Ist die Arbeitsgesellschaft am Ende?

Oder: Erwerbs-Arbeitslosigkeit als Erfolg (!). Plädoyer für die Idee des "Bedingungslosen Grundeinkommens"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Es geht wieder Bergauf in Deutschland?

2. Historische Entwicklung der Erwerbslosigkeit

3. Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus oder: Massen-Erwerbs-Arbeitslosigkeit als Erfolg (!) denken

4. Dem Wandel gerecht werden: Die Idee des „Bedingungslosen Grundeinkommens“

5. Exkurs: Die sozialpsychologischen Folgen der Langzeit-Massen-Erwerbs-Arbeitslosigkeit - Marie Jahodas Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“

6. Kulturelle Revolution

Literatur

Anhang

1. Es geht wieder Bergauf in Deutschland?

Eine allgemeine Zufriedenheit wird wieder zur Schau gestellt. Entspannt und aufgeräumt stehen Politiker vor den Kameras der Tagesschau und referieren über die positive Entwicklung der letzten Monate. In diesen Tagen nehmen sich die führenden Vertreter der großen Koalition gerne die Zeit, den Bürgern im Lande vom großen Erfolg ihrer Bemühen zu berichten.

Der Anlaß: Die Bundesagentur für Arbeit hat die neuen Arbeitslosen – Zahlen für März 2008 veröffentlicht. Laut Statistik sind „nur“ noch 3,5 Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit. Das sei der niedrigste Stand seit 15 Jahren. Die Hartz IV – Maßnahmen, die Arbeitsmarktreformen würden jetzt immer besser greifen. „„Vollbeschäftigung““ sei wieder in erreichbare Nähe gerückt. So der einheitliche Tenor. Die machthabenden Politiker geben sich durchweg optimistisch. Der Bundeswirtschaftsminister für Wirtschaft und Technologie Michael Glos (CSU) spricht von einer erreichbaren Arbeitslosen - Quote von 4 %. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) spricht von einer äußerst positiven Entwicklung und hält bereits „Vollbeschäftigung“ wieder für möglich.

Auch der Generalsekretär der CDU, Ronald Pofalla ist hoch erfreut über die jüngsten Zahlen und Entwicklungen. Auch er scheut sich nicht, den Begriff „Vollbeschäftigung“ über den Äther zu senden.

Man könnte sich dem „Lobgesang“ anschließen, würde man der „offiziellen“ Statistik blind vertrauen. Schaut man aber genauer hin, erweisen sich die Zahlen als „Schönfärberei“, wie es jüngst der FDP – Generalsekretär Dirk Niebel in einem „Frontal 21“ - Interview bezeichnete und damit zu den wenigen kritischen Stimmen in der Politik gehört.[1]

Knapp zwei Millionen arbeitslose Menschen werden von dieser Statistik nicht erfasst. Menschen, die arbeiten können und einen Arbeitsplatz suchen. Dazu gehören zum einen die 1 – Euro – Jobber, die sich mehr oder weniger in zum Teil völlig sinnlosen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen befinden und ihre Arbeit nicht wirklich als Arbeit ansehen, schon gar nicht als Erwerbsarbeit.[2] Sie fühlen sich großteils abgeschoben und wertlos.

Eine weitere große Gruppe, die sich arbeitslos fühlt, statistisch aber nicht erfasst wird, bildet sich aus Menschen in Weiterbildungsmaßnahmen. Arbeitslose, die über 58 Jahre sind, fallen ebenfalls aus der Statistik heraus, werden nicht als arbeitslos verzeichnet. Und ob sie nun Arbeit suchen oder nicht - den über 58 Jährigen wird sogar eine Zwangsverrentung angedroht, sollten sie sich weiter um Arbeitsplätze bemühen.[3] In Anbetracht der demographischen Entwicklung und einem „Arbeiten bis 67 – Programm“ - eine Farce.

