Pädagogische Kompetenzstärkung Jugendlicher im Umgang mit sozialen Medien


Hausarbeit, 2021

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Soziale Medienkompetenz und mediale Sozialkompetenz

3. Grundlagen für die mediale Sozialkompetenz
3.1 Zu viel Online-Spiele-Zeit
3.2 Digitale Reize
3.3 Neue Selbstbildnisse und ihre Folgen
3.4 Daten voller Informationen
3.5 Einflüsse auf das Kommunikationsverhalten
3.6 Einflüsse auf die eigene Meinung

4. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Unsere Schüler/innen haben nie in einer Welt ohne Internet gelebt, für sie ist Internet wie Leitungswasser.“ (Schwalb, 2015 S.9).

Von den Anfängen der zwischenmenschlichen und interkulturellen Kommunikation über den Buchdruck und die erste Fernseh- und Tonaufzeichnung bis zur heutigen Verbreitung von Informationen per E-Mail, Internet und Social Media liegen tausende Jahre der Menschheitsgeschichte.

Eine Folge jeder dieser Medienrevolutionen war, dass das Verhältnis von Sender zu Empfänger stetig wuchs. Während zu Beginn Informationen mündlich in Form von Sagen, Märchen und Erzählungen oder schriftlich in einfachen Briefen an eine relativ kleine Gruppe von Rezipienten weitergetragen wurden, erreichte das erste gedruckte Buch, die Gutenberg-Bibel, bereits um 1455 eine damals stattliche Auflage von etwa 180 Exemplaren (Karpp, 1979). Sprach Winston Churchill zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in den Kriegswirren des zweiten Weltkriegs, mithilfe von Rundfunk und Fernsehen bereits zu den Menschen ganz Europas (Stiftung Lesen, 2018) bedarf es heute wenig technischer Ausstattung und Fachwissens um in Zeiten von Facebook, Instagram und Twitter Millionen zu erreichen.

Im Gegensatz zu vielen ihrer Eltern wachsen Schülerinnen und Schüler heutzutage in einem Selbstverständnis der Omnipräsenz auf. Kommunikationspartner überall auf der Welt sind rund um die Uhr erreichbar. Aktuelle Informationen und mannigfaltiges Wissen stehen im gleichen Maße zur Verfügung. Das dies nicht spurlos an den Heranwachsenden vorübergeht, scheint verständlich.

Um Themen zu definieren, welche zur Steigerung der medienethischen Sensibilität in zukünftige Lernkonzepte einfließen könnten, trennt vorliegendes Werk zunächst zwei Arten zu vermittelnder Kompetenzen um sich im Anschluss mit einer Übersicht biopsychologischer aber auch ethischer Auswirkungen des Internetkonsums auf unsere Kommunikation und Meinungsbildung zu beschäftigen. Außerdem beleuchtet sie die Gefahren, die in der exponentiellen Verbreitung von Informationen liegen. Dafür beschäftigt sie sich mit der Frage:

Welche grundlegenden Sozialkompetenzen sollte ein Unterrichtskonzept für einen verantwortungsvollen Umgang Jugendlicher in den digitalen Medien stärken?

2. Soziale Medienkompetenz und mediale Sozialkompetenz

Soziale Medien stellen für Kinder und Jugendliche Alltag dar. Sie lernen bereits frühzeitig, selbstständig mit ihnen umzugehen und diese zu nutzen (Fritz et al., 2003). Darauf müssen sich alle Erziehenden einstellen. Ein Hauptaugenmerk moderner digitaler Unterrichtskonzepte liegt schon heute darauf, bereits jungen Lernenden den grundsätzlichen Umgang mit digitalen Arbeitsmitteln und deren technische Möglichkeiten nahezubringen. Da es sich hierbei meist um das Erlernen des fachlichen Umgangs mit digitalen Medien und Tools im Kontext der zwischenmenschlichen Zusammenarbeit mit anderen Individuen auf beruflicher oder lerntheoretischer Ebene handelt, kann dies als soziale Medienkompetenz bezeichnet werden. Ihr scheint, angesichts der Relevanz des Themas in den öffentlichen Diskussionen ob der digitalen Transformation an Schulen und in der Industrie, sowie der damit einhergehenden Qualifizierung von Lehrkräften, ein vorrangiges Interesse zu gelten (Hartmann & Hundertpfund, 2015; Seufert et al., 2018).

