Im Folgenden soll ein Überblick darüber gegeben werden, wie sich konkret die politische Gewalt – Stichwort latenter Bürgerkrieg – in den letzten Jahren der Weimarer Republik vollzogen hat. Ein Schwerpunkt soll dabei auf den Zeitraum unter dem Kabinett von Papen gelegt werden. Um jedoch die Entwicklung der politischen Geschehnisse im Zusammenhang mit der Gewalt besser nachvollziehen zu können, wird zunächst auf die beiden Jahre zuvor unter dem Kabinett Brüning eingegangen. Zur Vervollständigung wir ebenso in kurzem Umfang das Kabinett Schleicher mit Blick auf die vorliegende Thematik abgehandelt. Als literarische Basis werden dabei vorwiegend die Werke „Weimars Ende“ von Dirk Blasius sowie „Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918 – 1933“ von Dirk Schumann dienen. Die restliche verwendete Lektüre gehört zur Forschungsliteratur, die – wie erwähnt – den Bürgerkriegs-Aspekt lediglich am Rande behandelt.
Einleitung:
Als Ursache für das Scheitern der Weimarer Republik werden diverse Aspekte angeführt. Besonders häufig genannt wird dabei zum Beispiel die Weltwirtschaftskrise, deren negative, ökonomische Folgen Missstimmung in der Bevölkerung erzeugten. Ebenfalls für Unzufriedenheit in der Republik sorgte der Versailler Vertrag mit seinen Bedingungen für die Nation. Auch das obrigkeitsstaatliche Denken, welches nach dem deutschen Kaiserreich statt einer demokratischen Tradition vorherrschte, stellt eine populäre These dar. Ein Aspekt, der in der Forschung eher nachlässig behandelt wurde bisher ist das Bürgerkriegsszenario speziell zur Zeit der Präsidialkabinette gegen Ende der Weimarer Republik.1 Zur Definition von Bürgerkrieg sei angeführt, dass es sich hierbei um eine „bewaffnete Auseinandersetzung innerhalb eines Staates (z. B. zwischen Aufständischen und Regierungstruppen beziehungsweise zwischen bewaffneten Gruppierungen [Warlords]) um die Herrschaftsgewalt […]“2 handelt, im Gegensatz zum Krieg als Gewalthandlung zwischen verschiedenen Staaten.
Im Folgenden soll ein Überblick darüber gegeben werden, wie sich konkret die politische Gewalt – Stichwort latenter Bürgerkrieg – in den letzten Jahren der Weimarer Republik vollzogen hat. Ein Schwerpunkt soll dabei auf den Zeitraum unter dem Kabinett von Papen gelegt werden. Um jedoch die Entwicklung der politischen Geschehnisse im Zusammenhang mit der Gewalt besser nachvollziehen zu können, wird zunächst auf die beiden Jahre zuvor unter dem Kabinett Brüning eingegangen. Zur Vervollständigung wir ebenso in kurzem Umfang das Kabinett Schleicher mit Blick auf die vorliegende Thematik abgehandelt. Als literarische Basis werden dabei vorwiegend die Werke „Weimars Ende“ von Dirk Blasius sowie „Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918 – 1933“ von Dirk Schumann dienen. Die restliche verwendete Lektüre gehört zur Forschungsliteratur, die – wie erwähnt – den Bürgerkriegs-Aspekt lediglich am Rande behandelt.
