Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1. Dem Kalten Krieg auf heißer Spur
2. Ost gegen West - Eine bipolare Welt
3. Der Eiserne Vorhang fallt
3.1 Weichenstellungen der ersten Jahre
3.2 Die asymmetrische Suche nach Sicherheit
4. Die Blockade Berlins
4.1 Deutschland nach dem Krieg
4.2 Stalins Ziele in Deutschland
4.3 Der Kalte Krieg in Mitteleuropa
4.4 Luftbrücke
4.5 Das Erbe der Rosinenbomber
5- Eskalation in Asien?
5.1 Kommunisten in China
5.2 Südostasien und NSC-
5.3 Die Lage in Korea
5.4 „The most bitterly contested of all Cold War battlegrounds“
5.5 Chinas Eingreifen und mögliche Eskalation
5.6 Kein falscher Krieg
6. Machtproben und die Mauer
6.1 Voraussetzungen sowjetischer Politik in der Zweiten Berlinkrise
6.2 Das Ultimatum
6.3 Militärische Faktoren: Raketen und Aufklärungsflugzeuge
6.4 Brinkmanship und das Treffen in Wien
6.5 Der Mauerbau und die Konsequenzen
7. Als die Welt den Atem anhielt
7.1 Revolution auf kubanisch
7.2 Debakel in der Schweinebucht und Raketen für Kuba
7.3 Dreizehn Tage im Oktober
7.4 Ein Sieg der Vernunft
8 Die Rädchen der Geschichte
9 Das Echo des Kalten Krieges
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Quellen und primäre Literatur
Sekundärliteratur
VORWORT
Bücher über den Kalten Krieg hat es seit den ersten Tagen jenes Konflikts gegeben. Allein die schiere Länge des Wettstreits zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken bedingte die Notwendigkeit, beständig Zwischenbilanzen zu ziehen, während der Konflikt anhielt und die Annahme weithin verbreitet war, dass er ein unabänderliches Faktum der Weltlage sei - ebenso wie viele meinten, dass etwa auch die Teilung Deutschlands auf unabsehbare Zeit hin eine traurige Konstante bleiben würde.
Ein halbes Jahrhundert lang konnten Staatsmänner, Historiker, Politologen, Journalisten und andere allerdings nur mit einem vernebelten Blick den andauernden Kalten Krieg betrachten. Mitten in den Ereignissen zu stecken versperrt oftmals den Blick auf das Wesentliche und verhindert eine messerscharfe Analyse. Es wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, im Jahre 1941 ein Buch über den Zweiten
Weltkrieg zu verfassen - einfach weil es unsinnig gewesen wäre, nicht das Ende seiner Kämpfe abzuwarten, bevor man seine Geschichte schrieb. Denen, die durch den Nebel des Krieges blicken und sich eine Welt vorstellen konnten, die anders wäre als die bipolar verfeindete, gebührt umso mehr unsere Anerkennung. Allein finden sich in ihren Reihen nur wenig politisch einflussreiche Persönlichkeiten, dafür umso mehr Kunstschaffende, kritische Beobachter und andere Vordenker. Wenn Theologen uns erklären, dass Propheten keine Seher sind, die in die Zukunft sehen, sondern Geister, welche vielmehr die Gegenwart ohne Scheuklappen mit einem Blick wahrnehmen, an dessen Klarheit es ihren Zeitgenossen schrecklich mangelt, dann beschreibt dies die Köpfe, die über den Kalten Krieg hinausdachten, sehr akkurat.
