Sozial-ökologische Transformation als Auftrag für die Soziale Arbeit

Zur Relevanz von imperialer Lebensweise, Klimagerechtigkeit und Postwachstum für die Soziale Arbeit


Tesis (Bachelor), 2021

62 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zur Relevanz einer sozial-ökologischen Transformation
2.1 Die globale Klimakrise
2.2 Das Ende des Wachstums?
2.3 Die imperiale Lebensweise
2.3.1 Zur Entstehung der imperialen Lebensweise
2.3.2 Imperiale Lebensweise als Verursacherin sozial-ökologischer Krisen

3 Klimagerechtigkeit als Bindeglied zwischen Sozialer Arbeit und sozial-ökologischer Transformation
3.1 Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession und Verfechterin sozialer Gerechtigkeit
3.2 Klimagerechtigkeit
3.2.1 Dekoloniale Perspektiven auf Klimagerechtigkeit
3.2.2 Geschlechtergerechtigkeit in der Klimadebatte
3.2.3 Menschen mit Beeinträchtigungen in Klimagerechtigkeitsdebatten
3.2.4 Klimagerechtigkeit und Soziale Arbeit

4 Ansätze zum Gelingen einer sozial-ökologischen Transformation 38
4.1 Postwachstumsansätze
4.1.1 Konkrete Transformationsansätze in Postwachstumsdiskursen
4.1.2 Kritik an Postwachstumsdebatten
4.2 Buen Vivir als dekoloniales Konzept für Transformationsprozesse
4.3 Aufgaben für die Soziale Arbeit

5 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Das Leben von Menschen auf der ganzen Welt wird zunehmend von multiplen sozialen und ökologischen Krisen bedroht: Erderwärmung, Flutkatastrophen, Dürren, Ressour­cenknappheit, Artensterben, Ernteausfälle, Landflucht, Ausbeutung von Arbeitskraft und Verarmung sind nur ein paar der Bedrohungen. Die Liste ist lang und könnte noch weiter fortgeführt werden. Diese Krisen entstanden durch menschliches Handeln. Dabei ist der Hauptverursacher der globale Norden, welcher unter anderem durch seine impe­riale Lebensweise maßgeblich dazu beiträgt, dass Ressourcen und Menschen ausgebeu­tet werden und die Klimakrise immer weiter voranschreitet (vgl. Brand/ Wissen 2017: 13). Stephan Lessenich führt dies folgendermaßen aus:

„Die reichen, hoch industrialisierten Gesellschaften dieser Welt lagern die ne­gativen Effekte ihres Wirtschaftens auf Länder und Menschen in ärmeren [...] Weltregionen aus. Die wohlhabenden Industrienationen nehmen diese negativen Auswirkungen nicht nur systematisch in Kauf. Sie rechnen vielmehr mit ihnen und diese rechnen sich für sie.“ (Lessenich 2018a: 24)

Weiter betitelt er dieses Vorgehen als Externalisierung. Er benennt damit das Ausbeuten von fremden Ressourcen und das Abschieben von Kosten auf Außenstehende bei gleichzeitigem Aneignen von Gewinnen (vgl. ebd.: 24f.). Diese Externalisierungs- und Ausbeutungsprozesse sind lange bekannt und werden gesellschaftlich und wissenschaft­lich immer wieder diskutiert und verurteilt. Seit einigen Jahren hat der Diskurs erneut Fahrt aufgenommen. Der Druck auf Politik und Wirtschaft nimmt zu und es werden Lösungen gefordert. Soziale und ökologische Fragen werden immer häufiger zusam­mengedacht, weshalb viele eine sozial-ökologische Transformation erwirken wollen (vgl. Brand 2016: 277). Diese sollte die Gesellschaft so verändern, dass jene Krisen erfolgreich bearbeitet werden können (vgl. Brand 2014: o.S.). Trotzdem ist diese tief­greifende global benötigte Veränderung bisher ausgeblieben. Auch sieht Ulrich Brand (2014: o.S.) bisher keine Möglichkeit, durch eventuelle Parteienbündnisse in Deutsch­land eine tiefgreifende Transformation auf politischer Ebene durchzusetzen. Stattdessen wird sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft viel sogenanntes Greenwashing betrieben, also der Versuch, sich im Außen möglichst umweltfreundlich zu zeigen, im Inneren jedoch aus ökonomischen Gründen umweltschädliche Strukturen aufrechtzuer­halten (vgl. Stamm 2021: 90).

Währenddessen stellt auch die Soziale Arbeit in vielen Professionsbereichen fest, dass Änderungen im Hinblick auf die multiplen sozial-ökologischen Krisenlagen vollzogen werden müssen. Was damit jedoch genau gemeint ist, darüber wird aktuell noch disku­tiert. Konkretes Bewusstsein für die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Trans­formation ist bisher eher ein Nischenprodukt (vgl. Liedholz 2021a: 7). Wird die Soziale Arbeit jedoch als Menschenrechtsprofession nach Silvia Staub-Bernasconi angesehen, so ist es durchaus verwunderlich, dass bisher noch kaum ein Zusammenhang zwischen eigener Profession und einer sozial-ökologischen Transformation erkannt wird. Schließ­lich sollen die Menschenrechte es ermöglichen, Bedürfnisse befriedigen zu können. Wenn jedoch aufgrund der multiplen sozial-ökologischen Krisen Menschen keinen Zu­gang zu natürlichen Ressourcen haben oder aufgrund von Umweltkatastrophen aus ihrer Heimat fliehen müssen, ist die Erfüllung der Bedürfnisse nicht möglich und es kommt zu Menschenrechtsverletzungen (vgl. Dreyer/ Klus 2017: 67ff.). Somit ist eine intakte Umwelt Grundvoraussetzung für die Einhaltung der Menschenrechte (vgl. Stamm 2021: 84). Des Weiteren findet zwar das Konzept der (sozialen) Umwelt in der Theorienland­schaft der Sozialen Arbeit in unterschiedlichen Kontexten Anwendung, jedoch ist damit primär ein personenzentrierter Umweltbegriff gemeint. Die natürliche Umwelt findet dabei kaum Beachtung. Ökologische Krisenphänomene werden also nach wie vor kaum als relevant für die deutschsprachige Soziale Arbeit wahrgenommen (vgl. Stamm 2021: 9f.).

Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, neue Impulse zu setzen, um ökologische Gesichtspunk­te auch in der Sozialen Arbeit anzusiedeln. Im Zentrum der vorliegenden Bachelorarbeit steht dabei besonders die Relevanz einer sozial-ökologischen Transformation für die Gesellschaft und die Bedeutung der Sozialen Arbeit für die Umsetzung eben dieser. Dabei soll auch darauf eingegangen werden, welche Rolle theoretische Konzepte wie die imperiale Lebensweise, die Klimagerechtigkeit und Postwachstumsdiskurse dabei spielen. Die primären Fragestellungen, die sich daraus für diese Arbeit ableiten lassen, lauten:

Warum ist eine sozial-ökologische Transformation nötig? Weshalb besteht für die Sozi­ale Arbeit ein Auftrag, an einer sozial-ökologischen Transformation zu wirken und was kann sie dazu beitragen? Welche Rolle spielen dabei die imperiale Lebensweise, Kli­magerechtigkeit und Postwachstumsansätze?

Diese Fragestellungen werden in drei Hauptkapiteln beantwortet. Das erste Kapitel be­schäftigt sich dafür mit einer sozial-ökologischen Transformation als solcher. Nach ei­nem kurzen Definitionsversuch soll anhand von ausgesuchten Krisenphänomenen ana­lysiert werden, weshalb die Transformation gesellschaftlicher Strukturen eine Notwen­digkeit besitzt. Dafür werden die Themen Klimakrise, das Wachstumsparadigma kapita­listischer Gesellschaften des globalen Nordens und das Konzept der imperialen Le­bensweise nach Ulrich Brand und Markus Wissen (2017) näher betrachtet. Nachfolgend stellt sich im zweiten Hauptkapitel die Frage, welche Berührungspunkte die Soziale Arbeit mit einer sozial-ökologischen Transformation hat und weshalb diese deutlich mehr als ein kleines Nischenthema in Theorie und Praxis darstellt bzw. darstellen sollte. Dabei werden Diskurse zu Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit erläutert und diese verbunden mit der Relevanz einer sozial-ökologischen Transformation. Eine hohe Bedeutung hat diesbezüglich auch das Konzept der Klimagerechtigkeit, welches in die­ser Arbeit besonders auf Verbindungen zu dekolonialen Perspektiven, Geschlechterge- rechtigkeit sowie Beeinträchtigung und Klima untersucht wird. Das letzte Hauptkapitel beschäftigt sich schließlich mit Ansätzen zum Gelingen einer sozial-ökologischen Transformation. Dafür werden im Speziellen Postwachstumsdiskurse und seine prakti­schen Ansätze, sowie das Konzept Buen Vivir dargestellt. Anschließend geht es um mögliche Aufgaben der Sozialen Arbeit, die zu einem Gelingen einer sozial­ökologischen Transformation beitragen. Daran schließt sich das Fazit und ein kurzer Ausblick an, wobei abschließend die oben genannten Fragestellungen beantwortet wer­den.

Zu Beginn muss erwähnt werden, dass diese Arbeit nicht für sich beansprucht, eine vollständige Darstellung und Analyse der überaus komplexen Thematik zu bieten. Vielmehr möchte sie einen ersten wissenschaftlichen Problemaufriss anhand ausge­wählter Themengebiete darstellen und so die Möglichkeit schaffen, Soziale Arbeit und sozial-ökologische Transformation zusammenzudenken. Klassische Theorien, Modelle und Methoden der deutschsprachigen Sozialen Arbeit werden in dieser Arbeit bewusst eher vernachlässigt, da jene sich seit ca. 25 Jahren in Richtung therapeutischer und ma- nagementorientierter Zugänge und einer reaktiven, individualisierten Sozialen Arbeit entwickelt haben (vgl. Elsen 2018: 1059; 1061). Somit sind sie für sozial-ökologisch transformative Ansätze in dieser Arbeit nicht von großer Relevanz. Ausnahmen bilden hier die Menschenrechte, die soziale Gerechtigkeit sowie die Gemeinwesenarbeit, wel­che in den folgenden Kapiteln Anwendung finden.

Diese Arbeit hat selbstverständlich den Anspruch, möglichst objektiv und inklusiv zu sein. Trotzdem soll transparent offengelegt werden, dass sie aus einer gewissen gesell­schaftlichen Position heraus und mit einer bestimmten Perspektive geschrieben wurde: Die Autorin ist als weiße Person in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert und agiert demnach selbst in diesem System mit ungerechten, unsozialen und umweltschäd­lichen Strukturen. Jedoch ist das Bewusstsein dafür vorhanden, dass sie somit durchaus privilegiert lebt.

2 Zur Relevanz einer sozial-ökologischen Transformation

Krisenphänomene wie die Klimakrise oder die Ausbeutung des globalen Südens1 sind seit ein paar Jahren erneut immer häufiger zum gesellschaftlichen Thema geworden. So hat sich gerade aus der jüngeren Generation heraus beispielsweise durch die Fridays for Future Bewegung ein aktivistischer Gegenpol gebildet, welcher die sozialen und ökolo­gischen Krisen dieser Zeit stark kritisiert und verändern will (vgl. Stamm 2021: 139). Dabei reicht es nicht aus, sich auf aktuellen allgemein gegenwärtigen Nachhaltigkeits­und Ökologiedebatten auszuruhen, da diese vielerorts nicht viel mehr sind als Green­washing und den Kern der Problematiken nicht angreifen (vgl. Brand 2016: 278). Der bevorstehende Transformationsprozess muss also deutlich mehr bewerkstelligen, als lediglich eine klimaverträgliche Gesellschaft innerhalb etablierter politischer Systeme zu schaffen. Vielmehr muss er über aktuelle kapitalistische Strukturen radikal hinaus gehen (vgl. Brand 2016: 277; Brand/ Wissen 2017: 31ff.). Auch wäre es ungenügend, auf ein Handeln seitens der Politik zu warten. Schließlich wird dabei vergessen, dass sie keinen Gegenpol zu den Krisenphänomenen darstellt, sondern selbst, genauso wie der Staat, Teil davon ist (vgl. Brand/ Wissen 2017: 15). Susanne Elsen (2011: 9) plädierte bereits 2011 für eine radikale Veränderung auf sozial-ökologischer Ebene, um mög­lichst viele Menschenleben zu retten. Hierbei stellt sich die Frage, wie diese Verände­rung ausgestaltet wird: „By design or by desaster“ (Paech 2019: 143). Um einem Desas­ter zu entgehen und die multiplen Krisen dieser Gesellschaft zu lösen, arbeiten viele Menschen und Bewegungen mittlerweile auf eine konsequente sozial-ökologische Transformation hin (vgl. Brand/ Wissen 2017: 28).