I.) Kabinett Brüning: Die Jahre 1930 – 1931
Schon unter der Regierung Brüning gingen mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland bereits politische Auseinandersetzungen einher. So ereigneten sich bei Demonstrationen, Versammlungen und Aufmärschen gewaltsame Zwischenfälle, bei denen Verletzte und Tote die Folge waren. Hauptsächliche Motive hierbei waren das Ringen um Stimmen im Wahlkampf sowie bestimmte Stimmungstrends in Bevölkerung zu forcieren.3 Daher konnte man die Form der Auseinandersetzungen auch als „Versammlungskleinkrieg“ benennen. Parteiveranstaltungen in geschlossenen Räumen endeten nicht selten in regelrechten „Saalschlachten“.4
Beteiligte Organisationen waren vor allem die paramilitärischen Kampfverbände der konkurrierenden politischen Parteien. Die „Sturmabteilung“ (SA) der NSDAP auf der extremen Rechten, der „Stahlhelm-Verbund“ der rechten Mitte, die „Eiserne Front“ und das „Reichsbanner“ der demokratischen Linken (SPD) sowie der „Rote Front-Kämpferbund“ der extremen Linken (KPD).5 Daneben wussten SPD und KPD noch gewerkschaftlich organisierte Arbeiter auf ihrer Seite.6 Die Hauptfronten bildeten dabei NSDAP/SA auf der einen, und KPD/Rote Front-Kämpferbund auf der anderen Seite, dem sich vereinzelt Mitglieder des Reichsbanners anschlossen.7 Auf Reichsebene bemühte man sich der politischen Terrorisierung durch Verabschiedung mehrerer Gesetze und Verordnungen entgegenzutreten. Das Problem hierbei war allerdings, dass die Abwehr von Gewaltakten primär in den Aufgabenbereich der Länder fiel.8 Da diese unterschiedlich agierten, und zusätzlich Differenzen zwischen Ländern und bestanden, wurde ein effektiver Kampf gegen politische Ausschreitungen erschwert. Reichspräsident Hindenburg erließ am 28. März 1931 mehrere Notverordnungen, die jedoch nicht eindeutig genug waren und daher die politische Lage nicht beruhigen konnten.9 Die Unsicherheit der politischen Führungskräfte im Umgang mit der Gewalt wurde hier bereits deutlich. Man versuchte, die Opfer der Ausschreitungen genau den politischen Fronten zuzuordnen, um sich ein Bild der tatsächlichen Situation zu verschaffen und zielgerichteter handeln zu können.10 Als Beispiel soll eine preußische Polizeistatistik aufgeführt werden: Vom 1. Januar 1930 bis Ende November 1931 wurden 61 Personen aus nachweislich politischer Intention getötet. „Davon entfallen auf die Täterschaft der Kommunisten 19, auf die Täterschaft der Nationalsozialisten 12, von Polizeibeamten sind erschossen worden 15, von den Nationalsozialisten in Notwehr 8, nicht aufgeklärte Fälle sind vorhanden 7.“11
Zur Jahreswende 1931/32 wurde auf Grund von anstehender Reichspräsidenten- und Landtagswahl in Preußen noch eine Steigerung der politischen Kämpfe erwartet. Folglich musste das Kabinett Brüning sich auf eine endgültige Eskalation zu offenem Bürgerkrieg einstellen.12 Die Beschwörung von Bürgerkriegsgefahr wurde als Parole zur Formierung der eigenen Truppen und der Diffamierung des politischen Gegners genutzt. Speziell die NSDAP verstand sich als Bürgerkriegs-Partei, die Stimmungen entfachte, um Wählerstimmen zu gewinnen. Nach einem Sieg im 1. Wahlgang der Reichspräsidentenwahl (ohne absolute Mehrheit) standen vor dem zweiten Wahlgang nach Verzicht Duesterbergs (DNVP) Hindenburgs Chancen deutlich über denen Hitlers. Befürchtungen, dass die Nationalsozialisten sich nach einer Niederlage zu einem Putschversuch mit Hilfe der SA durchringen könnten, veranlasste den preußischen Innenminister Severing eine polizeiliche Durchsuchungsaktion von SA-Räumlichkeiten zu befehligen. Die Aktion brachte keine Beweise für ein solches Vorhaben, zeugte aber von der Verunsicherung gegenüber dem aggressiven Führungsstil der NSDAP.13