Nun ist der Kalte Krieg bereits geraume Zeit vorüber und er ist schlussendlich ein Teil der Vergangenheit geworden, genauso wie viele andere Kriege vor ihm. Meine eigenen, ganz persönlichen Erinnerungen an den Kalten Krieg sind vage und verschwommen, beschränkt auf ein paar Bilder vom Mauerfall. Heute schon stellt in den Schulen - und bald auch in den Universitäten - eine Generation, die den Kalten Krieg überhaupt nicht mehr persönlich erlebt hat, kritisch die Frage nach seiner Relevanz - war außer einem „langen Frieden“ nichts gewesen? Eine Generation, für welche die Namen Truman und Stalin und sogar Reagan und Gorbatschow so entfernt klingen wie Caesar oder Napoleon. Dies lässt erkennen, wie bitter notwendig es ist, den Blick nicht abzuwenden, den Kalten Krieg weder fahrlässig als irrelevante Epoche zu vergessen, noch ihn abzuhaken mit der fadenscheinigen Begründung, es sei alles gesagt. Denn erstens muss „es“ immer und immer wieder gesagt und gelehrt werden, zweitens ist noch nicht längst nicht allen historischen Spuren nachgegangen worden, wie etwa noch verschollenen oder verschlossenen Dokumenten, und drittens stehen wir bei vielen neuen Forschungsrichtungen zum Kalten Krieg erst ganz am Anfang, beispielweise bei kultur- oder mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen.
„Nescire autem quid antequam natus sis acciderit, id est semper esse puerum,“1 schrieb Cicero einmal. Doch nur die positivistische Kenntnis um die Vergangenheit bedingt noch bei weitem kein Geschichtsbewusstsein. Vielmehr tut es not, sich nicht nur kundig zu machen über das Vergangene, sondern seine Bedeutung für die eigene Gegenwart stets neu zu entdecken. So wie jede Generation etwa Shakespeare für sich wieder gänzlich aufs Neue erleben und erfahren muss, so muss sie sich auch von neuem Rechenschaft ablegen über die Geschichte. Denn allein die bewusste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit lässt diese zu einer vollwertig narrativ verständlichen Geschichte werden mit einer Tiefe, welche die bloße Rezeption vorangegangener Darstellungen nicht vermitteln kann. Der Kalte Krieg ist ein Teil dieser Geschichte, über den auch künftig noch sehr viel Rechenschaft abgelegt werden müssen wird und ich bin stolz und froh darüber, für meine Generation einen Teil zu diesem Prozess beigetragen zu haben.
Für die Entstehung dieses Werkes bin ich zuerst Prof. Dr. Leonid Luks zu Dank verpflichtet für seine freundliche Betreuung meiner Abschlussarbeit, auf der das vorliegende Werk basiert. In besonderem Maße verdienen ebenfalls meine Kommilitonen Markus Edlinger (M.A., KU Eichstätt) und Laura Honsberger (B.A., Boston College) meinen Dank für ihre Mühen mit der Korrektur des Manuskripts. Freundschaftlich und liebevoll Beistand geleistet mit unzähligen Tassen Kaffee und anderen guten Taten haben Alexander Gattinger, Andrea Kalb, Verena Perr, Barbara Riedhammer, Anne Freymann, Jasmin Rast, Eva-Marie Kronenberger und natürlich meine Eltern Roland und Ingrid Schwab.
- Christian R. Schwab
Baar-Ebenhausen und Eichstätt, Juli 2008
KRISENJAHRE
For the facts of the matter are that the Soviets and ourselves give wholly different meanings to the same words - war, peace, democracy, and popular will. We have wholly different views of right and wrong, of what is an internal affair and what is aggression. Above all, we have wholly different concepts ofwhere the world is and where it is going.
- John F. Kennedy2
Eine weltweite Auseinandersetzung ist entbrannt, in der es darum geht, wer die Oberhand behalten wird: die Arbeiterklasse oder die Bourgeoisie. [...] Jedem denkenden Menschen muss klar sein, dass die grundlegende Frage der Ideologie nur durch Kampf, und nur durch den Sieg der einen Doktrin über die andere beantwortet werden kann.
- Nikita S. Chruschtschow3
l. DEM KALTEN KRIEG AUF HEISSER SPUR
Who controls the past, ran the Party slogan, controls the future: who controls the present, controls the past.
