Krisenjahre. Stationen sowjetisch-amerikanischer Beziehungen im Spannungsfeld des Kalten Krieges 1945-1962


Examensarbeit, 2007

185 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

1. Dem Kalten Krieg auf heißer Spur

2. Ost gegen West - Eine bipolare Welt

3. Der Eiserne Vorhang fallt
3.1 Weichenstellungen der ersten Jahre
3.2 Die asymmetrische Suche nach Sicherheit

4. Die Blockade Berlins
4.1 Deutschland nach dem Krieg
4.2 Stalins Ziele in Deutschland
4.3 Der Kalte Krieg in Mitteleuropa
4.4 Luftbrücke
4.5 Das Erbe der Rosinenbomber

5- Eskalation in Asien?
5.1 Kommunisten in China
5.2 Südostasien und NSC-
5.3 Die Lage in Korea
5.4 „The most bitterly contested of all Cold War battlegrounds“
5.5 Chinas Eingreifen und mögliche Eskalation
5.6 Kein falscher Krieg

6. Machtproben und die Mauer
6.1 Voraussetzungen sowjetischer Politik in der Zweiten Berlinkrise
6.2 Das Ultimatum
6.3 Militärische Faktoren: Raketen und Aufklärungsflugzeuge
6.4 Brinkmanship und das Treffen in Wien
6.5 Der Mauerbau und die Konsequenzen

7. Als die Welt den Atem anhielt
7.1 Revolution auf kubanisch
7.2 Debakel in der Schweinebucht und Raketen für Kuba
7.3 Dreizehn Tage im Oktober
7.4 Ein Sieg der Vernunft

8 Die Rädchen der Geschichte

9 Das Echo des Kalten Krieges

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Quellen und primäre Literatur

Sekundärliteratur

VORWORT

Bücher über den Kalten Krieg hat es seit den ersten Tagen jenes Konflikts gegeben. Allein die schiere Länge des Wett­streits zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken bedingte die Notwendigkeit, beständig Zwischenbilanzen zu ziehen, wäh­rend der Konflikt anhielt und die Annahme weithin verbrei­tet war, dass er ein unabänderliches Faktum der Weltlage sei - ebenso wie viele meinten, dass etwa auch die Teilung Deutschlands auf unabsehbare Zeit hin eine traurige Kon­stante bleiben würde.

Ein halbes Jahrhundert lang konnten Staatsmänner, Historiker, Politologen, Journalisten und andere allerdings nur mit einem vernebelten Blick den andauernden Kalten Krieg betrachten. Mitten in den Ereignissen zu stecken ver­sperrt oftmals den Blick auf das Wesentliche und verhindert eine messerscharfe Analyse. Es wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, im Jahre 1941 ein Buch über den Zweiten

Weltkrieg zu verfassen - einfach weil es unsinnig gewesen wäre, nicht das Ende seiner Kämpfe abzuwarten, bevor man seine Geschichte schrieb. Denen, die durch den Nebel des Krieges blicken und sich eine Welt vorstellen konnten, die anders wäre als die bipolar verfeindete, gebührt umso mehr unsere Anerkennung. Allein finden sich in ihren Reihen nur wenig politisch einflussreiche Persönlichkeiten, dafür umso mehr Kunstschaffende, kritische Beobachter und andere Vordenker. Wenn Theologen uns erklären, dass Propheten keine Seher sind, die in die Zukunft sehen, sondern Geister, welche vielmehr die Gegenwart ohne Scheuklappen mit ei­nem Blick wahrnehmen, an dessen Klarheit es ihren Zeitge­nossen schrecklich mangelt, dann beschreibt dies die Köpfe, die über den Kalten Krieg hinausdachten, sehr akkurat.

Nun ist der Kalte Krieg bereits geraume Zeit vorüber und er ist schlussendlich ein Teil der Vergangenheit geworden, genauso wie viele andere Kriege vor ihm. Meine eigenen, ganz persönlichen Erinnerungen an den Kalten Krieg sind vage und verschwommen, beschränkt auf ein paar Bilder vom Mauerfall. Heute schon stellt in den Schulen - und bald auch in den Universitäten - eine Generation, die den Kalten Krieg überhaupt nicht mehr persönlich erlebt hat, kritisch die Frage nach seiner Relevanz - war außer einem „langen Frieden“ nichts gewesen? Eine Generation, für welche die Namen Truman und Stalin und sogar Reagan und Gorbat­schow so entfernt klingen wie Caesar oder Napoleon. Dies lässt erkennen, wie bitter notwendig es ist, den Blick nicht abzuwenden, den Kalten Krieg weder fahrlässig als irrele­vante Epoche zu vergessen, noch ihn abzuhaken mit der fa­denscheinigen Begründung, es sei alles gesagt. Denn erstens muss „es“ immer und immer wieder gesagt und gelehrt wer­den, zweitens ist noch nicht längst nicht allen historischen Spuren nachgegangen worden, wie etwa noch verschollenen oder verschlossenen Dokumenten, und drittens stehen wir bei vielen neuen Forschungsrichtungen zum Kalten Krieg erst ganz am Anfang, beispielweise bei kultur- oder mentali­tätsgeschichtlichen Ansätzen.

„Nescire autem quid antequam natus sis acciderit, id est semper esse puerum,“1 schrieb Cicero einmal. Doch nur die positivistische Kenntnis um die Vergangenheit bedingt noch bei weitem kein Geschichtsbewusstsein. Vielmehr tut es not, sich nicht nur kundig zu machen über das Vergangene, son­dern seine Bedeutung für die eigene Gegenwart stets neu zu entdecken. So wie jede Generation etwa Shakespeare für sich wieder gänzlich aufs Neue erleben und erfahren muss, so muss sie sich auch von neuem Rechenschaft ablegen über die Geschichte. Denn allein die bewusste Auseinanderset­zung mit der Vergangenheit lässt diese zu einer vollwertig narrativ verständlichen Geschichte werden mit einer Tiefe, welche die bloße Rezeption vorangegangener Darstellungen nicht vermitteln kann. Der Kalte Krieg ist ein Teil dieser Ge­schichte, über den auch künftig noch sehr viel Rechenschaft abgelegt werden müssen wird und ich bin stolz und froh darüber, für meine Generation einen Teil zu diesem Prozess beigetragen zu haben.

