Albert Camus' Positionen im Umgang mit dem Absurden

Eine Betrachtung der Protagonisten aus Camus' "L’Étranger" und Samuel Becketts "En Attendant Godot"


Term Paper (Advanced seminar), 2022

21 Pages, Grade: 1,7


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Philosophie des Absurden
2.1. Das Absurde
2.2. Die Entdeckung des Absurden
2.3. Umgang mit der Absurdität
2.3.1. Suizid
2.3.2. Esquive
2.3.3. Revolte

3. En Attendant Godot
3.1. Umgang mit der Absurdität
3.1.1. Suizid
3.1.2. Philosophischer Suizid
3.1.3. Kurze Phasen der Revolte

4. L'Etranger
4.1. Umgang mit Absurdität
4.1.1. Verdrängung
4.1.2. Krise
4.1.3. Bewusste Revolte

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Il arrive que les décors s'écroulent. Lever, tramway, quatre heures de bureau ou d'usine, repas, tramway, quatre heures de travail, repas, sommeil et lundi mardi mercredi jeudi vendredi et samedi sur le même rythme, cette route se suit aisément la plupart du temps. Un jour seulement, le « pourquoi » s'élève et tout commence dans cette lassitude teintée d'étonnement.“1

Der moderne Mensch richtet sein Leben - meist ganz unbewusst - auf die Zukunft aus, indem er sich kurz- oder langfristige Ziele setzt. Auf ein Ziel hinzuarbeiten, gibt ihm das Gefühl von Struktur und Ordnung. Vordergründig scheint dieses Konzept plausibel zu sein und dem Menschen den Eindruck von Kontrolle zu verleihen. Betrachtet man dieses Lebenskonzept jedoch einmal genauer, lässt sich feststellen, dass sich der Mensch damit selbst betrügt. Indem er sich eine Routine schafft, um ein Ziel nach dem anderen zu erreichen, stillt der Mensch sein Verlangen nach Sinngebung. Das Festhalten an einem bestimmten Ziel verleiht dem Menschen eine Bedeutung im Leben. Die kontinuierliche Arbeit, die Routine, die für das Erreichen des Ziels notwendig ist, erscheint dadurch sinnvoll. Albert Camus nennt dieses Lebenskonzept ein „vie machinale“2, ein Leben, das maßgeblich von Gewohnheiten geprägt ist und darin seinen Sinn findet. In einem vie machinale scheint jeder Wochentag strukturiert durchgeplant zu sein, sodass das Erreichen des Ziels und daraus resultierend der Lebenssinn dauerhaft gesichert sind. Eben jenes vie machinale wird im oben angeführten Zitat von Camus beschrieben.

Ganz unerwartet, so Camus, kann es aber zu einer folgenschweren Unterbrechung dieses von Routine geprägten Lebens kommen. Plötzlich steht das Warum im Raum, was dazu führt, dass „les décors s'écroulent.“34 Das Leben des Menschen, welches immer durch das Festhalten an bestimmten Zielen und die dadurch entwickelte Routine bestand, gerät plötzlich aus den Fugen. Ausgelöst wird diese Krise oft durch einen schwerwiegenden Vorfall, der das vertraute vie machinale unterbricht und dem Menschen somit die Ordnung und Kontrolle über sein Leben und sich selbst entzieht. Dieser Vorfall kann beispielweise der Tod eines Angehörigen, das Bewusstwerden über die Ungerechtigkeit auf der Welt oder ganz aktuell das plötzliche Auftreten einer weltweiten Pandemie sein. Ganz unversehens ist keine Erklärbarkeit mehr gegeben, alles scheint irrational zu sein. Das ist der Punkt, an dem nach Camus „tout commence.“

Mit dieser Sachlage setzt sich der Philosoph und Schriftsteller Albert Camus in der Mitte des 20. Jahrhunderts auseinander. Er beobachtet, dass der Mensch nach Antworten sucht, die ihm die Welt nicht geben kann und früher oder später an einen Punkt gelangt, an dem alles irrational erscheint. Genau hier setzt Albert Camus mit seiner Philosophie des Absurden an, in der verschiedene Positionen darstellt, wie der Mensch angesichts der Irrationalität der Welt trotzdem ein erfülltes Leben führen kann.

