Ovid, Heroides - Das Hass-Liebe-Motiv Medeas im 12. Heroides-Brief Ovids


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2004

13 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

Einleitung

Erster Teil: „Medea amans“:
1. Liebe auf den ersten Blick
2. Abschied
3. Verbrechen aus Liebe

Zweiter Teil: „Medea furens“:
1. Hochzeitszug
2. Drohung gegen Creusa
3. Verallgemeinerte Drohung

Zusammenfassende Schlussbemerkung

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung:

„Der Medea-Stoff ist fraglos eines der Lieblingsthemen Ovids.“[1] Während die Medea-Tragödie Ovids leider nur in zwei Fragmenten überliefert ist, widmete sich Ovid der Frauengestalt Medea in den Tristien 3,9, in den Metamorphosen 7 und in den Heroides 6 und 12. Hier soll nun der 12. Heroides-Brief näher untersucht werden. Im 12. Heroides-Brief geht es, kurz gesagt, um die von Jason verlassene Medea, nachdem sie ihm mit ihren Zauberkräften zur Erlangung des Goldenen Vlieses geholfen hat. Obwohl Jason in Creusa bereits eine neue Liebschaft gefunden hat, fordert Medea Jason zurück und sinnt auf Rache. Ovid beschreibt Medea in diesem Brief als leidenschaftlich Liebende auf der einen Seite, auf der anderen Seite als drohende Rächerin. Eben diese Bipolarität zwischen einer „Medea amans“ und einer „Medea furens“ soll im folgenden herausgearbeitet werden, indem charakteristische Textausschnitte, die Medea als amans bzw. furens zeigen, genauer analysiert werden.

Erster Teil: „Medea amans“

1. Liebe auf den ersten Blick

In den Versen 31-38 beschreibt Ovid den Moment, in dem Medea Jason zum ersten Mal sah, und wie sie sich in ihn „auf den ersten Blick“ verliebte. „Das Motiv der Liebe auf den ersten Blick ist in der antiken Literatur sehr weit verbreitet (W.Kroll ad loc.: Die Antike kennt nur Liebe auf den ersten Blick).“[2] Dieses Motiv setzt Ovid rhetorisch geschickt durch die Anapher tunc…tunc (V.31) um. Diese verstärkt eben das Augenblickliche, das Plötzliche, das Momentane, das hier ausgedrückt werden soll. Auffallend ist, dass Medea hier in der ersten Person Singular spricht: vidi…coepi (V.31); vidi…perii (V.33). Betont durch das ego (V.31), lässt Ovid Medea hier als diejenige auftreten, die die Initiative ergreift, handelt und Jason von Beginn an wahrnimmt. Knox bestätigt dies: „Throughout the rest of the epistle she complains of having been taken in by Jason, but here she appears to be saying that she perceived his nature from the beginning.“[3] Heinze kann der Behauptung von Knox hier nicht zustimmen. Medea hat sich also schon hier total in Jason „verschossen“. Jacobson bezeichnet Medea in diesem Zusammenhang als „innocent lovesick girl“[4], was treffender nicht formuliert werden könnte.