Für die Entstehung dieses Werkes bin ich zuerst Prof. Dr. Leonid Luks zu Dank verpflichtet für seine freundliche Betreuung meiner Abschlussarbeit, auf der das vorliegende Werk basiert. In besonderem Maße verdienen ebenfalls mei­ne Kommilitonen Markus Edlinger (M.A., KU Eichstätt) und Laura Honsberger (B.A., Boston College) meinen Dank für ihre Mühen mit der Korrektur des Manuskripts. Freund­schaftlich und liebevoll Beistand geleistet mit unzähligen Tassen Kaffee und anderen guten Taten haben Alexander Gattinger, Andrea Kalb, Verena Perr, Barbara Riedhammer, Anne Freymann, Jasmin Rast, Eva-Marie Kronenberger und natürlich meine Eltern Roland und Ingrid Schwab.

- Christian R. Schwab

Baar-Ebenhausen und Eichstätt, Juli 2008

KRISENJAHRE

For the facts of the matter are that the Soviets and ourselves give wholly different meanings to the same words - war, peace, democracy, and popular will. We have wholly different views of right and wrong, of what is an internal affair and what is aggression. Above all, we have wholly different concepts ofwhere the world is and where it is going.

- John F. Kennedy2

Eine weltweite Auseinandersetzung ist entbrannt, in der es darum geht, wer die Oberhand behalten wird: die Arbeiterklasse oder die Bourgeoisie. [...] Jedem denkenden Menschen muss klar sein, dass die grundlegende Frage der Ideologie nur durch Kampf, und nur durch den Sieg der einen Doktrin über die andere beantwortet werden kann.

- Nikita S. Chruschtschow3

l. DEM KALTEN KRIEG AUF HEISSER SPUR

Who controls the past, ran the Party slogan, con­trols the future: who controls the present, controls the past.

- George Orwell4

Viele Regierungen sind nicht nur geschickt darin, wichtige Geheimnisse zu verbergen, manche Regierungen sind auch bisweilen sehr schnell zur Hand, wenn es darum geht, ihre eigene, sorgfältig ausgeklügelte Version der Vergangenheit zu präsentieren. Historiker der Zeitgeschichte, die Regierun­gen und Staaten erkunden wollen, sind daher einzigartig in der Wissenschaftsgemeinde. Nirgendwo sonst begegnet der Forscher Beweis- und Quellenmaterial, das von genau dem Subjekt kontrolliert wird, das er untersuchen will. Auf kei­nem anderen Gebiet, von der Astronomie bis zur Zoologie, wird der Forscher mit Informationen konfrontiert, die schon einer so bedachten Auswahl unterworfen wurden. Wer sich mit englischer Linguistik oder dem Ingenieurswesen be­schäftigt, dem setzt niemand Grenzen; allein wer die Zeitge­schichte erforschen möchte, ist oftmals Bittsteller vor dem Staate: ,,[T]he single historian, armed with a pencil, is pitted in adversarial contest against the efforts of the authorities.“5 Produktion, Selektion und Aufbewahrung der wichtigsten Quellen für den Historiker, der Akten und Dokumente des Staatsapparates, erfolgt durch diesen selbst. Aufgrund der wahren Flut an solchen Papieren - allein die National Secu­rity Agency in den Vereinigten Staaten legte beispielsweise um das Jahr 1980 herum täglich mehr Material ab, als ein Mensch in seinem ganzen Leben jemals hätte lesen können - ist eine Auswahl vor der Archivierung unerlässlich. In Whitehall, wo viele wichtige Abteilungen der britischen Re­gierung angesiedelt sind, etwa das Außen-, Verteidigungs­und Finanzministerium, die Marineführung und die Büros des Kabinetts, suchen Staatsbeamte etwa zwei Prozent aller Aufzeichnungen zur permanenten Aufbewahrung aus. Der Rest wird vernichtet. Aus diesem Grund stellt kein öffentli­ches Archiv jemals ein komplettes Abbild der Vergangen­heit, eine vollständige Analogie der Geschichte dar. Freilich besteht der größte Anteil vernichteter Akten aus irrelevan­ten Routineformularen. Doch sollte man nie vergessen, dass innerhalb dieses gewaltigen Apparats im Prozess der Selek­tion, Klassifizierung und Vernichtung ein großer, uneinseh­barer Spielraum verbleibt, um die Darstellung gerade der geheimen Aspekte des Regierungsgeschehens zu vernebeln. Auch die Zugänglichkeit der Archive für die historische For­schung und für die allgemeine Öffentlichkeit, unterliegt dem Staat:6 „Government files that are allowed into the public domain are placed there by the authorities as the result of deliberate decisions.“7

In einem Land mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung jedoch haben Bürger gewisse Rechte auf In­formationen. In den Vereinigten Staaten etwa ist der 1966 verabschiedete Freedom of Information Act die Gesetz ge­wordene Realisierung des Grundrechts auf den Zugang zu Informationen. Dieses Recht kann notfalls vor Gericht ein­geklagt werden.