Rechnet man all diese Menschen, die definitiv arbeitslos sind, in die Statistik mit ein, ergibt sich eine Arbeitslosenzahl von über 5.000.000. Was außerdem aus der Statistik ausgeblendet wird, ist die seit den siebziger Jahren stetig anwachsende Zahl der „Junk-Jobs“.[4] Teilzeit-Jobs, die versicherungsfrei, zeitlich begrenzt sind und teilweise die Form der Scheinselbständigkeit annehmen. Das sind prekär Beschäftigte, die von Job zu Job wandern, oft zwei Jobs gleichzeitig haben, um sich über Wasser halten zu können und keinerlei Sicherheit oder Absicherung gewährleistet bekommen. Menschen, die Arbeit haben und gleichzeitig arm sind – „working poor“ - das „viel beschworene Job-Wachstum beruht zum (un)guten Teil auf einem Wachstum von Junk-Jobs, die weder Versorgung ermöglichen, noch inhaltlichen Sinnansprüchen genügen.“ argumentiert Ulrich Beck.[5]

Die Tatsache nun, daß die Regierung offensichtlich „Schönfärberei“ mit den statistischen Zahlen betreibt, zeigt auch, wie wichtig das Thema „Arbeitslosigkeit“ ist. Es ist ein politisches Instrument des Machterhalts. Eine Regierung, die es schaffen würde, eine Arbeitslosenquote von 4 % zu erreichen, wie Michael Glos ankündigte, müßte sich um die nächsten Wahlen keine Sorgen machen. Arbeitsmarkt – Politik ist mit zum wichtigsten - vielleicht das wichtigste - Macht–Erhaltungsinstrument geworden.[6] So kommt auch Wolfgang Engler zu dem Schluß, „dass sich die Politik durch alle Parteien hindurch als resistent gegenüber den Fakten und der historischen Entwicklung zeige. „Vollbeschäftigung“ werde weiterhin als das große Ziel propagiert.“[7]

Die Aussagen der Politiker erwecken den Eindruck, als sei Massen-Erwerbs-Arbeitslosigkeit etwas Temporäres, Konjunkturelles. Als sei die „Vollbeschäftigung“ der erwartungsgemäße Erfolg ihrer Maßnahmen. Als sei „Vollbeschäftigung“[8] der Normalzustand.

Betrachtet man die Entwicklung der Erwerbsarbeitslosigkeit historisch, wird aber deutlich, daß nicht die Massen-Erwerbs-Arbeitslosigkeit ein temporäres Phänomen ist, sondern die „Vollbeschäftigung“ es war. Ein Blick auf die historische Entwicklung nach Kriegsende macht dies deutlich.

2. Historische Entwicklung der Erwerbslosigkeit

„Vollbeschäftigung“ war einmal Realität in (West) Deutschland.[9] Von Anfang der 1960er Jahre bis 1973 lag die Arbeitslosenquote unter 3 %. Dann erfolgte die erste Ölkrise. Die OPEC drosselte im Herbst 1973 die Öl - Fördermengen um etwa fünf %. Der Ölpreis stieg daraufhin im Oktober von etwa drei US-Dollar pro Barrel auf über fünf Dollar. Dieser dramatische Anstieg verursachte eine Wirtschaftskrise, die unter anderem steigende Sozialausgaben, verstärkte Inflation, Unternehmenspleiten und vor allem einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge hatte. Noch im Jahr 1974 stieg die Arbeitslosenquote auf 5 % und die Arbeitslosenzahl auf über eine 1.000.000.

