Embedded or Radical?

Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union als Restrukturierung der sozialen Beziehungen


Dossier / Travail de Séminaire, 2004

22 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung und Fragestellung

2 . Ein kritischer Ansatz der europäischen Integrationstheorie
2.1 Defizite der Mainstream-Theorie
2.2 Der neo-gramscianische Ansatz der Internationalen Politischen Ökonomie
2.3 Der Hegemoniebegriff
2.4 Kritische Integrationstheorie

3 . Erweiterung und Vertiefung als hegemoniale Projekte
3.1 EWS, Binnenmarkt und Wirtschafts- und Währungsunion
3.2 Drei Projekte in der Vorbereitung des Binnenmarkts
3.3 Europäische Beschäftigungspolitik
3.4 Erweiterung

4 . Fazit

5 . Literaturverzeichnis

1 Einleitung und Fragestellung

Bei Untersuchungen über die Entwicklung der Europäischen Union seit Mitte der achtziger Jahre steht die Form der Integration im Zentrum der Aufmerksamkeit, sowohl in neofunktionalistischen Theorien wie auch bei intergouvernementalen und supranationalen Ansätzen. Die Vertiefung (deepening) der Integration und die Erweiterung (widening) der Integration erscheinen als zwei verschiedene Prozesse, die als unabhängig voneinander, wenn nicht sogar als gegenläufig beschrieben werden (Bieler 2003, 1). Diese einseitige Fokussierung auf Form und Genese der Integration verzichtet weitgehend auf eine Analyse der Inhalte, also konkreter policies. So wird untersucht, wie es dazu kommt, dass Staaten bestimmte Souveränitäten offenbar an eine supranationale Ebene abtreten, sich bestimmten Vereinbarungen unterwerfen und danach auch ihre Politik nach diesen Vereinbarungen ausrichten. Wessen Interessen sich in diesen Vereinbarungen bei der Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes, bei den Erweiterungsrunden 1995 und 2004 oder in der Europäischen Beschäftigungsstrategie widerspiegeln, bleibt weitgehend außen vor.

Aktuelle Literatur zur „Europäisierung“, die nach der Wirkung europäischer Vorgaben, Direktiven und Richtlinien in den Mitgliedsstaaten in einem Top-down-Ansatz fragt (u.a. Featherstone/Radaelli 2003), beschreibt in der Konzeptionalisierung der outcomes (Adaption, Konvergenz, Divergenz, Harmonisierung etc.) und ihrer Bedingungen wiederum die Form. Ob es inhaltlich um Umweltschutzbestimmungen, die Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte oder Arbeitsschutz geht, bleibt dabei letztlich ebenso unerheblich wie ihr Einfluss auf die sozialen Beziehungen in den Mitgliedsstaaten. „Der soziale Charakter des europäischen Mehrebenensystems wird durch den Modus der institutionellen und regulativen Reproduktion gewissermaßen in den Schatten gestellt“ (Bieling/Steinhilber 2000a, 12).

Zur Untersuchung innergesellschaftlicher sozialer Beziehungen und ihre transnationalen Verknüpfungen bietet sich der kritische Theorieansatz der „neo-gramscianischen Intenationalen Politischen Ökonomie“ an (Bieler/Morton 2004), der anhand der Untersuchung transnationaler Klassenstrukturen den Blick auf die sozialen Interessen richtet, die politischen Projekten zu Grunde liegen und sich in ihren Inhalten äußern (Schulten 1998, 147). Grundlage ist die Interpretation der Texte des italienischen Kommunisten Antonio Gramscis für eine Kritik der Theorien der Internationalen Beziehungen durch Robert Cox (Cox 1993).

Im Rahmen dieser Arbeit wird zunächst anhand dieses theoretischen Ansatzes dargestellt, wie durch die Analyse sozialer Interessen die Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union als komplementäre Teile desselben Prozesses beschrieben werden können: „[widening and deepening] are in fact part of the same process of intensified neo-liberal restructuring of the European social relations of production. Neo-liberal economies is here understood as entailing the liberalisation and deregulation of markets including the labour market, combined with an exclusive focus of state policy on low inflation and price stability“ (Bieler 2003, 1).

Anschließend werden neuere Entwicklungen im Bereich der zunehmenden Auseinandersetzung mit mitgliedsstaatlicher Beschäftigungs- und Sozialpolitik auf europäischer Ebene untersucht. Hierbei steht der europaweite Wandel vom risiko-minimierenden Wohlfahrtsstaat zum „Sozialinvestitionsstaat“ (Anthony W. Giddens, zit. nach Ryner 2000, 247, Ferrera/Rhodes 2000) im Mittelpunkt, um nach dem zu Grunde liegenden Zweck der Betonung der individuellen Verantwortung und der „ability to adapt to change“ (Heidemann 2003, 179) zu fragen.

2 . Ein kritischer Ansatz der europäischen Integrationstheorie

2.1 Defizite der Mainstream-Theorie

Von zentraler Bedeutung für die neo-gramscianische Internationale Politische Ökonomie ist im Gegensatz zu anderen Integrationstheorien, „daß die Probleme, Triebkräfte und Motive der europäischen Integration sich nicht allein über die Institutionen, Regulationsformen und Netzwerkstrukturen des Mehrebenensystems erschließen, sondern immer auch über die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und der diesen zugrunde liegenden Akkumulations- und Krisendynamik“ (Bieling/Steinhilber 2000a, 13).

