Die Wächterfigur in Tageliedern Wolframs von Eschenbach. Vergleich mit der Figur der Brangäne in Richard Wagners "Tristan und Isolde"

Die Tagelieder "Sîne klâwen durch die wolken sint geslagen" und "Von der zinnen"


Dossier / Travail, 2021

18 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 3

2. Das Tagelied und die Einführung der Wächterfigur durch Wolfram von Eschenbach ... 4

2.1 Die Wächterfigur in Wolframs Sîne klâwen durch die wolken sint geslagen ... 5

2.2 Die Wächterfigur in Wolframs Von der zinnen ... 8

3. Die Liebesnacht und Brangänes Wächtergesang im zweiten Akt der Oper Tristan und Isolde ... 10

3.1 Übereinstimmungen zwischen den Wächterfiguren Wolframs von Eschenbach und Richard Wagners ... 13

3.2 Unterschiede zwischen den Wächterfiguren Wolframs von Eschenbach und Richard Wagners ... 15

4. Fazit ... 16

Literaturverzeichnis ... 17

1. Einleitung

Über die Liebenden in der Nacht wachen, sie vor dem anbrechenden Tag warnen,[1] „soziale Restriktionen durchsetz[en], dabei aber Solidarität mit den Minnenden zeig[en] [...]“[2] ­– die Einführung der Wächterfigur in das Tageliedsujet durch Wolfram von Eschenbach bereicherte das Genre um neue Themen und Denkweisen. Diese lassen sich unter anderem noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gattungsübergreifend in Richard Wagners Oper[3] Tristan und Isolde wiederfinden. Um diese erfolgreiche Etablierung nachzuvollziehen, soll in der vorliegenden Arbeit die Erweiterung des Tagelieds zum Wächtertagelied und die Verarbeitung in der Musik untersucht werden. Zunächst erfolgt ein einleitender Überblick über die Gattung Tagelied.[4] Anschließend wird die Wächterfigur in den Blick genommen und in den TageliedernSîne klâwen durch die wolken sint geslagen und Von der zinnen Wolframs analysiert. Die Untersuchungsgegenstände sind hierbei die Relevanz des Wächters für das Lied, seine Tugenden, die Beziehung zu weiteren Figuren und sein Standpunkt im Raum. Als Gegenüberstellung zur mittelalterlichen Literatur wird im dritten Kapitel die Wächterrolle bei Richard Wagner betrachtet, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten der gattungsübergreifenden Verwendung aufzeigen zu können. Konkret wird untersucht, inwiefern Wagner in seiner Oper Tristan und Isolde Brangäne als eine Wächterfigur nach dem Vorbild Wolframs schuf. Der Fokus wird auf dem zweiten Akt liegen, da dieser die Liebesnacht zwischen Tristan und Isolde und den damit verbundenen Wächtergesang Brangänes thematisiert. Die Arbeit schließt mit einem Fazit, das die Forschungsergebnisse resümiert.

2. Das Tagelied und die Einführung der Wächterfigur durch Wolfram von Eschenbach

Das Tagelied ist ein „am Morgen gesungenes Lied, morgendlicher Weckruf [...]“[5], welcher den „Abschied zweier Liebender bei Tagesanbruch nach einer Liebesnacht [...]“ [6] thematisiert. Im Gegensatz zu anderen Gattungen mittelalterlicher Dichtung behandelt das Tagelied nicht die unerfüllte Liebe, sondern die Trennung nach der erfolgreichen unio. [7] Dadurch, dass die Liebenden nicht verheiratet sind, muss diese im Verborgenen vollzogen werden.[8] [9] Das Tagelied ist von bestimmten Motiven geprägt: „Morgenanbruch, Weckruf, Trennungsklage, letzte Vereinigung der Liebenden, Abschied.“ [10] Diese Themen werden immer wieder abgewandelt und mit verschiedener Gewichtung behandelt.

Die Gattung fand ihren Ursprung im 12. Jahrhundert und erreichte ihre Blütezeit im 13. Jahrhundert. Spätere Textbeispiele lassen sich im deutschsprachigen Raum aber noch bis ins 15. und 16. Jahrhundert in Form von geistlichen Tageliedern finden. [11] Das Tageliedsujet ist in mindestens fünfzig Literaturen der Welt zu finden, einige Beispiele reichen bis in die Neuzeit. [12] Eine mögliche Begründung für die Etablierung des neuen Genres findet de Boor, dessen Theorie besagt, dass das Tagelied dazu dient, „die naturgegebene Wechselseitigkeit und die naturhafte Sinnenseite der Liebe wenigstens in einem fiktiven Erlebnis auszuleben.“ [13] Insbesondere durch die Tatsache, dass die Thematik lediglich in diesem fiktiven Kontext betrachtet würde, erkennt er im Tagelied ein Mittel, durch das die höfischen Konventionen akzeptiert würden. [14] Die Einordnung in diesen höfischen Kontext erfolgt zum Teil über Personenbezeichnungen oder die Erwähnung von bestimmten Orten oder Räumen. [15]