Gleichzeitig sollten Lernende jedoch auch hinsichtlich sozialer und ethischer Aspekte sensibilisiert werden, die nicht nur Wissensaneignung, sondern auch persönliche und kommunikative Kompetenzen betreffen. Die Annahme voraussetzend, dass sich spezifische Terminologien im allgemeinsprachlichen Wortschatz einer Gesellschaft meist erst entwickeln, wenn das damit Beschriebene ein hinreichend bedeutsames Vorkommen oder gesellschaftliche Bedeutung entwickelt, ist es bedenklich, dass in der modernen Zeit charakteristische Begriffe wie Cybermobbing (Fawzi, 2015) und Shitstorm (Prinzing, 2015) oder fake news (Lazer et al., 2018) sowie alternative facts (Barrera et al., 2020) entstanden und im Zusammenhang mit dem Internet in den letzten Jahren an Relevanz gewannen.

Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung folgend, beginnt im Alter von 12 Jahren die Formal Operationale Phase, in der die Entstehung und Festigung moralischer Wertevorstellungen und Selbstkonzepte durch logisches Schließen aus abstrakten Informationen stattfindet (Myers, 2014 S.188). Deshalb sollte in diesem Alter besonderes Augenmerk auf die Grundsteinlegung eines verantwortungsvollen Umgangs, nicht nur mit verbal und nonverbal übertragenen, teils wenig fundierten Informationen gelten, sondern auch auf das Potenzial fremdinduzierter Selbstbilder hingewiesen werden. Für dieses Konglomerat an Handlungskompetenzen soll an dieser Stelle der Begriff mediale Sozialkompetenz verwendet werden. Insbesondere um sie soll es im Folgenden gehen.

3. Grundlagen für die mediale Sozialkompetenz

3.1 Zu viel Online-Spiele-Zeit

In der Öffentlichkeit herrscht im Allgemeinen die Meinung vor, dass Jugendliche zu viel Zeit im Internet verbringen (Knoop, 2019; Schmidt, 2015). 2019 schätzten Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren, dass sie im Durchschnitt 205 Minuten im Internet waren (Feierabend et al., 2020 S.24). Die Forschenden betonen jedoch, dass Menschen ihre eigene Onlinezeit häufig zu hoch einschätzen (Araujo et al., 2017; Revilla et al., 2017), was daran liegen könnte, dass unser Gehirn, losgelöst vom Sekundentakt, retrospektiv auf gemachte Erfahrungen in diesem Zeitraum zurückgreift und das Fortschreiten der Zeit daran misst (Wittmann, 2014).

Davon betroffen sind Jungen häufiger im Kontext von Online-Spielen und Mädchen eher im Zusammenhang mit sozialen Medien (Spilková et al., 2017). Dies scheint für beinahe alle Jugendlichen ohne oder nur mit geringem Einfluss von Familien- und Schulformzugehörigkeit zu gelten. Während Studien belegen, dass Jugendliche ab etwa zwei Stunden täglichem Internetkonsum von schlechter psychischer Gesundheit berichten (Cramer & Inkster, 2017), deuten zeitgenössische Quellen eher auf eine empfohlene maximal sechsstündige Onlinenutzungszeit hin (Wehr, 2020). Obwohl in der Forschung bekannt ist, dass übermäßiger Internetkonsum psychische und physiologische Veränderungen hervorruft (Stronge et al., 2019), legt diese große Streuung doch nahe, dass selbst innerhalb der empirischen Psychologie keine einhelligen Zahlen vorherrschen, was genau zu viel bedeutet. Berichte innerhalb psychologischer Berufsgruppen scheinen jedoch zu bestätigen, dass aufgrund der extensiven Nutzung digitaler Medien das Leben vieler Jugendlicher negativ beeinflusst wird (Lissak, 2018; Spitzer, 2012).