Nach dem Wahlsieg erließ Hindenburg dementsprechend am 13. April ´32 die „Verordnung zur Sicherung der Staatsautorität“, welche die sofortige Auflösung aller „militärähnlichen Organisationen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, insbesondere die Sturmabteilungen (SA.), die Schutzstaffeln (SS.), mit allen dazugehörigen Stäben und sonstigen Einrichtungen“ beinhaltete.14 Damit war die Gefährdung der Staatsordnung nicht komplett beseitigt, aber die Polizei konnte wieder auf einer einheitlichen und klaren Rechtsrundlage agieren.15 Die Verordnung brachte tatsächlich den positiven Effekt mit sich, dass es zunächst zu keinen größeren Gewalt-Konflikten kam.16
II.) Das Kabinett von Papen: Das blutige Jahr 1932
Unter der Präsidialregierung von Papen wurde am 2. Juni 1932 die Aufhebung des Verbots der SA und SS sowie des Uniformtragens beschlossen, wogegen sich eine Ablehnungsfront der Länder Preußen, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen bildete.17 Papen war die Gewaltbereitschaft der Truppen der Nationalsozialisten bekannt. Er bewirkte jedoch trotzdem die die Aufhebung des SA-Verbots – im Glauben, damit einem Bürgerkrieg entgegenzuwirken.18 (S. 50) Auch Hindenburg versprach sich ein vernunftbewusstes Miteinander mit der NSDAP.19 (S. 51)
Dieser inkonsequent geführte politische Kurs sollte sich jedoch rächen. Im Juli-Wahlkampf wurde Deutschland erneut Rüstungs-Schauplatz gegnerischer militanter Verbände, die versuchten, weitere Teile der Bevölkerung für sich zu gewinnen. Zum Vergleich: Die SA zählte zu diesem Zeitpunkt etwa 400.000, der Stahlhelm 1.000.000, das Reichsbanner 400.000 und die Kommunisten (Ersatzorganisationen für den mittlerweile verbotenen Rote Front-Kämpferbund) 150.000 Mitglieder.20
Die Vossische Zeitung, ein liberales Organ der bürgerlichen Presse mit unabhängigen Status, beschrieb heftige, politische Auseinandersetzungen: „Auf den Straßen knallen Schüsse. Täglich werden Verletzte als Opfer der Unruhestifter in die Spitale gebracht, sind Tote zu beklagen. Es ist, als wenn ein Blutrausch die Menschen ergriffen hätte […]“21 Die Zeitungen stellten mit diversen, schwammigen Umschreibungen vom Bürgerkriegsbegriff die Furcht der Bevölkerung vor den innerpolitischen Geschehnissen heraus.22
Neben der NSDAP gehörte die KPD zu den Hauptverantwortlichen für die Zuspitzung der politischen Kämpfe im Juli-Wahlkampf `32. Die Kommunisten reagierten auf ihre Weise auf die Aufhebung des SA-Verbots. Ein von Gewalt geprägter Sprachstil in vielen Proklamationen der KPD provozierte weitere Ausschreitungen. Der Berliner Polizeipräsident Grzesinski wies entsprechend Nationalsozialisten und Kommunisten politische Verantwortlichkeit zu.23
Am 10. Juli `32 erreichten die Unruhen einen Höhepunkt in Form von einer heftigen Straßenschlacht in der schlesischen Kreisstadt Ohlau.24 Während eines Treffens von Reichsbanner und Eiserne Front kamen SA-Mitglieder von einem Sportfest aus in den Ort. Mitglieder der beiden Kampfverbände prügelten zunächst auf SA-Männer ein, ein Mitglied des Reichsbanners erschoss dabei zwei Nationalsozialisten. 13 weitere Menschen wurden verletzt.25 Der Kampf wurde schließlich durch Eingreifen von Polizei-Einheiten beendet, die Nationalsozialisten forderten dennoch im Nachhinein den Ausnahmezustand und die Absetzung des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten. (S. 64) Sie brachten die Regierung in Zugzwang, indem sie sich als Opfer des Bürgerkriegs darstellten, obwohl sie ihn anderweitig selbst forcierten.