Auch die Russische Föderation ist 1991, nach dem Fall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, de jure ein solches Land geworden. Vor allem in den Jahren 1992 und 1993 standen die wichtigsten sowjetischen Archive den Ge­lehrten offen. Auch heute noch finden neue Informationen den Weg ans Tageslicht, nicht zuletzt auch aus den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks und China, obwohl in­zwischen einige der reichhaltigsten Archive wieder teilweise verschlossen sind. Seit 1992 hat das Woodrow Wilson Inter­national Center for Scholars in seiner Publikationsreihe Cold War International History Project Bulletin tausende solcher Papiere in Übersetzung zugänglich gemacht. Dies bedeutet einen wahren Quantensprung für die Geschichts­schreibung des Kalten Krieges. Die Kenntnis von geheimen Aufzeichnungen, Briefen, Anweisungen, Sitzungsprotokollen und weiterem, umfangreichen Archivmaterial zu Josef Sta­lin, Nikita Chruschtschow, Mao Tse-Tung und den Füh­rungsebenen anderer kommunistischer Länder versetzt uns in die Lage, die Motive und Gedanken der hochrangigen Po­litiker hinter dem Eisernen Vorhang nicht mehr abschätzen zu müssen, sondern sie schwarz auf weiß nachlesen zu kön­nen - in den Aufzeichnungen ihrer geheimen Debatten und ihres privaten Nachsinnens.8

Ein ungehemmter Jubelschrei jedoch wäre verfrüht und töricht. Keineswegs alles, was in den dunklen Kammern des Sowjetregimes verborgen war, kann heute ohne weiteres mit dem Licht historiographischen Erkenntnisgewinns beleuch­tet werden. 1992 verkündete die Rossiiskaia gazeta zwar, dass Stalins persönliche Archive der Öffentlichkeit zugäng­lich gemacht werden würden, doch diese Versprechungen erwiesen sich als illusorisch. Einerseits wurde nie geklärt, in welchem Ausmaß diese Akten der Vernichtung anheim ge­fallen waren, andererseits sind die kommunistischen Archi­ve, ihre Inhalte und die mit ihnen zusammenhängende Rechtssprechung auch im post-sowjetischen Russland im­mer noch ein brandheißes Politikum. Der russische Staat stellt sich heute noch strikt vor die Veröffentlichung vieler Papiere aus den Archiven der einzelnen Generalsekretäre und wirft somit einen dunklen Schatten auf die Vergangen­heit.9 Eine zuweilen destruktive Informationspolitik ist aller­dings auch auf der anderen Seite des Atlantiks zu finden. 1995 verlangte US-Präsident Clinton mit Executive Order 12958 von seinen Regierungsbehörden, alle Papiere freizu­geben, die älter als 25 Jahre waren. In den Archiven der US Army warteten noch 296 Millionen Seiten solcher Doku­mente auf ihre Veröffentlichung. Der CIA hingegen gelang es über Ausnahmeregelungen, 93 Millionen Seiten weiterhin unter Geheimhaltung zu bewahren, was beinahe eineinhalb Mal der veröffentlichten Menge von 66 Millionen Seiten ent­sprach. Die vollständige Geschichte des Kalten Krieges ist also keineswegs schon bekannt.10

Trotzdem muss sich angesichts der immer noch erstaun­lichen Masse an neuen Informationen die Historiographie natürlich die Frage gefallen lassen: ,,Is there a new Cold War history, and if so, how does it differ from earlier ap­proaches?“11 Ein kurzer Blick auf die bisherige Forschungs­geschichte mag zu einer Antwort verhelfen.

Es kann zwischen mehreren verschiedenen Schulen dif­ferenziert werden. Ganz am Anfang standen die Orthodoxen oder auch Traditionalisten der ersten Stunde des Kalten Krieges. Diese US-amerikanischen Historiker schrieben die Ursprünge des Kalten Krieges sowjetischem Expansions­drang zu.12 Der orthodoxe Zugriff durchdringt bis heute die offizielle Position der US-Regierung zu diesem Thema. Der Revisionismus schrieb die Geschichte des Kalten Krieges grundlegend anders. Im Zuge des Vietnamkrieges hatte sich eine Desillusionierung hinsichtlich der amerikanischen Poli­tik eingestellt, die auch eine Neuinterpretation der histori­schen Fakten mit sich brachte. Wegweisend war hier Wil­liam A. Williams, der zu dem Schluss kam, dass in einem amerikanischen ökonomisch-kapitalistischen Imperialismus die Ursache für den Kalten Krieg zu suchen gewesen sei.13 Er trat eine ganze Welle neuer Studien los, die davon ausgin­gen, die Sowjetunion sei nach dem Zweiten Weltkrieg zu schwach und zu erschüttert gewesen, um für die Vereinigten Staaten eine ernsthafte Gefahr darzustellen, und den Aus­bruch des Kalten Krieges auf das amerikanische Konto ver­buchten. In den siebziger und achtziger Jahren wurde dieses Konzept von den Postrevisionisten umgeworfen. Sie sahen sich, ähnlich wie die Realisten, Politikwissenschaftler aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen, als Synthese der beiden vorangegangenen Zugriffe. Grundlegende Neue­rungen brachte hier John Lewis Gaddis 1972 ein, der kriti­sierte, dass Historiker oftmals die Ursprünge des Kalten Krieges nur in den Aktionen einer Seite und den Reaktionen der anderen Seite sähen. Vielmehr müsse man betrachten, wie sich die USA und die UdSSR gegenseitig wahrgenom­men hätten, in welchem Maße und mit welchem Ergebnis sie die Intentionen der Gegenseite abschätzten und wie dies ihre eigenen Handlungen beeinflusste.14

Die „neue“ Geschichte des Kalten Krieges meint schließ­lich diejenigen Werke, die nach dem Fall der Sowjetunion entstanden sind und die den Kalten Krieg abgeschlossen, als historisches Ganzes, betrachten können. Hier wird der Trend zur Betrachtung der interaktiven Beziehungen der am Kalten Krieg beteiligten Staaten als internationale Geschich­te aufgegriffen, untermauert durch neue Informationen von beiden Seiten des Atlantiks.15 Erstmals tauchen hier neben westlichen Historikern auch Wissenschaftler aus den Staa­ten des ehemaligen Ostblocks als große Namen der Ge-Schichtsschreibung des Kalten Krieges auf. Vladislav Zuboks A Failed Empire: The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev beispielsweise, das Ende 2007 erschien, ist das erste Werk in englischer Sprache, und damit zugäng­lich für die Weltöffentlichkeit, das die gesamte Geschichte des Kalten Krieges aus der russischen Sicht beleuchtet. „Neu“ kann sich daneben ebenso beziehen auf die neuen Forschungsfelder, welche die Dimensionen der Propaganda, Psychologie, Kultur und Ideologie während des Kalten Krie­ges aufgreifen.16

Manche Geheimnisse der vergangenen Jahrzehnte sind inzwischen aufgedeckt, einige Unklarheiten und Fehlinter­pretationen beseitigt worden. Zudem können wir uns heute auf Darstellungen russischer Historiker verlassen, die es vermögen, den Westen auf einzigartige Weise durch die Au­gen der Sowjetunion auf die Welt und ihre Geschichte bli­cken zu lassen:

The Soviet worldview had been shaped by a history that was dramatically different from that of the West.