Anderslautende Aussagen beruhigen dahingehend und postulieren lerntheoretische Erfahrungen der Jugendlichen bei häufiger Nutzung digitaler Inhalte (Appel & Schreiner, 2014; Milzner, 2016). Bei dieser Diskussion führen Widersacher und Fürsprecher, darunter nicht selten Lobbyverbände (Fiedler & Öztürk, 2018), unterschiedliche empirisch belegte Phänomene ins Feld. So ist bei Personen, die häufig online spielen oder Kurznachrichten auf dem Smartphone schreiben, die Viseomotorik (Hand-Augen-Koordination) besser, als bei Kontrollgruppen (Davood G. Gozli et al., 2014; Fiedler, 2018). Andererseits werden immer häufiger in der postmaterialistischen Sichtweise und auf Basis des Wissens über Neuroplastizität, kognitive Veränderungen ins Feld geführt, die nur durch bildgebenden Verfahren messbar sind (Shors et al., 2012). Eine Metaanalyse legt nahe, dass sich unterschiedliche Bereiche des Gehirns gegenläufig entwickeln (Breiner & Kolibius, 2019). Neuere Studien weisen demnach auf eine nachteilige strukturelle Entwicklung der grauen Substanz kognitiver Gehirnregionen durch Onlinespiele hin (Zhou et al., 2019). Während sich einige motorische Zentren bei häufig Internetnutzenden vorteilhaft entwickeln, zeigt sich eine weitaus größere Anzahl von sensomotorischen, emotionalen und kognitiven Zentren in ihrer Entwicklung gestört (Firth et al., 2019; Spitzer, 2012).

Bezüglich der Kommunikation in sozialen Netzwerken zeigten fMRT-Studien außerdem, dass der Nucleus Accumbens, der mit dem Belohnungszentrum assoziiert wird, beim Empfangen von Likes bei Facebook, eine erhöhte Aktivität zeigt (Meshi et al., 2013). Dies scheint sich auf die Betrachter zu transferieren. Forschende zeigten Teilnehmenden einer Studie unterschiedliche Bilder sowie deren Bewertungen. Dabei reagierten dopaminerge Gehirnregionen auch bei fremden Bildern mit vielen Likes eher, als bei Bildern mit weniger positiven Reaktionen (Lauren E. Sherman et al., 2016). Bedenklich war, dass sich dies auch bei Fotos mit gesundheitsschädigenden Inhalten wie Zigaretten und Alkohol sowie „provozierend gekleideten Altersgenossen“ zeigte (Lingenhöhl, 2016).

3.2 Digitale Reize

Wichtig hinsichtlich eines übermäßigen Internetkonsums ist, dass bei Onlinespielen Bewegungs- und Erfahrungsräume keine besondere Rolle spielen, die so nur in der physischen Umwelt existieren und für den Lernprozess unseres Gehirns überaus wichtig sind. Die Gehirnentwicklung ist stark mit der realen Erfahrungsbildung verbunden und bedingt somit die Bewegung und Interaktion im Raum der realen Umwelt. Wehr (2020) berichtet hier beispielhaft von Medizinstudierenden, denen Lehrende auf der Universität „[…] einfachste Handfertigkeiten […]“ beibringen müssen, um sie als zukünftige Chirurgen dazu zu befähigen „[…] mit Nadel und Faden eine Naht zu ziehen“. Ebenso argumentiert der Autor in der FAZ anschaulich, wenn er meint, dass man einen Ball fängt, weil das Gehirn gelernt hat, die Flugbahn in Sekundenbruchteilen vorauszuberechnen und den Bewegungsapparat auf das Erreichen des Balles vor zu konditionieren (Wehr, 2020). Dies gelingt jedoch nur den Menschen, die im Gegensatz zu Onlinespielenden in der Realität schon einmal Ballspiele wie beispielsweise Fußball oder Tennis trainiert haben.