Nach Bekannt werden dieser Zahlen wurde „Deutschland in einen Schockzustand versetzt“, konstatierte Wolfgang Engler. War Arbeitslosigkeit die Jahre davor kein Thema, „ sah man jetzt die Demokratie in Gefahr“, so Engler.[10]

Bis Ende der 70 er Jahre konnte die Arbeitslosenquote auf diesem Niveau gehalten werden. Als es 1979 zu Öl - Förderungsausfällen kam und der erste Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak entbrannte, kam es zu einer weiteren Ölkrise und somit zu einem weiteren Anstieg des Ölpreises mit entsprechenden Folgen. 1980 schossen die Arbeitslosenzahlen erneut nach oben. Etwa 1983 zeigt die Statistik eine Arbeitslosenquote von ca. 9 %. Über 2.000.000 Menschen hatten keine Arbeit. Wer damals an eine Talsohle glaubte, an eine vorübergehende Schwächeperiode wurde spätestens in den 80ern eines besseren belehrt. Die Arbeitslosigkeit blieb nicht nur hoch, sie stieg (mit leichten Schwankungen) kontinuierlich weiter an. Im Jahr 2005 waren nahezu 5.000.000 Menschen arbeitslos, was einer Quote von etwa 13 % entsprach.

Massen-Erwerbs-Arbeitslosigkeit wurde somit zu einem zentralen und brisanten Thema, zu einem der größten Probleme in Deutschland. Und ist es heute nach wie vor.

Massen-Erwerbs-Arbeitslosigkeit ist ein Jahrzehnte langer Dauerzustand und wird es wohl auch bleiben.

Eine Lösung scheint nicht wirklich in Sicht. Politische Maßnahmen greifen nicht dauerhaft und letztlich immer wieder zu kurz. Engler glaubt auch nicht daran, dass sich daran noch etwas Entscheidendes ändern wird. „Die Massenarbeitslosigkeit wird bleiben“, davon ist Engler überzeugt.[11]

3. Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus oder: Massen-Erwerbs-Arbeitslosigkeit als Erfolg (!) denken.

Folgt man Ralf Dahrendorf, liegen die Gründe der Arbeitslosigkeit in der Entwicklung der Arbeit selbst.

Zum einen seien die Gewerkschaften in beträchtlichem Maße mitverantwortlich für die steigende und andauernde Arbeitslosigkeit, indem sie ständig für höhere Löhne kämpften. Das führe zu Arbeitsplatzabbau, Rationalisierung und einer starken Weiterentwicklung der Technik. Die Technik ist nach Dahrendorf nur teilweise Ursache von Arbeitslosigkeit, viel eher ist sie aber inzwischen „Folge…sozialer Entwicklungen.“ Technische Entwicklungen würden vor allem deshalb vorangetrieben und eingesetzt werden, weil die menschliche Arbeit zu teuer sei. Steigende Arbeitslosigkeit durch Technik sei „genau genommen Arbeitslosigkeit auf Grund des Preisvorteils der Technik gegenüber der Arbeit.“[12]

Weitere Folgen des immer währenden Kampfes um höhere Löhne sind vielfältige Sparmaßnahmen anderer Art. Das zeigt z. B. die aktuelle Tariferhöhung im öffentlichen Dienst. Zahlreiche Kommunen kündigen als Folgen dieser Lohnerhöhung massive Einsparungen, Kürzungen öffentlicher Gelder, Subventionsabbau – was ebenfalls den Verlust von Arbeitsplätzen bedeutet - und Entlassungen an.[13] Anders seien die erwarteten steigenden Lohnkosten von geschätzt einer Milliarde Euro nicht zu finanzieren.

[...]


[1] URL:http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/26/0,1872,7224026,00.html

[2] siehe Lotter (2005)

[3] Mehr als drei Viertel derjenigen Empfänger von Arbeitslosengeld I, die 2007 nicht in der Statistik auftauchen, fallen unter die so genannte 58-er Regelung. Diese besagt, dass Arbeitnehmer, die mit 58 Jahren oder älter arbeitslos werden, Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, wenn sie erklären, sie stünden dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Diese Regelung ist Ende 2007 in ihrer alten Form ausgelaufen. Ab 2009 sollen alle Arbeitslosen, die älter als 58 Jahre sind und seit einem Jahr kein Arbeitsangebot erhalten haben, automatisch aus der Statistik verschwinden. Beim Arbeitslosengeld II ist die Kluft zwischen Statistik und Wirklichkeit noch größer.