Ein Problem bei der Auseinandersetzung mit einer sozial-ökologischer Transformation ist, dass der Diskurs zur Thematik mittlerweile zwar sehr breit gefächert, eine einheitli­che Definition jedoch nicht aufzufinden ist und der Begriff der Transformation so erst einmal wenig konkret bleibt (vgl. Brand/ Wissen 2017: 29). Häufig ist auch von einer ökosozialen Transformation die Rede, ohne dass ein nennenswerter inhaltlicher Unter­schied zu sozial-ökologischer Transformation festzustellen wäre.

Da diese Arbeit aus sozialarbeiterischer Perspektive geschrieben wurde und somit das Soziale mehr im Vordergrund steht, wurde sich im Titel für die Bezeichnung sozial­ökologische Transformation entschieden. Eine ökosoziale Transformation ist jedoch immer mitgemeint.

Um näher fassen zu können, was diese Arbeit unter einer sozial-ökologischen Trans­formation versteht, wird zu Beginn ein Definitionsversuch unternommen: Das Wort Transformation besteht aus zwei Worthälften. Die erste Hälfte trans bezeichnet ein Überschreiten oder ein über-etwas-hinausgehen. Die zweite Worthälfte formation be­deutet so viel wie Bildung oder Gestaltung. Zusammengesetzt meint Transformation also die Überwindung einer Form, Gestalt oder eines Musters (vgl. Becker/ Jahn 2006: 261). Dabei geht es bei einer Transformation nicht nur um eine Modernisierung oder eine lineare Entwicklung von einzelnen gesellschaftlichen Aspekten. Es handelt sich vielmehr um komplexe, fundamentale Veränderungen, welche häufig mit Brüchen und Diskontinuitäten einhergehen (vgl. ebd.: 265f.). Transformation meint also einen tief­greifenden Wandel von sozialen, kulturellen, technologischen, politischen, wirtschaftli­chen und rechtlichen Aspekten einer Gesellschaft (vgl. Brand/ Wissen 2017: 29). Bei einer sozial-ökologischen Transformation liegt der Fokus nun speziell auf den aktuellen sozialen und ökologischen Bedingungen, welche weder für Mensch noch für natürliche Umwelt weiterhin tragbar sind und deshalb grundlegend verändert werden müssen. Es geht also um einen Pfadwechsel vor allem in Ländern mit hohen Treibhausgasemissio­nen, um eine lebensfähige und lebenswerte Gesellschaft zu erschaffen (vgl. Schmelz 2021: 222).

Doch warum genau wird eine sozial-ökologische Transformation von gesellschaftlichen Strukturen benötigt? Welche Krisen gilt es zu bewältigen? Diese Fragen sollen nun auf­gegriffen und in Ansätzen bearbeitet werden, um für den Einstieg in diese Thematik einen ersten Überblick zu geben. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird dabei nicht erhoben, da die Themen in ihrer Komplexität nicht im Rahmen einer Bachelorarbeit zu bearbeiten sind. Der Fokus liegt daher in den nachfolgenden Unterkapiteln auf der glo­balen Klimakrise, dem kapitalistischen Wachstumsparadigma des globalen Nordens und der imperialen Lebensweise desselben.

2.1 Die globale Klimakrise

Wie bereits lange wissenschaftlich belegt ist, steht der Erde ein globaler, menschenge­machter Klimakollaps bevor, wenn keine grundlegende Veränderung eintritt. Bald wer­den viele Teile der Erde, besonders im globalen Süden, nicht mehr bewohnbar sein (vgl. Winkler 2021: 48). So zeichnet nicht nur Elsen (2011: 9) ein sehr düsteres Zukunftsbild, wenn sie das US-Verteidigungsministerium zitiert, welches vor dem Ende unseres Zivi­lisationsmodells und einem drohenden Kampf um endliche Ressourcen und das bloße Überleben warnt. Der Meeresspiegel steigt und immer mehr Regionen werden von Überschwemmungen oder Hurrikans heimgesucht (vgl. McKibben 2019: 20). Das letzte Jahrzehnt war das heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Erde hat sich im Ver­gleich zum vorindustriellen Zeitalter bereits um mehr als ein Grad Celsius erwärmt. Bis 2100 könnte laut neustem IPCC-Bericht2 die Durchschnittstemperatur je nach Szenario zwischen 1,0 Grad Celsius und im schlimmsten Fall sogar bis zu 5,7 Grad Celsius an­steigen (vgl. IPCC 2021: SPM14). Die Frage ist demnach längst nicht mehr, ob sich die Durchschnittstemperatur noch weiter erhöht, sondern ausschließlich nur noch, um wie viel Grad Celsius. Je wärmer es wird, desto katastrophaler werden dabei auch die Aus­wirkungen des Temperaturanstieges ausfallen. Insbesondere verweist der Bericht auf zunehmende Niederschlags- und Temperaturextreme an Land, sowie auf häufigere Dür­reperioden (vgl. ebd.: SPM18). Diese Phänomene führen weltweit unter anderem zu Ernteausfällen, Wasserknappheit, Waldbränden, Hungersnöten und Hitzetoten (vgl. Liedholz 2021a: 31ff.; Pieper 2020: 43). Die klimatischen, menschengemachten Verän­derungen haben bereits erwirkt, dass von Geolog*innen3 2016 während eines Kongres­ses in Südafrika das neue Erdzeitalter des Menschen, das Anthropozän ausgerufen wur­de (vgl. Schmelzer 2021: 220f.).

Verursacht wird die Klimakrise durch die überschüssigen Treibhausgase, welche nicht vollständig von der Biosphäre aufgenommen werden können und somit, gesammelt in der Atmosphäre, den Temperaturanstieg verursachen (vgl. Winkler 2021: 48) So muss an dieser Stelle die Frage nach den Verursacher*innen der Emissionen gestellt werden, da natürlicherweise nicht zu viel CO2 ausgestoßen werden würde. Dabei wird deutlich: Der globale Norden verbraucht im Durchschnitt viel mehr CO2, als der globale Süden. So hat das reichste Prozent der Weltbevölkerung (63 Mio. Menschen) zwischen 1990 und 2015 mehr als doppelt so viel verbraucht, wie die gesamte ärmere Hälfte der Welt­bevölkerung zusammen (vgl. Schmelz 2021: 222). Besonders hoch ist der Anteil der Treibhausgasemissionen im Energie- und Industriesektor, gefolgt von Verkehrssektor und Gebäudesektor. Es geht dabei besonders um die gesteigerte Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas, welche laut IPCC zurückzuführen ist auf das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum seit 1970 (vgl. Liedholz 2021a: 35). An dieser Stelle kritisiert Yannick Liedholz die Aussage des IPCC, dass ein Bevölkerungswachs­tum genauso verantwortlich für einen Anstieg der CO2-Emissionen sei wie das Wirt­schaftswachstum. Er sieht eine solche Ursachenanalyse als undifferenziert an, so be­rücksichtige sie nicht, dass Menschen im globalen Norden im Durchschnitt einen viel größeren ökologischen CO2-Fußabdruck haben als Menschen im globalen Süden (vgl. Liedholz 2021a: 35): Eine Person, die in Deutschland lebt, emittiert so pro Jahr 9,2 Tonnen CO2, während eine Person in Tansania im gleichen Zeitraum auf 0,2 Tonnen CO2 kommt (vgl. Brunnengräber/ Dietz 2016: 159). Auch, wenn ein Bevölkerungs­wachstum bei der Ursachenanalyse nicht vollkommen ignoriert werden sollte, so kön­nen Bevölkerungsgruppen aus dem globalen Süden mit einem vergleichsweise geringen ökologischen CO2-Fußabdruck wohl kaum genauso verantwortlich für die Klimakrise sein, wie Bevölkerungsgruppen mit höheren Werten aus dem globalen Norden (vgl. Liedholz 2021a: 36). Gabriele Winkler (2021: 49) weist weiter darauf hin, dass die zu­rechenbaren Emissionen höher steigen, je höher auch das Einkommen von Personen ist. Es darf außerdem nicht außer Acht gelassen werden, dass Länder des globalen Südens erst vor relativ kurzer Zeit überhaupt damit begonnen haben, CO2 zu emittieren, wäh­rend der globale Norden dies schon seit über 100 Jahren tut.

Es lässt sich abschließend festhalten, dass die Klimakrise durch das vermehrte Aussto­ßen von CO2 im globalen Norden entstanden ist, welches sich in den letzten Jahrzenten durch das Voranschreiten der kapitalistischen, imperialen Lebensweise noch einmal drastisch erhöht hat. Menschen im globalen Süden tragen demnach weniger Verantwor­tung für die Klimakrise. Dennoch sind sie durch mehr Dürreperioden und Ernteausfälle jedoch schon jetzt deutlich stärker von ihr betroffen (vgl. Ife 2010: 85). Diesem Argu­mentationsstrang soll im Laufe der Arbeit weiter gefolgt werden.

Nachfolgend wird das kapitalistische Wirtschaftssystem des globalen Nordens näher beleuchtet und dabei auch herausgestellt, was es, abseits der Klimakrise, für weitere Problematiken verursacht.

2.2 Das Ende des Wachstums?

Aktuell besteht ein kapitalistisches, patriarchales Gesellschaftssystem im globalen Nor­den, welches, wie eben ausgeführt, die Klimakrise zu verantworten hat (vgl. Poma 2018: 261). Dies ist allerdings nicht die einzige Katastrophe, die durch dieses System entstanden ist. Mit der imperialen Lebensweise ist es unter anderem auch für men­schenunwürdige Lebensverhältnisse verantwortlich (vgl. Brand/ Wissen 2017: 167). Dies wird im nächsten Unterkapitel näher erläutert. Weiter sehen sozial-ökologische Transformationsbestrebungen den kapitalistischen Wachstumszwang als eine Ursache für die multiplen sozial-ökologischen Krisen an (Schmelzer 2015: 121). Aus diesem Grund wird dieser nachfolgend dargestellt.

Das kapitalistische Wirtschaftssystem, welches in seiner Grundsubstanz auf die Maxi­mierung von Profit ausgelegt ist, sorgt dafür, dass endliche Ressourcen wie zum Bei­spiel Erdöl, Braunkohle oder Lithium immer knapper auf der Erde werden (vgl. Elsen 2018: 1058). Natur und Mensch werden für die Gewinnung dieser kurzfristig genutzten Ressourcen ausgebeutet. Neben dieser Ausbeutung ist es besonders problematisch, dass ein Ende der natürlich vorkommenden Rohstoffe schon lange ersichtlich ist und Ver­antwortliche in Politik und Wirtschaft trotzdem nach wie vor unendliches Wirtschafts­wachstum und materiellen Wohlstand propagieren, anstatt die offensichtlich benötigte Notbremse zu ziehen (vgl. Elsen 2011: 10). Weitere Phänomene des kapitalistischen Wachstumszwanges, die ebenso schädlich für Mensch und natürliche Umwelt sind, sind unter anderem das Überfischen der Meere, Wasserknappheit in immer mehr Regionen der Welt oder giftige Chemikalien an und in Nahrungsmitteln (vgl. Ife 2010: 84). Auch die staatlichen Instanzen, die eigentlich eben solche schädlichen Entwicklungen abwen­den und den Markt bis zu einem gewissen Punkt regulieren sollten, sind selbst vom Wachstumszwang vereinnahmt worden und werden somit selbst immer mehr zum Prob­lem. Michael Müller spricht deshalb von einer vollkommen entmoralisierten Wirt­schaftsordnung durch die „Aufkündigung des Sozialstaates“ (Müller, M. 2014: o.S.). So häufen sich beispielsweise Fälle von Deregulierung oder Privatisierung von ehemals staatlichen Institutionen und Einrichtungen, von denen mitunter auch die Soziale Arbeit nicht verschont wurde. Auch werden Wohlhabende und große Unternehmen steuerlich immer weiter entlastet (vgl. Elsen 2011: 10; Schmelz 2021: 224).