Bei der Frage der Bestimmung des zu viel Internet scheint mutmaßlich die stetige Reizüberflutung ein herausragender, wenn nicht sogar der begrenzende Faktor zu sein (Hasenbein, 2020). Sie führt schnell zu psychischem Stress und damit einhergehend zu Aufmerksamkeitsstörungen und Müdigkeit (Büsching & Riedel, 2017S. 111). YouTube beispielsweise stellt einer Studie zufolge eine besondere Quelle für signifikante Reizüberflutung dar, während WhatsApp und Snapchat eher für adoleszente Personen gesundheitliche Risiken bergen (Matthes et al., 2020). Doch auch soziale Netzwerke, welche sekündlich eine beachtliche Anzahl neuer Posts anbieten (AllFacebook.de, 2020; Koch, 2013), können die Inhaltsaufnahme selbst medienaffiner Personen stark fordern. Zudem kommt, nicht nur bei älteren Menschen der Effekt der differierenden Reize zum Tragen. In diesem Sinne kann angenommen werden, dass den Betroffenen eine überwältigende Anzahl, zum Teil gegensätzlicher Gesundheitsratschläge und Diagnosen durch nicht medizinisch ausgebildeter Personen angeboten werden (Joury et al., 2018; Kulasegarah et al., 2018), was ebenfalls zu Verwirrung und einer starken kognitiven Belastung führen kann.

Mit der Reizüberflutung zusammenhängend postuliert Milzner (2016) gleichzeitig eine in der heutigen Zeit fehlende, vermutlich auch mit einer immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspanne (Webcampus, 2017) begründete, Aufmerksamkeitssteuerung. Menschen sollten diese als Basiskompetenz biopsychologisch bereits seit dem frühen Kindesalter besitzen, jedoch muss sie in der digitalen Welt von Jugendlichen teilweise erst im Schulalter neu erlernt werden (Milzner, 2016 S.162). Einer der Gründe dafür kann in der persönlichen Lernumgebung der Kinder gesehen werden. Sie beobachten, wie Aufmerksamkeit vielerorts eher auf das Smartphone als auf die physische Umgebung gerichtet ist (Hübner et al., 2020 S.177; Milzner, 2016 S.164). Albert Banduras Theorie des Modelllernens legt nahe, dass dies auch, gerade im Grundschulalter, kindliche Werthaltungen und Einstellungen nachhaltig prägt.

3.3 Neue Selbstbildnisse und ihre Folgen

Wie in einer physischen Community, so wollen Menschen sich selbst auch im Internet möglichst vorteilhaft präsentieren. Dabei gelten Bilder als besonders interessant, da sie viel über die Persönlichkeiten der Darstellenden aussagen. Laut einer Onlinestudie von ARD und ZDF (2019) bewegten sich 2019 täglich ein Großteil der 14-29 jährigen in den sozialen Netzwerken wie WhatsApp (90%), Facebook (35%) und Instagram (47%). Ergänzend hierzu zeigt eine Studie aus Österreich, dass ein großer Teil der Befragten Bilder auf Social-Media-Kanälen wie Facebook (56%) oder WhatsApp (89%) teilen. Etwa ein Drittel (35%) gab an, mehr als zehn eigene Bilder in der Woche zu posten. 78% der Teilnehmenden berichteten, dass es ihnen wichtig ist, auf diesen Fotos vorteilhaft zu wirken (saferinternet.at, 2016). Folglich scheint es für viele Jugendliche sogar vorrangig darum zu gehen, das eigene Selbstbild, auf eine vorteilhafte optische Präsentation herunter zu brechen und nicht selten auch mittels Bildbearbeitung zu potenzieren (Raschendorfer, 2016; Zumbach et al., 2020). Über die Anzahl der Likes wird damit oft das eigene Selbstbild unbewusst auf die Bewertungsmaßstäbe anderer übertragen. Denn wie bereits beschrieben, wird von dopaminergen Belohnungseffekten als Ursache für dieses Verhalten berichtet, welches häufig ähnliche Symptome wie Substanzabhängigkeiten aufweist und in Extremfällen mit entsprechenden Therapiemaßnahmen behandelt werden muss (Kuss & Griffiths, 2017; Weinstein & Lejoyeux, 2010). Aus diesem Grunde wurde bereits vor einigen Jahren die Internet-Gaming-Disorder im Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung (2019) berücksichtigt und im ICD-11 aufgenommen. Verknüpft man Berichte von Betroffenen hinsichtlich der Steigerung eigener Attraktivität im Netz (Schink, 2020; Voigt, 2016 S.83) mit den vorgenannten Studienergebnissen, setzen sich die Betroffenen auf diese Weise bereits in frühen Jahren psychischem Stress aus, der nachhaltig Störungen hervorrufen kann (Pirker, 2018). Die Philosophin Marlene Burggraf (2020) empfiehlt den Jugendlichen an dieser Stelle eine „Gesunde Gleichgültigkeit“, mit der eine Resilienz gegenüber diesen Situationen aufgebaut werden könnte.