[4] „Noch Anfang der siebziger Jahre standen in Deutschland einem Nicht-Normbeschäftigten fünf Normbeschäftigte gegenüber. Anfang der achtziger Jahre lag das Verhältnis bei eins zu vier, Mitte der achtziger Jahre bereits bei eins zu drei, Mitte der neunziger Jahre liegt es bei eins zu zwei. Bei Fortschreibung dieses Trends wird das Verhältnis von Norm- und Nicht-Normarbeitsverhältnissen in 15 Jahren bei uns eins zu eins liegen.“ Beck (2000) S. 24, 25

[5] Beck (2000) S. 25

[6] vgl. Dahrendorf (1983) S. 25: „Es liegt vor allem daran, daß Arbeit zumindest auch ein Herrschaftsinstrument ist. Wenn sie ausgeht, verlieren die Herren der Arbeitsgesellschaft das Fundament ihrer Macht. Gewiß, konjunkturelle Schwankungen sind erträglich; aber wenn das `Konjunkturell´ zum `Strukturellen´ zu werden scheint, dann ist es eine Gesellschaftsstruktur, die in Frage steht, nämlich die der

Arbeitsgesellschaft.“

[7] Engler, Wolfgang (2005)

[8] „Vollbeschäftigung“ bedeutet im allgemeinen eine Arbeitslosenquote von 0,8 bis 3%

[9] vgl. Graphiken im Anhang, S. 16

[10] Engler, Wolfgang (2005)

[11] Engler, Wolfgang (2005)

[12] Dahrendorf (1983) S. 28

[13] Ulrich Beck beschreibt die „Zwickmühle“ in der sich das soziale System befindet: „Ohne Abbau der Sozialkosten und der Lohn(neben)kosten steigen die Arbeitslosenzahlen; ohne neue Arbeitsplätze aber droht das ganze System der auf Erwerbsarbeit basierenden sozialen Sicherung zusammenzubrechen“ Beck (2000) S. 15

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Ist die Arbeitsgesellschaft am Ende?
Untertitel
Oder: Erwerbs-Arbeitslosigkeit als Erfolg (!). Plädoyer für die Idee des "Bedingungslosen Grundeinkommens"
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Hauptseminar: Geht uns die Arbeit aus? Teil II
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V118033
ISBN (eBook)
9783640202010
ISBN (Buch)
9783640206865
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
(Auszug): Während die Erwerbs-Arbeitslosigkeit gemeinhin als größtes gesellschaftliches Problem bezeichnet wird, will der Autor sie als Erfolg verstehen. Voraussetzung für diese Revolution der Denkungsart (Kant) ist das Abräumen einiger Denk- oder Wahrnehmungsgewohnheiten: Z. B. wir befänden uns auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Historisch gesehen ist die Vollbeschäftigung der Ausnahmefall. Die Arbeit abzuschaffen, sei Folge und Ziel unseres Wirtschaftssystems. (Automation)Um dem Wandel gerecht zu werden, empfiehlt Lips, die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens.(Auszug): Während die Erwerbs-Arbeitslosigkeit gemeinhin als größtes gesellschaftliches Problem bezeichnet wird, will der Autor sie als Erfolg verstehen. Voraussetzung für diese Revolution der Denkungsart (Kant) ist das Abräumen einiger Denk- oder Wahrnehmungsgewohnheiten: Z. B. wir befänden uns auf dem Weg zur Vollbeschäftigung. Historisch gesehen ist die Vollbeschäftigung der Ausnahmefall. Die Arbeit abzuschaffen, sei Folge und Ziel unseres Wirtschaftssystems. (Automation)Um dem Wandel gerecht zu werden, empfiehlt Lips, die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens.
Schlagworte
Arbeitsgesellschaft, Ende, Hauptseminar, Geht, Arbeit, Teil
Arbeit zitieren
Andreas Lips (Autor:in), 2008, Ist die Arbeitsgesellschaft am Ende?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118033

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