenen Gefährdungen als ein Ziel des Arbeitsschutzes verankert (§ 4). Zudem fordert der Gesetzgeber eine regelmäßige GBApB der Arbeitsplätze und Tätigkeiten. Jedoch fordert nicht nur das Arbeitsschutzgesetz (§ 2), sondern auch das Betriebsverfassungsgesetz (§§ 90, 91), das Arbeitszeitgesetz (§ 6), sowie das Jugendarbeitsschutzgesetz (§ 28) die Bewertung und Gestaltung menschengerechter Arbeit gemäß etablierten wissenschaftlichen Anforderungen (Ferreira & Vogt, eingereicht, S. 17; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, n.d.). Mittlerweile stehen anstelle der Gefahrenabwehr die Gefahrenvermeidung und die Gesundheitsförderlichkeit von Arbeit im Fokus des Arbeitsschutzes.

Die Beurteilung psychischer Belastung bei der Arbeit hat das Ziel, Belastungsfaktoren zu identifizieren, die sich negativ auf die Leistungsfähigkeit, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten auswirken können. Methodisch gibt es verschiedene Ansätze und Instrumente, die Komponenten psychischer Belastung zu erheben, zu analysieren und zu bewerten. Dabei besteht eine Debatte über die Vor- und Nachteile von subjektiven und objektiven Erhebungsmethoden (Rödel, Siegrist, Hessel & Brähler, 2004, S. 228). Beide Arten haben bedeutsame Vor- als auch Nachteile. Der Kernpunkt der Diskussion besteht in der Frage, welche Methode der Erhebung psychischer Belastung geeigneter ist, beziehungsweise welche Methode die valideren Ergebnisse ermöglicht.

In der betrieblichen Praxis erfolgt die Belastungsanalyse hauptsächlich über Befragungsstudien (Rau, 2010, S. 296; Böckelmann & Seibt, 2011, S. 212). Es wird argumentiert, dass diese Methoden einfach zu implementieren und durchzuführen seien (Böckelmann & Seibt, 2011, S. 212). Der Fokus liegt dabei auf der Erhebung des Vorhandenseins und der Stärke der Belastungsfaktoren. Die Annahme, die zu dieser Präferenz führt, ist, dass die Beschäftigten Experten seien und am besten einschätzen könnten, welche Belastungsfaktoren auf sie wirken und welche dabei negative Auswirkungen hätten (Karasek & Theorell, 1990, S. 78f.; Nachreiner, 2008, S. 7). Zudem könne der Einbezug von Mitarbeitern helfen, die Sensibilität für das Thema zu stärken sowie das Commitment für die Umsetzung von Maßnahmen zu steigern (Lines, 2004, S. 193).

Mit Blick auf das breite Spektrum an verfügbaren Methoden und der Breite an kritischen Diskussionen (Spector, 1994, S. 386; Podsakoff, MacKenzie, Lee & Podsakoff, 2003, S. 880) ist die Präferenz von Befragungsstudien jedoch kritisch zu hinterfragen. Die Aussagen der Beschäftigten unterliegen bestimmten Wahrnehmungs- und Beurteilungsprozessen, die zu Verzerrungen in den Antworten führen können. Diese Verzerrungen führen zu Validitätsproblemen subjektiver Verfahren und erheben damit die Frage, ob „Befragungsverfahren tatsächlich und wenn ja in welchem Umfang Auskunft über Art, Intensität und Verlauf der (Komponenten der) psychischen Belastung liefern.“ (Nachreiner, 2008, S. 42). Semmer, Zapf und Dunckel (1995) sehen darin den größten Kritikpunkt subjektiver Verfahren und behaupten: „So, asking people about their work may reveal more about themselves, their way of perceiving the world and dealing with difficulties, than about their work” (S. 107). Die Vertreter der objektiven Analyseverfahren betonen diese methodischen Schwachpunkte subjektiver Daten und argumentieren, dass objektive Verfahren weniger anfällig sind für die kognitive und emotionale Verarbeitung der Belastung durch den Beschäftigten und lediglich durch eine objektive Erhebung eine Abbildung der Realität möglich sei (Frese & Zapf, 1988, S. 377).