The legacy of czarist history, the Bolshevik revolution, the Civil War, and the experience of World War II all contributed to a unique Soviet perspective.17

Wir können heute auf Fakten und Interpretationen zu­rückgreifen, die früheren Historikergenerationen noch nicht zur Verfügung standen. Man weiß aus Archivfunden, dass die osteuropäischen Staaten weitaus autonomer in ihrem Handeln waren, als früher angenommen werden konnte. So war der Mauerbau im August 1961 weniger den langfristigen Zielen Chruschtschows zu verdanken als eher den Machen­schaften Walter Ulbrichts. Der Bruch zwischen der Sowjet­union und China fand früher statt und reichte wesentlich tiefer, als dem Westen vormals bewusst gewesen war. Aufge­löst haben sich auch die Nebelschwaden um das sowjetische Nukleararsenal der frühen sechziger Jahre. Der in den USA damals vielbeschworene missile gap hat sich als Fehlein­schätzung herausgestellt.18 Ebenfalls steht heute eine Dar­stellung zum U-2-Zwischenfall von i960 zur Verfügung, die erstmals die KGB-Berichte zu den Verhören Francis Gary Powers' miteinbeziehen kann.19 Auch sind schockierende Unfälle mit Atomwaffen ans Tageslicht gekommen. Weder die Streitkräfte der Vereinigten Staaten20 noch jene der UdSSR21 waren vor ihnen gefeit.

All diese neuen Erkenntnisse tragen dazu bei, eine besse­re Passung herzustellen zwischen der Darstellung der Ge­schichte und der tatsächlichen Realität der Vergangenheit. Eine Veröffentlichung der vielen Dokumente, die unter dem Mantel der Geheimhaltung noch in amerikanischen und rus­sischen Archiven schlummern, könnte dazu auch viel beitra­gen. Jedoch:

Despite glasnost, and in spite of the Soviet campaign to till this virgin soil and to fill in the white spots of So­viet history, Soviet foreign policy and military archives have remained curiously impenetrable. The situation remains little changed and the files of Stalin's Secre­tariat are still closed.22

Aber auch in den westlichen Archiven bleibt vieles ver­schlossen, was zu den größten Mysterien des Kalten Krieges gehört, etwa die tatsächliche Geschichte des sowjetischen U- Boots K-129.23 All dies bestätigt die fortwährende Gültigkeit von Orwells zynischem Postulat: Who controls the present, controls the past.

2. OST GEGEN WEST - EINE BIPOLARE WELT

There are two great peoples on the earth today who, starting from different points, seem to advance to­ward the same goal: these are the Russians and the Anglo-Americans. [...] Their point of departure is different, their ways are diverse; nonetheless, each of them seems called by some secret design of Provi­dence to hold the destinies of half the world in its hands one day.

- Alexis de Tocqueville24

Beinahe prophetisch mag diese Aussage de Tocquevilles an­muten, wenn man vor ihrem Hintergrund die Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachtet. Fast fünfzig Jahre lang zog der Konflikt zwischen den Weltmäch­ten USA und UdSSR die Welt in seinen Bann - „one of the longest conflicts in human history.“25 Zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Fall der Berliner Mauer gab es keinen Kontinent, auf und um den nicht gerungen wurde;26 nicht einmal die Astronauten der Apollo-11-Missi­on entkamen den Klauen des Kalten Krieges - sie begegne-ten 1969 im Mondorbit der sowjetischen Raumsonde Luna 15, die in einem verzweifelten Versuch, noch vor den Ameri­kanern Mondgestein zur Erde bringen zu können, gestartet worden war.27 Ebenso wenig gab es einen Lebensbereich, ob politisch, sozial oder kulturell, den dieser weltumspannende Antagonismus nicht durchdrang, kaum eine geostrategische Maßnahme, abgesehen von einem Dritten Weltkrieg, die nicht angewandt wurde - von Finanzspritzen, Klientelstaa- terei und Propagandafeldzügen bis hin zu Spionageaktionen, Guerillakriegen und politisch motivierten Attentaten.28