- George Orwell4
Viele Regierungen sind nicht nur geschickt darin, wichtige Geheimnisse zu verbergen, manche Regierungen sind auch bisweilen sehr schnell zur Hand, wenn es darum geht, ihre eigene, sorgfältig ausgeklügelte Version der Vergangenheit zu präsentieren. Historiker der Zeitgeschichte, die Regierungen und Staaten erkunden wollen, sind daher einzigartig in der Wissenschaftsgemeinde. Nirgendwo sonst begegnet der Forscher Beweis- und Quellenmaterial, das von genau dem Subjekt kontrolliert wird, das er untersuchen will. Auf keinem anderen Gebiet, von der Astronomie bis zur Zoologie, wird der Forscher mit Informationen konfrontiert, die schon einer so bedachten Auswahl unterworfen wurden. Wer sich mit englischer Linguistik oder dem Ingenieurswesen beschäftigt, dem setzt niemand Grenzen; allein wer die Zeitgeschichte erforschen möchte, ist oftmals Bittsteller vor dem Staate: ,,[T]he single historian, armed with a pencil, is pitted in adversarial contest against the efforts of the authorities.“5 Produktion, Selektion und Aufbewahrung der wichtigsten Quellen für den Historiker, der Akten und Dokumente des Staatsapparates, erfolgt durch diesen selbst. Aufgrund der wahren Flut an solchen Papieren - allein die National Security Agency in den Vereinigten Staaten legte beispielsweise um das Jahr 1980 herum täglich mehr Material ab, als ein Mensch in seinem ganzen Leben jemals hätte lesen können - ist eine Auswahl vor der Archivierung unerlässlich. In Whitehall, wo viele wichtige Abteilungen der britischen Regierung angesiedelt sind, etwa das Außen-, Verteidigungsund Finanzministerium, die Marineführung und die Büros des Kabinetts, suchen Staatsbeamte etwa zwei Prozent aller Aufzeichnungen zur permanenten Aufbewahrung aus. Der Rest wird vernichtet. Aus diesem Grund stellt kein öffentliches Archiv jemals ein komplettes Abbild der Vergangenheit, eine vollständige Analogie der Geschichte dar. Freilich besteht der größte Anteil vernichteter Akten aus irrelevanten Routineformularen. Doch sollte man nie vergessen, dass innerhalb dieses gewaltigen Apparats im Prozess der Selektion, Klassifizierung und Vernichtung ein großer, uneinsehbarer Spielraum verbleibt, um die Darstellung gerade der geheimen Aspekte des Regierungsgeschehens zu vernebeln. Auch die Zugänglichkeit der Archive für die historische Forschung und für die allgemeine Öffentlichkeit, unterliegt dem Staat:6 „Government files that are allowed into the public domain are placed there by the authorities as the result of deliberate decisions.“7
In einem Land mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung jedoch haben Bürger gewisse Rechte auf Informationen. In den Vereinigten Staaten etwa ist der 1966 verabschiedete Freedom of Information Act die Gesetz gewordene Realisierung des Grundrechts auf den Zugang zu Informationen. Dieses Recht kann notfalls vor Gericht eingeklagt werden.
Auch die Russische Föderation ist 1991, nach dem Fall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, de jure ein solches Land geworden. Vor allem in den Jahren 1992 und 1993 standen die wichtigsten sowjetischen Archive den Gelehrten offen. Auch heute noch finden neue Informationen den Weg ans Tageslicht, nicht zuletzt auch aus den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks und China, obwohl inzwischen einige der reichhaltigsten Archive wieder teilweise verschlossen sind. Seit 1992 hat das Woodrow Wilson International Center for Scholars in seiner Publikationsreihe Cold War International History Project Bulletin tausende solcher Papiere in Übersetzung zugänglich gemacht. Dies bedeutet einen wahren Quantensprung für die Geschichtsschreibung des Kalten Krieges. Die Kenntnis von geheimen Aufzeichnungen, Briefen, Anweisungen, Sitzungsprotokollen und weiterem, umfangreichen Archivmaterial zu Josef Stalin, Nikita Chruschtschow, Mao Tse-Tung und den Führungsebenen anderer kommunistischer Länder versetzt uns in die Lage, die Motive und Gedanken der hochrangigen Politiker hinter dem Eisernen Vorhang nicht mehr abschätzen zu müssen, sondern sie schwarz auf weiß nachlesen zu können - in den Aufzeichnungen ihrer geheimen Debatten und ihres privaten Nachsinnens.8