Während meinungsbildende männliche Personen sich eher im Kontext von Onlinespielen, Comedy und Politik zeigen, präsentieren sich viele Mädchen und junge Frauen vorrangig in den Themen Mode, Ernährung und Beauty (Götz, 2019; Stiftung MaLisa, 2019). Ein oft diskutierter Aspekt dieser Selbstdarstellung, dem in der Öffentlichkeit besonderes Interesse gilt, ist die neue Sexualität in den geposteten Bildern, dem so genannten sexting. Unter dem Begriff, bestehend aus den Wortteilen sex und texting, wird das Versenden und Empfangen von erotischen Texten und Bildern, teils in provozierenden Posen, verstanden (lecturio, 2016). Ob sexting für die Betroffenen als eine Steigerungsform des Attraktivitätsgedankens gesehen werden kann, muss noch weiter untersucht werden. Der Psychotherapeut Georg Milzner (2016, S. 162) erklärt dieses Verhalten relativierend im Kontext der Sexualrevolution in den 1960er Jahren. So kann seiner Ansicht nach begründet angenommen werden, es handle sich hierbei um ein Äquivalent zur Änderung des Sexualitätsbewusstseins junger Menschen in den 1960er Jahren, die durch die Erfindung des Minirocks oder die Einführung des Bikinis geprägt war. In diesem gesellschaftlichen Umbruch müssen Jugendliche heute in Aufklärungsprogrammen für die Risiken des sextings sensibilisiert werden. Dabei stehen nun weniger damals vorherrschende sexuelle Verhaltensweisen oder Ansichten im Fokus, sondern die Gefahren, welche mit dem Senden der Nachrichten und Bilder an Follower oder Freunde verbunden sind, und die vor Allem in der Weiterverbreitung dieser Inhalte mit unterschiedlichen Absichten bestehen (Döring, 2012).

Grundsätzlich sollten schon ab der Grundschule Jugendliche die Kompetenzen vermittelt bekommen, sich beim Posten oder Versenden von Inhalten grundsätzlich ihres ubiquitären digitalen Fußabdrucks (Weck, 2018), wie auch der Zuverlässigkeit von Rezipienten bewusst zu sein. Sie müssen wertevermittelnd an dieses Thema herangeführt werden, denn Lehrende wie auch Eltern werden die Kommunikation ihrer Kinder in den sozialen Netzwerken nicht verhindern können. Nutzende berichten bei Interviews häufig von einem Zugehörigkeitsgefühl zu einer spezifischen Gruppe von Menschen (Götz, 2019) und Studien zeigen, dass die Ähnlichkeit der Mitglieder solcher Social-Media-Communities beim Erfolg etwaiger Bewältigungsstrategien für unterschiedliche Stressoren eine besondere Rolle spielen (Tegan Cruwys et al., 2020) und es teilweise sogar zum „[…] Transfer von [sozialen] Ressourcen kommen kann“ (Braasch, 2018).

3.4 Daten voller Informationen

Dieser digitale Fußabdruck, also die elektronischen Spuren, die wir Menschen mit jedem Online-Kauf, jedem Bild oder auch jedem Post im Netz hinterlassen, sind für weitere Akteure im Internet von großem Interesse. Die Wirtschaft, allen voran die sozialen Netzwerke ihrerseits, erkannten bereits frühzeitig das marketingwirtschaftliche Potenzial von Daten, als dem „[…] Gold der postindustriellen Gesellschaft […]“ (Baumann, 2016). Doch dies ist, ungeachtet der Diskussion von Datenschutzexpertinnen und –experten, von beiderseitigem Nutzen. Knapp die Hälfte der 751 Befragten einer Studie der Ryerson University und der Universidad Politécnica de Madrid gaben an, ihre Daten bereitwillig zu veröffentlichen, wenn sie dafür eine entsprechende Gegenleistung erwarten können (Jacobson et al., 2020).