Laut Böckelmann & Seibt (2011, S. 216) könne ein Beschäftigter keine objektive Beurteilung der am Arbeitsplatz herrschenden Belastung abgeben und "subjektive Einschätzungen und objektiv zu messende biologische Parameter bzw. Krankheitsbefunde stimmen oft nicht überein." Auch Nachreiner (2008, S. 8) vertritt den Ansatz, dass die Ergebnisse von objektiven und subjektiven Arbeitsanalysemethoden nicht übereinstimmen und Beschäftigte bei der Beurteilung psychischer Belastung nicht zwischen „tatsächlicher und „gefühlter" psychischer Belastung unterscheiden könnten. Anhand einer von Demerouti (1999) durchgeführten Untersuchung zeigt er, dass die Einschätzung zu verschiedenen Dimensionen von Arbeit durch externe Beobachter und die Antworten der Beschäftigten mittels Fragebogenerhebungen größtenteils nicht korrelieren. Bei den Dimensionen Verantwortung und Arbeitszeit zeigte sich sogar eine negative Korrelation zwischen subjektiver und objektiver Analyse (Demerouti, 1999 zitiert nach Nachreiner 2008, S. 40). Nachreiner (2008) stellt anhand dieser Ergebnisse die Behauptung auf, dass „beide Ansätze nicht dasselbe [erfassen], sondern – wie methodisch kaum anders zu erwarten – jeweils spezifische Komponenten." (S. 40). Des Weiteren führt er eine schwedische Studie von Lennerlöf (1968) an, bei der die Beschäftigten und zusätzlich eine externe Person das Führungsverhalten des Vorgesetzten beurteilen sollten. Die Ergebnisse wurden verglichen und zeigten, dass die Beschreibung zwar auf denselben inhaltlichen Dimensionen basiert, die Ergebnisse der beiden Gruppen jedoch nicht miteinander korrelieren. Auch diese Untersuchung bestätigt demnach den Ansatz, dass eine Differenz zwischen objektiven und subjektiven Einschätzungen psychischer Belastung besteht.

Diese Diskussion um die Vor- und Nachteile objektiver und subjektiver Erhebungsmethoden, deren konzeptionelle Unterschiede und die Diskrepanz in den Ergebnissen erheben den Anspruch, die Diskrepanz zwischen objektiv erhobener und subjektiv wahrgenommener psychischer Belastung weiter zu untersuchen.

1.2 Zielsetzung, Forschungsfrage und Hypothesen

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Diskrepanz zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektivem Auftreten psychischer Belastung zu untersuchen. Die Untersuchung soll das Forschungsfeld der Erhebung, Analyse und Bewertung psychischer Belastung aus einer neuen Perspektive betrachten und zur Entwicklung von Gegenmaßnahmen für die Diskrepanz zwischen subjektiv wahrgenommener und objektiv erhobener psychischer Belastung beitragen.

Ausgehend von dem theoretischen Hintergrund, dem bereits bestehenden Forschungsstand zu psychischer Belastung und Beanspruchung am Arbeitsplatz und dem Artikel von Nachreiner (2008) wird die folgende Forschungsfrage aufgestellt:

Welche Unterschiede lassen sich zwischen der subjektiven Wahrnehmung und dem objektiven Auftreten psychischer Belastung am Arbeitsplatz feststellen?

Diese Arbeit operationalisiert psychische Belastung anhand fünf Merkmalsbereichen. Diese werden einzeln betrachtet und setzen sich jeweils aus verschiedenen, potenziellen Belastungsfaktoren, beziehungsweise -konstellationen zusammen, die in ihrer Gesamtheit die psychische Belastung ausmachen. Aus diesem Grund werden aus der Forschungsfrage die folgenden fünf Alternativhypothesen abgeleitet:

H11: Im Merkmalsbereich Arbeitsinhalt/ -aufgabe unterscheidet sich die objektiv gemessene psychische Belastung von der subjektiv wahrgenommenen psychischen Belastung.

H12: Im Merkmalsbereich Arbeitsorganisation unterscheidet sich die objektiv gemessene psychische Belastung von der subjektiv wahrgenommenen psychischen Belastung.

H13: Im Merkmalsbereich Soziale Beziehungen unterscheidet sich die objektiv gemessene psychische Belastung von der subjektiv wahrgenommenen psychischen Belastung.

H14: Im Merkmalsbereich Arbeitsumfeld unterscheidet sich die objektiv gemessene psychische Belastung von der subjektiv wahrgenommenen psychischen Belastung.

H15: Im Merkmalsbereich Neue Arbeitsformen unterscheidet sich die objektiv gemessene psychische Belastung von der subjektiv wahrgenommenen psychischen Belastung.