Einen weiteren Höhepunkt der politischen Kampfhandlungen stellte der „Altonaer Blutsonntag“ vom 17. Juli `32 dar. Ein Propagandazug von 800 bis 1.000 Nationalsozialisten zog mit Polizeigeleit durch die Arbeiterviertel der Stadt Altona. Es erfolgte ein Angriff von Mitgliedern kommunistischer Kampfverbände mit Schussgewalt, worauf die Polizei das Feuer erwiderte. Das Resultat waren 54 Verletzte und 12 Tote.26 Die Statistik zeugt von einer überwiegend durch Männer ausgeübten politischen Gewalt. So fanden sich unter den Altonaer Opfern zwar immerhin vier Frauen, von 1929 an jedoch insgesamt nur sieben.27 Die nicht nationalsozialistische Presse thematisierte die Verantwortlichkeit der politischen Führung an diesem Unglück. Zwar lag die direkte Schuld bei den Kommunisten, jedoch bestand ein klarer Zusammenhang zu den Notverordnungen vom Juni, die das Tragen von Uniformen und das Ausüben von Demonstrationen erst ermöglicht hatten.28
In der Folge lieferte der Altonaer Blutsonntag der Reichsregierung den Rechtfertigungsgrund, Gewalt als Mittel der Politik einzusetzen. Papen rechtfertigte die Absetzung der preußischen Regierung als Maßnahme gegen den Bürgerkrieg (Preußenschlag am 20. Juli `32). Die Annahme hinter dieser Überlegung, Sozialdemokraten und Kommunisten würden zusammen pro Bürgerkrieg agieren, wogegen die Regierung mit den Nationalsozialisten einen Block contra Bürgerkrieg bilden würde, war mit der Realität allerdings nicht zu vereinbaren.29
[...]
1 Vgl. Blasius, Dirk, Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930-1933, S. 11
2 http://lexikon.meyers.de/meyers/B%C3%BCrgerkrieg, Stand: 4. September 2008
3 Vgl. Blasius, Weimars Ende, S. 25
4 Vgl. Schumann, Dirk, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933, S. 314
5 Vgl. Blasius, Weimars Ende, S. 25
6 Vgl. Blomeyer, Peter, Der Notstand in den letzten Jahren von Weimar, S. 491
7 Vgl. Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933 , S. 309
8 Vgl. Blasius, Weimars Ende, S. 25
9 Vgl. ebd., S. 27
10 Vgl. ebd., S. 31
11 GStA Berlin-Dahlem, Rep. 77, Tit. 4043, Nr. 120, Bl. 331, in: Blasius, Weimars Ende, S. 32
12 Vgl. ebd., S. 32
13 Vgl. ebd., S. 39
14 Verordnung zur Sicherung der der Staatsautorität, in: Huber, Dokumente, Bd. 4, S. 524-525, in: Blasius, Weimars Ende, S. 41
15 Vgl. ebd., S. 42
16 Vgl. Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933, S. 324
17 Vgl. Blasius, Weimars Ende, S. 48 f.
18 Vgl. ebd., S. 50
19 Vgl. ebd., S. 51
20 Vgl. Kluge, Ulrich, Die Weimarer Republik, S. 432
21 Misch, Karl, Nicht auf die Spitze!, in: Vossische Zeitung, 24.6.1932, in: Weimars Ende, S. 60 – 61
22 Vgl. Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933, S. 337
23 Vgl. Blasius, Weimars Ende, S. 61
24 Vgl. ebd., S. 63
25 Vgl. Kluge, Die Weimarer Republik, S. 433
26 Vgl. Blasius, Weimars Ende, S. 65
27 Vgl. Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933, S. 320
28 Vgl. Blasius, Weimars Ende, S. 66
29 Vgl. ebd., S. 69
- Arbeit zitieren
- Simon Schmitz (Autor:in), 2008, Latenter Bürgerkrieg. Die politische Gewalt in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Das Kabinett von Papen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1184426
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