Dabei lassen sich diese Informationen an eher ungewohnter Stelle finden. Studien belegen; dank neuer Bildanalysetechnologien innerhalb so genannter Künstlicher Intelligenz wächst das Interesse der Werbetreibenden an Bildern. Dafür analysierten Forschende rund 66.000 Twitter-Profile und fanden einen Zusammenhang zwischen den geposteten Bildern und den Persönlichkeitseigenschaften, welche aus den dazugehörigen Tweets abgeleitet wurden (L. Liu et al., 2016). Zudem liefert das Team um Michal Kosinski (2013) zum Thema Big Data, also der Sammlung und Analyse großer multidimensionaler Datenmengen, beeindruckende Forschungsergebnisse, die eindringlich zeigen, in welch hoher Qualität Interessenten aus den Likes, Tweets oder Bildern von Nutzenden teils intimste Daten einer Person erhalten (Wang & Kosinski, 2018). So korrelieren Ergebnisse der Analyse von Big Data (r 0,56) eher mit der tatsächlichen Persönlichkeit von Nutzenden, als dies Angaben der eigenen Bekannten (r 0,49) vermochten (Youyou et al., 2015). Bestimmte Beiträge können auf diese Weise mit genau spezifizierten Benutzergruppen geteilt werden, um zum Beispiel deren Meinung im Vorfeld von politischen Wahlen beeinflussen zu können (Matz et al., 2017).

Neben der eher negativ konnotierten klassischen Marketingpersonalisierung wartet Big Data jedoch gleichzeitig mit mannigfaltigen spannenden und positiven Möglichkeiten auf: Durch fortschrittliche Datenfernanalyse hochauflösender Bild- und Vitaldaten können beispielsweise vielen Patientinnen und Patienten optimale Behandlungsmethoden angeboten (Hulsen et al., 2019; Huss, 2019; Weiß et al., 2017) und vulnerablen Personen durch gesteigerte Mobilität mehr Teilhabe am Leben zugänglich gemacht werden (Helms et al., 2019; Juhra & al., 2020).

3.5 Einflüsse auf das Kommunikationsverhalten

Folgt man der Literatur, so hat sich der Großteil der Kommunikation im digitalen Zeitalter ins Internet verlagert (Milzner, 2016 S.35). Damit einhergehend scheint der Zusammenhalt, insbesondere in Freundschaften unter Mädchen, sowie deren Rhetorik stärker ausgeprägt, als bei face-to-face Kommunikation (Voigt, 2016 S.1). Der Autor bemerkt am Beispiel inniger Liebesbekundungen unter besten Freundinnen, dass auch bestimmte Bilder auf diese Weise in sozialen Medien für Außenstehende nicht selten die Grenzen zwischen stark emotionalen Freundschaftsbekundungen und potenziell selbstschädigendem Verhalten verschwimmen lassen. So gingen Polizeibeamte bei der Beurteilung von Fotos mit Personen in Gleisbetten, welche mit entsprechend bedenklichen Untertiteln versehen waren und hauptsächlich aus Social Media Beträgen junger Mädchen stammten, eher von suizidalen Gedanken aus, als von einem innigen Ausdruck von Freundschaft (Voigt, 2016 S.8).

Ein ebenfalls häufig zu beobachtendes, jedoch in der psychologischen Forschung noch nicht ausreichend betrachtetes komplexes Phänomen beim Aufeinandertreffen von online - und offline -Kommunikation, ist eine soziale Rangordnung, die Kommunizierende einander zuweisen (Milzner, 2016 S.163). Dabei scheint bei einer, während eines persönlichen Gespräches, eingehenden Nachricht auf dem Smartphone dem entfernten Gesprächspartner ein höherer sozialer Stellenwert eingeräumt zu werden, als dem oder der Anwesenden, was oft zu einer Abgelenktheit von der realen Kommunikation führt. Zeitgenössische Werke führen dies darauf zurück, dass Empfangende aufgrund der physischen Abwesenheit der Anrufenden eine Unaufschiebbarkeit der Kontaktaufnahme wahrnehmen (Milzner, 2016, S. 145). Dadurch baut sich vermutlich in den Rezipienten ein Informationsdefizit auf, welches schnellstmöglich ausgeglichen werden muss (Spiekermann, 2019, S. 83). Das Gespräch mit den Anwesenden hingegen wird, mutmaßlich aufgrund ihrer Präsenz, als verschiebbar angesehen. Zudem sind Zurückgewiesene, im Gegensatz zur face-to-face -Kommunikation, bei Telefonaten selten Teil einer offenen Kommunikationsstruktur. Aufgrund einer daraus resultierenden Unkenntnis des Hintergrundes der Kontaktaufnahme können sie die Relevanz der Fernkommunikation nicht zweifelsfrei einschätzen (Schroeder & Epley, 2020). Auf diese Weise kann ein solches Verhalten auch bei den Zurückgewiesenen psychisches Unwohlsein hervorrufen und in seltenen Fällen sogar zu einer Kränkung führen (Wardetzki, 2014).