Ein ungehemmter Jubelschrei jedoch wäre verfrüht und töricht. Keineswegs alles, was in den dunklen Kammern des Sowjetregimes verborgen war, kann heute ohne weiteres mit dem Licht historiographischen Erkenntnisgewinns beleuchtet werden. 1992 verkündete die Rossiiskaia gazeta zwar, dass Stalins persönliche Archive der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden würden, doch diese Versprechungen erwiesen sich als illusorisch. Einerseits wurde nie geklärt, in welchem Ausmaß diese Akten der Vernichtung anheim gefallen waren, andererseits sind die kommunistischen Archive, ihre Inhalte und die mit ihnen zusammenhängende Rechtssprechung auch im post-sowjetischen Russland immer noch ein brandheißes Politikum. Der russische Staat stellt sich heute noch strikt vor die Veröffentlichung vieler Papiere aus den Archiven der einzelnen Generalsekretäre und wirft somit einen dunklen Schatten auf die Vergangenheit.9 Eine zuweilen destruktive Informationspolitik ist allerdings auch auf der anderen Seite des Atlantiks zu finden. 1995 verlangte US-Präsident Clinton mit Executive Order 12958 von seinen Regierungsbehörden, alle Papiere freizugeben, die älter als 25 Jahre waren. In den Archiven der US Army warteten noch 296 Millionen Seiten solcher Dokumente auf ihre Veröffentlichung. Der CIA hingegen gelang es über Ausnahmeregelungen, 93 Millionen Seiten weiterhin unter Geheimhaltung zu bewahren, was beinahe eineinhalb Mal der veröffentlichten Menge von 66 Millionen Seiten entsprach. Die vollständige Geschichte des Kalten Krieges ist also keineswegs schon bekannt.10
Trotzdem muss sich angesichts der immer noch erstaunlichen Masse an neuen Informationen die Historiographie natürlich die Frage gefallen lassen: ,,Is there a new Cold War history, and if so, how does it differ from earlier approaches?“11 Ein kurzer Blick auf die bisherige Forschungsgeschichte mag zu einer Antwort verhelfen.
Es kann zwischen mehreren verschiedenen Schulen differenziert werden. Ganz am Anfang standen die Orthodoxen oder auch Traditionalisten der ersten Stunde des Kalten Krieges. Diese US-amerikanischen Historiker schrieben die Ursprünge des Kalten Krieges sowjetischem Expansionsdrang zu.12 Der orthodoxe Zugriff durchdringt bis heute die offizielle Position der US-Regierung zu diesem Thema. Der Revisionismus schrieb die Geschichte des Kalten Krieges grundlegend anders. Im Zuge des Vietnamkrieges hatte sich eine Desillusionierung hinsichtlich der amerikanischen Politik eingestellt, die auch eine Neuinterpretation der historischen Fakten mit sich brachte. Wegweisend war hier William A. Williams, der zu dem Schluss kam, dass in einem amerikanischen ökonomisch-kapitalistischen Imperialismus die Ursache für den Kalten Krieg zu suchen gewesen sei.13 Er trat eine ganze Welle neuer Studien los, die davon ausgingen, die Sowjetunion sei nach dem Zweiten Weltkrieg zu schwach und zu erschüttert gewesen, um für die Vereinigten Staaten eine ernsthafte Gefahr darzustellen, und den Ausbruch des Kalten Krieges auf das amerikanische Konto verbuchten. In den siebziger und achtziger Jahren wurde dieses Konzept von den Postrevisionisten umgeworfen. Sie sahen sich, ähnlich wie die Realisten, Politikwissenschaftler aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen, als Synthese der beiden vorangegangenen Zugriffe. Grundlegende Neuerungen brachte hier John Lewis Gaddis 1972 ein, der kritisierte, dass Historiker oftmals die Ursprünge des Kalten Krieges nur in den Aktionen einer Seite und den Reaktionen der anderen Seite sähen. Vielmehr müsse man betrachten, wie sich die USA und die UdSSR gegenseitig wahrgenommen hätten, in welchem Maße und mit welchem Ergebnis sie die Intentionen der Gegenseite abschätzten und wie dies ihre eigenen Handlungen beeinflusste.14