Insgesamt sind fünf Tagelieder Wolframs überliefert. Wolfram hat als vermutlich erster Autor in Deutschland die Wächterfigur eingeführt und somit das deutsche Wächtertagelied begründet. [16] Diesem Wächter kommen verschiedene Aufgaben zu. Er soll in Solidarität über die Liebenden wachen, [17] er ist aber zugleich Mittler der Trennung und führt den Abschied herbei. [18] Während der Wächter in vier der fünf Tageliedern als Person vorkommt und teilweise selbst handelt und spricht, bleibt er im fünften Tagelied Ez ist nu tac unerwähnt. Nach de Boor hat Wolfram die Wächterrolle anfangs nach provenzalischem Vorbild nachgeahmt, woraufhin es zu einer stärkeren Betrachtung der Emotionen und inneren Vorgänge der Liebenden gekommen ist, die den Wächter schließlich nebensächlich gemacht hat. [19] Diese spätere Entwicklung soll im Folgenden jedoch nicht Teil des Untersuchungsgegenstandes sein. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf den handelnden und sprechenden Wächterfiguren in den TageliedernSîne klâwen durch die wolken sint geslagen und Von der zinnen.

2.1 Die Wächterfigur in Wolframs Sîne klâwen durch die wolken sint geslagen

Zentral für Sîne klâwen durch die wolken sint geslagen ist eine Wechselrede zwischen Dame und Wächterfigur. Zu Beginn warnt der Wächter vor dem nahenden Tag, der wie „ein riesiger Raubvogel [...] seine Klauen durch das Gewölk geschlagen [...]“ [20] hat, und die Liebesnacht beenden wird und artikuliert, dass er den Ritter rechtzeitig fortbringen müsse. Die Dame entgegnet, dass seine Worte ihr dievreude[21] (2,2) nähmen und versucht, ihn davon zu überzeugen, ihren Geliebten nicht mitzunehmen. Stoisch wiederholt der Wächter seine Warnung und fordert zum Abschied der Liebenden auf, damit der Mann sein Ansehen in der Gesellschaft behalte. Erneut klagt die Dame ihr Leid und versucht ihn davon zu überzeugen, die Verbundenheit nicht aufzulösen. Die letzte Strophe, welche als einzige ohne direkte Rede auskommt, erzählt vom Wächtergesang und verbildlicht die unio der Liebenden, bevor es zum Abschied kommt.

Die Relevanz der Wächterfigur in diesem Tagelied ist bereits am hohen Redeanteil zu erkennen. Wolfram überlässt dem Wachenden zwei Strophen, in denen er verdeutlicht, welche Pflichten dieser zu erfüllen hat, während der Ritter selbst zu keinem Zeitpunkt zu Wort kommt. Nichtsdestotrotz wird an mehreren Stellen Bezug auf ihn genommen. So repräsentiert der Ritter aus Sicht des Wächters die höfischen Werte, mit denen er durch die außereheliche unio bricht. Diese Werteabsage schmälert aber nicht die triuwe (2,8 und 3,7) des Wächters, welche gleich zweimal Einzug in den Text hält. Eben diese Treue oder dieses gegebene Wort verlangt die Dame dem Wächter ab, indem sie ihn dazu auffordert, den Tagesanbruch nicht anzukündigen und somit die Liebesnacht nicht zu stören. Hier wird deutlich, dass der Wächter in einem Dienstverhältnis zur Dame oder zum Ritter stehen muss, da sie ihm im Gegenzug lôn (2,9) verspricht.[22] Auffällig ist das herrische Verhalten der Dame, die die ausgesprochenen Warnungen nicht wahrhaben möchte und sich in den Diskurs mit dem Wächter begibt. Durch ihre Widerworte stellt sie sich über ihn und lässt sich dadurch überhaupt erst als vrouwe ausmachen. Zugleich wird so der niedrigere gesellschaftliche Status des Wächters aufgezeigt. [23] Dass der Wächter trotz des implizierten Abhängigkeitsverhältnisses widerspricht, mag unschlüssig wirken, lässt sich aber anhand verschiedener Textstellen begründen. Auf der einen Seite gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Wächter das Abhängigkeitsverhältnis zu den Liebenden in gleicher Weise wahrnimmt,[24] [25] auf der anderen Seite steht für ihn das Ansehen und die êre des Ritters, die er bewahren möchte, im Vordergrund.[26]

[...]


[1] Vgl. Schweikle, Günther: Minnesang. Stuttgart 1995 (Sammlung Metzler, Bd. 244), S. 137.

[2] Mohr, Jan: Tagelied. In: Kellner, Beate / Reichlin, Susanne / Rudolph, Alexander (Hrsg.): Handbuch Minnesang. Berlin 2021, S. 535.