1.3 Aufbau

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in insgesamt 11 Kapitel. Das erste Kapitel soll an die Thematik heranführen und beinhaltet einen Einblick in den aktuellen Forschungsstand und die Problemstellung, sowie Zielsetzung dieser Arbeit. Kapitel zwei und drei befassen sich einleitend mit den Grundlagen zur Thematik psychischer Belastung. Die zentralen Begriffe und deren Konzeption werden dargestellt. Dies ist wichtig, um ein Grundverständnis für die weiteren Zusammenhänge sicherzustellen. Die Begriffe Belastung und Beanspruchung beziehungsweise Fehlbelastung und Fehlbeanspruchung werden abgegrenzt und es wird auf deren Quellen eingegangen. Im vierten Kapitel werden diese zentralen Begriffe und Konzepte anhand verschiedener arbeitswissenschaftlicher Modelle in Verbindung gesetzt und die Zusammenhänge erklärt. Im fünften Kapitel wird detaillierter auf die möglichen kurz-, mittel- und langfristigen Folgen von Belastung und Beanspruchung eingegangen. Die vorliegende Arbeit thematisiert die Unterschiede objektiver und subjektiver Methoden zur Erhebung psychischer Belastung und die Diskrepanz in deren Ergebnissen. Kapitel sechs widmet sich der Aufklärung der Rolle der subjektiven Wahrnehmung und verschiedener intervenierender und moderierender Variablen im Rahmen der individuellen Bewertung von Belastung. Im siebten Kapitel wird der Prozess der Gefährdungsbeurteilung erläutert und Bewertungsebenen dargestellt, um ein Verständnis für das empirische Vorgehen dieser Arbeit zu sichern. Das achte Kapitel klassifiziert die verschiedenen Erhebungsmethoden, die in der Forschung und betrieblichen Praxis Anwendung finden und trägt somit zusätzlich zu einem besseren Verständnis für die empirische Untersuchung bei. Kapitel neun und zehn widmen sich der Methodik, dem genauen Vorgehen der Untersuchung und schließlich den Ergebnissen. Im empirischen Teil der Arbeit werden auf Basis der Daten aus den verschiedenen Erhebungen die Unterschiede zwischen objektiver Erhebung und subjektiver Wahrnehmung dargestellt. Das zwölfte Kapitel bildet den inhaltlichen Abschluss dieser Arbeit. Es beinhaltet die Diskussion der Ergebnisse hinsichtlich der dargestellten Problematik. Zudem werden Limitationen der Arbeit aufgezeigt und mögliche Gegenmaßnahmen für weitere Untersuchungen präsentiert. Die Arbeit schließt schließlich mit einem Fazit und einem kurzen Ausblick.

Zur besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulinum verwendet, wobei beide Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

2 Begriffsbestimmungen und zentrale Konzepte

Im Folgenden werden Begriffe und Konzepte, die bei der Auseinandersetzung mit psychischer Arbeitsbelastung und ihren gesundheitlichen Auswirkungen von zentraler Bedeutung sind, erläutert. Im Besonderen wird auf die Konzepte von psychischer Belastung und Beanspruchung detaillierter eingegangen. Als Grundlage hierfür dient die DIN EN ISO 10075-1 (2018, Kap. 3), die ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung beschreibt. Diese Norm wurde eingeführt, um ein einheitliches, neutrales Verständnis der relevanten Konzepte und Begriffe zu etablierten. Grundlage der Definitionen dieser Norm ist das Belastungs-Beanspruchungs-Modell von Rohmert und Rutenfranz (1975, S. 23-27). In der Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit und Gesundheit finden sich häufig auch andere Konzepte und Begriffe wie Ressourcen und Gefährdung wieder. Aus diesem Grund wird auch auf diese Konzepte kurz eingegangen und deren Bedeutung hinsichtlich der Thematik dieser Arbeit erläutert.

2.1 Psychische Belastung

Psychische Belastung wird nach der DIN EN ISO 10075-1 (2018) als die „Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf einen Menschen zukommen und diesen psychisch beeinflussen“ (S. 6) definiert. Diese Definition zeigt, dass sich die psychische Belastung aus verschiedenen Komponenten, den Belastungsfaktoren, zusammensetzt. Die Belastungsfaktoren, die in ihrer Kombination und Interaktion die psychische Belastung darstellen, sind demnach „Merkmale von Arbeitstätigkeiten […], die kognitive, informationsverarbeitende, motorische, soziale und emotionale Aktivitäten in der Auseinandersetzung des Arbeitenden mit seiner spezifischen Arbeitssituation erfordern“ (Neuner, 2016, S. 7). Darüber hinaus ist psychische Belastung zunächst als neutral anzusehen, umfasst also sowohl potentiell positive als auch negative Auswirkungen. Sie kann motivierend auf die betroffene Person wirken und Lernprozesse anstoßen, aber ebenso auch über- oder unterfordern (Joiko, Schmauder & Wolff, 2010, S. 7).