Die „neue“ Geschichte des Kalten Krieges meint schließlich diejenigen Werke, die nach dem Fall der Sowjetunion entstanden sind und die den Kalten Krieg abgeschlossen, als historisches Ganzes, betrachten können. Hier wird der Trend zur Betrachtung der interaktiven Beziehungen der am Kalten Krieg beteiligten Staaten als internationale Geschichte aufgegriffen, untermauert durch neue Informationen von beiden Seiten des Atlantiks.15 Erstmals tauchen hier neben westlichen Historikern auch Wissenschaftler aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks als große Namen der Ge-Schichtsschreibung des Kalten Krieges auf. Vladislav Zuboks A Failed Empire: The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev beispielsweise, das Ende 2007 erschien, ist das erste Werk in englischer Sprache, und damit zugänglich für die Weltöffentlichkeit, das die gesamte Geschichte des Kalten Krieges aus der russischen Sicht beleuchtet. „Neu“ kann sich daneben ebenso beziehen auf die neuen Forschungsfelder, welche die Dimensionen der Propaganda, Psychologie, Kultur und Ideologie während des Kalten Krieges aufgreifen.16
Manche Geheimnisse der vergangenen Jahrzehnte sind inzwischen aufgedeckt, einige Unklarheiten und Fehlinterpretationen beseitigt worden. Zudem können wir uns heute auf Darstellungen russischer Historiker verlassen, die es vermögen, den Westen auf einzigartige Weise durch die Augen der Sowjetunion auf die Welt und ihre Geschichte blicken zu lassen:
The Soviet worldview had been shaped by a history that was dramatically different from that of the West.
The legacy of czarist history, the Bolshevik revolution, the Civil War, and the experience of World War II all contributed to a unique Soviet perspective.17
Wir können heute auf Fakten und Interpretationen zurückgreifen, die früheren Historikergenerationen noch nicht zur Verfügung standen. Man weiß aus Archivfunden, dass die osteuropäischen Staaten weitaus autonomer in ihrem Handeln waren, als früher angenommen werden konnte. So war der Mauerbau im August 1961 weniger den langfristigen Zielen Chruschtschows zu verdanken als eher den Machenschaften Walter Ulbrichts. Der Bruch zwischen der Sowjetunion und China fand früher statt und reichte wesentlich tiefer, als dem Westen vormals bewusst gewesen war. Aufgelöst haben sich auch die Nebelschwaden um das sowjetische Nukleararsenal der frühen sechziger Jahre. Der in den USA damals vielbeschworene missile gap hat sich als Fehleinschätzung herausgestellt.18 Ebenfalls steht heute eine Darstellung zum U-2-Zwischenfall von i960 zur Verfügung, die erstmals die KGB-Berichte zu den Verhören Francis Gary Powers' miteinbeziehen kann.19 Auch sind schockierende Unfälle mit Atomwaffen ans Tageslicht gekommen. Weder die Streitkräfte der Vereinigten Staaten20 noch jene der UdSSR21 waren vor ihnen gefeit.
All diese neuen Erkenntnisse tragen dazu bei, eine bessere Passung herzustellen zwischen der Darstellung der Geschichte und der tatsächlichen Realität der Vergangenheit. Eine Veröffentlichung der vielen Dokumente, die unter dem Mantel der Geheimhaltung noch in amerikanischen und russischen Archiven schlummern, könnte dazu auch viel beitragen. Jedoch:
Despite glasnost, and in spite of the Soviet campaign to till this virgin soil and to fill in the white spots of Soviet history, Soviet foreign policy and military archives have remained curiously impenetrable. The situation remains little changed and the files of Stalin's Secretariat are still closed.22
Aber auch in den westlichen Archiven bleibt vieles verschlossen, was zu den größten Mysterien des Kalten Krieges gehört, etwa die tatsächliche Geschichte des sowjetischen U- Boots K-129.23 All dies bestätigt die fortwährende Gültigkeit von Orwells zynischem Postulat: Who controls the present, controls the past.
