Die theoretische Modellierung phonologischer Prozesse. Eine Analyse am Beispiel der Liaison des Wortes "plus"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Diachronie/Historische Fakten zu der Liaison

3. Theorien
3.1. Generative Phonologie
3.2. Autosegmentale Phonologie
3.3. Optimalitätstheorie
3.4. Exemplaristische Phonologie

4. Anwendung der Optimalitätstheorie am Beispiel des Wortes plus

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die französische Liaison gehört zu den Besonderheiten der französischen Sprache. „La liaison est la survivance de quelques enchaînements de consonnes finales de l'ancien français. A une époque antérieure, toutes les consonnes finales que l'on écrivait étaient prononcées [.]. Aujourd'hui, ces consonnes graphiques sont en grande majorité muettes dans les mots isolés : mais dans la chaîne parlée, on les prononce encore quand l'union du mot à consonne finale avec le mot suivant à initiale vocalique a été assez pour conserver, à travers les siècles, l'enchaînement ancien. “ (Delattre 1966: 39) Die Liaison beschreibt dabei ein phonetisches Herüberziehen der Konsonanten auf das jeweilige Folgeworts, sodass diese eine Silbe mit dem darauffolgenden Vokal bildet. Sie tritt zwischen zwei Worten auf, wenn das Folgewort mit einem betonten Vokal folgt. Dagegen wird der Konsonant nie ausgesprochen, wenn er das Ende einer Äußerung bildet oder wenn beim Folgewort die Betonung auf dem Konsonanten liegt. Die Liaison wird ausgesprochen im Beispiel petit écureuil, jedoch nicht im Beispiel petit veau. Eine Studie von Boe und Tubach (1992) hat gezeigt, dass die meisten Liaisons mit n, z und t gebildet werden. Auch wird zwischen verschiedenen Arten der Liaison unterschieden. Die liason obligatoire (obligatorische Liason) wird nach den Verb-Gruppen on, nous, vous, ils und elles ausgesprochen. Zugleich wird die liason obligatoire auch nach den Nominalwörtern un, des, les, ces, mon, ton, son mes, tes, ses, nos, vos leurs, aux, aucun, tout, quels, quelles und allen Zahlen ausgesprochen. Das gleiche gilt für kurze Adverbien wie beispielsweise im Satz Marc est plus occupé que Luc. Auch gilt die Liason obligatoire für feststehende Ausdrücke wie avant-hier, cest-à-dire, de temps en temps, plus ou moins, un sous-entendu, tout à coup und tout à l'heure.

Anders als bei der obligatorischen Liaison darf bei der liason interdit die Liason nicht gesetzt werden. Das gilt primär für das h aspiré, wie beispielsweise im Falle des Satzes ce sont des héros. Ebenso wird im Falle eines Nomens und eines darauffolgenden Adjektivs die Liaison nicht gesetzt Dies gilt beispielsweise im Satz C'est un étudiant intelligent. Auch darf die Liason nicht nach einem Subjekt und einem darauffolgenden Verb, wie in dem Satz le train arrive ausgesprochen werden. Wie im Fall der liason obligatorie, gibt es auch bei der lisaon interdit bestimmte Worte die kategorisch nicht mit der Liaison genutzt werden. Das gilt für die Wörter quand, comment und combien, nach denen allesamt keine Liason folgt.

Innerhalb dieser Arbeit soll die französische Liaison näher untersucht werden und dabei die verschiedenen Theorien dargelegt werden. Hierbei soll der phonologische Prozess an Hand von einer Theorie und dem Beispiel der drei Aussprachemöglichkeiten des Wortes plus näher dargelegt werden. Zu dem Zweck ist diese Arbeit wie folgt strukturiert. Zuerst wird in einem kompakten Abriss die Diachronie bzw. die historischen Fakten zur Liaison vorgestellt. Im Anschluss werden die entsprechenden Theorien einzeln vorgestellt und anhand von Beispielen dargestellt. Nach der Theorieübersicht wird die Liaison mit Hilfe der Optimalitätstheorie am Wort plus angewandt. Am Ende werden die wichtigsten Punkte zusammengefasst und ein Ausblick auf weitere Tendenzen der prozessphonologischen Theorien gegeben.