Ziel dieser Arbeit soll es demnach sein, anhand von Camus‘ Philosophie des Absurden darzulegen, wie sich der Mensch angesichts der Irrationalität der Welt verhalten soll, um trotzdem glücklich zu sein. Hierzu bietet Camus in seinem wohl bedeutendsten Essay „Le Mythe de Sisyphe“ verschiedene Möglichkeiten an, mit der Sinnlosigkeit zu verfahren. Im ersten Teil der Arbeit wird daher zuerst ein Überblick über die Philosophie des Absurden gegeben, indem zuerst das Absurde definiert wird und in einem zweiten Schritt die verschiedenen Positionen zum Umgang mit dem Absurden aufgezeigt werden. Da Konzepte in der Philosophie oftmals abstrakt und eher theoretisch dargestellt werden, sollen die von Camus vorgeschlagenen Möglichkeiten im Umgang mit dem Absurden im zweiten Teil anhand zweier literarischer Werke veranschaulicht werden. Hierzu dient das Theaterstück „En Attendant Godot“ von Samuel Beckett und der Roman „L'Étranger“ von Camus. Beide Werke eignen sich hervorragend zur Veranschaulichung von Camus‘ Überlegungen zum Absurden, da sich alle Optionen, die Camus im Umgang mit dem Absurden sieht, anhand der Protagonisten aus En Attendant Godot und L'Étranger sichtbar machen lassen. In einer Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse rekapituliert und kurz auf ihre gegenwärtige Relevanz hin beurteilt. Danach folgt noch eine Ausblick auf weitere Forschungsperspektiven.

In dieser Arbeit werden die beiden Werke nicht vergleichend, sondern einander ergänzend betrachtet. Im Hinblick auf das Ziel dieser Arbeit, die Philosophie des Absurden in einer literarischen Anwendung zu untersuchen, werden keine literaturwissenschaftlichen Detailanalysen der beiden Werke durchgeführt. Der Fokus dieser Arbeit liegt ausschließlich auf dem Umgang der Protagonisten aus L'Etranger und En Attendant Godot mit der Absurdität. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, sollen lediglich einzelne Szenen herausgegriffen und im Hinblick auf das Forschungsthema der Arbeit interpretiert werden.

2. Die Philosophie des Absurden

Um nun verstehen zu können, wie sich der Mensch angesichts der Sinnlosigkeit der Welt im Sinne Camus‘ verhalten soll, wird im Folgenden zunächst seine Philosophie des Absurden erläutert. Hierfür wird veranschaulicht, wie Camus absurd definiert, um daran anschließend die Möglichkeiten zum Umgang mit der Absurdität aufzuzeigen.

2.1. Das Absurde

„Ce monde en lui-même n'est pas raisonnable, c'est tout ce qu'on en peut dire. Mais ce qui est absurde, c'est la confrontation de cet irrationnel et de ce désir éperdu de clarté dont l'appel résonne au plus profond de l'homme“5

Für Camus steht fest: die Welt ist irrational, d.h. sie ist mit der Ratio, dem Verstand nicht fassbar, dem logischen Denken nicht zugänglich. Die Auffassung von der Welt als „pas raisonnable“ ist für Camus Verständnis des Absurden von großer Bedeutung, da sie einen Teil des Absurden darstellt. Den anderen Teil des Absurden stellt der nach Antworten suchende Mensch dar. Fügt man beide Teile zusammen, so erhält man das Absurde im Sinne Camus‘. Camus definiert das Absurde als den unüberwindbaren Gegensatz zwischen dem nach Klarheit und Vertrautheit strebenden Menschen und der irrationalen Welt.6 Auf der einen Seite des Absurden steht also der Mensch, der wesentlich durch den Willen gekennzeichnet ist, die irdischen Phänomene zu verstehen, sie zu kategorisieren und auf ein einheitliches Prinzip zurückzuführen. Mit seinem „appétit de clarté“7 versucht er die Welt mit seinem Verstand zugänglich zu machen. Auf der anderen Seite der Absurdität steht aber nicht eine Welt, die durch den Verstand erklärbar wird, sondern eine Welt, die schweigt.8 Die Welt im Sinne Camus‘ ist radikal fremdartig und in ihrer unüberschaubaren Komplexität für den Menschen nicht zu fassen. Daraus folgt die Konsequenz, dass das Verlangen des Menschen nach einer absoluten und allumfassenden Erkenntnis nicht gestillt werden kann.