2. OST GEGEN WEST - EINE BIPOLARE WELT
There are two great peoples on the earth today who, starting from different points, seem to advance toward the same goal: these are the Russians and the Anglo-Americans. [...] Their point of departure is different, their ways are diverse; nonetheless, each of them seems called by some secret design of Providence to hold the destinies of half the world in its hands one day.
- Alexis de Tocqueville24
Beinahe prophetisch mag diese Aussage de Tocquevilles anmuten, wenn man vor ihrem Hintergrund die Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachtet. Fast fünfzig Jahre lang zog der Konflikt zwischen den Weltmächten USA und UdSSR die Welt in seinen Bann - „one of the longest conflicts in human history.“25 Zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Fall der Berliner Mauer gab es keinen Kontinent, auf und um den nicht gerungen wurde;26 nicht einmal die Astronauten der Apollo-11-Mission entkamen den Klauen des Kalten Krieges - sie begegne-ten 1969 im Mondorbit der sowjetischen Raumsonde Luna 15, die in einem verzweifelten Versuch, noch vor den Amerikanern Mondgestein zur Erde bringen zu können, gestartet worden war.27 Ebenso wenig gab es einen Lebensbereich, ob politisch, sozial oder kulturell, den dieser weltumspannende Antagonismus nicht durchdrang, kaum eine geostrategische Maßnahme, abgesehen von einem Dritten Weltkrieg, die nicht angewandt wurde - von Finanzspritzen, Klientelstaa- terei und Propagandafeldzügen bis hin zu Spionageaktionen, Guerillakriegen und politisch motivierten Attentaten.28
Beide Seiten dieser bipolaren Auseinandersetzung hatten tatsächlich von sehr verschiedenen Warten aus bis 1945 ihren Aufstieg genommen und eine Konfrontation musste beinahe unausweichlich erscheinen, schließlich reichte der Ost-West-Konflikt zurück bis ins 19. Jahrhundert als „Auseinandersetzung zwischen ,asiatisch-russischer‘ und ,westli- cher‘ Zivilisation und Mentalität.“29 Die in den Unabhängigkeitskriegen geschmiedete freiheitlich-republikanische Verfassung der Vereinigten Staaten stand dem autokratischen, anti-demokratischen Fundament des russischen Staates schon zur Zarenzeit weitgehend diametral gegenüber. Die US-amerikanische open door-Politik in Asien und deren Unterstützung für das englisch-japanische Bündnis, welches Russland 1904/1905 in der Mandschurei und bei Tsushima schwere Niederlagen beibrachte und maßgeblich zur Verbreitung der Revolution in allen russischen Gesellschafts- schichten30 beitrug, taten ihr Übriges zur Malaise früher russisch-amerikanischer Beziehungen31 - die jedoch immer noch relativ freundschaftlich waren angesichts des massiven Umschwungs, der mit der Bolschewistischen Revolution eintrat. Der damalige amerikanische Präsident Wilson war vom Bolschewismus so abgestoßen, dass er militärisch in den russischen Bürgerkrieg eingriff - eine derart traumatische Erfahrung für das junge sowjetische Regime, dass es seine Ängste in verstärktem Maße gegenüber einer kapitalistischen Einkreisung ausrichtete und weniger gegen das nationalsozialistische Deutschland. Diese Politik ging so weit, dass Stalin, sogar nach diplomatischer Anerkennung durch Roosevelt, seine Unterschrift unter den berüchtigten HitlerStalin-Pakt setzte. Erst nach dem Angriff des Dritten Reiches auf die Sowjetunion befanden sich die USA und die UdSSR als Verbündete wider Willen im selben Boot. Während die Sowjetunion in einem Kampf ums Überleben die Hauptlast des Zweiten Weltkrieges in Europa zu tragen hatte, mussten die Westalliierten ein vitales Interesse an der Existenz und der Kriegsfähigkeit des ideologischen Gegners haben, wenn sie den Krieg gegen Hitler gewinnen wollten. Doch sobald sich das Kriegsglück gegen Nazi-Deutschland gewandt hatte, zeigten sich erste Risse in dieser brüchigen, weil so unnatürlichen Allianz.32