Nach wie vor gilt offiziell, trotz der eben genannten Probleme, Wirtschaftswachstum als Schlüssel zu gesellschaftlichem Wohlstand und Lebenszufriedenheit. Bis zu einem ge­wissen Punkt war dieser Zusammenhang auch zumindest in Wirtschaftssystemen des globalen Nordens gegeben. Nach Überschreiten dieses Punktes durch Wirtschafts­wachstum steigt die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung jedoch kaum noch an und dieser Punkt ist in den meisten Ökonomien des globalen Nordens bereits überschritten worden (vgl. Seidl/ Zahrnt 2010: 31). Gemessen wird das Wirtschaftswachstum anhand des Bruttoinlandsprodukts (BIP) (vgl. ebd.: 24). Umsatzwachstum von Unternehmen zählt jedoch dabei genauso zu der gemessenen Wirtschaftsleistung wie Unfälle, Um­weltkatastrophen oder Krankheiten, welche sich aufgrund von Schadensbehebungen, Behandlungen und Medikamentengabe positiv auf das BIP auswirken, obwohl sie of­fensichtlich nicht förderlich für das Wohl der betroffenen Menschen sind. Umgekehrt werden wohlfahrtsschmälernde Kategorien „wie Luftverschmutzung, Lärm, Zerstörung der Biodiversität, Bodenversiegelung [oder, d. Verf.in] Verlust von Bodenfruchtbarkeit“ (ebd.: 29) nicht negativ auf das BIP angerechnet. Außerdem fehlen ebenso wohlfahrts­steigernde Aktivitäten wie beispielsweise Care-Arbeit oder Ehrenamt (vgl. ebd.). Niko Paech (2019: 8f.) geht deshalb sogar so weit und fordert, dass das Bruttoinlandsprodukt nicht weiterhin für Wohlergehen in modernen Gesellschaften stehen sollte, sondern stattdessen für das Ausmaß der ökologischen Zerstörung der jeweiligen Gesellschaft. Ein erster Schritt wäre zumindest, Umwelt- und soziale Schäden, die durch Wirt­schaftswachstum verursacht werden, überhaupt in das BIP miteinzubeziehen (vgl. Seidl/ Zahrnt 2010: 29).

Trotz der gerade benannten Missstände ist ein Ende des Wachstumsparadigmas nach wie vor nicht in Sicht. Im Gegenteil: Solange politisch keine gravierende Veränderung eintritt oder sich die öffentliche Meinung nicht durchsetzt, dass der Markt es eben nicht richtet, werden Unternehmen weiterhin versuchen, natürliche Ressourcen „als 'Gratis­produktivkraft' zu nutzen“ (Brand/ Wissen 2017: 31). So leben Menschen nach wie vor in Konsumgesellschaften des globalen Nordens mehrfach über ihre Verhältnisse: Sie nutzen oder besitzen Dinge, die weit über ihre eigene Produktivkraft hinausgehen und die sie mit eigenen körperlichen Fähigkeiten nicht hätten erschaffen können und sie entgrenzen ihren Bedarf von lokalen Ressourcen (vgl. Paech 2019: 10). Das wird jedoch nur immer weiter in die sozialen und ökologischen Krisen führen. Elsen (2011: 13) re­sümiert diesbezüglich: Eine soziale und nachhaltige Entwicklung sei mit der aktuellen Ökonomie schlichtweg nicht möglich. Sie müsste durch eine andere Art des Wirtschaf­tens ersetzt werden. Jim Ife (2010: 86) ist ähnlicher Auffassung, wenn er darauf hin­weist, dass auch ein sogenannter grüner Kapitalismus oder grünes Wachstum, wie von einigen wirtschaftlichen Kräften als gute, umweltfreundliche Alternative vermarktet wird, ein Problem für einen endlichen Planeten darstellt. Ebenso wenig hält er davon, sich auf den technischen Fortschritt zu verlassen. Es sollte nicht darauf gehofft werden, dass dieser die vom kapitalistischen Wachstumszwang ausgelösten tiefgreifenden Kri­sen dieser Zeit lösen könne. Bei diesen Wirtschaftsformen ginge es ausschließlich wei­terhin darum, den Konsum neu anzukurbeln und noch mehr ökonomische Gewinne zu machen (vgl. Ife 2010: 86). Stattdessen schlägt auch er vor, den aktuellen Weg der Zer­störung zu verlassen und sich auf tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft, im Sozia­len und in der Politik einzulassen, um die menschliche Spezies zu retten und wieder innerhalb planetarer Grenzen zu wirtschaften (vgl. Ife 2010: 88).

Grundsätzlich lässt sich diesbezüglich sagen, dass Wachstum und Profitorientierung in der aktuellen Form Gesellschaften destabilisieren, wodurch weltweit immer unkontrol­lierbarere Krisen entstehen, weil sich Wirtschaftswachstum nicht ausreichend von Roh­stoff- und Energieverbrauch entkoppeln lässt (vgl. Schmelzer/ Vetter 2019: 24). Dies wird unter anderem an der eben erwähnten Ressourcenkrise besonders im globalen Sü­den oder auch an Unfällen oder Erkrankungen ersichtlich, die dann durch Medikation positiv zum BIP beitragen. Hier wird dringend ein radikales Umsteuern benötigt, um dem entgegenzuwirken (vgl. Brand 2014: 2f.). Eine sozial-ökologische Transformation soll hier also primär „jene Probleme und Krisen effektiv bearbeite[n, d. Verf.in], |.] die aufgrund des kapitalistischen - nicht nur des neoliberalen - Expansionsdrangs und der Profitorientierung entstehen“ (Brand 2016: 279).

Im nächsten Unterkapitel soll verdeutlicht werden, weshalb das Wachstumsparadigma so schwer zu überwinden ist und eine konsequente sozial-ökologische Transformation so langsam voranschreitet: Die imperiale Lebensweise ist ein großer Teil des Problems. Deshalb wird sich nachfolgend ausführlicher mit ihr auseinandergesetzt. Gleichzeitig wird versucht, dabei den Zusammenhang von sozialer, ökologischer Krise und dem Wirtschaftssystem des globalen Nordens zu verdeutlichen.

2.3 Die imperiale Lebensweise

Die imperiale Lebensweise wird von Brand und Wissen als „Kern der ökologischen Krise“ (Brand/ Wissen 2017: 42) dargestellt. Dass diese Betitelung nicht übertrieben ist, soll in diesem Unterkapitel herausgearbeitet werden. Mit ihrem Begriff der imperialen Lebensweise beschreiben die Autoren ein Zusammenspiel von Alltagspraxen der Men­schen im globalen Norden und den ihnen zugrunde liegenden gesellschaftlichen Kräfte­verhältnissen. Weiter erläutern sie, wie sich in einer Zeit der multiplen weltweiten sozi­al-ökologischen Krisen gleichzeitig Normalität herstellt und weshalb dies der größte Widerspruch und gleichzeitig auch das Ende der imperialen Lebensweise ist bzw. sein kann (vgl. ebd.: 14).

Bevor darauf näher eingegangen wird, soll zuerst ein Erläuterungsversuch des Begriffes der imperialen Lebensweise stattfinden: Das Adjektiv imperial betont „die globale und die ökologische Dimension der Lebensweise“ (ebd.: 45). Es verweist auf die Vergan­genheit des Imperialismus, ohne diesen als Begriff aufweichen zu wollen (vgl. ebd.: 67). Weiter werden auch bis heute andauernde globale Prozesse und Beziehungen des Imperialismus betrachtet. Der Begriff der Lebensweise ist angelehnt an den Lebensstil­Begriff, welcher durch Pierre Bourdieu geprägt wurde. Jener nimmt ungleiche gesell­schaftliche Verhältnisse wahr, die durch Handlungsmuster in den Körper von Individu­en eingeschrieben werden und so soziale Ungleichheit reproduzieren (vgl. ebd.: 47). Zusammengeführt verbindet der Begriff der imperialen Lebensweise das Alltagshandeln von Individuen mit gesellschaftlichen Strukturen, in denen Herrschaftsverhältnisse an­gelegt sind. Dabei soll „die soziale Hierarchisierung im globalen Norden als zentrale Dimension“ (ebd.: 17f.) herausgestellt werden. Außerdem wird davon ausgegangen, dass sich die imperiale Lebensweise, das damit einhergehende neokoloniale Nord-Süd­Verhältnis und Klassen-, Geschlechter und rassifizierte Verhältnisse nur reproduzieren können, wenn sie als natürlich in Alltagspraxen habituell eingeschrieben sind. Damit werden sie nicht länger als Struktur der Herrschaft wahrgenommen (vgl. ebd.: 45f.).

2.3.1 Zur Entstehung der imperialen Lebensweise

Dieses Unterkapitel kann keinen vollständigen Abriss über die Entstehung eines so komplexen Konzeptes geben. Trotzdem ist es wichtig, den historischen Kontext nicht außen vor zu lassen, da er Auswirkungen auf die Gegenwart hat und sich aktuelle Ent- wicklungen der imperialen Lebensweise mithilfe einer historischen Analyse einfacher nachvollziehen lassen. So soll durch dieses Kapitel ein grober Überblick über verschie­dene historische Stadien der imperialen Lebensweise gegeben werden.

Der Beginn der imperialen Lebensweise ist im 16. Jahrhundert im frühen Kolonialismus zu verorten, während europäische Siedler*innen gewaltvoll immer mehr Land im globa­len Süden an sich rissen (vgl. Brand/ Wissen 2017: 74). Gleichzeitig wurde in dieser Zeit durch den Kolonialismus auch der Grundstein für die globale Klimakrise gelegt (vgl. Muriel 2021: 00:07:20-00:07:30min.). Der Kolonialismus stellt also ein erstes Bindeglied zwischen imperialer Lebensweise und Klimakrise dar (vgl. Brand/ Wissen 2017: 13). Damals wurde bereits das System des Ressourcenextraktivismus ausgeübt, wofür versklavte Menschen ausgebeutet und die Kultur- und Wirtschaftsweisen der in­digenen Völker zum großen Teil zerstört wurden (vgl. ebd.: 74f.). Es entstand auch der Mythos einer wilden Natur, die gezähmt werden müsse, welcher in vielen Ländern des globalen Nordens bis heute anhält. Widerstand formierte sich dabei zu jeder Zeit des Kolonialismus. So wurde 1804 durch aufständische Sklav*innen Haiti als zweites ame­rikanisches Land nach den USA politisch unabhängig (vgl. ebd.: 76). Eine generelle Abschaffung des Kolonialismus konnte jedoch erst im 20. Jahrhundert vollbracht wer­den. Zunächst wurde durch erhöhte Eisenproduktion im 18. Jahrhundert der Industrie­kapitalismus geschaffen (vgl. ebd.: 77). Ab diesem Zeitpunkt wurde Arbeit nicht mehr primär durch unmittelbaren Zwang, sondern nun aufgrund von ökonomischem Druck durchgeführt. Durch starke kapitalistische Expansionen in der Phase des liberalen Kapi­talismus wuchs die Bevölkerungsanzahl in Europa zwischen 1800 und 1900 deutlich und das Bürgertum erstarkte, wodurch sich ein allgemeiner Fortschrittsgedanke ausbrei­tete. Durch den somit immer größer werdenden Bedarf an Ressourcen entwickelte sich ab den 1870er Jahren der historische Imperialismus (vgl. ebd.: 83). Damit wurde auch die soziale und ökologische Ausbeutung des globalen Südens noch einmal verstärkt und gleichzeitig die Lüge eines biologisch begründeten Rassismus verbreitet (vgl. ebd.: 81).

Der fordistische Abschnitt des Kapitalismus, welcher ab den 1930ern in den USA und ab der Nachkriegszeit in Europa zu verorten ist, legte den Fokus auf eine unbedingte Teilhabe am materiellen Warenreichtum. Im globalen Norden stiegen Löhne und Profite durch erhöhte Produktivität (vgl. Brand/ Wissen 2017: 85). Arbeitskraft wurde nun nicht mehr verwendet, um Waren selbst herzustellen, sondern um diese durch verdientes Geld zu erwerben (vgl. ebd.: 86f.). So konnte sich die imperiale Lebensweise in den

Mittel- und Oberklassen im globalen Norden und auch in einigen Ländern des globalen Südens verallgemeinern und wurde dadurch schließlich hegemonial4 (vgl. ebd.: 89). Die Mehrheit der Menschen im globalen Süden wartet jedoch bis heute auf eine Erfüllung des Entwicklungsversprechens, welches die imperiale Lebensweise mit sich bringt (vgl. ebd.: 93). In den 1970ern wurde die imperiale Lebensweise schließlich zunehmend kri­tisiert. Regierungen des globalen Südens forderten einen besseren Preis für Rohstoffe, um sich aus neokolonialen Abhängigkeiten zu befreien, es entstanden neue Umwelt­schutzverbände und fordistische Orientierungen im Allgemeinen wurden hinterfragt (vgl. ebd.: 95ff.). Das alles reichte jedoch nicht aus, um die imperiale Lebensweise zu überwinden. Krisen wurden stattdessen neoliberal bearbeitet, indem Alternativen ein­fach in das kapitalistische System integriert wurden. So konnte die neoliberale Globali­sierung voranschreiten (vgl. ebd.: 97f.). Dies geschah unter anderem durch eine „Rest­rukturierung und Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung und de[n, d. Verf.in] Abbau von Handelsbeschränkungen, die Liberalisierung der Finanzmärk­te, Privatisierungen [sowie, d. Verf.in] de[n, d. Verf.in] Rückbau der sozialpolitischen Funktionen des Staates“ (ebd.: 98). So wird die imperiale Lebensweise bis heute im globalen Norden mehrheitlich gutgeheißen (vgl. ebd.: 99).