Beide Seiten dieser bipolaren Auseinandersetzung hat­ten tatsächlich von sehr verschiedenen Warten aus bis 1945 ihren Aufstieg genommen und eine Konfrontation musste beinahe unausweichlich erscheinen, schließlich reichte der Ost-West-Konflikt zurück bis ins 19. Jahrhundert als „Aus­einandersetzung zwischen ,asiatisch-russischer‘ und ,westli- cher‘ Zivilisation und Mentalität.“29 Die in den Unabhängig­keitskriegen geschmiedete freiheitlich-republikanische Ver­fassung der Vereinigten Staaten stand dem autokratischen, anti-demokratischen Fundament des russischen Staates schon zur Zarenzeit weitgehend diametral gegenüber. Die US-amerikanische open door-Politik in Asien und deren Un­terstützung für das englisch-japanische Bündnis, welches Russland 1904/1905 in der Mandschurei und bei Tsushima schwere Niederlagen beibrachte und maßgeblich zur Ver­breitung der Revolution in allen russischen Gesellschafts- schichten30 beitrug, taten ihr Übriges zur Malaise früher rus­sisch-amerikanischer Beziehungen31 - die jedoch immer noch relativ freundschaftlich waren angesichts des massiven Umschwungs, der mit der Bolschewistischen Revolution eintrat. Der damalige amerikanische Präsident Wilson war vom Bolschewismus so abgestoßen, dass er militärisch in den russischen Bürgerkrieg eingriff - eine derart traumati­sche Erfahrung für das junge sowjetische Regime, dass es seine Ängste in verstärktem Maße gegenüber einer kapitalis­tischen Einkreisung ausrichtete und weniger gegen das na­tionalsozialistische Deutschland. Diese Politik ging so weit, dass Stalin, sogar nach diplomatischer Anerkennung durch Roosevelt, seine Unterschrift unter den berüchtigten Hitler­Stalin-Pakt setzte. Erst nach dem Angriff des Dritten Rei­ches auf die Sowjetunion befanden sich die USA und die UdSSR als Verbündete wider Willen im selben Boot. Wäh­rend die Sowjetunion in einem Kampf ums Überleben die Hauptlast des Zweiten Weltkrieges in Europa zu tragen hat­te, mussten die Westalliierten ein vitales Interesse an der Existenz und der Kriegsfähigkeit des ideologischen Gegners haben, wenn sie den Krieg gegen Hitler gewinnen wollten. Doch sobald sich das Kriegsglück gegen Nazi-Deutschland gewandt hatte, zeigten sich erste Risse in dieser brüchigen, weil so unnatürlichen Allianz.32

So unterschiedlich also die Ausgangspositionen gewesen waren, so gleich waren doch die zwei Konstanten, von denen beide schon kurz nach 1945 völlig dominiert wurden: Ideo­logie und Atomwaffen.33 Kapitalismus und Kommunismus standen vor den Augen aller Welt im Wettstreit miteinander und hinter den beiden Weltanschauungen ragte drohend das Schreckgespenst des nuklearen Overkills auf. „Planning for Armageddon“34 wurde zur Standardprozedur der Militärs ei­nerseits sowie zwangsweise auch zum Alltag der zivilen Haushalte. Der Wahnsinn des atomaren Wettrüstens - MAD (Mutually Assured Destruction) im wahrsten Sinne des Wortes - vermochte ein deprimierendes Lebensgefühl zu vermitteln: Die Politikprofessoren Eugene Burdick und Harvey Wheeler beschrieben in ihrem 1962, dem Jahr der Kubakrise, publizierten Roman Fail-Safe den verheerenden Ausfall der Kontrollmechanik einer Nuklearwaffe, ausgelöst durch ein winziges technisches Versagen. Ihre Überzeugung von der statistischen Unausweichlichkeit einer solchen Ka­tastrophe35 vermittelt ein desolates Stimmungsbild des Jah­res 1962 und des Kalten Krieges überhaupt.

Zwei Amerikaner gaben dieser Phase des Ost-West-Kon- flikts nach 1945 seinen Namen: Journalist Walter Lippmann und US-Präsidentenberater Bernard M. Baruch sprachen schon 1947 vom Cold War.36 So deutlich dieser Begriff die spezifische Qualität der Auseinandersetzung vom diffusen Wesen eines Ost-West-Konflikts abgrenzt,37 so führt er doch etwas in die Irre. Zum einen mag man versucht sein, gar nicht von einem Krieg sprechen zu wollen, schließlich fehl­ten sowohl eine offizielle Kriegserklärung als auch Paraden und Orden für den Sieger. Nichtsdestoweniger wurden aber die Jahre des vermeintlich „Kalten“ Krieges überschattet von der hässlichen Fratze vieler heißer Stellvertreterkriege, etwa in Korea, Vietnam oder Afghanistan.38 Für den Haupt­schauplatz der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen je­doch, den europäischen Eisernen Vorhang, scheint es ange­messen, Stövers Definition des Kalten Krieges als „perma- nente[n] und aktiv betriebene[n] ,Nicht-Frieden‘“39 anzuset­zen, welche die Vorstellung von einer eigentlich politischen Konfrontation, die aber ständig am Rande eines offenen Weltkrieges schwebte, am besten vermittelt.

Die Beschäftigung mit dem Kalten Krieg benötigt keine ausschweifende Rechtfertigung. Zu nahe steht unsere Ge­genwart noch dieser Zeit, die sich als einzigartiger Prüfstein der Geschichte, als „most important period in our history“40 erwiesen hat. Eben weil die Vernichtung der Menschheit manchmal nur einen Knopfdruck weit entfernt war, stellt sich uns die brennende Frage: „[H]ow did we ever make it out of the Cold War alive?“41 Der globale Terrorismus, Atom­waffenentwicklung, Raketenabwehrschilde - die Geister, die der Kalte Krieg heraufbeschworen hat, sorgen heute noch für Schlagzeilen. NATO, UNO, Weltbank und ähnliche Insti­tutionen bestimmen auch jetzt noch die Bühne der interna­tionalen Politik - ,,[t]he Cold War shaped our times.“42

Viele dieser Konstanten, welche in die Gegenwart hin­einragen, stammen noch aus dem ersten Drittel dieses Kon­flikts, mit dem wir uns nun beschäftigen werden. Von den Ursprüngen bis 1962 sollen die Beziehungen der Super­mächte in ihren wichtigsten Stationen, ihren bedeutendsten Krisen, behandelt werden. Diese sind das Auseinanderbre­chen der Anti-Hitler-Koalition während des heraufziehen­den Nuklearzeitalters, die Blockade West-Berlins, der Krieg in Korea, die Mauerkrise und schließlich die Kubakrise. Mit dem Jahr 1962 schließt dieses Werk an einem essentiellen Wendepunkt des Kalten Krieges ab, da mit der Kubakrise endgültig der Wahnsinn des nuklearen Säbelrasselns unter Beweis gestellt wurde und mit dem Bruch zwischen der So­wjetunion und China die absolute Bipolarität des Kalten Krieges ihr Ende fand.43

3. DER EISERNE VORHANG FÄLLT

Γη summary, we have here apoliticalforce commit­ted fanatically to the belief that with the US there can be no permanent modus vivendi, that it is desi­rable and necessary that the internal harmony of our society be disrupted, our traditional way of life be destroyed, the international authority of our state be broken, if Soviet power is to be secure.