So unterschiedlich also die Ausgangspositionen gewesen waren, so gleich waren doch die zwei Konstanten, von denen beide schon kurz nach 1945 völlig dominiert wurden: Ideologie und Atomwaffen.33 Kapitalismus und Kommunismus standen vor den Augen aller Welt im Wettstreit miteinander und hinter den beiden Weltanschauungen ragte drohend das Schreckgespenst des nuklearen Overkills auf. „Planning for Armageddon“34 wurde zur Standardprozedur der Militärs einerseits sowie zwangsweise auch zum Alltag der zivilen Haushalte. Der Wahnsinn des atomaren Wettrüstens - MAD (Mutually Assured Destruction) im wahrsten Sinne des Wortes - vermochte ein deprimierendes Lebensgefühl zu vermitteln: Die Politikprofessoren Eugene Burdick und Harvey Wheeler beschrieben in ihrem 1962, dem Jahr der Kubakrise, publizierten Roman Fail-Safe den verheerenden Ausfall der Kontrollmechanik einer Nuklearwaffe, ausgelöst durch ein winziges technisches Versagen. Ihre Überzeugung von der statistischen Unausweichlichkeit einer solchen Katastrophe35 vermittelt ein desolates Stimmungsbild des Jahres 1962 und des Kalten Krieges überhaupt.
Zwei Amerikaner gaben dieser Phase des Ost-West-Kon- flikts nach 1945 seinen Namen: Journalist Walter Lippmann und US-Präsidentenberater Bernard M. Baruch sprachen schon 1947 vom Cold War.36 So deutlich dieser Begriff die spezifische Qualität der Auseinandersetzung vom diffusen Wesen eines Ost-West-Konflikts abgrenzt,37 so führt er doch etwas in die Irre. Zum einen mag man versucht sein, gar nicht von einem Krieg sprechen zu wollen, schließlich fehlten sowohl eine offizielle Kriegserklärung als auch Paraden und Orden für den Sieger. Nichtsdestoweniger wurden aber die Jahre des vermeintlich „Kalten“ Krieges überschattet von der hässlichen Fratze vieler heißer Stellvertreterkriege, etwa in Korea, Vietnam oder Afghanistan.38 Für den Hauptschauplatz der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen jedoch, den europäischen Eisernen Vorhang, scheint es angemessen, Stövers Definition des Kalten Krieges als „perma- nente[n] und aktiv betriebene[n] ,Nicht-Frieden‘“39 anzusetzen, welche die Vorstellung von einer eigentlich politischen Konfrontation, die aber ständig am Rande eines offenen Weltkrieges schwebte, am besten vermittelt.
Die Beschäftigung mit dem Kalten Krieg benötigt keine ausschweifende Rechtfertigung. Zu nahe steht unsere Gegenwart noch dieser Zeit, die sich als einzigartiger Prüfstein der Geschichte, als „most important period in our history“40 erwiesen hat. Eben weil die Vernichtung der Menschheit manchmal nur einen Knopfdruck weit entfernt war, stellt sich uns die brennende Frage: „[H]ow did we ever make it out of the Cold War alive?“41 Der globale Terrorismus, Atomwaffenentwicklung, Raketenabwehrschilde - die Geister, die der Kalte Krieg heraufbeschworen hat, sorgen heute noch für Schlagzeilen. NATO, UNO, Weltbank und ähnliche Institutionen bestimmen auch jetzt noch die Bühne der internationalen Politik - ,,[t]he Cold War shaped our times.“42
Viele dieser Konstanten, welche in die Gegenwart hineinragen, stammen noch aus dem ersten Drittel dieses Konflikts, mit dem wir uns nun beschäftigen werden. Von den Ursprüngen bis 1962 sollen die Beziehungen der Supermächte in ihren wichtigsten Stationen, ihren bedeutendsten Krisen, behandelt werden. Diese sind das Auseinanderbrechen der Anti-Hitler-Koalition während des heraufziehenden Nuklearzeitalters, die Blockade West-Berlins, der Krieg in Korea, die Mauerkrise und schließlich die Kubakrise. Mit dem Jahr 1962 schließt dieses Werk an einem essentiellen Wendepunkt des Kalten Krieges ab, da mit der Kubakrise endgültig der Wahnsinn des nuklearen Säbelrasselns unter Beweis gestellt wurde und mit dem Bruch zwischen der Sowjetunion und China die absolute Bipolarität des Kalten Krieges ihr Ende fand.43
3. DER EISERNE VORHANG FÄLLT
Γη summary, we have here apoliticalforce committed fanatically to the belief that with the US there can be no permanent modus vivendi, that it is desirable and necessary that the internal harmony of our society be disrupted, our traditional way of life be destroyed, the international authority of our state be broken, if Soviet power is to be secure.