2.3.2 Imperiale Lebensweise als Verursacherin sozial-ökologischer Krisen

Dieses Gutheißen der imperialen Lebensweise ist jedoch aufgrund der multiplen sozial­ökologischen Krisen, die durch sie hervorgebracht werden, als höchst problematisch anzusehen. Im Folgenden werden deshalb die theoretischen Zusammenhänge zwischen imperialer Lebensweise, sozial-ökologischer Krisen und einer sozial-ökologischen Transformation erläutert.

Ein Hauptgedanke der imperialen Lebenswei se ist, dass sich ein Leben im kapitalisti­schen globalen Norden heute maßgeblich durch gesellschaftliche und natürliche Ver­hältnisse des globalen Südens trägt. Jener externalisiert dafür permanent höchst proble­matische Voraussetzungen und Konsequenzen von Produktionsverhältnissen. Damit sind materielle, soziale und ökologische Kosten gemeint, die aufgrund des Wachstums­zwanges der westlichen Wirtschaftssysteme entstanden sind (vgl. Brand/ Wissen 2017: 64; 12). Das führt jedoch nicht zu einem Verschwinden dieser Kosten: Es findet statt­dessen eine Umverteilung in den globalen Süden statt. Diese Art der Externalisierung führt vor Ort wiederum zu schlechten Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, prekären Le­bensbedingungen, Krankheiten, Ressourcenknappheit, Zerstörung von natürlicher Um­welt und weiteren sozial-ökologischen Krisen, um nur ein paar der Auswirkungen zu nennen (vgl. ebd.: 181).

Wichtig zu verstehen ist hierbei, dass Menschen im globalen Süden nicht einfach natür­licherweise aufgrund des Klimawandels ihre Versorgungsgrundlage verlieren oder Res­sourcen vor Ort einfach von Natur aus knapp sind (vgl. Liedholz 2021a: 45). Vielmehr sind es auch ungerechte gesellschaftliche Nord-Süd-Verhältnisse, die dafür mitverant­wortlich sind. So wird zum Beispiel Wasserknappheit, welche auf den ersten Blick aus­schließlich durch die Klimakrise verursacht wurde, erklärbar durch die Zerstörung von kleinbäuerlichen Produktionsweisen, ausgeübt von großen Agrarunternehmen des glo­balen Nordens und den lokalen Eliten des globalen Südens (vgl. Brand/ Wissen 2017: 12). Die ungerechten gesellschaftlichen Nord-Süd-Verhältnisse wurden wiederrum ge­schaffen durch den (Post-)Kolonialismus. Er hat über Jahrhunderte dafür gesorgt, dass der globale Norden durch Plünderung, Ausbeutung und Sklaverei, sowie unrechtmäßi­ger Aneignung natürlicher Ressourcen im globalen Süden eigenen Wohlstand erhielt, während der globale Süden nichts bzw. nur sehr wenig davon bekam (vgl. Castro Vare- la/ Dhawan 2018: 16). Diese Ausführung soll dabei keineswegs die Klimakrise in ihrer Dramatik vernachlässigen. Sie soll lediglich darauf aufmerksam machen, dass westliche Wirtschaftssysteme mit ihrem Wachstumszwang Probleme der Klimakrise noch weiter verstärken. Dies lässt sich jedoch erst begreifen, wenn „man sich von den unmittelbaren Eindrücken löst und den Blick über den Tellerrand der betroffenen Regionen hinaus auf den globalen Kontext richtet“ (Brand/ Wissen 2017: 11). Erst dann können ökologische Krisen und gewaltvolle Konflikte überhaupt erst in ihrer gesamten Komplexität ver­standen werden.

Während bestimmte privilegierte Gruppen ihre Arbeits- und Lebensverhältnisse auf­grund der Externalisierung relativ attraktiv gestalten können, gehen genau diese Ver­hältnisse zulasten anderer, nicht privilegierter Gruppen (vgl. ebd.: 64). „Die Verantwor­tung für die Schädigungen [wird demnach, d. Verf.in] auf die Geschädigten selbst“ (ebd.: 54) abgeschoben. Die Unterteilung in privilegiert und nicht privilegiert geschieht dabei entlang verschiedener Dimensionen wie Klasse, Geschlecht und Ethnie und ist maßgeblich geprägt von diskriminierenden neokolonialen Nord-Süd-Verhältnissen (vgl. ebd.: 50). Die imperiale Lebensweise ist somit „ein wesentliches Moment in der Repro­duktion kapitalistischer Gesellschaften. Sie basiert auf Ungleichheit, Macht und Herr­schaft, mitunter auf Gewalt und bringt diese gleichzeitig hervor“ (ebd.: 45).

Doch wie kann es sein, dass dieses Ausbeutungssystem der imperialen Lebensweise normalisiert wird? Das kann nur funktionieren, wenn diese sich in Gesellschaften, In­stitutionen und Praxen internalisiert und gleichzeitig durch einen kapitalistisch­patriarchalen Staat abgesichert wird. Imperiale Lebensweise wird also in Strukturen habituell5 eingeschrieben. Das geschieht immer wieder über hegemoniale Weltauffas­sungen, Diskurse und Auseinandersetzungen mit Zivilgesellschaft und Staat (vgl. ebd.). Vorherrschende kapitalistische Kräfteverhältnisse sowie imperiale Handlungen und Entscheidungen werden so als rational und normal angesehen und somit nicht hinter­fragt oder gar verändert. Dadurch wird die imperiale Lebensweise im globalen Norden größtenteils im Alltagsverstand nicht als Zwang und Herrschaft empfunden, sondern beruht im Gegenteil sogar auf Konsens und Akzeptanz, was sie umso wirkungsvoller macht (vgl. ebd.: 48; 183). Interessen der herrschenden Klasse werden so durch Hege­monie zum Allgemeininteresse. Gleichzeitig wird die imperiale Lebensweise durch he­gemoniales Denken auch zum Teil der eigenen, individuellen Identität. Sie formt diese fortlaufend und wirkt so auf sie ein. Dies äußert sich nicht nur im Denken, sondern schließlich auch im Konsumverhalten von Individuen, welches zu Selbstverwirklichung verhelfen und die eigene Position in der Gesellschaft verdeutlichen soll. Materielles soll Wohlstand und Zugehörigkeit vermitteln, was jedoch häufig nicht hinterfragt wird (vgl. ebd.: 58f.). Die externalisierten sozialen und ökologischen Folgen bleiben bei Konsu­mentscheidungen meist unsichtbar, was eine Nutzung von diesen Konsumgütern über­haupt erst ermöglicht. Wird dieser Mechanismus der imperialen Lebensweise berück­sichtigt, so ist es einfacher, diese paradoxen, widersprüchlichen und frustrierenden Situ­ationen zu begreifen (vgl. ebd.: 44f.).

Ulrich Bartosch (2020: 13) resümiert, dass die imperiale Lebensweise im globalen Nor­den zur Stabilisierung der Verhältnisse beiträgt, im Epizentrum verschiedenster Kri­senmomente steht und diese gleichzeitig hervorbringt. Hier wird deutlich, dass die im­periale Lebensweise mit ihrem Externalisierungszwang beides ist: Versprechen auf und Voraussetzung für ein anerkanntes Leben in der Gesellschaft des globalen Nordens, aber zugleich auch Notwendigkeit und Zwang für dasselbige.

Lessenich beschreibt dieses Phänomen treffend folgendermaßen:

„Vielmehr externalisieren wir, weil wir es können: Weil gesellschaftliche Struk­turen uns dazu in die Lage versetzen, weil soziale Mechanismen es uns erlauben, weil die allgemeine Praxis um uns herum uns darin bestätigt. In gewisser Weise externalisieren wir aber auch, weil wir nicht anders können: Weil gesellschaftli­che Strukturen uns dazu nötigen, weil soziale Mechanismen uns dazu treiben, weil die verallgemeinerten Praktiken unserer sozialen Umwelt uns dazu veran­lassen.“ (Lessenich 2018a: 51)

Das Prinzip der Externalisierung kann jedoch nur funktionieren, wenn es überhaupt ein Außen gibt, auf das Krisenphänomene abgewälzt werden können. Da aber immer mehr Ökonomien auf dieses Außen zugreifen, wird es stetig immer kleiner (vgl. Lessenich 2018b: 25f.). So wird schnell klar, dass eine imperiale Lebensweise ein Ablaufdatum hat, da sie „zum Opfer ihrer eigenen Attraktivität und Verallgemeinerung“ (Brand/ Wis­sen 2017: 15) geworden ist.

Daran ist zu erkennen, wie schwierig und zugleich notwendig es ist, die verschiedenen Externalisierungsmechanismen auch im Hinblick auf eine sozial-ökologische Transfor­mation aufzuheben. Diese sollte jedoch unbedingt diese Aufgabe übernehmen und so „herrschaftliche^..] und rassifizierte[...] Verhältnisse“ (Brand 2016: 279) bekämpfen. Ein erster Schritt dafür wäre das Sichtbarmachen der Externalisierung von sozialen und ökologischen Kosten. Aufgrund von Ausblendungsmechanismen, die mit den Externali- sierungsprozessen zusammenhängen, entstehen dabei jedoch Schwierigkeiten (vgl. Les­senich 2018b: 27). Brand und Wissen haben diesbezüglich mit ihrem Begriff der impe­rialen Lebensweise einen Anfang gemacht, den es nun fortzuführen gilt (vgl. Brand/ Wissen 2017: 181).

3 Klimagerechtigkeit als Bindeglied zwischen Sozialer Arbeit und sozial-ökologischer Transformation

Es sind bisher ausgewählte Krisenphänomene erläutert worden und damit auch, weshalb eine sozial-ökologische Transformation in naher Zukunft aus ökologischen und sozialen Gründen unvermeidlich sein wird. Sowohl für den natürlichen Planeten als auch für die Weltgesellschaft muss eine Transformation des aktuellen ungerechten, umweltschädli­chen, imperialen Systems in eine solidarischere Lebensform stattfinden, wenn ein gutes Leben für alle gegeben sein soll (vgl. Brand/ Wissen 2017: 176). Nun stellt sich jedoch die Frage, welche Berührungspunkte es zwischen Sozialer Arbeit und einer sozial­ökologischen Transformation gibt und weshalb sie diese unterstützen sollte. Grundsätz­lich erscheint es erst einmal nicht weit hergeholt, eine sozial -ökologische Transformati­on zum Gegenstand der Sozialen Arbeit zu machen. Bartosch fordert diesbezüglich, dass die Soziale Arbeit die „Rettung der Welt als Teil ihres Auftrages“ (Bartosch 2020: 30) begreifen sollte. Wie beides jedoch genauer miteinander zusammenhängt, soll nun in den folgenden Unterkapiteln beleuchtet werden. Besonders wird sich dabei auf das Konzept der Klimagerechtigkeit fokussiert, da dieses aufgrund der inhaltlichen Nähe eng mit einer sozial-ökologischen Transformation verknüpft ist (vgl. Sander 2016: 10). Zu Beginn muss jedoch erwähnt werden, dass Diskurse zu sozial-ökologischer Trans­formation, Klimagerechtigkeit und Klimakrise im deutschsprachigen Raum generell eher noch Randthemen im sozialarbeiterischen Feld sind. Vielmehr wird hierzulande noch immer über die Wissenschaftlichkeit der Profession diskutiert (vgl. Bartosch 2020: 20). Doch wie ist das bei all der Dringlichkeit möglich, die diese Themen mit sich brin­gen? Wolf Rainer Wendt (2003: 57) stellt für diese Frage bereits 2003 die These auf, dass die Soziale Arbeit nachhaltige Entwicklung nicht behandeln könne, da sie nur bei akuten Problemen ansetzen würde. Genau dies wird auch von folgender Metapher auf­gegriffen, welche aus der ersten Folge des Podcasts Soziale Arbeit und Klimawandel von Robert Blum und Lea Schramm stammt und zur Verdeutlichung der These nun einmal angerissen werden soll:

Zwei Sozialarbeitende gehen an einem Fluss spazieren und sehen plötzlich vom Ufer aus Menschen, die dabei sind, in der Strömung des Flusses zu ertrinken. Sofort ziehen sie die Menschen heraus und retten sie somit, doch immer wieder werden mehr Men­schen angeschwemmt. So sind die Sozialarbeitenden stundenlang nur damit beschäftigt,

Menschen an Land zu ziehen, die im Wasser ums Überleben kämpfen (vgl. Blum/ Schramm 2021a: 00:26:00-00:26:18min.). Hier wird die Soziale Arbeit als akuter 'Feu­erlöscher' dargestellt, was sie häufig auch sein muss. Doch die Metapher belässt es, anders als Wendt, nicht dabei: Irgendwann fragt sich eine der beiden Sozialarbeitenden, weshalb die Menschen überhaupt alle in den Fluss fallen. Sie lässt die andere Sozialar­beitende Person deshalb mit der Rettungsaufgabe allein, wodurch jedoch wieder Men­schen ertrinken. Sie geht ein Stück am Fluss entlang und sieht auf einmal eine Brücke, welche defekt ist. Diese ist der Grund, weshalb die Menschen überhaupt ins Wasser fallen. Sofort beginnt die Sozialarbeitende Person damit, die Brücke zu reparieren und verhindert so, dass langfristig noch mehr Menschen ertrinken (vgl. ebd.: 00:26:19­00:26:41min.).