Aus diesem Konflikt resultiert das Absurde. Annemarie Pieper macht deutlich, dass das Absurde nicht nur den Konflikt zwischen dem nach Klarheit strebenden Menschen und der schweigenden Welt darstellt, sondern vor Allem die Erkenntnis, dass dieser Widerspruch unauflösbar ist.9 Diese Erkenntnis stellt den Kern der Philosophie des Absurden dar; der Widerspruch zwischen dem Menschen und der Welt ist unauflösbar, es gibt keine Möglichkeit, diesen Widerspruch aufzuheben.

Zusammenfassend kann man von einem unlösbaren Zwiespalt sprechen, zwischen einer essenziellen menschlichen Sehnsucht einerseits und ihrer Unerfüllbarkeit andererseits. Und um es mit Camus' Worten zu sagen: „Mensch und Welt sind verdammt, miteinander zu leben, ohne sich je zu umarmen.“10

Nachdem nun deutlich geworden ist, was Camus unter absurd versteht, stellt sich die Frage, wie der Mensch mit dem Absurden in Kontakt kommt. In welchen Situationen wird sich der Mensch über den unauflösbaren Widerspruch zwischen sich selbst und der Welt bewusst? Und kann das Gefühl der Absurdität jeden Menschen erfassen, sei er alt oder jung, weiblich oder männlich, arm oder reich?

2.2. Die Entdeckung des Absurden

Camus ist der Meinung, dass „le sentiment de l'absurdité au détour de n'importe quelle rue peut frapper a la face de n'importe quel homme.“11 Hier wird deutlich, dass das Gefühl der Absurdität jeden Menschen zu jedem beliebigen Zeitpunkt erfassen kann, ungeachtet dessen Geschlechts, Alter, soziokultureller Herkunft oder Religion. Die Entdeckung des Absurden durch den Menschen ist demnach nicht an einen bestimmten Ort, eine bestimmte Zeit oder eine anderweitige Bedingung geknüpft.

Obwohl die Entdeckung des Gefühls der Absurdität logischerweise ein Teil der Philosophie des Absurden ist, interessiert sich Camus weniger für die Entdeckung des Absurden als für deren Konsequenzen.12 Hier wird deutlich, dass

„die Deskription der absurden Erfahrungen [geschehen] [...] nicht um des Logischen willen, sondern [...] in praktischer Absicht, d.h. aus dem Absurden wird etwas gefolgert, das für die menschliche Existenz unendlich bedeutsam ist.“13

Die absurde Logik wird bei Camus also zur Grundlage einer Philosophie des Lebens.

2.3. Umgang mit der Absurdität

Indem Camus weniger an der Entdeckung als an den Konsequenzen des Absurden interessiert ist, richtet er seinen Fokus die Frage, wie der Mensch in einer absurden Welt leben kann, ohne zugrunde zu gehen. Angesichts dieser Fragestellung präsentiert Camus drei verschiedene Positionen, die im folgenden Kapitel dargelegt werden sollen.

...


1 Camus, Le Mythe, S. 29.

2 Ebd.

3 Ebd.

4 Ebd.

5 Ebd., S. 39.

6 Vgl. ebd., S. 20.

7 Ebd., S. 34.

8 Ebd., S. 46.

9 Vgl. Pieper, „Absurde Logik“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, S. 424.

10 Lesch, „Der Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten. Der Philosophische Selbstmord“, in: Die Gegenwart des Absurden. Studien zu Albert Camus.

11 Camus, Le Mythe, S. 26.

12 Vgl. ebd., S. 33.

13 Pieper, S. 425.

Excerpt out of 21 pages

Details

Title
Albert Camus' Positionen im Umgang mit dem Absurden
Subtitle
Eine Betrachtung der Protagonisten aus Camus' "L’Étranger" und Samuel Becketts "En Attendant Godot"
College
University of Heidelberg
Grade
1,7
Author
Year
2022
Pages
21
Catalog Number
V1183715
ISBN (eBook)
9783346607188
ISBN (Book)
9783346607195
Language
German
Keywords
Existenzialismus, Camus, Samuel Beckett, Philosophie des Absurden, Absurdes Theater
Quote paper
Lea Seib (Author), 2022, Albert Camus' Positionen im Umgang mit dem Absurden, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1183715

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