2.2 Psychische Fehlbelastung

Wie die Definition von psychischer Belastung deutlich macht, kann die Belastung sowohl zu positiven als auch zu negativen Folgen führen. Nach Bärenz et al. (2006 zitiert nach Böckelmann & Seibt, 2011, S. 205) handelt es sich bei dem Begriff Fehlbelastung um ein konstruiertes Kunstwort, ein Teilkonzept psychischer Belastung, das in der Umgangssprache den negativen Aspekt einer Belastung, der zu negativen Auswirkungen führt, verdeutlichen soll. Im negativen Fall führt die (Fehl-)belastung zur Beeinträchtigung der Gesundheit, des Wohlbefindens und der Leistung der betroffenen Person (Poppelreuter & Mierke, 2012, S. 28). Die DIN EN ISO 10075-1 (2018) führt verdeutlichend an: „Eine psychische Belastung, die das menschliche Vermögen zur Informationsverarbeitung übersteigt, wird direkt zu einer fehlerhaften menschlichen Leistung führen“ (S. 10).

Eine Metaanalyse von Rau und Buyken (2015, S. 123) ergab, dass hoher Job-Strain, Isostrain, hohe Arbeitsintensität, geringer Handlungsspielraum, Effort-Reward-Imbalance, Überstunden, lange Arbeitszeiten, geringe soziale Unterstützung, Rollenstress, Bullying und Arbeitsplatzunsicherheit die am häufigsten analysierten, potentiell gefährdenden Belastungsfaktoren für Beschäftigte seien.

2.3 Psychische Beanspruchung

Als psychische Beanspruchung bezeichnet die DIN EN ISO 100751 (2018) „unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinem aktuellen Zustand“ (S. 7).

Dabei werden Körperfunktionen aktiviert, die zu physiologischen und endokrinen Veränderungen wie erhöhte Hormonfreisetzung, Blutdruck- und Pulsänderungen führen (Nerdinger, Blickle, Schaper, 2014, S. 518). Bei psychischer Beanspruchung handelt es sich jedoch nicht um die einfache Auswirkung von Belastung, sondern Mediations-, Moderations- und Rückkopplungsprozesse beeinflussen den Zusammenhang zwischen diesen Konzepten. Die genauen Auswirkungen psychischer Belastung sind abhängig von den Eigenschaften der Belastung, also Art, Intensität und Dauer, als auch von den individuellen Voraussetzungen, Eigenschaften und Ressourcen der betroffenen Person (Nerdinger et al., 2014, S. 518). Gleiche Belastungsfaktoren können interindividuell verschieden wahrgenommen, erlebt und bewältigt werden und demnach zu unterschiedlichen Belastungs- und Beanspruchungsfolgen führen. Schmitt, Ohly & Kleespies (2015, S. 33) konnten zum Beispiel zeigen, dass die Auswirkungen von Zeitdruck auf die Arbeitsleistung in Abhängigkeit der vom Beschäftigten empfundenen Sinnhaftigkeit der auszuführenden Tätigkeit variiert und moderater Zeitdruck nur als Belastung gesehen wird, wenn die Tätigkeit von der Person als nicht bewältigbar wahrgenommen wird.

Der psychischen Beanspruchung kommt somit eine Doppelrolle zu. Der Beschäftigte kann unter psychischer Beanspruchung positiv angeregt werden und Lernprozesse durchlaufen. Die Beanspruchung zeigt sich dabei durch Aufwärmung und Aktivierung. Zudem können Übungseffekte und eine Kompetenzentwicklung auftreten, die zu Leistungssteigerung und einer positiven Veränderung der individuellen Voraussetzungen des Beschäftigten führen können. Im Gegensatz dazu kann die kurzfristige psychische Beanspruchung auch in einer Fehlbeanspruchung resultieren, wenn die Voraussetzungen des Beschäftigten über- oder unterfordert werden (Joiko et al., 2010, S. 12).