- George F. Kennan44

Kennans long telegram vom Februar 1946 hat Geschichte gemacht als eines der wichtigsten Dokumente, die den Kal­ten Krieg schwarz auf weiß manifest machten. Nicht einmal ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges konnten schon solche harten Töne zwischen den einstigen Alliierten vernommen werden. Was war also geschehen?

3.1 Weichenstellungen der ersten Jahre

Aus nüchterner Warte betrachtet hatte sich schlicht eine Rückkehr zum traditionellen Feindbild vollzogen.45 Schließ­lieh stand schon das Kriegsbündnis zwischen den USA und der UdSSR intern unter erheblichen Spannungen.46 Bereits 1941 hatten sieh Roosevelt und Churchill mit der Atlantik­Charta ideologisch von der Sowjetunion abgegrenzt.47 Diese hatte deutlich die Hauptlast des Krieges in Europa getragen, doch war Stalins Forderung nach einer Zweiten Front im­mer wieder auf später vertröstet worden - aus stichhaltigen militärischen Gründen zwar, trotzdem konnte dies in keiner Weise den Zusammenhalt der Ost-West-Allianz fördern.48 Nachhaltig negativ beeinflussten auch die Umstände bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944 - das Halten der Roten Armee am Ostufer der Weichsel - das Anti-Hitler-Bündnis; für Osteuropa schien sich eine dunkle Zukunft schon abzuzeichnen.49

Polen sollte dann auch zum schwierigsten Problem auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 werden. Da Roose­velt eigentlich eine längerfristige, friedliche Kooperation mit den Sowjets anstrebte und seinen Traum von einer Weltfrie­densorganisation nicht wegen einer Frage von seiner Mei­nung nach minderer Bedeutung zerplatzen sehen wollte, führten die zähen Verhandlungen über provisorische Regie­rungen und Gebietsverschiebungen Polens schließlich zu ei­ner dermaßen schwammig formulierten Erklärung der Großmächte, dass die Sowjetunion keine großen Schwierig­keiten hatte, die Formel von „freien Wahlen“ in einem ganz anderen Sinne zu interpretieren als ihre westlichen Partner. Als ebenso divergierend auslegbar sollte sich die „Erklärung über das befreite Europa“ erweisen, mit der die Amerikaner versuchten, die von Churchill und Stalin im Oktober 1944 getroffene Abgrenzung der Interessenssphären in Europa50 durch das Recht auf freie Selbstbestimmung für alle befrei­ten Länder zu ersetzen.51 Aus sowjetischer Sicht ging es frei­lich eher darum, sich nicht von den Westmächten aus Polen hinausdrängen zu lassen, damit dort kein „imperialistisches“

Regime als Instrument des Westens gegen die UdSSR agie­ren konnte.52

Während die Diplomaten verhandelten, wurden auf dem Schlachtfeld in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrie­ges die Faits accomplis geschaffen, welche die Teilung Euro­pas in den darauf folgenden Jahrzehnten nach sich ziehen sollten. „Die Vorherrschaft, die die UdSSR durch ihre Streit­kräfte über ganz Osteuropa [...] ausübte, konnte nicht [...] rückgängig gemacht werden.“53

Lange wurde harsche Kritik an den Westmächten für die Ergebnisse der Jalta-Konferenz geübt. Doch muss zugestan­den werden, dass es sich zum einen nur um eine Anerken­nung der tatsächlich vorhandenen Machtverteilung unter den Supermächten handelte und zum anderen sollte nicht vergessen werden, welche Handlungsalternativen den Westalliierten realistischerweise vorlagen. Ein Fortsetzen des Zweiten Weltkrieges gegen die Sowjetunion stand völlig außer Frage. Und so musste sich das Papier, auf dem die „Wiederherstellung der souveränen Rechte und der Selbst­regierung“ der vormals okkupierten Länder im Sinne der At­lantik-Charta54 abgedruckt war, als außerordentlich geduldig erweisen, während die UdSSR das sowjetfreundliche Lubli- ner Komitee im April des Jahres 1945 demonstrativ aner­kannte und damit der nationalpolnischen Exilregierung eine deutliche Absage erteilte - dem Westen waren die Hände schlicht gebunden, auch aus dessen selbstauferlegter Zu­rückhaltung: Premier Churchill hatte General Eisenhower eindringlich beschworen, die amerikanischen Truppen bis nach Berlin vorstoßen zu lassen, die westliche Tschechoslo­wakei zu besetzen und sich erst dann auf die vereinbarten Zonengrenzen zurückzuziehen, wenn mit den Sowjets eine Einigung im Sinne eines demokratischen Osteuropas er­reicht worden wäre; doch lehnte Truman es ab, Eisenhower dahingehend zu instruieren, da er sich schnellstmöglich der Beendigung des Krieges im Pazifik zuwenden wollte.55

Das gegenseitige Misstrauen vertiefte sich zunehmend. Stalin haderte mit der Tatsache, dass die Deutschen in den letzten Kriegstagen an der Ostfront weitaus verbissener kämpften als gegen die Engländer und Amerikaner. Ebenso wurde von sowjetischer Seite entschieden gegen Teilkapitu­lationen deutscher Streitkräfte vor den Westalliierten pro­testiert. In dieser Situation verstarb nun Präsident Roosevelt im April 1945 überraschend.56 Mit ihm verschied der große Befürworter der „einen Welt.“ Eine neue politische Richtung nahm daraufhin ihren Anfang in Washington, die der So­wjetunion keineswegs mehr den Kooperationswillen Roose­velts entgegenbrachte. US-Generalstabschef Admiral Leahy, Marineminister Forrestal und der amerikanische Botschaf­ter in Moskau Harriman hatten, zusammen mit Churchill - in dieser frühen Phase des Kalten Krieges kamen noch sehr entscheidende Impulse aus London57 - großen anti-sowjeti­schen Einfluss auf den auf außenpolitischem Parkett recht unerfahrenen neuen US-Präsidenten Harry S. Truman.58