Der neo-funktionalistische Ansatz betrachtet Integration als sich selbst vorantreibenden, beinah automatisch verlaufenden Prozess. Integration in einem Bereich, zunächst in ökonomischen Zusammenhängen, treibt durch so genannten spill-over die Integration im politischen Bereich voran (Wolf 1997). Mit der Entwicklung der EU wurden diese Theorien weiterentwickelt zur Mehrebenentheorie, die die supranationalen Akteure (Europäische Kommission, Europäisches Parlament, Europäischer Gerichtshof) und transnationalen Organisationen (Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften) mit in ihre Untersuchungen einbeziehen. Die EU wird mit einer netzwerkbasierten Polity-Struktur beschrieben, „die sich nicht auf die Repräsentanten der nationalen Regierungen und Staatsapparate stützt, sondern auch partizipations- und kooperationsbereite zivilgesellschaftliche Akteure und Interessengruppen mit einbezieht“ (Bieling/Steinhilber 2000a, 9)

Intergouvernementale Theorien, die auf den Annahmen des Neo-Realismus in den Internationalen Beziehungen basieren, erklären Integration dagegen ausschließlich durch übereinstimmende Interessen zwischen Staaten (Wolf 1997). Entscheidungsfindung und Entwicklung des institutionellen Wandels werden durch das interessengeleitete Handeln von Regierungen erklärt. Eine Integration über konvergierende Interessen hinaus erscheint von diesem Standpunkt aus nicht möglich.

Neuere Ansätze bezogen Anstöße aus Diskursen um das Verhältnis von Rationalismus (Interessen) und Konstruktivismus (Ideen, Kommunikation) ein. Die zentrale Frage lautet, „wie lässt sich das Verhältnis von Kommunikation und materieller Rationalität, von diskursiven Konstruktionen und rationalen Strategien, von Leitbildern und konkreten europäischen Projekten, von ideen- und interessengeleitetem Handeln etc. genauer bestimmen (...)“ (Bieling/Steinhilber 2000a, 10).

Trotz des fruchtbaren „doppelten Brückenschlags“ (Bieling/Steinhilber 2000a, 9) in der Integrationstheorie zwischen Intergouvernementalismus und Supranationalismus einerseits und zwischen Rationalismus und Konstruktivismus andererseits befassen sich die genannten Ansätze und Theorien damit, wie im europäischen System Probleme wahrgenommen und gelöst werden, es fehlt jedoch an Verbindung zu den Problemen und Konflikten innerhalb der mitgliedsstaatlichen Gesellschaften und zu den Krisen der globalen kapitalistischen Reproduktion.

Umbrüche in der Ökonomie, Innovationen, neue Arbeits- und Produktionskonzepte und Veränderungen in der Sozialstruktur tauchen höchstens als externe Faktoren auf (van Apeldoorn/Overbeek/Ryner 2003, 22).

Der Markt wird als Arena gesehen, auf die der Staat als externer Akteur einwirkt. Durch diese Sichtweise können die Theorien Veränderungen in der Organisation des Marktes, im kapitalistischen Produktionsprozess nicht beschreiben und analysieren. „Change beyond the capitalist mode of production cannot be conceptualised and this, in turn, of course contributes to the problem of being unable to analyse the underlying social purpose“ (Bieler 2003, 2).

2.2 Der neo-gramscianische Ansatz der Internationalen Politischen Ökonomie

In der neo-gramscianischen Internationalen Politischen Ökonomie dagegen stehen Markt und Staat als zwei miteinander verbundene Arenen, in denen die gesellschaftlichen Klassen interagieren. Durch ihre Auseinandersetzungen beeinflussen sie wiederum die Struktur der Arenen Markt und Staat Diese Auseinandersetzung finden aber nicht nur zwischen besitzender und arbeitender Klasse - zwischen Kapital und Arbeit - statt, sondern auch zwischen national agierenden Klassen und transnational agierenden Klassen.

Das Verhalten der Klassen ist durch ihre Position im Produktionsprozess bestimmt oder besser: konfiguriert, da diese Bestimmung nicht als deterministisch zu verstehen ist (Bieler 2001, 580). Produktion meint dabei im weitesten Sinne sowohl die Herstellung von Gütern wie auch die Produktion von Wissen und Dienstleistungen und die (Re-)Produktion von gesellschaftlichen Verhältnissen, Normen und Institutionen (Morton 2003, 154). Die Veränderungen im Produktionsprozess stellen sich nicht mehr als externe Faktoren dar, die auf den Staat einwirken, sondern als Prozesse, die zunächst verschiedene Akteure begünstigen und so die gesellschaftlichen Verhältnisse in einem Staat und über den Staat hinaus verändern. Die Beziehung von der Struktur der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Klassen oder sozialen Kräfte ist das einer wechselseitigen Beeinflussung. „Social forces, as the main collective actors engendered by the social relations of production, operate within and across all spheres of activity. Through the rise of contending social forces, linked to changes in production, there may occur mutually reinforcing transformations in the forms of state and world order“ (Morton 2003, 156).

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Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Embedded or Radical?
Sous-titre
Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union als Restrukturierung der sozialen Beziehungen
Université
Free University of Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft)
Cours
Globalization and EU: Impacts and Responses in Different Contexts. Germany and Turkey Compared
Note
1,7
Auteur
Année
2004
Pages
22
N° de catalogue
V117883
ISBN (ebook)
9783640210244
ISBN (Livre)
9783640210343
Taille d'un fichier
450 KB
Langue
allemand
Mots clés
Embedded, Radical, Globalization, Impacts, Responses, Different, Contexts, Germany, Turkey, Compared
Citation du texte
Daniel Daimer (Auteur), 2004, Embedded or Radical?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117883

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