2.4 Psychische Fehlbeanspruchung

Psychische Beanspruchung stellt zunächst lediglich die Auseinandersetzung der Person mit den Belastungsfolgen dar, indem die individuellen Leistungsvoraussetzungen beansprucht werden. Sollen die negativen Auswirkungen von Belastung betrachtet werden, wird häufig der Begriff Fehlbeanspruchung verwendet. Nach der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) (2018), entsteht eine psychische Fehlbeanspruchung erst dann, „wenn die Leistungsvoraussetzungen von Beschäftigten bei ihrer Arbeit quantitativ und/oder qualitativ über- oder unterfordert werden“ (S. 28).

2.5 Ressourcen

Ressourcen sind Faktoren, die einen förderlichen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten haben, indem sie die Stärke von psychischen und körperlichen Beeinträchtigungen verringern können und bei der Bewältigung der Arbeitsanforderungen helfen (Sonnentag & Frese 2003, S. 467). Sie lassen sich in die Kategorien organisationale, soziale und personale Ressourcen aufteilen (Richter & Hacker 2008, S. 25). Die vorhandenen potentiellen Ressourcen werden jedoch erst dann zu Ressourcen, wenn sie von den Beschäftigten genutzt und aktiviert werden (Ducki & Kalytta, 2006, S. 1).

Zu den organisationalen Ressourcen gehören beispielsweise Aufgabenvielfalt, vollständige Tätigkeiten oder die Möglichkeit zur Partizipation. Eine bedeutsame soziale Ressource stellt beispielsweise soziale Unterstützung dar. Personale Ressourcen sind definiert als „habitualisierte, d. h. situationskonstante, aber zugleich flexible, gesundheitserhaltende und -wiederherstellende Handlungsmuster, sowie kognitive Überzeugungssysteme der Person“ (Udris, Kraft, Mussmann & Rimann, 1992, S. 17). Hauptsächlich werden berufliche Qualifikation, Persönlichkeitsmerkmale, Kompetenzen wie Bewältigungskompetenzen, fachliche und soziale Kompetenzen, Kohärenzerleben, Resilienz und Kontrollüberzeugung als personale Ressourcen aufgeführt (Struhs-Wehr, 2017, S. 12; Udris et al., 1992, S. 17; Zapf & Dormann, 2006, S. 707).

Die Rolle von Ressourcen im Belastungsprozess ist für diese Arbeit nur peripher relevant. Jedoch haben Ressourcen auch eine bedeutsame Rolle im Bewertungsprozess der Arbeitsbedingungen, welcher den Schwerpunkt dieser Arbeit darstellt.

2.6 Gefährdung

Unter Gefährdung wird „die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, ohne bestimmte Anforderungen an ihr Ausmaß oder ihre Eintrittswahrscheinlichkeit“, verstanden (Abschnitte B der Bundestagsdrucksache 13/3540: Begründung zum § 4 des Arbeitsschutzgesetzes zitiert nach Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin [BAuA], n.d., Begriffsglossar). Eine psychische Gefährdung kann entstehen, wenn die psychische Belastung zu einer Beeinträchtigung der Leistungsvoraussetzungen der betroffenen Person führt (Ferreira & Vogt, eingereicht, S. 14).

3 Quellen psychischer Belastung

In der arbeitswissenschaftlichen und -psychologischen Literatur werden verschiedene Quellen von Belastungsfaktoren genannt (Joiko et al., 2010, S. 19; Nerdinger et al., 2014, S. 520). Die Faktoren, die zu psychischer Belastung führen können, bestehen „in der Gestaltung, der Organisation und dem Management sowie im wirtschaftlichen und sozialen Kontext der Arbeit“ (EU-OSHA, 2010, S. 7).

Ferreira und Schat (2020, S. 4) haben auf Basis der Literatur und einer eigenen Untersuchung eine Taxonomie zur Einordnung der psychischen Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz entwickelt, die Belastungsfaktoren berufsübergreifend erfasst und in Kategorien einordnet, um damit die Daten statistischen Modellen zugänglich zu machen (siehe Abb. 1). Bei ihrer Erhebung ergaben sich folgende sechs Hauptkategorien als Quellen potentieller psychischer Belastungsfaktoren: Arbeitsaufgabe, Arbeitsumgebung, Arbeitsplatz, Arbeitsmittel, Arbeitsorganisation und –ablauf und gesellschaftliche Faktoren (Ferreira & Schat, 2020, S. 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Taxonomie psychischer Belastung (Ferreira & Schat, 2020, S. 5).