2. Diachronie/Historische Fakten zu der Liaison

Sprachliche Phänomene lassen sich am besten nachvollziehen, wenn man sie aus sprachhistorischer Sicht betrachtet. In der französischen Sprache gibt es genau zwei phonologische Auffälligkeiten, die viele Fragen aufwerfen. Wie das h aspiré so ist auch die französische Liaison historisch bedingt. Laut Bußmann (2002:409) ist die Liaison „Ausspracheregelung [...], der zufolge ein an sich stummer wort-finaler Konsonant [...] artikuliert wird, wenn er vor einem mit Vokal [oder Gleitlaut] anlautenden Wort auftritt.“ Um das sprachliche Phänomen der französischen Liaison besser verstehen nachvollzuziehen zu können, ist es sinnvoll sie aus einem diachronischen Blickwinkel zu betrachten. Die Liaison ihren Ursprung im Altfranzösischen. Eine Veränderung in der Aussprache setzte ab dem 12. Jahrhundert ein, da „silbenschließende Konsonanten im Wortinlaut und im Wortlaut verstummten, zunächst vor einer konsonantisch auslautenden Folgesilbe, später aber auch im absoluten Auslaut“. (Meisenburg 1998:131) Um einen Hiatus zu vermeiden, wurden vor Wörtern, die mit Vokal anfingen, der Auslautkonsonant weitergesprochen. Die Wörter wie sie im Französischen heute noch geschrieben werden, wurden im Altfranzösischen genauso gesprochen. Historisch bedingt ist die Liaison also ein Überrest der Aussprache finaler Konsonanten vor Vokal. (Pustka 2016:158) Vom 12. Bis 14.Jh. vollzog sich die Sonorisierung der Frikative vor Vokal, sodass die Liaison - Konsonanten /z/ (<s>) und /v/ (<f>) stimmhaft wurden. Eine weitere gravierende Veränderung war die Auslautverhärtung z.B. der Liaison Konsonant /t/ in grand. Im Laufe der diachronischen Entwicklung der Auslautverhärtung im Französischen wurde aus lat. GRANDEM>afr. grant; nfr. grand : grand ami [gKätami], wohingegen [gKädami] die feminine Aussprache von grande amie ist. (Pustka 2016:158) Der historische Ursprung der Liaison ist also rein phonetisch bedingt, jedoch erfüllt sie aber auch phonologische Funktionen. Durch die sprachhistorische Betrachtung der Liaison wird mehr als deutlich, dass das Altfranzösische mit ihren Lautwandelprozessen prägend für die Entstehung der Liaison war.

3. Theorien

In der modernen Sprachwissenschaft wird die Phonologie nicht mehr isoliert betrachtet, sondern in Interaktion mit anderen Ebenen der Sprache z.B. Morphologie, Syntax, Lexikon sowie Graphie. Im Gegensatz dazu steht der strukturalistische Ansatz, der die Phonologie isoliert darstellt und sie lediglich als Lehre von den Systemen bedeutungsunterscheidener Einheiten definiert. Ziel der der modernen Phonologie ist es das Augenmerk auf die phonologischen Prozesse zu legen. Doch was sind phonologische Prozesse überhaupt und wie können diese dargestellt bzw. mit welchen Mitteln untersucht werden? Meibauer (2002:97­99) zufolge „sind Phonologische Prozesse systematische Auslassungen oder Ersetzungen von Sprachlauten. In einer konkreten Umgebung von Lauten kommt es zu verschiedenen phonologischen Prozessen. Diese phonologischen Prozesse führen zu bestimmten Ausspracheregeln. Durch diese Regeln können Prozesse formal beschrieben werden. Insgesamt werden fünf Typen von Phonologischen Prozessen unterschieden: Assimilation, Dissimilation, Elision (Tilgung eines Segments), Epenthese (Einfügung eines Segments) und Neutralisierung“. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Modellierung von phonlogischen Prozessen hat in der modernen Sprachwissenschaft zu vielen Diskussionen geführt. Die Wissenschaftler der modernen Sprachwissenschaft haben festgestellt, dass die Phonologischen Prozesse in Form phonologischer Regeln erfasst werden müssen. Elisa Pustka setzt sich in Ihrem Buch „Einführung in die Phonetik und Phonologie des Französischen“ auseinander und hat der theoretischen Modellierung von Prozessen ein ganzes Kapitel gewidmet. Insgesamt werden vier verschiedene Theorien zur Darstellung von phonologischen Prozessen unterschieden. Dabei handelt es sich um die Generative Phonologie, die Optimalitätstheorie, die Autosegmentale Theorie und die Exemplaristische Theorie. In den nachfolgenden Abschnitten werden die einzelnen Theorien untersucht und anhand von Beispielen näher erläutert