Um die Grundkompetenz des Respekts gegenüber den psychischen und kommunikativen Bedürfnissen des jeweiligen Gegenübers in den Jugendlichen zu stärken, müssen sie dafür sensibilisiert werden, dass diese Verhaltensweisen sehr latent, kaum merklich forciert werden und häufig nur mit Methoden der Achtsamkeit zu überwinden sind, denn nur eine ausgewogene zwischenmenschliche Kommunikation erzeugt „[…] ein zu-frieden-stellendes Empfinden von Verbundenheit und Zugehörigkeit im Individuum […]“ (Petzold, 2007). Dazu schlägt Milzner (2016 S.167) an dieser Stelle beispielsweise eine individuelle, auf Eigenschaften wie Empathie, Häufigkeit der Anwesenheit oder Erreichbarkeit basierende Rangfolge von Freunden und Bekannten vor. Eine weitere Empfehlung, die jedoch vermutlich in der heutigen Zeit von vielen Betroffenen nur schwer umzusetzen sein dürfte (Feibel, 2017), ist das Mobiltelefon während der Gesprächssituation in größerer Entfernung und stumm geschaltet aufzubewahren. Zur Verdeutlichung in schulischen Lernsituationen könnte beispielsweise das Setting von Verkaufsgesprächen skizziert werden, bei denen ein solches Verhalten der Marketingexperten gegenüber den Kunden als eher nachteilig, da wenig wertschätzend, betrachtet werden kann.

Ein weiterer Punkt, der im Zusammenhang mit sozialen Medien genannt werden muss, ist die Prädestination, über einen Klick auf entsprechende Symbole schnelle Antworten generieren zu können. Diese „Ein-Klick-Kommunikation“ (Siever, 2015, S. 91) birgt allerdings die Gefahr der Oberflächlichkeit. Mit nur einem Klick auf entsprechende Icons werden oft übereilt gefällte Urteile veröffentlicht. Die Autorin betont dabei sogar die häufige Nutzung, beispielsweise eines Like -Buttons, eher als Empfangsbestätigung, denn als überlegtes positives Urteil (Siever, 2015, S. 92). Durch diese schnelle Kommunikation, und aufgrund dessen, dass diese kaum von erklärenden Informationen begleitet wird, kann auf Seiten der Absendenden selten von einer gewissenhaften Urteilsbildung bezüglich eines Beitrags ausgegangen werden. Eine daraus resultierende Interpretation des Urteiles durch den Rezipienten vermittelt so ein nur wenig zutreffendes Abbild der Realität.

3.6 Einflüsse auf die eigene Meinung

Studien zufolge erfolgt der Bezug von Informationen in Deutschland über Bekannte und Freunde (80,6%), dicht gefolgt vom Internet (72,5%) (Statista, 2020c), also vornehmlich über individuelle, nicht zwingend empirisch evidenzbasiert arbeitende Quellen. Auf diese Weise besteht die Gefahr von Falschmeldungen, wenn die Informationsinternalisierung vorrangig auf Eigeninterpretationen basiert, welche aus individuellen Betrachtungsweisen und Wertvorstellungen resultieren. Dies betrifft die ursprüngliche Quelle wie auch die Weiterverbreitenden. Zudem finden, gerade in Krisenzeiten, in denen Menschen Halt und Führung benötigen, eher die Meinung von sozial näherstehend wahrgenommenen Meinungsbildenden Gehör. Facebook kommt dabei in Deutschland mit einem Anteil von 70% an Falschmeldungen (Statista, 2020b) eine herausragende Bedeutung zu.