Die GDA hingegen unterscheidet in ihrer Richtlinie aus dem Jahr 2018 zwischen fünf möglichen Quellen der Belastung: Arbeitsinhalt/ -aufgabe (AI), Arbeitsorganisation (AO), soziale Beziehungen (SB), Arbeitsumgebung (AU) und neue Arbeitsformen (NA) (S. 21-23). Diese Einteilung dient als Basis für die vorliegende Arbeit, da das verwendete Instrument zur Erhebung psychischer Belastung auf dieser Einteilung stützt.

4 Psychische Belastung und Auswirkungen auf die Gesundheit: theoretische Erklärungsmodelle

In diesem Kapitel werden ausgewählte Theorien, beziehungsweise arbeitswissenschaftliche Modelle, beschrieben, die den Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit beschreiben. Neuere arbeitswissenschaftliche und -psychologische Modelle betrachten zudem den Einfluss von möglichen Moderatoren und Mediatoren. Die Modelle bieten Ansatzpunkte zur Entstehung von psychischer Belastung und helfen dabei, bestimmte Belastungsfaktoren der Arbeit mit psychischer Beanspruchung und langfristigen Folgen in Beziehung zu setzen. Dabei ist kein Modell allumfassend, jedes hat seine individuellen Vor- und Nachteile. Die bekanntesten Modelle sind (GDA, 2017, S. 6):

- das Belastungs-Beanspruchungs-Modell von Rohmert und Rutenfranz (1975, S. 23-27)
- die Handlungsregulationstheorie von Hacker (1986, S. 142)
- das Anforderungs-Kontroll-Modell von Karasek und Theorell (1990, S. 54-82)
- das Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Siegrist (1996, S. 29f.)
- das Transaktionale Stress-Modell von Lazarus (1984, S. 25)

Auf drei der bekanntesten Modelle wird im Folgenden in einem arbeitswissenschaftlichen Kontext näher eingegangen.

4.1 Belastungs-Beanspruchungs-Modell

Das Belastungs-Beanspruchungs-Modell (ursprünglich von Rohmert und Rutenfranz, 1975, S. 23-27) erklärt den Zusammenhang der Belastung als Einwirkung und den Reaktionen der Person als Auswirkungen (Beanspruchung). Dieses Modell stellt eine einfache Ursache-Wirkungs-Beziehung dar und postuliert, dass die Belastung „durch ein spezifisch subjektbezogenes Verhalten aktiv verarbeitet oder passiv erduldet“ wird (Rohmert & Rutenfranz, 1975, S. 23). Die Art und Weise, wie die betroffene Person auf die Belastung reagiert, hängt von den Bewältigungsstrategien und ihren individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten ab (Rohmert & Rutenfranz, 1975, S. 23).

Die Kernaussage des Modells ist folglich, dass das Ausmaß der Beanspruchung durch die Schwere und Dauer der Belastung, durch individuelle Merkmale und Voraussetzungen des Beschäftigten, sowie dessen Aktivitätsverhalten bestimmt wird. "Die Resultante aller Belastungsfaktoren und Belastungsgrößen unter Einschluss der Aktivitäten bewirkt individuell unterschiedliche Beanspruchungen." (Rohmert & Rutenfranz, 1975, S. 25). Daraus ergibt sich zudem, dass "ein und dieselbe Belastung bei unterschiedlichen Menschen auch entsprechend ihrer unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten verschiedene Beanspruchung hervorruft" (Rohmert & Rutenfranz, 1975, S. 241). Im Belastungs-Beanspruchungskonzept hat die Belastung einen neutralen Charakter. Sowohl eine zu hohe, sowie eine zu geringe Belastung kann in einer Fehlbeanspruchungen resultieren. Eine „optimale“ Ausprägung der Belastung hat keine Fehlbeanspruchung zur Folge. Eine Fehlbeanspruchung entsteht dann, wenn die „physiologischen Funktionssysteme“, beziehungsweise die “typologisch bestimmten Dauerleistungsgrenzen“ der Person längerfristig überschritten werden (Rohmert & Rutenfranz, 1975, S. 25).

Ein bedeutsamer Kritikpunkt dieses Modells stellt die fehlende Betrachtung der interindividuellen Belastungsverarbeitung dar. Anhand des Modells sind keine Aussagen darüber möglich, warum Personen unterschiedlich auf die gleiche Belastung reagieren können (Bamberg, Keller & Zeh, 2006, S. 8). Zudem kritisiert Oesterreich (2001, S. 162), dass sich in anderen Modellen positive Beanspruchungsfolgen, wie Lerneffekte finden lassen. Arbeit könne auch gesundheits- und persönlichkeitsförderliche Wirkungen haben, was in dem Belastungs-Beanspruchungs-Modell nicht betrachtet wird (Oesterreich, 2001, S. 163f).