Tunc ego te vidi ; tunc coepi scire quis esses;[5] So lautet der entscheidende Satz. Doch scheint an dieser Stelle eine Korrektur notwendig, da die Parallelen und die Überlieferung eher für ein quid anstatt für ein quis sprechen. Quis fragt nämlich nach der Identität oder nach der individuellen Beschaffenheit (wer?), wohingegen quid nach dem Wesen, nach der Begriffsbestimmung (von welchem Schlage?) fragt.[6] Quid ist nicht zuletzt deshalb hier einleuchtender, weil Medea schon hier Jason durchschaut und zu beginnen weiß, von welchem Schlage er sei. Im nächsten Vers zieht sie daraus die Konsequenzen, und Ovid lässt Medea bereits hier feststellen, dass ihre Liebe zu Jason zum Scheitern verurteilt ist: …mentis prima ruina meae.[7] Die beiden Doppelverse V. 33/34 und V.35/36, die anaphorisch durch ein et verbunden sind, stellen im Grunde eine repetitio von Medeas Liebesmotiv dar. Ovid drückt sich hier besonders pointiert aus, indem er die beiden Verben vidi und perii geschickt durch das Polysyndeton et…et verbindet und den ganzen Ausdruck in einen Parallelismus verkleidet: Et vidi et perii nec notis ignibus arsi[8]. Medea erblickte Jason und war hin und weg. Sie entbrannte durch ihr bisher unbekannte Feuer, nämlich durch die Feuer der Liebe. Das heißt, sie brannte förmlich, ihr Herz war warm und loderte innerlich mit der Kraft und Energie eines Feuers. Das arsi am Ende von Vers 33 nimmt Ovid zu Beginn von Vers 34 mit ardet wieder auf und überträgt die Feuer-Metapher auf die religiöse Ebene. Medeas „Liebesfeuer“ wird mit der pinea taeda (V.34), der fichtenen Fackel verglichen, die man den Göttern weiht. Dadurch bekommt Medeas „Liebesfeuer“ eine noch stärkere, offiziellere Bedeutung, vor allem dann, wenn man noch heranzieht, dass taeda auch mit Hochzeitsfackel zu übersetzen ist. In Vers 35 bekräftigt Medea Jasons Schönheit: Et formosus eras… Diese Schönheit Jasons nimmt Ovid schon zu Beginn des 12. Briefes auf: Cur mihi plus aequo flavi placuere capilii[9]. Die blonden Haare haben es Medea also angetan. Ovid spielt hier mit dem Topos, dass Heroen und Heroinen in der antiken Literatur sehr oft blond dargestellt werden, und blondes Haar seit Catull in der lateinischen Literatur zu einem unverzichtbaren Schönheitsattribut für Heroen und Heroinen wurde. Wie auch heute noch in unserer modernen Gesellschaft und besonders in südlichen Ländern, dürfte von blondem Haar eine besondere erotische Attraktion ausgegangen sein.[10] Diese erotische Attraktion hat Medea sprichwörtlich „angezogen“, oder genauer gesagt: … et me mea fata trahebant (V.35). Ovid drückt sich hier wieder sehr pointiert aus, indem er durch das et eine enge Verknüpfung zum ersten Teil von V. 35 erreicht, und eine Alliteration me mea, sowie ein Homoioteleuton mea fata einbaut. Dadurch sind die drei Worte me mea fata sehr eng miteinander verbunden. Ovid lässt Medea hier „passiv“ erscheinen, wenn Medea sagt, ihr Schicksal zog sie zu Jason hin. „Die Formulierung weist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem stoischen Schicksalsgedanken auf.“[11] Medea ist zwar an das fatum der Götter ausgeliefert, aber trotzdem trägt Medea ihren Teil dazu bei, und kann die Verantwortung nicht von sich schieben. Sie war es, die sich unsterblich und voller Hingabe in Jason verliebte. In Vers 36 wird dann das Motiv der Liebe auf den ersten Blick „wörtlich“ genannt: Abstulerant oculi lumina nostra tui[12] Medea spricht Jason hier direkt an: „Deine Augen hatten meine Blicke hingerissen“. Man beachte Ovids Ausdrucksweise für Augen/Blicke durch oculi/lumina. Medea sah Jasons Augen und war hingerissen, gefesselt, geblendet, so dass sie quasi nicht mehr rational handeln und wahrnehmen konnte, sondern ganz von der Liebe zu Jason kontrolliert wurde. Die Liebesfeuer-Metaphorik wird in V. 38 wieder aufgenommen, wo Medea zugibt, dass ihre Liebe ja offensichtlich für Jason zu erkennen war, denn: Eminet indicio prodita flamma suo[13] Vielleicht spielt hier Medea darauf an, dass sie rot wurde, was ganz gut in Ovids Bild der liebenden Medea passen würde. Das Erröten erinnert doch sehr an die erste große Liebe und hat damit etwas Unschuldiges, Naives, Jugendhaftes. Medea zeigt hier dann sogar Verlegenheit und Schamgefühl: Eine Medea, die ihre Gefühle zeigt.