Hier spielen sogenannte Influencer und Youtuber eine überaus große Rolle. 51,2% der jungen Erwachsenen halten sie für glaubwürdiger, als klassische Quellen (BVDW, 2020). Damit üben sie einen starken Einfluss auf Kaufentscheidungen aus, scheinen sich jedoch bisweilen nur wenig bewusst darüber zu sein, welche Bedeutung ihnen bei der Verbreitung von Nachrichten zukommt. Studien zeigen, dass Menschen Meinungen und Ansichten eher von Personen übernehmen, die sie kennen und ihnen – wenn auch nur in ihren individuellen Gedankengebäuden - sozial nahestehen (Moussaïd et al., 2017). Ergänzend zu Forschungen bezüglich der Verbreitung von Falschmeldungen von Vosoughi et al. (2018), auf die an anderer Stelle noch eingegangen werden soll, kommt hinzu, dass emotional aufwühlende Beiträge häufiger Resonanz im Publikum erzeugen, als wissenschaftliche Fakten (Brodnig, 2018, S. 8). Zudem bewirkt der Effekt des Confirmation Bias´, dass Nachrichten, die eher den eigenen Vorstellungen und Einstellungen entsprechen, bevorzugt und oft auch ungeprüft angenommen und weiterverbreitet werden (Pohl, 2012, S. 79). Wissenschaftliche Forschungsergebnisse, die dem zuwiderlaufen, finden hingegen wenig Akzeptanz. In der Folge werden Posts von Meinungsbildenden häufig nur allzu bereitwillig in sozialen Netzwerken geteilt und erreichen so eine exponentiell gesteigerte Anzahl von Benutzerinnen und Benutzern.

Expertinnen und Experten schätzen, dass 2019 der weltweiten Wirtschaft durch Falschmeldungen Schäden in Höhe von rund 78 Milliarden US-Dollar entstanden (Statista, 2020a). Dieses Kommunikationsverhalten zeigte sich in der COVID-19 Pandemie 2020 und im kommunikativen Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika in einer neuen Qualität. Ungeprüft veröffentlicht konnten sich Falschinformationen und Konspirationstheorien ebenso schnell im Netz verbreiteten, wie unterschiedliche Auffassungen der Aussagen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Damit hatten sie in dieser Zeit teils ungeahnten Einfluss auf die Spaltung der Gesellschaft. Forschungen belegen ferner, dass sich Falschmeldungen beispielsweise auf Twitter schneller verbreiten, als Wahrheiten (Vosoughi et al., 2018). Weil Falschmeldungen neuartiger seien und somit interessanter als Wahrheiten, würden sie eher angenommen und mit einer um 70% höheren Wahrscheinlichkeit weitergeleitet. Dies betraf vor allem politische Falschnachrichten, was jedoch mutmaßlich auch dem höheren Vorkommen an politisch motivierten Falschmeldungen im Beobachtungszeitraum 2006 bis 2017 zuzuschreiben war, so die Autoren.

Durch eine solch schnelle Verbreitung von teils wenig validierten Nachrichten können sie tief in die Gesellschaft eindringen und diese spalten (Brodnig, 2018, S. 9) oder beispielsweise gesundheitspolitische Entscheidungen von Regierungen in Gefahr bringen (Cinelli et al., 2020). Hinweisend auf die im zweiten Abschnitt erwähnte Entstehung von Fachtermini bei hinreichend gesellschaftlicher Relevanz prägte das Forscherteam um Matteo Cinelli (2020) den Begriff Infodemie.

[...]

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Details

Titel
Pädagogische Kompetenzstärkung Jugendlicher im Umgang mit sozialen Medien
Hochschule
Hamburger Fern-Hochschule
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
23
Katalognummer
V1182816
ISBN (Buch)
9783346605214
Sprache
Deutsch
Schlagworte
pädagogische, kompetenzstärkung, jugendlicher, umgang, medien
Arbeit zitieren
Mario Paetzold (Autor:in), 2021, Pädagogische Kompetenzstärkung Jugendlicher im Umgang mit sozialen Medien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1182816

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