4.2 Arbeitsanforderungs-Kontroll-Modell oder Job-Demand-Control-Model

Das Job Demand Control Modell von Karasek und Theorell (1990, S. 54-82) betrachtet neben den Arbeitsanforderungen auch das Erleben von Kontroll- und Handlungsmöglichkeiten des Beschäftigten. Die Belastung hängt gemäß diesem Modell sowohl vom Ausmaß und der Intensität der Arbeitsanforderungen (Belastungsfaktoren), als auch von dem Grad des erlebten Handlungsspielraumes einer Person ab. Die Arbeitsanforderungen stellen Aspekte der Arbeitstätigkeit dar, die negative Wirkungen auf den Beschäftigten haben. Das Konstrukt Handlungsspielraum beinhaltet den Entscheidungsspielraum des Beschäftigten und seine Qualifikationsnutzung. Es liegt eine hohe Ausprägung dieses Konstruktes vor, wenn mehr eigenständige Entscheidungen zu treffen sind und für die Ausführung der Arbeit höhere Qualifikationen erforderlich sind (Oesterreich, 2001, S. 164). Der Handlungsspielraum des Beschäftigten dient laut diesem Modell bei hohen Anforderungen als Ressource und verringert die Belastungsfolgen. Das Verhältnis der beiden dargestellten Konstrukte stellt die Beanspruchung einer Person dar. Der Beschäftigte und dessen individuelle Voraussetzungen und Merkmale haben in diesem Modell keine beeinflussende, aktive Rolle, sondern werden als passiv betrachtet (Metz & Rothe, 2017, S. 16).

Karasek und Theorell betrachten in ihrem Modell verschiedene Kombinationen vom Handlungsspielraum und den Arbeitsanforderungen, die jeweils verschiedene Wirkrichtungen aufzeigen (Karasek & Theorell, 1990, S. 32). Die Kernaussage des Modells ist, dass die Arbeitsbelastung nicht nur von den Arbeitsanforderungen abhängt, sondern auch vom Ausmaß der Kontrolle des Beschäftigten über seine Tätigkeit und die Arbeitsumgebung. Praktisch betrachtet bedeutet das, dass Tätigkeiten mit hohen Anforderungen und geringem Handlungsspielraum ein hohes Maß an psychischer Belastung aufweisen. Die Belastung ist dagegen gering, wenn der Handlungsspielraum hoch und die Anforderungen niedrig sind (Metz & Rothe, 2017, S. 17). Auch dieses Modell impliziert kein rein negatives Belastungsverständnis. Die Auswirkungen der Arbeitsbelastung, die die mittel- und langfristigen Beanspruchungsfolgen darstellen, können negativ, im Sinne von beeinträchtigenden Effekten, als auch positiv, im Sinne von Lernerfahrungen, Motivation, etc., sein (Oesterreich, 2001, S. 162).

Später wurde die ursprüngliche Formulierung des Modells modifiziert, um das Konzept der sozialen Unterstützung einzubeziehen (Karasek & Theorell, 1990, S. 68-71). Diese habe eine puffernde Wirkung gegenüber einer hohen Belastung. Es wird argumentiert, dass negative Auswirkungen der Arbeitsanforderungen durch soziale Unterstützung abgeschwächt werden könnten (Metz & Rothe, 2017, S. 17).

4.3 Das Transaktionale Stressmodell nach Lazarus

Anmerkung: In der Literatur werden die Begriffe Stressoren und Stressreaktionen meist als Synonym zu den Begriffen Belastung und Beanspruchung verwendet. Belastung und Beanspruchung sind im Allgemeinen neutrale Konzepte und beziehen sich sowohl auf positive als auch auf negative Faktoren und Auswirkungen, während Stressoren und Stress lediglich auf negative Aspekte fokussiert sind (Nerdinger et al. 2014, S. 519). Greif (1991, S. 6f.) schlägt vor, Stressoren als spezifische Untergruppe psychischer Belastungsfaktoren und Stressreaktionen als spezielle Arten psychischer Beanspruchung einzugrenzen.