[3] Wagner selbst bezeichnet Tristan und Isolde als ‚Handlung in drei Aufzügen‘ und lehnt die Begriffe ‚Oper‘ und ‚Musikdrama‘ ab. Vgl. Voss, Egon: Nachwort. In: Wagner, Richard: Tristan und Isolde. Textbuch mit Varianten der Partitur. Stuttgart 2003, S. 113–114. Für eine Gattungszuordnung wird in dieser Arbeit dennoch der Begriff ‚Oper‘ verwendet.

[4] Zum Gattungsbegriff: Kühnel, Jürgen: Das Tagelied. Wolfram von Eschenbach: Sîne klâwen. In: Tervooren, Helmut (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen. Mittelalter. Stuttgart 1993, S.147–148.

[5] Schweikle 1995, S. 137.

[6] Ebd.

[7] Vgl. Herchert, Gaby: Einführung in den Minnesang. Darmstadt 2010, S. 57.

[8] Vgl. Mohr 2021, S. 534.

[9] Nach Bumke kann sich die „Liebe [...] nur außerhalb der Ehe voll verwirklichen [...].“ Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München 1992 (Band 2), S. 530. So gäben sich die Liebenden einander freiwillig hin, während Eheleute unter dem Gebot gegenseitiger Pflichtleistung stünden. Vgl. ebd. An dieser Stelle wäre eine weitere Untersuchung möglich, inwiefern die Liebe in den Tageliedern tatsächlich eine echtere ist als diejenige, die in mittelalterlichen Ehen vorzufinden ist.

[10] Bumke, Joachim: Art. Wolfram von Eschenbach. In: 2 VL 10 (2012). Verfasser-Datenbank: https://www.degruyter.com/database/VDBO/entry/vdbo.vlma.4930/html (Zugriff 09.10.2021).

[11] Mohr 2021, S. 534.

[12] Hierzu: Hatto, Arthur: Eos. An enquiry into the theme of lovers‘ meetings and partings at dawn in poetry. London 1965.

[13] De Boor, Helmut: Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang. 1170–1250. München 1991 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 2), S. 312.

[14] Vgl. ebd.

[15] Vgl. Schweikle 1995, S. 139.

[16] Vgl. Bumke 2012.

[17] Vgl. Schweikle 1995, S. 137.

[18] Vgl. Zons, Alexander: Der Bote. In: Eßlinger, Eva / Schlechtriemen, Tobias / Schweitzer,
Doris (Hrsg.): Die Figur des Dritten. Ein kulturwissenschaftliches Paradigma. Berlin 2010, S. 160.

[19] Vgl. de Boor 1991, S. 313.

[20] Kühnel 1993, S. 153.

[21] Künftig zitiert nach: Wolfram von Eschenbach: Sîne klâwen durch die wolken sint geslagen. In: Tagelieder des deutschen Mittelalters. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Martina Backes, Einleitung von Alois Wolf. Stuttgart 2003, S. 90–94.

[22] Vgl. Kühnel 1993, S. 150–151.

[23] Vgl. ebd., S. 152.

[24] Vgl. ebd., S. 151.

[25] Moser und Tervooren widersprechen dieser Ansicht und sehen ein „feste[s] Dienst-Lohn-
Verhältnis [...].“ Moser, Hugo und Tervooren, Helmut: Kommentar zu Wolframs von Eschenbach Sîne klâwen durch die wolken sint geslagen. In: Tagelieder des deutschen Mittelalters. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Martina Backes, Einleitung von Alois Wolf. Stuttgart 2003, S. 245.

[26] Zum Nebeneinander von gesellschaftlichen Normen und minne: Kühnel 1993, S. 157.

Fin de l'extrait de 18 pages

Résumé des informations

Titre
Die Wächterfigur in Tageliedern Wolframs von Eschenbach. Vergleich mit der Figur der Brangäne in Richard Wagners "Tristan und Isolde"
Sous-titre
Die Tagelieder "Sîne klâwen durch die wolken sint geslagen" und "Von der zinnen"
Université
University of Dusseldorf "Heinrich Heine"  (Institut für Germanistik / Abt. III Germanistische Mediävistik)
Cours
„Saget mir ieman, waz ist minne?“ Mittelhochdeutsche Liebeslyrik
Note
1,3
Auteur
Année
2021
Pages
18
N° de catalogue
V1184137
ISBN (ebook)
9783346604354
ISBN (Livre)
9783346604361
Langue
allemand
Mots clés
Wolfram von Eschenbach, Richard Wagner, Wächterfigur, Brangäne, Tagelieder, Tristan und Isolde, Weckruf, Liebesnacht, Oper
Citation du texte
Tom Hackbarth (Auteur), 2021, Die Wächterfigur in Tageliedern Wolframs von Eschenbach. Vergleich mit der Figur der Brangäne in Richard Wagners "Tristan und Isolde", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1184137

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