Es wird deutlich: Die Soziale Arbeit muss mehr tun als nur in Akutsituationen Men­schen beizustehen. Sie muss vielmehr als herrschaftskritische Profession mit Bezug auf gesellschaftliche Machtverhältnisse bestehende Strukturen verändern (also die Brücke reparieren), damit Menschen möglichst gar nicht mehr in prekäre Lebenslagen geraten, in denen sie die Soziale Arbeit benötigen (vgl. Staub-Bernasconi 2019: 95). Dies gilt nicht nur für bereits etablierte Bereiche der Sozialen Arbeit wie Jugendhilfe oder Street Work, sondern auch und gerade für den Bereich der ökologischen Sozialarbeit. Es muss noch viel mehr ins Blickfeld der Profession gelangen, dass die Klimakrise nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Krise ist und diese nicht voneinander trennbar sind. Aus diesem Grund ist das Konzept der Klimagerechtigkeit nachfolgend auch als ein zentrales zu betrachten. Da die Klientel der Sozialen Arbeit zu den vulnerabelsten Gruppen einer Gesellschaft gehört, leidet sie schließlich bereits heute besonders unter der imperialen Lebensweise und der Klimakrise oder wird in absehbarer Zukunft be­sonders daran leiden. Andrea Schmelz (2021: 224) fordert deshalb, ökologische Soziale Arbeit nicht gesondert als Spezialgebiet zu betrachten, sondern stattdessen jeden Ar­beitsbereich der Sozialen Arbeit ökosozial und transformativ auszurichten. Bartosch (2020: 20) verweist an dieser Stelle darauf, dass die Soziale Arbeit sich und ihre Kom­petenzen stärker in den generellen sozial-ökologischen Diskurs einbringen sollte und muss, da sie wichtige Perspektiven einbringen könne, die keine andere Profession bei­steuern könnte.

Nachfolgend soll aufgezeigt werden, weshalb die Soziale Arbeit nicht nur eine wichtige Perspektive in Klimakrisendiskurse und Diskurse über soziale-ökologische Transforma- tion einbringen könnte, wenn sie wollte; Es soll auch erläutert werden, weshalb die So­ziale Arbeit einen Auftrag hat, die sozial-ökologische Transformation aktiv mitzugestal­ten. Dafür wird zunächst einmal ein Blick auf die aktuelle international gültige Definiti­on und Selbstverständnis von Sozialer Arbeit geworfen, welche 2014 von der Internati­onal Federation of Social Workers (IFSW) verfasst und vom Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) übersetzt und etwas angepasst wurde:

„Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozi­alen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit be­fähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein. Diese Definition kann auf nationaler und/oder regionaler Ebene weiter ausge­führt werden.“ (DBSH 2016: 2)

Diese internationale Definition der Sozialen Arbeit steckt den Rahmen, in dem Sozial­arbeitende sich bewegen. Sie verweist auf die Aufgaben und Verantwortungen, aber auch auf theoretische Grundlagen der Sozialen Arbeit. Für die vorliegende Arbeit ist dabei besonders der Verweis auf gesellschaftliche Veränderungen, die Menschenrechte sowie die soziale Gerechtigkeit und das indigene Wissen relevant, da sie direkte Bezüge zu einer sozial-ökologischen Transformation aufweisen. Im weiteren Verlauf wird da­rauf näher eingegangen. Die Definition wird von einem dazugehörigen Kommentar noch näher erläutert. So wird beschrieben, dass Menschen einerseits in Strukturen ein­gebunden werden sollen, um das „Wohlergehen zu verbessern“ (DBSH o.J.: 4). Gleich­zeitig wird aber auch deutlich, dass strukturelle Hindernisse dazu beitragen, Ungleich­heiten, Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung in Gesellschaften zu festigen (vgl. ebd.: 1). Deshalb sollten Sozialarbeitende „ein großes Spektrum an Fertigkeiten, Techniken, Strategien, Grundsätzen und Handlungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen des Systems“ (ebd.: 4) besitzen, um dieses zu bearbeiten. Wenn Sozialarbeiten­de Menschen zu einer selbstständigen Bewältigung von Lebensherausforderungen ver­helfen wollen, ist dabei auch eine kritische Betrachtung und Beseitigung von strukturel- ler Unterdrückung unerlässlich und gleichzeitig Motivation für eben diese (vgl. ebd.: 1). Außerdem widerspricht der Kommentar der gängigen Auffassung, „dass Wirtschafts­wachstum eine Voraussetzung für soziale Entwicklung“ (ebd.) sei. Weiter wird bejaht, dass Theorien Sozialer Arbeit nicht nur westlich, sondern auch durch indigenes Wissen beeinflusst werden. Dadurch soll auch die Umkehrung des Kolonialerbes fortgeführt werden, wodurch westliches und indigenes Wissen als gleichwertig angesehen werden sollen (vgl. ebd.: 3). Da der Begriff indigenes Wissen als Kolonialismuskritik entstan­den ist, hat dieser dabei auch eine politische Dimension (vgl. Schirilla 2018: 110). Au­ßerdem wird deutlich, dass die Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und die Verteidi­gung dieser eine große Bedeutung für die Soziale Arbeit haben. Menschenrechte sind dabei untrennbar mit einer gemeinsamen Verantwortung füreinander und für die Um­welt verbunden. Mit der Umwelt sind dabei einerseits verschiedene soziale Systeme, in denen Personen leben, gemeint, aber andererseits auch „die natürliche [und, d. Verf.in] geographische Umwelt, die ebenfalls Einfluss auf das Leben der Menschen hat“ (DBSH o.J.: 4). Die folgenden Unterkapitel sollen nun einige Zusammenhänge zwischen den aufgezählten Elementen der Definition und einer sozial-ökologischen Transformation verdeutlichen.

3.1 Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession und Verfechterin sozialer Ge­rechtigkeit

Die Menschenrechte und die soziale Gerechtigkeit sind in der Sozialen Arbeit zentral und liefern die Grundlage für Klimagerechtigkeitskonzepte (vgl. Liedholz 2021a: 88f.). Erst durch die Menschenrechte haben Menschen erstmals eine rechtliche Absicherung, selbstbestimmt leben und handeln zu können, was schließlich auch von Sozialarbei- ter*innen erwirkt werden soll. Menschenrechte können auch bei der Definierung von Kernwerten oder der Analyse von Lebenssituationen von Klient*innen hilfreich sein. Sie bieten dabei einen Orientierungsrahmen in Mandatskonflikten und können durch das UN-Menschenrechtsschutzsystem zu einem Machtmittel zum Erkämpfen von struk­turellen oder individuellen Verbesserungen für Klient*innen(gruppierungen) werden (vgl. Prasad 2018: 37). So wird deutlich, weshalb die Soziale Arbeit sich immer wieder als Menschenrechtsprofession bezeichnet (vgl. Liedholz 2021a: 70f.). Dabei geht die Soziale Arbeit laut Definitionskommentar auf alle drei Generationen der Menschenrech­te ein:

„Die Rechte der ersten Generation beziehen sich auf die bürgerlichen und poli­tischen Rechte wie Meinungs- und Gewissensfreiheit und das Recht auf Schutz vor Folter und willkürlicher Inhaftierung; die Rechte der zweiten Generation beziehen sich auf die sozioökonomischen und kulturellen Rechte, die das Recht auf angemessene Bildung und Ausbildung, Gesundheitsfürsorge und Wohnver­hältnisse sowie Rechte in Bezug auf Minderheitensprachen einschließen; die Rechte der dritten Generation beziehen sich auf die Natur und das Recht auf Ar­tenvielfalt und Gerechtigkeit zwischen den Generationen [...]. (DBSH o.J.: 2)

Dabei dient die Menschenwürde als Grundlage der Menschenrechte, da diese bedin­gungslos und unveränderbar für jeden Menschen gelten. Die Einhaltung der Menschen­rechte ist jedoch immer umkämpft und kann durch Herrschafts- und Machtverhältnisse unterbunden werden. Dies geschieht so regelmäßig, weil für viele Menschenrechtsver­letzungen auch der westliche bzw. imperiale Lebensstil verantwortlich ist (vgl. Dreyer/ Klus 2017: 64). So ist es für alle Menschen, gerade aber auch für Klient*innen der So­zialen Arbeit sehr schwierig, im Ernstfall auch Zugang zu unterstützenden oder recht­sprechenden Institutionen zu bekommen und somit aus der Rolle der Betroffenen her­auszutreten (vgl. Staub-Bernasconi 2019: 362). Aus diesem Grund braucht es häufig den visionären Einsatz von Sozialarbeitenden, welche die strukturellen Hindernisse kennen und den Menschen so dazu verhelfen können, für ihre individuellen, aber auch kollektiven Rechte einzustehen (vgl. Dreyer/ Klus 2017: 68; Spatscheck/ Steckelberg 2018: 11f.). Genau dazu ruft Staub-Bernasconi auf, welche den deutschsprachigen Dis­kurs zu Menschenrechten in der Sozialen Arbeit maßgeblich mitgeprägt hat (vgl. Staub- Bernasconi 2019: 173). In diesem Zuge muss auch das, mit den Menschenrechten zu­sammenhängende, von ihr beschriebene Trippelmandat genannt werden. Dies führt da­zu, dass Sozialarbeitende nicht nur von Gesellschaft und Klient*innen beauftragt wer­den, sondern sich auch selbst durch die eigene Profession beauftragen bzw. mandatieren können. Dabei stützen sie sich auf Wissenschaft und Ethik der Sozialen Arbeit, welche wiederrum auf den Menschenrechten aufbauen (vgl. Liedholz 2021a: 13). So kann ein*e Sozialarbeiter*in letztendlich auch selbstständig aktiv werden und ein soziales Problem thematisieren, wenn er oder sie bei einer erkannten Problematik vergeblich auf einen Auftrag von Seiten der Politik, des Staates oder auch von Klient*innen warten würde. Zusammen mit den davon betroffenen Menschen oder Bevölkerungsgruppen kann die­ses Problem dann angegangen werden (vgl. Staub-Bernasconi 2019: 94). Marcel Dreyer und Sebastian Klus leiten daraus sogar ein „Mandat der Weltbevölkerung“ (Dreyer/ Klus 2017: 64) ab. Handelt ein*e Sozialarbeiter*in aufgrund des dritten Mandates, kann dieses potenziell auch zum politischen Mandat der Sozialen Arbeit erweitert werden (vgl. Stamm 2021: 93). Obwohl dies auch umstritten ist, wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass Soziale Arbeit ein politisches Mandat besitzt. Dieses kann die Be­fugnis erteilen, sich als Sozialarbeitende*r aus ethischen, professionellen oder wissen­schaftlichen Gründen von politischen oder staatlichen Handlungen oder Vorgaben zu distanzieren (vgl. Staub-Bernasconi 2019: 95). Dabei muss jedoch auch beachtet wer­den, dass die Soziale Arbeit selbst auch in politischen Strukturen arbeitet, die Men­schenrechtsverletzungen fördern. Besonders häufig geschieht das, wenn es um transna­tionale Kontexte geht, in denen nicht immer alle Zusammenhänge der eigenen alltägli­chen Handlungen ersichtlich sind. So passiert es, dass Menschen im globalen Norden indirekt für Menschenrechtsverletzungen im globalen Süden verantwortlich sind (vgl. Dreyer/ Klus 2017: 60). Ingo Stamm (2021: 94) verweist in diesem Zusammenhang auch auf eine mögliche Erweiterung des dritten Mandates um eine ökologische Dimen­sion, welche sich begründet aus einer Verbindung von Menschenrechten und dem Prin­zip der Nachhaltigkeit.