2. Abschied

Diese Gefühle und intensive Emotionalität Medeas betont Ovid in den Versen 55-64, in denen die Abschiedsszene der Argonauten samt Jason geschildert wird. „Dabei nimmt sie, nicht ohne ihm Traurigkeit (tristis) zu unterstellen, die Beschreibung von Jasons Abgang da auf, wo sie ihre eigenen Gefühle darstellt.“[14] Das bedeutet, dass Medea Jason Traurigkeit unterstellt, obwohl dies vielleicht gar nicht der Fall ist. Allerdings erreicht Ovid dadurch, dass Medeas Gefühlswelt noch stärker zum Ausdruck kommt, und sich ihre tiefe Emotionalität und Liebe zu Jason zeigt. Die Abschiedssituation hat somit einen noch dramatischeren Charakter. Tristis abis ; oculis abeuntem prosequor udis.[15] Jason verlässt Medea, nach ihrer Ansicht, traurig. Medea schaut ihm mit tränenden Augen nach. Sie schickt ihm noch ein vale (V.56), das häufig in sentimentalen Abschiedsszenen in der Literatur Anwendung findet, nach. Interessant ist, dass dieses vale (V.56) eine tenui murmure lingua (V.56) ausspricht, das heißt, dass lingua hier Subjekt zu sein scheint. Dieses „zarte, leise Murmeln/Schluchzen“ der Abschiedsformel demonstriert eine emotionale, sentimentale und in Liebe schwelgende Medea. Der Abschied trifft Medea emotional schwer im Herzen, weshalb sie sich male saucia (V.57), „``sore stricken`` with love’s dart“[16], zu Bette begibt, aber die ganze Nacht weinend verbringt ohne Schlaf zu finden: Acta est per lacrimas nox mihi, quanta fuit.[17] Medea lässt ihren Gefühlen freien Lauf und lässt den Leser daran teilhaben. Denn „mit Ovids Medea kann man weinen.“[18] Vor lauter Liebe kann sie die ganze Nacht nicht schlafen, was durch folgendes Zitat bestätigt wird: „Love-sick heroines are notorious insomniacs.“[19] Medea hat Angst um Jason, dem gefährliche Taten bevorstehen. Ein zentraler Satz in diesem Abschnitt zur Liebesthematik Medeas folgt: Hinc amor, hinc timor est ; ipsum timor auget amorem.[20] Ovid drückt sich hier wieder sehr pointiert aus, indem er die erste Hälfte des Verses anaphorisch durch hinc…hinc verbindet und zudem in der zweiten Vershälfte seinen Chiasmus komplettiert: amor…timor…timor…amorem. Affekte werden in der Literatur oft als direkte Gegensätze dargestellt. Zwar werden hier in der ersten Vershälfte von V.61 Medeas Liebe zu Jason und Medeas Angst um Jason einander gegenübergestellt, doch soll hier nicht ein Gegensatz, sondern eine Differenzierung der Affekte erreicht werden, um den zweiten Teil des Verses vorzubereiten. Die Liebe erfährt nämlich durch die Angst eine Steigerung. Für gewöhnlich wird Liebe durch Warten oder Frustration gesteigert, was hier nicht der Fall ist. Deshalb scheint der Gedanke einer Steigerung der Liebe durch die Angst um den Geliebten neu.[21] Die tiefe Trauer über den Abgang Jasons macht sich bei Medea deutlich, indem sie nach durchwachter Nacht mit wirren Haaren: Disiectamque comas (V.63) daliegt. Die Trauergeste des Haareraufens ist in der Literatur weithin bekannt. Das folgende Wort ist in der Überlieferung umstritten, ob es adversa oder aversa (V.63) heißen muss. Um es kurz zu machen: Heinze zieht das aversaque in ora iacentem (V.63) vor, was nicht zuletzt deshalb an dieser Stelle plausibler erscheint, weil Ovid durch das Abwenden Medeas sowohl ihre Trauer als auch ihre Scham zum Ausdruck bringt.[22] Diese Offenheit für Gefühle Medeas erfährt in dem folgenden Vers 64 eine Steigerung, wenn Medea ihren Tränen freien Lauf lässt: …lacrimis omnia plena meis (V.64).

[...]


[1] Schmitzer 2001, 52.

[2] Heinze 1997, 122.

[3] Knox 1986, 220.

[4] Jacobson 1974, 118f.

[5] Ovid, Her. 12, 31.

[6] Vgl. Heinze 1997, 121.

[7] Ovid, Her. 12, 32.

[8] Ovid, Her. 12, 33.

[9] Ovid, Her. 12, 11.

[10] Vgl. Heinze 1997, 96.

[11] Heinze 1997, 125.

[12] Ovid, Her. 12, 36.

[13] Ovid Her. 12, 38.

[14] Heinze 1997, 135.

[15] Ovid, Her. 12, 55.

[16] Palmer 1967, 391.

[17] Ovid, Her. 12, 57.

[18] Liebermann 1974, 206.

[19] Heinze 1997, 135.

[20] Ovid, Her. 12, 61.

[21] Vgl. Heinze 1997, 136.

[22] Vgl. Heinze 1997, 139.

Fin de l'extrait de 13 pages

Résumé des informations

Titre
Ovid, Heroides - Das Hass-Liebe-Motiv Medeas im 12. Heroides-Brief Ovids
Université
University of Freiburg  (Seminar für Klassische Philologie)
Cours
Medea bei Ovid und Seneca
Note
1,3
Auteur
Année
2004
Pages
13
N° de catalogue
V118441
ISBN (ebook)
9783640216864
ISBN (Livre)
9783640217151
Taille d'un fichier
421 KB
Langue
allemand
Mots clés
Ovid, Heroides, Hass-Liebe-Motiv, Medeas, Heroides-Brief, Ovids, Medea, Ovid, Seneca
Citation du texte
Andreas Keilbach (Auteur), 2004, Ovid, Heroides - Das Hass-Liebe-Motiv Medeas im 12. Heroides-Brief Ovids, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118441

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