Die Konferenz von Potsdam im Sommer 1945 stand dann zu großen Teilen unter dem Stern der Sicherheitsbe­strebungen Stalins. Es wurde deutlich, dass dieser Osteuro­pa offenbar als seinen Herrschaftsbereich betrachtete und dort eine aggressive Sicherheitspolitik betreiben wollte.59 Der britische Botschafter in Moskau Balfour hatte dies schon erkannt:

[T]he Soviet Union looks upon [...] Poland as a security zone. [...] No plans for world organisation or pacts with the Western Powers will deflect the U.S.S.R. from but­tressing up her security system in this region as a first line of defense.60

Die von der Sowjetischen Armee geschaffenen Tatsachen

standen den westlichen Hoffnungen diametral entgegen - in den von deutscher Herrschaft befreiten Ostgebieten wurde fieberhaft die kommunistische Regierungsübernahme vor­bereitet.61 Stalin verlangte den Westmächten die Zustim­mung zur Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze Polens ebenso ab62 wie er kurz darauf von der Türkei die Aufkündigung der Montreux-Konvention und den Zugang zu den Meerengen für die UdSSR forderte.63 Dies und die sowjetischen Pressio­nen gegenüber dem Iran wurden als erste Anzeichen eines aufkommenden Expansionismus aufgefasst.64 Zufriedenstel­lende Ergebnisse konnte die Potsdamer Konferenz in diesem sich schnell abkühlenden Klima nicht mehr vorweisen. Mit dem Wegfall des gemeinsamen Kriegsgegners traten die Ei­geninteressen der Großmächte wieder in den Vordergrund, die viel zu gegensätzlich waren, als dass sie Einigungen in wichtigen Fragen, wie der Zukunft Deutschlands, erlaubt hätten;65 der Sicherung von geopolitischen Einflussphären und Ressourcen hatten sich auf beiden Seiten alle anderen Ziele unterzuordnen. Stalins Pläne sahen die osteuropäi­schen Staaten als Objekte direkten sowjetischen Interesses an: Polen traf, wie schon angedeutet, das schwerste Schick­sal. Dieses traditionell russenfeindliche Land hatte sowohl beim Massaker von Katyn 1940, bei dem die Rote Armee 15,000 polnische Offiziere erschoss, als auch beim War­schauer Aufstand 1944, als die Rote Armee abwartend zu­sah, wie die antikommunistische Résistance aufgerieben wurde, sowjetische Brutalität über sich ergehen lassen müs­sen. Die Anerkennung des Lubliner Komitees anstelle der Londoner Exilregierung schließlich markierte die Totalität der sowjetischen Dominanz. Auch in Rumänien, Bulgarien und Ungarn waren ebenfalls nach kurzer Zeit schon kom­munistische Satellitenregime etabliert worden. Einzig die Tschechoslowakei konnte sich noch bis 1948 eine gewisse Unabhängigkeit bewahren. Jugoslawien hatte unter Tito eine eigenständige kommunistische Kraft entwickelt, die sich der Machtübernahme durch Stalin entgegenstellte; Finnland, das der UdSSR im Zweiten Weltkrieg zweimal er­bitterten militärischen Widerstand geleistet hatte, erhielt sich gänzlich seine demokratische Ordnung und blieb im Kalten Krieg neutral. Dennoch hatte die Sowjetunion eine nicht-sowjetfeindliche Orientierung ihres westlichen Vorho­fes erreicht.66

Den Westmächten ging es nicht um einen Herrschafts­gürtel in Form von Satellitenstaaten. Sie wollten zunächst kommunistische Machtübernahmen in Griechenland, Itali­en, Frankreich und nicht zuletzt Deutschland verhindern. Außerhalb Europas lagen die Konfliktbereiche im Jahr 1945 in der Türkei (Montreux-Konvention); im Iran, wo britische und sowjetische Truppen standen und reiche Ölvorkommen lockten; in Palästina, wo zwar beide Seiten den neu gegrün­deten Staat Israel sofort formell anerkannten, der Westen diesem jedoch näher stand, während der Osten den arabi­schen Staaten zuneigte; und in Asien, wo aus dem chinesi­schen Bürgerkrieg schließlich eine zweite kommunistische Großmacht hervorgehen sollte und wo rote Kräfte auch stark an dem Prozess der Dekolonisation beteiligt waren.67

Doch markierte Potsdam noch weit mehr als die Tren­nung von Einflussphären: „Potsdam war mithin die Ge­burtsstunde der atomaren Polarisierung in der zweiten Hälf­te des 20. Jahrhunderts.“68 Der atomare Wettlauf der Super­mächte hatte damals schon begonnen, bevor die Bomben über Hiroshima und Nagasaki gezündet wurden. Stalin gab sich in Potsdam demonstrativ unbeeindruckt von Trumans Ausführungen über die neue Wunderwaffe. Sowjetische Spione gelangten in den Besitz vieler Informationen, die es der UdSSR erlaubten, schon vier Jahre später ihre erste ei­gene Nuklearwaffe zu testen.69 Stalin zeigte sich bis dahin uneingeschüchtert vom Nuklearmonopol der Amerikaner.70