Das transaktionale Stressmodell nach Lazarus (1984, S. 25) fokussiert sich auf die individuelle Wahrnehmung und Bewertung der Umweltbedingungen durch die Person. Im Gegensatz zu den reiz- und reaktionsorientierten Stressmodellen postuliert dieses Modell keinen einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, sondern betrachtet zusätzlich Prozesse der kognitiven und emotionalen Bewertung der Umweltbedingungen und die für die Person zur Verfügung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten (Greif, 1991, S. 8). Nach diesem Modell stellt Stress ein Ungleichgewicht zwischen Person und Umwelt dar, da die Umweltanforderungen die Leistungsvoraussetzungen oder Ressourcen einer Person übersteigen. Dieses Ungleichgewicht führt zu Stressreaktionen, wenn es als subjektiv bedeutsam und aversiv von der betroffenen Person erlebt wird. Ob es bei einer Belastung zu einer Beanspruchung kommt, ist demnach von der Person, ihrer Wahrnehmung und Interpretation, ihren Ressourcen und der gewählten Bewältigungsstrategie abhängig (Greif, 1991, S. 9f.). Der Begriff transaktional bedeutet, "dass die Ausgangsgrößen (Situation, Person) im Laufe des Prozesses der gegenseitigen Einwirkung verändert werden." (Myers, 2014, S. 797). Der Stressor ist nach diesem Modell neutral. Erst durch die subjektive Wahrnehmung und Bewertung durch den Beschäftigten entscheidet sich, ob die Folgen positiv, negativ oder neutral sind. Lazarus (1984, S. 31) unterscheidet bei der Beurteilung der Situationen drei Bewertungsprozesse, die die betroffene Person durchläuft. Zunächst schätzt sie die Situation, im arbeitswissenschaftlichen Rahmen die Arbeitsbedingungen, ein und beurteilt, ob die vorhandenen Bedingungen oder Anforderungen positiv, neutral oder belastend sind. Schätzt die Person die Situation als belastend ein, erfolgt eine Bewertung dahingehend, ob und welche Ressourcen ihr zur Bewältigung zur Verfügung stehen und, ob diese ausreichen, um die Anforderungen zu bewältigen. Nach der Bewertung der Ressourcen wird die Situation erneut eingeschätzt, um zu überprüfen, ob diese weiterhin als bedrohlich zu beurteilen ist oder nicht (Nerdinger et al., 2014, S. 521). Diese Neubewertung kann zu einer Redefinition der Situation führen, indem eine ursprünglich bedrohlich bewertete Situation zu einer bewältigbaren Situation wird. Diese Bewertungsprozesse vermitteln zwischen der objektiven Arbeitsumgebung des Beschäftigten und seiner psychischen und körperlichen Reaktion darauf.

Ein Kritikpunkt dieses Modells stellt die fehlende Betrachtung objektiver Arbeitsbedingungen als potentielle Belastungsfaktoren dar. Laut diesem Modell bestimmt die Bewertung der betroffenen Person, ob Stress entsteht oder nicht. Die Bedeutung der objektiven Faktoren wird damit in Frage gestellt beziehungsweise nicht beachtet (Bamberg, Keller & Zeh, 2006, S. 11).

5 Folgen psychischer Beanspruchung

Kurzfristige Folgen psychischer Beanspruchung entstehen im Laufe eines Arbeitstages und können durch Erholung vollständig abgebaut werden. Hält die Beanspruchung jedoch an und kann nicht abgebaut werden, kann es zu längerfristigen Folgen kommen. Wie die vorherigen Kapitel zeigen, wird Belastung individuell verschieden erlebt, wahrgenommen und verarbeitet. Daher variieren die Auswirkungen der Belastung interindividuell und Beanspruchung. Man unterscheidet zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Folgen von Beanspruchung, die sich sowohl physisch als auch psychisch zeigen können. Die DIN EN ISO 10075-1 (2018, S. 7-9) nennt sowohl positive Anregungseffekte als auch beeinträchtigende Effekte. Bei der Analyse psychischer Belastung sind vor allem die negativen Auswirkungen relevant. Auf diese wird im Folgenden näher eingegangen.


Fin de l'extrait de 112 pages

Résumé des informations

Titre
Diskrepanz zwischen subjektiv wahrgenommener und objektiv erfasster psychischer Belastung
Université
ISEC-Institut Supérieur de l’Économie (dern. eufom University)
Note
1,5
Auteur
Année
2021
Pages
112
N° de catalogue
V1176104
ISBN (ebook)
9783346597014
ISBN (ebook)
9783346597014
ISBN (ebook)
9783346597014
ISBN (Livre)
9783346597021
Langue
allemand
Mots clés
diskrepanz, belastung
Citation du texte
Viktoria Gallandy (Auteur), 2021, Diskrepanz zwischen subjektiv wahrgenommener und objektiv erfasster psychischer Belastung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1176104

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