3.1. Generative Phonologie

Die generative Phonologie wurde in dem Jahr 1968 von Noam Chomsky und Moris Halle mit dem Hauptwerk „The Sound of Pattern English “ (SPE) begründet. Innerhalb der SPE- Phonologie wird die Sprache nicht wie beim Strukturalismus auf der Ebene der langue betrachtet, sondern der Schwerpunkt liegt auf der Kompetenz des Sprechers, die sich aus der Universalgrammatik (UG) und dem individuellen Einzelwissen der Sprache des Sprechers zusammensetzt. Ziel der generativen Phonologie ist es aus den Repräsentationen und Regeln phonologische Prozesse abzuleiten. Dies ist insbesondere für das Phänomen der Liaison interessant, da diese und die Elision auf ein einziges Thema zurückgeführt, nämlich die Wortkürzung an einer schwachen Stelle. (Pustka 2016: 78,172) Doch wie lässt sich das ganze theoretisch modellieren? Zunächst muss definiert werden, dass die generative Phonologiekomponente ein Bestandteil der generativen Grammatik ist, die der Syntax nachgeschaltet ist und deren Ausgabe weiterverarbeitet. Bei der Eingabe einer Phonologiekomponente unterscheidet man zwischen zwei Formen. Dabei handelt es sich um die sogenannte zugrundeliegende Form und die tatsächlich realisierte Form, die durch phonologische Regeln in die Oberflächenrepräsentation (phonetische Repräsentation/Form) überführt wird. „Die Repräsentationen, die als eine ungeordnete Liste im mentalen Lexikon angelegt sind, bestehen aus Aneinanderreihungen von Bündeln distinktiver Merkmale und morphosyntaktischen Grenzsymbolen “. (Pustka 2016:79) Konvertiert man z.B. vous écrivez nach der generativen Phonologie, ergibt sich nach Pustka daraus die folgende Schreibweise:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 50: Graphische Konventionen in der generativen Phonologie

Wie sich der Darstellung entnehmen lässt konvergiert die zugrunde liegende Repräsentation stark von der tatsächlichen realisierten Form. Daraus ergibt sich, dass in einem bestimmten Kontext ein bestimmtes Phonem genauso realisiert wird, wie es die phonetische Regel vorgibt. Abstrahiert man den phonologischen Prozess in eine Formel (1), so ergibt sich daraus:

2) Wortkürzungsregel:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Pustka überführt diese ökonomische Regel auf die Liaison sowie die Elision. Ein konkretes

Beispiel (1) für die Anwendung der Wortkürzungsregel für petit / pâtit / und le /la/vor Vokal mit ami und Konsonant vor copain.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Pustka 2016:173)

Das Beispiel verdeutlicht noch einmal die Anwendung der Wortkürzungsregel. Wenn alpha positiv ist, wird die Liaison vor einem Konsonanten nicht realisiert. Ist alpha jedoch negativ, so wird die Elision vollzogen. In diesen Fall wurde das /a/ von le vor ami elidiert l'ami.

Das Modell der generativen Linguistik hat die phonologische Forschung in der Vergangenheit nachhaltig beeinflusst und stieß zunächst auf sehr viel Zuspruch. Sie birgt jedoch auch einige Kritikpunkte. Wie schon bereits erwähnt, stellt die generative Phonologie die Kompetenz des Sprechers in den Vordergrund, die sich aus der angeborenen Universalgrammatik und aus einer individuellen Einzelsprache zusammensetzt. Dabei wird aber von einem idealen Sprecher-Hörer ausgegangen, der so in der Realität nicht existiert. Ein weiterer Aspekt ist, dass der Generativismus in Bezug auf die Wortkürzungsregel bei der Liaison nicht zwischen stabilen finalen Konsonanten und variablen Konsonanten unterscheidet. Dadurch könnten nämlich auch stabile Konsonanten elidiert werden. (Pustka 2016: 173). So bleibt auch die Tatsache unbeachtet, dass Sprache kein starres Konstrukt ist, sondern einem ständigen Wandel unterliegt. werden Die diachronischen und diatopischen Faktoren, die eine Sprache auch beeinflussen, werden außer Acht gelassen. Durchaus hat die generative Linguistik auch positive Aspekte. Insbesondere beim Fremdspracherwerb kann diese Theorie nützlich sein, um grammatische Regeln zu erörtern oder andere phonologische Phänomene wie die Liaison herzuleiten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die theoretische Modellierung phonologischer Prozesse. Eine Analyse am Beispiel der Liaison des Wortes "plus"
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Pro-Seminar : Französische Phonetik und Phonologie
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
15
Katalognummer
V1180812
ISBN (Buch)
9783346601315
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Phonetik und Phonologie, Theoretische Modellierung phonologischer Prozesse Linguistik, Französische Phonetik und Phonologie
Arbeit zitieren
Natalie Paggel (Autor:in), 2020, Die theoretische Modellierung phonologischer Prozesse. Eine Analyse am Beispiel der Liaison des Wortes "plus", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1180812

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