Potsdam hatte also unverkennbar Realitäten geschaffen. Nun mussten Mittel und Wege gefunden werden, mit diesen Realitäten umzugehen. Auf der Außenministerkonferenz in London im September 1945 boten sich erste Möglichkeiten, eine solche Handhabung auszutesten. Es prallten zwei kom­plett unterschiedliche Vorstellungswelten aufeinander. US- Außenminister Byrnes war unvorbereitet darauf, dass sein Gegenüber Molotow nicht klein beigeben würde, als er die nach Kriegsende militärisch und ökonomisch überlegene Stellung der Vereinigten Staaten herausstellte, um die Be­dingungen der Friedensverträge zu diktieren. Doch Molotow ignorierte diese Machtdemonstrationen, beharrte seinerseits auf seinen Vorstellungen von diesen Verträge und forderte unerwartet auch noch eine sowjetische Beteiligung an der Besatzung Japans. Die Konferenz schlug fehl. Nach einem weiteren Versuch zur Verständigung zwischen Byrnes und Stalin selbst im Dezember 1945 stand Truman innenpoli­tisch, von Seiten der Presse und auch von den Briten, deren Außenminister Bevin als weniger kompromisswillig darge­stellt wurde, unter großem Druck. Am 3. Februar 1946 wur­de berichtet, dass sowjetische Spione Informationen über die Atombombe gestohlen hatten. Die Republikanische Par­tei, allen voran Senator Vandenberg, forderten dringend eine Kursänderung gegenüber den Sowjets und ein Ende jeglicher Zugeständnisse. Am 12. Februar verweigerten die USA eine Anerkennung der bulgarischen Regierung und zehn Tage später gaben sie auch ihre zurückhaltende Politik gegenüber dem Iran auf - in Anerkennung der Tatsache, dass die sowjetische Kontrolle über die dortigen Ölfelder und eine ebensolche Bedrohung der Ölfelder Saudi-Arabiens eine strategische Schwächung der Vereinigten Staaten dar­stellen würden. Auch die Situation in der Türkei wurde ag­gressiv angegangen. Man beorderte das Schlachtschiff USS Missouri und den Flugzeugträger USS Roosevelt nach Istan- bul,71 um sowjetischen Einflussversuchen entgegenzutreten. Zur selben Zeit traf Kennans Telegramm in Washington ein, das zum entscheidenden Steinchen im Mosaik dieses Poli­tikwechsels wurde. Kennans Empfehlung einer Strategie des containment, der Eindämmung sowjetischer Expansion, wurde von Truman aufgegriffen. Dies war auch dahingehend eine historische Entscheidung, als dass die USA nun ihren Isolationismus der Vorkriegsjahre ein für allemal aufgaben, um sich der UdSSR entgegenzustellen.72

Schützenhilfe für diese Politik kam von britischer Seite. Churchill, wie so oft um einen bildlichen Ausdruck nicht verlegen, prägte im März 1946 das Wort vom „Eisernen Vor­hang“ und legte seine Meinung zu einer Strategie für die Be­handlung der Sowjetunion dar:

From Stettin in the Baltic to Trieste in the Adriatic, an iron curtain has descended across the Continent. [...T]his is certainly not the Liberated Europe we fought to build up. Nor is it one which contains the essentials of permanent peace. [...] From what I have seen of our Russian friends and Allies during the war, I am con­vinced that there is nothing they admire so much as strength, and there is nothing for which they have less respect than for weakness, especially military weak­ness.73

Dieser messerscharfen Analyse setzte Stalin einen Ver­gleich Churchills mit Hitler entgegen, betonte, dass er seine eigene Europapolitik nur mit dem Ziel betriebe, für die Sow­jetunion Sicherheit herzustellen und anschließend zog er noch Churchills Verstand in Zweifel.74 Kein Wunder also, dass man für den März 1946 festzustellen vermag: „[T]he Grand Alliance was dead.“75

Das amerikanische Kalkül einer härteren Linie schien aufzugehen. Im April 1946 stimmte die UdSSR kleinlaut zu, ihre Truppen aus dem Iran abzuziehen, nachdem die USA und Großbritannien im Sicherheitsrat der Vereinten Natio­nen die sowjetischen Versuche, dieses Land einzuschüch­tern, offengelegt hatten. Nachdem die sowjetischen Truppen abgezogen waren, widerrief der Iran mit amerikanischer Un­terstützung auch die eigentlich bereits vereinbarten Ölkon­zessionen für die Sowjetunion. Kurz darauf zog Stalin die Fühler zurück, die er nach amerikanischen Krediten ausge­streckt hatte, wies die Mitgliedschaft in der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond zurück und unterstütz­te die chinesischen Kommunisten unter Mao Tse-Tung. Ebenfalls 1946 wurde der Baruch-Plan für die Kontrolle der atomaren Rüstung von den Vereinten Nationen gebilligt, von Stalin allerdings abgelehnt, was ihn wertlos machte. Es waren sowohl der Baruch-Plan für die UdSSR als auch ein Gegenvorschlag von Gromyko für die USA inakzeptabel. Keine Seite war willens, die eigene konkrete Atomrüstung für die vage Idee einer Rüstungskontrolle aufzugeben.76

Ihre offizielle Ausformulierung erfuhr die containment­Politik im Frühjahr 1947. Griechenland war während des Weltkrieges von britischen Truppen besetzt worden. Das Land wurde von einem Bürgerkrieg zwischen konservativen und linken beziehungsweise liberalen Kräften gebeutelt und Großbritannien, das selbst unter einer akuten ökonomi­schen Krise litt, konnte diese Bürde nicht länger schultern und wandte sich mit der dringlichen Bitte um finanzielle Unterstützung an die Vereinigten Staaten.77 Trumans Ant­wort war von essentieller historischer Bedeutung:

[...]

Ende der Leseprobe aus 185 Seiten

Details

Titel
Krisenjahre. Stationen sowjetisch-amerikanischer Beziehungen im Spannungsfeld des Kalten Krieges 1945-1962
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt  (Zentralinstitut für Mittel- und Osteuropastudien)
Note
1,00
Autor
Jahr
2007
Seiten
185
Katalognummer
V118461
ISBN (eBook)
9783640759729
ISBN (Buch)
9783640760138
Dateigröße
1136 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Krisenjahre, Stationen, Beziehungen, Spannungsfeld, Kalten, Krieges, Kalter Krieg, USA, UdSSR, Sowjetunion
Arbeit zitieren
Christian Schwab (Autor:in), 2007, Krisenjahre. Stationen sowjetisch-amerikanischer Beziehungen im Spannungsfeld des Kalten Krieges 1945-1962, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118461

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