Werden die universellen Menschenrechte verglichen mit den Diskursen bezüglich einer sozial-ökologischen Transformation aus dem ersten Kapitel, werden an verschiedenen Stellen Überschneidungen festgestellt. Exemplarisch soll dies bei nachfolgendem Arti­kel aufgezeigt werden:

„Artikel 3 - Recht auf Leben und Freiheit: Jede[*, d. Verf.in Yr hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ (Vereinte Nationen 1948: 2)

Das Recht auf Sicherheit kann nicht vollumfänglich erfüllt werden, wenn eine Person beispielsweise aufgrund von Neo-Extraktivismus6 in Armut lebt, aufgrund einer Flutka­tastrophe obdachlos wird oder aufgrund von Dürreperioden Hunger leidet. Die Krisen­phänomene, welche eine sozial-ökologische Transformation nötig machen, müssen hier also deutlicher mitgedacht werden, wenn die Soziale Arbeit sich konsequent als Men­schenrechtsprofession verstehen will. Auch aus einer ethischen Verpflichtung heraus kann die Soziale Arbeit nicht länger die weitreichenden Folgen von sozial-ökologischen Krisen vernachlässigen (vgl. Stamm 2021: 40) Besonders deutlich wird der Zusammen­hang zwischen Menschenrechten und sozial-ökologischer Transformation auch bei dem am 08.10.2021 vom UN-Menschenrechtsrat beschlossenen Menschenrecht auf eine „si­chere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt“ (Deutsches Institut für Menschen­rechte 2021: 3), welches bereits im kommenden Jahr von der UN-Generalversammlung offiziell als Menschenrecht erklärt werden könnte. Bislang ist das Zusammenhangswis­sen von Menschenrechten und ökologischer Krise jedoch insgesamt noch nicht weit ausgearbeitet. Dabei geht es grundsätzlich immer wieder um Fragen der Ernährungssi­cherheit und der körperlichen und psychischen Gesundheit und um gesicherte Wohn- und Arbeitsplätze (vgl. Stamm 2021: 93). Die Soziale Arbeit könnte als Menschen­rechtsprofession dazu beitragen, dass diese Zusammenhänge in der öffentlichen Debatte mehr reflektiert werden. Somit könnte es zukünftig leichter fallen, Menschenrechtsver­letzungen durch Umwelteinflüsse und die menschengemachte Klimakrise zu erkennen, sie als solche zu betiteln und dagegen vorzugehen (vgl. Liedholz 2021a: 71). Henning Pätzold und Kerstin Bestvater (2020: 194) sehen es auch als Menschenrecht an, grund­sätzlich auf nachhaltige Art und Weise handeln zu können.

Es soll jedoch auch nicht verschwiegen werden, dass das Konzept der Menschenrechte an sich auch nicht unumstritten ist. Kritisiert wird es meist in Bezug auf seine Entste­hungshistorie, welche laut Kritiker*innen wie Ife (2018: 22f.) maßgeblich durch westli­che Länder wie England und Frankreich und deren Überlegenheitsansprüche geprägt und Ländern des globalen Südens aufgezwungen worden sei (vgl. Staub-Bernasconi 2019: 102). Das würde eine eurozentristische Weltsicht und somit eine Fortsetzung des Kolonialismus bedeuten. Damit zusammenhängend wird argumentiert, dass auch durch koloniale Praktiken im Heute die Menschenrechte nicht eingehalten werden (vgl. Schi- rilla 2018: 117). Somit würden westliche Länder durch die Existenz der Menschenrech­te lediglich ihre eigenen Menschenrechtsverletzungen, wie die Weltkriege, Holocaust, Sklaverei und Folter verschleiern wollen (vgl. Staub-Bernasconi 2019: 102). Des Weite­ren hätten Menschenrechte eine patriarchale Natur (vgl. Ife 2018: 22).

Anders als die Menschenrechte kann sich das Konzept der sozialen Gerechtigkeit als Grundlage und Fundament der Sozialen Arbeit zwar nicht auf internationale Abkom­men stützen, ist dennoch aber nicht weniger wichtig für eine sozial-ökologische Profes­sion der Sozialen Arbeit. Auch gesamtgesellschaftlich hat soziale Gerechtigkeit einen hohen Stellenwert und wird als Schlüsselbegriff moderner Demokratien angesehen. Doch was konkret als gerecht und als ungerecht angesehen wird, darüber gibt es nicht immer Einigkeit, da auch die Wortbedeutung nicht klar definiert ist (vgl. Ebert 2015: 15). Grundsätzlich geht es bei sozialer Gerechtigkeit darum, dass Menschen mit weni­ger (im-)materiellen Ressourcen Unterstützung und Schutz von Gesellschaft und Staat zugesichert bekommen und dass diese gleichzeitig versuchen, für einen Ausgleich von sozialen Gegensätzen zu sorgen (vgl. ebd.). Klärungsbedarf gibt es bei diesem werte- zentrierten und ethischen Diskurs besonders noch bei den Fragen, die Schwellen zu Armut und Zuständigkeiten und (Un-)Gleichheiten behandeln (vgl. ebd.: 16). Staub- Bernasconi (2019: 310f.) sieht eine Gesellschaft dann als gerecht an, wenn jede Person dieser Gesellschaft allgemeines Wohlbefinden und Bedürfniserfüllung anstreben kann, ohne, dass dafür andere Personen leiden müssen. Außerdem darf eine Gesellschaft nicht andere Gesellschaften davon abhalten, sich selbst gerecht zu entwickeln. Was bei allen unterschiedlichen Ansätzen zu sozialer Gerechtigkeit allerdings trotzdem sichtbar wird: Geschehnisse, die nicht von einer Person verursacht werden, diese jedoch trotzdem da­runter leiden muss oder sie daran gehindert wird, ihre Bedürfnisse zu erfüllen, sind hochgradig sozial ungerecht. Die Klimakrise kann auf jeden Fall zu dieser Art von Ge­schehnissen gezählt werden (vgl. Liedholz 2021a: 43).

Weiter sehen Dreyer und Klus (2017: 77f.) die Verantwortung der Sozialen Arbeit auch darin, das gerechte Verteilen von Ressourcen einzufordern und auch die eigenen Ver­strickungen in Menschenrechtsverletzungen nicht außer Acht zu lassen. Sie fassen ab­schließend die Verwirklichung von Menschenrechten und von Bedürfnisbefriedigung aller Menschen als Aufgabe der Sozialen Arbeit zusammen (vgl. ebd.: 60). Diese Be­dürfnisbefriedigung durch „Zugang zu notwendigen Lebensgütern“ (Elsen 2018: 1060) wird in Zukunft jedoch nur noch erfüllbar sein, wenn soziale und ökologische Krisen gleichermaßen bearbeitet und als zusammenhängend angesehen werden (vgl. Stamm 2018: 449). Da es für eine konsequente Krisenbearbeitung jedoch eine sozial­ökologische Transformation benötigt, ist die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofes­sion und als Verfechterin für soziale Gerechtigkeit ebenso damit beauftragt, eine sozial­ökologische Transformation als Leitlinie anzuerkennen und zu unterstützen (vgl. Elsen 2018: 1060).

Dieses Unterkapitel sollte aufzeigen, wo die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofes­sion mit der Grundlage der sozialen Gerechtigkeit thematische Überschneidungen mit sozial-ökologischen Krisen und einer sozial-ökologischen Transformation aufweist. Aufbauend auf diese Ausführung folgt nun eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Klimagerechtigkeit, welches „mit dem Postulat der Menschenrechte verbunden“ (Stamm 2021: 76) werden kann und somit große Relevanz für die Soziale Arbeit besitzt.

3.2 Klimagerechtigkeit

Das Konzept der Klimagerechtigkeit ist weitreichender als bloßer Klimaschutz, da die­ser als Gegenmaßnahme zu den multiplen sozial-ökologischen Krisen nicht ausreicht (vgl. Müller, T. 2017: 225). Es geht um deutlich mehr, als lediglich das Reduzieren von CO2-Emissionen, um das 2015 festgelegte 2,0 Grad- bzw. 1,5 Grad-Ziel zu erreichen (vgl. Liedholz 2021a: 38). Auch Lösungsansätze aus der Mainstream-Klimapolitik wie Geoengineering, Atomkraft, Biotreibstoffe und erneuerbare Großkraftwerke sind deut­lich unzureichend. Sie reproduzieren schließlich durch kapitalistische Produktionswei­sen nur weiterhin sozial-ökologische Widersprüche und Krisen (vgl. Sander 2016: 9). Benötigt wird stattdessen echte Klimagerechtigkeit, die sowohl die soziale als auch die ökologische Dimension der Klimakrise in den Blick nimmt. Auch soll sie Konflikte von unten mit Politik und Wirtschaft nicht scheuen, die zu einer sozial-ökologischen Trans­formation führen können. Diese fordern Klimagerechtigkeitsbewegungen auch mit ihrer Parole „System change, not climate change!“ (ebd.: 10) ein. Sie soll darauf hindeuten, dass Klimagerechtigkeit und sozial-ökologische Transformation von großer Bedeutung füreinander sind und nicht ohneeinander gedacht werden können (vgl. ebd.: 9f.). So wird in dieser Arbeit die Klimagerechtigkeit als Teil der sozial-ökologischen Transfor­mation verstanden und deshalb nachfolgend näher dargestellt.

Ihren Ursprung hat die Klimagerechtigkeitsbewegung in der Umweltgerechtigkeitsbe­wegung, welche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den USA aufkam. Sie entstand aus einer Bewegung eines weißen Mittelklassemilieus, welches gegen Luftver­schmutzung durch Chemiebetriebe und Kraftwerke in den eigenen Stadtteilen kämpfte. Zwar wurden die Betriebe aus diesen Stadtteilen als Konsequenz der Proteste verbannt, nicht jedoch gänzlich geschlossen. Stattdessen wurden sie einfach in ärmeren Stadttei­len, die zum großen Teil von Afroamerikaner*innen, Hispanics und Native Americans bewohnt waren, neu angesiedelt (vgl. Müller, T. 2017: 225). Diese protestierten ebenso gegen die Umweltverschmutzung in ihren Stadtteilen und bildeten so eine Bewegung für Umweltgerechtigkeit. Gleichzeitig warfen sie der Bewegung aus der weißen Mittel- klasse Umweltrassismus (environmental racism) vor, da sie nun die Umweltprobleme aushalten sollten, die primär von genau der weißen Mittelklasse verursacht wurden, welche sie aus den eigenen Stadtteilen verbannen wollte. Tadzio Müller (2017: 226) argumentiert diesbezüglich weiterführend, dass ein solches Umweltproblem auch immer als soziales Problem begriffen werden und ein Bewusstsein für soziale Strukturen von Herrschaft und Ausbeutung geschaffen werden muss, wenn diese bestehenden Un­gleichheiten nicht noch weiter vertieft, sondern stattdessen gelöst werden sollen.

Doch was genau bedeutet Klimagerechtigkeit? Auch hier findet sich keine einheitlich verwendete Definition. Stattdessen variieren die Verständnisse von Klimagerechtigkeit je nach gesellschaftlicher Position, Kontext und politischem Standpunkt. Zwei unter­schiedliche Standpunkte lassen sich in den quantitativen bzw. qualitativen Klimagerech­tigkeitsansprüchen finden (vgl. Brunnengräber/ Dietz 2016: 157ff.). Der quantitative Gerechtigkeitsanspruch basiert auf der UN-Klimarahmenkonvention von 1992, welche Klimagerechtigkeit als höhere Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch 'Indust­rieländer' als durch 'Entwicklungsländer' ansieht. Erstere sollen also schlichtweg mehr für die Emissionsreduzierung tun, weil sie in einem höheren Maße für die Emissionen verantwortlich sind (vgl. Brunnengräber/ Dietz 2016: 157f.). Darauf aufbauend wird nun als quantitativer Anspruch argumentiert, dass Klimagerechtigkeit vorherrscht, wenn sich Emissionen pro Kopf auf einem möglichst niedrigen Niveau angleichen. Um dies zu erreichen, müssten Menschen des globalen Nordens ihren CO2-Verbrauch deutlich senken, während viele Menschen im globalen Süden diesen sogar erhöhen dürften (vgl. ebd.: 159). Achim Brunnengräber und Kristina Dietz (2016: 158ff.) kritisieren diese vereinfachte Sicht auf Klimagerechtigkeit der UN-Klimarahmenkonvention, da sie die Komplexität von Klimaungerechtigkeit nicht vollständig greift: Es fehlt demnach ein Blick auf Herrschafts- und Machtverhältnisse, welche verantwortlich sind für bestehen­de Ungleichheiten hinsichtlich der Krisenverursachungen und Krisenbetroffenheit und diese weiterhin reproduzieren. Dabei werden auch hegemoniale Produktions- und Kon­summuster als Bestandteile von Klimaungerechtigkeit nicht bedacht. Ebenso wird das fossile Energiesystem, auf dem die Emissionen beruhen, nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Auch werden eine gerechte demokratische Teilhabe an klimapolitischen Ent­scheidungsprozessen und soziale Ungleichheiten auf lokaler und regionaler Ebene nicht berücksichtigt. Dies alles wird eher erreicht, wenn Klimagerechtigkeit als qualitativer Anspruch verstanden wird (vgl. ebd.: 159f.; Müller, M. 2014: o.S.) Ein Definitionsver­such von diesem Klimagerechtigkeitsverständnis lässt sich bei Tadzio Müller finden:

„Klimagerechtigkeit ist weniger ein Zustand - sprich die gerechte Verteilung der Kosten einer möglichen Lösung der Klimakrise - als ein Prozess: nämlich der Prozess des Kampfes gegen die gesellschaftlichen Strukturen, die Klimaun­gerechtigkeit verursachen.“ (Müller, T. 2017: 228)

Wird Klimagerechtigkeit so verstanden, wird schnell klar, dass es sich dabei um ein globales Konzept handelt, welches in fast allen sozialen Themen Anschluss finden kann. Aus diesem Grund soll die Klimagerechtigkeit nun exemplarisch im Kontext von dekolonialen Perspektiven, Geschlechtergerechtigkeitsperspektiven und der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung behandelt werden.

3.2.1 Dekoloniale Perspektiven auf Klimagerechtigkeit

Dekolonialität als „lateinamerikanische[.] Variante des postkolonialen Denkens“ (Schirilla 2018: 110) meint grundsätzlich eine Entkopplung und Emanzipation von ko­lonialen Machtstrukturen, welche weit über das bloße Erlangen von staatlicher Unab­hängigkeit hinausgehen. Vielmehr wollen dekoloniale Perspektiven eine eurozentristi- sche Weltsicht auflösen und eine durch Kolonialisierung entstandene autoritäre Kontrol­le des globalen Nordens rückgängig machen (vgl. Denk 2021: 60).

Feministische, indigene und klimapolitikkritische Akteur*innen besonders aus dem glo­balen Süden kritisierten Mitte der 2000er den damaligen westlichen Mainstream der Klimapolitik und schlugen vor, die Klimakrise zu bekämpfen, indem grundlegende Ur­sachen, also unter anderem globale kapitalistische Systeme, verändert werden. Hier setzt auch eine sozial-ökologische Transformation an (vgl. Sander 2016: 8; 20). Da eine Definition der UN-Klimarahmenkonvention nicht alle relevanten Aspekte von Klimage­rechtigkeit umfasst, machte das Netzwerk Climate Justice Now!, welches sich 2007 während der 13. Klimakonferenz aus eben jenen Akteur*innen in Bali bildete, einen erweiterten, dekolonialen Vorschlag (vgl. Liedholz 2021a: 85f.). Das Netzwerk stellte Forderungen, welche später zu einer Art Gründungsmanifest für die Klimagerechtig­keitsbewegung wurden. Diese lauten:

- „fossile Brennstoffe im Boden zu lassen, und stattdessen in angemessene, siche­ re, saubere und demokratische erneuerbare Energien zu investieren
- verschwenderischen Überkonsum drastisch zu reduzieren, vor allem im globalen Norden, aber auch in Bezug auf südliche Eliten
- massive Finanztransfers vom Norden in den Süden, basierend auf einer Rück­zahlung der Klimaschulden, und unter demokratischer Kontrolle (.)
- auf Menschenrechten basierende Ressourcenschonung, im Rahmen derer indi­gene Landrechte durchgesetzt und die Kontrolle dieser Gemeinden über Ener­gie, Wälder, Land und Wasser vorangetrieben wird
- nachhaltige, kleinbäuerliche Landwirtschaft und Ernährungssouveränität. “ (Müller, T. 2017: 227)

Diese Forderungen machen deutlich, dass das Konzept der Klimagerechtigkeit von Grund auf ein dekoloniales ist. Diese Tatsache wird in deutschen Diskursen jedoch häu­fig vernachlässigt. So diskutieren Klimagerechtigkeitsströmungen hierzulande wenig über globale Zusammenhänge von Klimagerechtigkeit. Es wird stattdessen unter ande­rem über kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, Energiedemokratie und Energiearmut vor Ort gesprochen (vgl. Sander 2016: 15f.). Zweifellos haben diese Konzepte ihre Da­seinsberechtigung und Relevanz, sie dürfen nur nicht den Blick auf dekoloniale Per­spektiven versperren. Werden diese eben genannten Forderungen nun ernst genommen, so ist dekoloniale Klimagerechtigkeit Teil einer sozial-ökologischen, transformativen Bewegung, die Kritik an kapitalistischen Strukturen äußert und gesellschaftliche Machtverschiebungen anstrebt (vgl. Müller, T. 2014: 06:07min.). Weiter noch geht es um gesellschaftliche Teilhabe, andere Konsum- und Produktionsformen und konsequen­te Beendigung des auf Wachstum ausgerichteten, fossilen Energiezeitalters. Klimage­rechtigkeit kann so als emanzipatorische, demokratische Gestaltung der Klimapolitik verstanden werden (vgl. Brunnengräber/ Dietz 2016: 161).

Hier setzt auch Ife (2010: 84) an, wenn er strukturelle Ungerechtigkeiten durch kapita­listische Nord-Süd-Strukturen anprangert. Er spricht sich dafür aus, dass nicht weiterhin die vulnerabelsten Gruppen der Weltbevölkerung durch die Klimakrise die Schäden der Lebensweise der resilientesten Gruppen übernehmen und somit die stärkste globale Er­wärmung aushalten müssen. Andernfalls würden sozial ungerechte Privilegien des glo­balen Nordens einfach weiterhin getragen durch den globalen Süden (vgl. Muriel 2021: 00:13:11-00:14:38min.). Ungerecht wäre dies besonders aufgrund der ungleichen Ver- teilung von Verantwortlichkeit für die und Betroffenheit von der Klimakrise (vgl. Ife 2010: 85; Liedholz 2021a: 85). T. Müller (2017: 224) sieht dies genauso, wenn er über Präventivmaßnahmen gegen Überflutung durch steigende Meeresspiegel spricht: „Die [Meeresspiegel, d. Verf.in] steigen für alle, aber in Bangladesch saufen [sic] die Leute ab, während in Holland schwimmende Städte gebaut werden [.]“ (Müller, T. 2017: 224). Lucia Muriel wird hier sehr deutlich, wenn sie sagt, dass der globale Süden die „weiße Klimakrise“ (Muriel 2021: 00:22:35-00:22:41min.) so mit dem Leben bezahlt. Deshalb müssen globale Herrschafts- und Machtverhältnisse grundlegend verändert werden. Wenn dies nicht passiert, sondern Maßnahmen des Klimaschutzes weiterhin auf Kosten des globalen Südens durchgeführt werden, kann das nicht als dekoloniale Klimagerechtigkeit bezeichnet werden. Stattdessen wäre dies nur ein weiterer Versuch, Privilegien des globalen Nordens und eigene Zugänge zu Machtstrukturen unverändert aufrecht zu erhalten (vgl. Muriel 2021: 00:24:26-00:24:30min.). Als konkretes Beispiel kann hier das E-Auto angeführt werden. Zwar stößt es beim Fahren kein CO2 aus, je­doch dafür bei der Herstellung. Außerdem wird dafür die endliche Ressource Lithium benötigt, welche aktuell fast ausschließlich unter schlechten Arbeitsbedingungen im globalen Süden abgebaut wird. Weiterhin verschmutzt der Abbauprozess die lokale Umwelt und stellt auch für die Arbeiter*innen ein Gesundheitsrisiko dar. Es findet also lediglich eine Verlagerung der Problematik statt (vgl. Brand/ Wissen 2017: 143f.; Paech 2019: 82).

Diese Verknüpfung wird jedoch gerade in westlichen Denkweisen und in Wissensfor­men des globalen Nordens häufig übersehen und so werden Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, ökologische Gerechtigkeit und Klimakrise nicht in konsequenter Klima­gerechtigkeit zusammengedacht (vgl. Stamm 2018: 445). In diesem Kontext spielt auch epistemische Gewalt bzw. die Bekämpfung derer eine zentrale Rolle, um Wissen zu dekolonialisieren (vgl. Brand 2014: 24). Epistemische Gewalt meint in dekolonialen Zusammenhängen:

„Jenen Beitrag zu gewaltförmigen gesellschaftlichen Verhältnissen, die im Wis­sen selbst, in seiner Genese, Ausformung, Organisationsform und Wirkmächtig­keit angelegt sind. [...] Epistemische Gew alt ist Möglichkeitsbedingung, Be­standteil und Produkt der kolonialen Moderne. [...] Sie hat eine spezifische Herkunft (Europa), eine spezifische Geschichte (Kolonialismus und Kapitalis­mus), spezifische Funktionsweisen (Rassismus/Sexismus als Grundlage von glo- baler Arbeits- und Ressourcenteilung) und bringt spezifische Subjekte hervor, die an diesen Prozessen in unterschiedlichen Positionen und Wirkungsgraden beteiligt sind.“ (Brunner 2020: 274f.)

Epistemische Gewalt kann demnach als eurozentristisches Wissenssystem beschrieben werden, welches durch die Kolonialisierung entstand und durch Unterdrückungsmecha­nismen bis heute hegemonial reproduziert wird (vgl. Biller 2020: 200). Es geht bei der Beseitigung von epistemischer Gewalt jedoch nicht darum, als globaler Norden nun über den globalen Süden zu sprechen und ihn als 'Opfer' darzustellen. Vielmehr muss eine gemeinsame Kommunikation über Klimagerechtigkeit entstehen, die vom Euro­zentrismus befreit wird und in der sich Menschen aus dem globalen Süden „jenseits dominanter Wissensstrukturen“ (Schirilla 2018: 116) Gehör verschaffen können, um dekoloniale Perspektiven mit in globale Diskurse einfließen zu lassen (Brunner 2020: 13f.). So könnte eine erste Entwicklung weg vom eurozentristischen Weltbild sein, Mensch und Natur im globalen Norden nicht mehr getrennt voneinander wahrzuneh­men, sondern sie als zusammenhängend zu sehen. Laut Muriel (2021: 00:25:20­00:26:00min.) könne erst so ein Verständnis für Klimagerechtigkeit aufkommen, wel­che sowohl Mensch als auch Natur mitdenkt und Rechte aller Lebewesen als relevant betrachtet. Muriel verweist in diesem Kontext auch auf indigene Sichtweisen, die Men­schen als Teil der natürlichen Umwelt ansehen. Weltwissen indigener Völker, welches den Menschen nicht über die Natur stellt, sondern beides als Einheit ansieht, ist in Boli­vien und Ecuador als „Schutz der Rechte der Mutter Erde“ (Schmelz 2021: 223) auch in der Verfassung festgeschrieben. Um Klimagerechtigkeit wirklich zu erreichen, muss also auch eine dekoloniale Perspektive gehört werden. Dazu zählt auch das Wissen in- digener Gemeinschaften. Diesbezüglich hat die Soziale Arbeit einen Anfang gemacht, indem sie die Relevanz von indigenem Wissen in der offiziellen Definition international anerkannt hat.

3.2.2 Geschlechtergerechtigkeit in der Klimadebatte

In der Klimagerechtigkeitsdebatte werden auch Diskurse zu Geschlechtergerechtigkeit immer lauter. Ausgehend von einzelnen ökofeministischen Bewegungen in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat sich mittlerweile eine laute Ge- schlechtergerechtigkeitsbewegung innerhalb der Klimadebatte gebildet, da „der Klima­wandel [.] nicht geschlechtsneutral [ist, d. Verf.in], weder in seinem Ursprung noch in seinen Auswirkungen“ (Braunmühl 2012: 32). Doch aus welchem Grund ist die Klimadebatte nicht geschlechtsneutral? Weshalb kann es Klimagerechtigkeit nicht ohne Geschlechtergerechtigkeit geben? Liedholz verweist zur Beantwortung dieser Fragen auf verschiedene Aspekte, die bei der geschlechterbezogenen Klimagerechtigkeit immer wieder eine Rolle spielen. Er unterteilt sie in drei Bereiche:

Der erste Teilbereich den er nennt, bildet die „ungleichen Verantwortlichkeiten für den Klimawandel sowie die ungleichen Betroffenheiten“ (Liedholz 2021a: 73) ab. Dafür verweist er darauf, dass Männer* im Durchschnitt für mehr Treibhausgase und somit auch in einem höheren Maße für die Klimakrise verantwortlich sind als Frauen* (vgl. ebd.). Sybille Bauriedl (2012: 46) konkretisiert diesen Sachverhalt noch einmal, indem sie aufzeigt, dass ein höherer Emissionsverbrauch in hohem Maße vom Einkommen abhängt und Männer* im Schnitt nach wie vor häufiger Teil der einkommensstärkeren Bevölkerung sind. Dabei spielen dann auch Mobilitäts- und Konsumverhalten eine Rol­le: So fahren Männer* im Schnitt mehr Kilometer mit dem Auto als Frauen* und essen mehr Fleisch (vgl. Weller 2012: 183f.). Auf der anderen Seite sind Frauen* durch­schnittlich stärker von den Folgen der Klimakrise betroffen. Beispielsweise starben 2003 während der Hitzewelle in Europa 75% mehr Frauen* als Männer* in der gleichen Altersgruppe (vgl. Liedholz 2021a: 74). Frauen* lernen außerdem aufgrund von sozial konstruierten Rollenzuschreibungen seltener schwimmen oder verlassen in Gefahrensi­tuationen später das Haus als Männer*. Hier wird deutlich: Geschlechterungerechtigkeit entsteht, weil Frauen* im Schnitt weniger zur Klimakrise beitragen, aber gleichzeitig stärker unter ihren Folgen leiden. Geschlechterungerechtigkeit wird so durch die Kli­makrise nur noch weiter verschärft, sowohl im globalen Norden als auch im globalen Süden (vgl. Bauriedl 2012: 43f.; Liedholz 2021a: 74).

Im zweiten Teilbereich betrachtet Liedholz die wissenschaftliche und politische Bear­beitung der Klimakrise genauer. Er kritisiert, dass Männer* in Klimaforschung und Klimapolitik häufig als „selbstverständliche Normkategorie“ (Liedholz 2021a: 74) an­gesehen werden. Dabei verweist er auf Bauriedl (2012: 53f.), welche aufzeigt, dass Frauen* in der Klimaforschung und Klimapolitik besonders in Bereichen aktiv sind, die geschlechtsspezifische Aspekte bearbeiten (vgl. Liedholz 2021a: 74). In Bereichen, in denen technische und marktwirtschaftliche Aspekte erforscht, diskutiert und entschie­den werden, seien Frauen* nach wie vor unterrepräsentiert. Dies betrifft sowohl die kommunale als auch die nationale und internationale Ebene. Studien verweisen in die- sem Zusammenhang auf eine ungleiche Verteilung von Zugangsmöglichkeiten zu öko­nomischen und politischen Ressourcen für Männer* und Frauen* (vgl. Bauriedl 2012: 55). Liedholz (2021a: 74) resümiert diesbezüglich, dass Geschlechterungerechtigkeit hier besonders im Rahmen einer mangelnden Geschlechterreflexivität und eines auszu­bauenden Gender Mainstreaming in der Klimaforschung und Klimapolitik bearbeitet werden sollte.

Der dritte Teilbereich, den Liedholz (2021a: 75) erläutert, versteht Geschlechtergerech- tigkeit als Teil von Gesellschaftskritik. Grundsätzlich sei jene nur erfüllt, wenn emanzi­patorische und strukturverändernde Perspektiven in Klimagerechtigkeitsdebatten von Beginn an mitgedacht und mitumgesetzt werden. In diesem Kontext seien für eine Um­setzung von Geschlechtergerechtigkeit auch feministische-, wachstumskritische und postkoloniale Theorie- und Praxisbezüge von Nöten. Dabei würde es nicht genügen, Geschlechtergerechtigkeitsdebatten lediglich in bestehende Klimapolitik zu integrieren . In diesem Teilbereich spielt auch die umkämpfte Perspektive von Ökofeminismus eine Rolle. Die Grundthese dieser Bewegung, ausformuliert von Maria Mies und Vandana Shiva, lautet: „Das patriarchalisch-kapitalistische System hat seine Herrschaft von An­fang an auf die Ausbeutung und Unterwerfung der Natur, fremder Länder und Frauen aufgebaut“ (Mies/ Shiva 2016: 7). Jedoch wird dieser Ökofeminismus auch sehr für eine gewisse Nähe zu konservativen und nationalistischen Kräften kritisiert, die durch in Diskursen stattfindende Überhöhung und Romantisierung traditioneller Geschlechter- rollen und das Konstruieren eben dieser hergestellt wird. Dazu zählt auch das generelle Zuschreiben von Umweltqualitäten bei Frauen* (vgl. Bauriedl 2012: 46: Liedholz 2021a: 76; Wichterich 2012: 14). So sind 1992 in Anlehnung an diese ökofeministische Perspektive Frauen* auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro als besonders gute Umweltmanagerinnen stilisiert worden. Sie sollten deshalb stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Bis heute sind jedoch trotzdem kaum mehr geschlechtsbezogene Daten in den Diskurs eingeflossen oder mehr Frauen in klimapolitischen Diskursen anzutreffen (vgl. Bauriedl 2012: 51f.). So stellt sich die Frage, inwiefern ökofeministische Theorien wirklich hilfreich bei der Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit im Klimagerechtigkeitskontext sind.

Zusammenfassend kann trotzdem gesagt werden, dass es unerlässlich ist, zukünftig Ge- schlechtergerechtigkeit mehr in Klimagerechtigkeitsdiskurse einzubringen. Ohne diese lässt sich schlichtweg keine vollumfängliche Klimagerechtigkeit gestalten.

3.2.3 Menschen mit Beeinträchtigungen in Klimagerechtigkeitsdebatten

Als letzte Beispielkategorie für Klimagerechtigkeit sollen hier Menschen mit Beein­trächtigungen angesprochen werden, da diese in aktuellen Klimagerechtigkeitsdebatten bisher häufig unerwähnt bleiben und nicht mitbedacht werden. Dies wurde gerade im Sommer 2021 erneut ersichtlich, als sich die Flutkatastrophe in Teilen Deutschlands ereignete: Währenddessen starben zwölf Personen, die in einer Wohneinrichtung für Menschen mit Beeinträchtigung lebten. Sie befanden sich in ihren Zimmern und konn­ten sich weder selbst befreien, noch konnte die Nachtwache sie retten, als die Wasser­massen plötzlich kamen (vgl. Liedholz 2021b: o.S.). Dieses tragische Beispiel zeigt, dass besondere Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigung oft nicht mitgedacht werden, selbst oder gerade nicht in Evakuierungsplänen für Katastrophenfälle. Auch haben es Menschen mit Beeinträchtigung aufgrund von mangelnden Ressourcen schwe­rer, sich über die Klimakrise zu informieren und sich mit ihr und damit zusammenhän­genden Klimagerechtigkeitsdiskursen auseinanderzusetzen (vgl. Blum/ Schramm 2021b: 00:13:48-00:14:11min.). Die Klimakrise ist jedoch nicht nur gefährlich für Men­schen, die bereits eine Beeinträchtigung haben. Sie kann auch Beeinträchtigungen her­vorrufen. Dies geschieht beispielsweise durch Unfälle, die zu körperlichen und kogniti­ven Beeinträchtigungen führen, Unterernährung, welche kognitive Entwicklungsbeein­trächtigungen entstehen lässt oder Malaria, welche neurologische Beeinträchtigungen verursacht (vgl. ebd.: 00:12:38-00:13:06min.).

Es zeigt sich also, dass Benachteiligung und ungerechte Behandlung von Menschen mit Beeinträchtigung auf verschiedenen Ebenen der Klimagerechtigkeitsdebatte nur allzu offensichtlich sind. Obwohl sie zu einer besonders vulnerablen Gruppe zählen, beson­ders schwer unter den Folgen der Klimakrise leiden und dementsprechend besonders in der Klimagerechtigkeitsdebatte bedacht werden müssten, ist eher das Gegenteil der Fall: Es findet sich nur sehr wenig Literatur über diesen Zusammenhang und in vielen Debat­ten über Klimagerechtigkeit finden Menschen mit Beeinträchtigung bisher gar keinen Platz (vgl. ebd.: 00:12:14-00:12:37min.).

3.2.4 Klimagerechtigkeit und Soziale Arbeit

Dieses bisherige Kapitel sollte erste Zusammenhänge zwischen einer sozial­ökologischen Transformation und der Sozialen Arbeit aufzeigen. Schwerpunkt war da- bei die Klimagerechtigkeit als Teil einer sozial-ökologischen Transformation. Es wur­den beispielhaft dekoloniale Perspektiven, Geschlechtergerechtigkeitsperspektiven und Zusammenhänge von Klimagerechtigkeit und Beeinträchtigung erörtert. Klimagerech­tigkeit sollte jedoch auch in anderen Bereichen diskutiert werden, wie zum Beispiel in Migrations- und Fluchtfragen oder im Bereich der Obdachlosenhilfe. Letztendlich wer­den in allen gesellschaftlichen Milieus immer die Menschen am meisten unter den Fol­gen der Klimakrise leiden, die zu sozial schwachen Bevölkerungsgruppen zählen. Da also genau die Klientel der Sozialen Arbeit sehr häufig betroffen sein wird, sollte die Soziale Arbeit aufgrund dieser normativen Nähe auch für Klimagerechtigkeit einstehen (vgl. Bauriedl 2012: 44f.). Auch das politische Mandat, die Menschenrechtsprofession und der Bezug zu sozialer Gerechtigkeit verpflichten die Soziale Arbeit, sich künftig aktiver und präsenter in Klimagerechtigkeitsdiskurse einzubringen, Umweltzerstörun­gen zu bekämpfen und damit das Augenmerk stärker auf Verstrickungen, Verantwort­lichkeiten und Betroffenheiten von verschiedenen Gruppierungen in Bezug auf die Kli­makrise zu lenken (vgl. Liedholz 2021a: 89; 93). Dies gilt für eine internationale, deko- loniale Soziale Arbeit, die eine Abwertung von indigenem Wissen umkehren möchte und sich gegen die Zerstörung von Ökosystemen, gegen die herrschende Welthandels­ordnung und Profitgier von Großkonzernen und damit auch gegen das Zerstören von Lebensräumen stellt (vgl. Liedholz 2021a: 88; Muriel 2021: 00:18:53-00:20:02min.; Schmelz 2021: 225); Dies gilt für eine gendersensible Soziale Arbeit, die Geschlechte- rungerechtigkeiten aufgrund der Klimakrise offenbart und Strategien zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit in politischen und zivilgesellschaftlichen Klimabewegungen fördert (vgl. Liedholz 2021a: 76f.); Und dies gilt für eine inklusive Soziale Arbeit, wel­che im Rahmen der Klimakrise für ihre Klient*innen einsteht und verhindern muss, dass diese aufgrund von erhöhter Vulnerabilität stärker von den Folgen der Klimakrise be­troffen sind (vgl. Liedholz 2021b: o.S.)

Ausgehend von der gerade erläuterten Relevanz von Klimagerechtigkeitskonzepten und damit auch einer sozial-ökologischen Transformation für die Soziale Arbeit soll im fol­genden letzten Kapitel erörtert werden, wie Ansätze einer sozial-ökologischen Trans­formation aussehen könnten und welche Aufgaben die Soziale Arbeit diesbezüglich haben könnte.

[...]


1 Diese Arbeit spricht immer wieder von dem globalen Süden und dem globalen Norden. Beides sind konstruierte Begrifflichkeiten und können nicht als geografische Begriffe verstanden werden. Stattdessen werden sie verwendet, um bestehende Machtstrukturen aufzudecken und zu analysieren. Dabei ist weiter relevant, dass diese Machtstrukturen der Ausbeutung und Unterdrückung des globalen Südens durch den globalen Norden entstanden sind (vgl. LCOY Germany 2021: 00:04:08-00:04:41min.).

2 Der erste von drei Teilen des sechsten IPCC-Sachstandberichts wurde vom Intergovernmental Panel on Climate Change, zu Deutsch Weltklimarat, 2021 veröffentlicht (vgl. IPCC 2021: SPM4)

3 Das Gendersternchen wird verwendet, um vom binären Geschlechtersystem abzurücken und um alle Geschlechter miteinzubeziehen.

4 Hegemonie ist als konsensuale Herrschaft zu verstehen. Herrschaft baut also dabei nicht auf Zwang, sondern auf gesellschaftlichen Konsens auf (vgl. Brand/ Wissen 2017: 58; 45).

5 Der Habitus ist nach Bourdieu die „Natur gewordene, d.h. inkorporierte Kultur, Körper gewordene Klasse“ (Bourdieu 1987: 307, zit. n. Brand/ Wissen 2017: 49).

6 Neo-Extraktivismus ist ein Entwicklungs- und Gesellschaftsmodell, welches „auf der Ausbeutung von Rohstoffen und der Aneignung der Einnahmen aus den Rohstoffrenten lokale Eliten, den Staat sowie nationale oder transnationale Unternehmen basiert“ (Brand 2017: 297f.).

Final del extracto de 62 páginas

Detalles

Título
Sozial-ökologische Transformation als Auftrag für die Soziale Arbeit
Subtítulo
Zur Relevanz von imperialer Lebensweise, Klimagerechtigkeit und Postwachstum für die Soziale Arbeit
Universidad
University of Applied Sciences Braunschweig / Wolfenbüttel; Salzgitter
Calificación
1,0
Autor
Año
2021
Páginas
62
No. de catálogo
V1181064
ISBN (Ebook)
9783346601988
ISBN (Libro)
9783346601995
Idioma
Alemán
Palabras clave
Klimagerechtigkeit, sozial-ökologische Transformation, Postwachstum, Klimawandel, imperiale Lebensweise, Soziale Arbeit, gesellschaftliche Transformation, Klimakrise, Dekolonialität, Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, Buen Vivir, Soziale Landwirtschaft, ökologische Soziale Arbeit, Postwachstumsgesellschaft, internationale Soziale Arbeit, kritische Soziale Arbeit, Extraktivismus
Citar trabajo
Johanna Jahns (Autor), 2021, Sozial-ökologische Transformation als Auftrag für die Soziale Arbeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1181064

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