- George F. Kennan44
Kennans long telegram vom Februar 1946 hat Geschichte gemacht als eines der wichtigsten Dokumente, die den Kalten Krieg schwarz auf weiß manifest machten. Nicht einmal ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges konnten schon solche harten Töne zwischen den einstigen Alliierten vernommen werden. Was war also geschehen?
3.1 Weichenstellungen der ersten Jahre
Aus nüchterner Warte betrachtet hatte sich schlicht eine Rückkehr zum traditionellen Feindbild vollzogen.45 Schließlieh stand schon das Kriegsbündnis zwischen den USA und der UdSSR intern unter erheblichen Spannungen.46 Bereits 1941 hatten sieh Roosevelt und Churchill mit der AtlantikCharta ideologisch von der Sowjetunion abgegrenzt.47 Diese hatte deutlich die Hauptlast des Krieges in Europa getragen, doch war Stalins Forderung nach einer Zweiten Front immer wieder auf später vertröstet worden - aus stichhaltigen militärischen Gründen zwar, trotzdem konnte dies in keiner Weise den Zusammenhalt der Ost-West-Allianz fördern.48 Nachhaltig negativ beeinflussten auch die Umstände bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944 - das Halten der Roten Armee am Ostufer der Weichsel - das Anti-Hitler-Bündnis; für Osteuropa schien sich eine dunkle Zukunft schon abzuzeichnen.49
Polen sollte dann auch zum schwierigsten Problem auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 werden. Da Roosevelt eigentlich eine längerfristige, friedliche Kooperation mit den Sowjets anstrebte und seinen Traum von einer Weltfriedensorganisation nicht wegen einer Frage von seiner Meinung nach minderer Bedeutung zerplatzen sehen wollte, führten die zähen Verhandlungen über provisorische Regierungen und Gebietsverschiebungen Polens schließlich zu einer dermaßen schwammig formulierten Erklärung der Großmächte, dass die Sowjetunion keine großen Schwierigkeiten hatte, die Formel von „freien Wahlen“ in einem ganz anderen Sinne zu interpretieren als ihre westlichen Partner. Als ebenso divergierend auslegbar sollte sich die „Erklärung über das befreite Europa“ erweisen, mit der die Amerikaner versuchten, die von Churchill und Stalin im Oktober 1944 getroffene Abgrenzung der Interessenssphären in Europa50 durch das Recht auf freie Selbstbestimmung für alle befreiten Länder zu ersetzen.51 Aus sowjetischer Sicht ging es freilich eher darum, sich nicht von den Westmächten aus Polen hinausdrängen zu lassen, damit dort kein „imperialistisches“
Regime als Instrument des Westens gegen die UdSSR agieren konnte.52
Während die Diplomaten verhandelten, wurden auf dem Schlachtfeld in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges die Faits accomplis geschaffen, welche die Teilung Europas in den darauf folgenden Jahrzehnten nach sich ziehen sollten. „Die Vorherrschaft, die die UdSSR durch ihre Streitkräfte über ganz Osteuropa [...] ausübte, konnte nicht [...] rückgängig gemacht werden.“53
Lange wurde harsche Kritik an den Westmächten für die Ergebnisse der Jalta-Konferenz geübt. Doch muss zugestanden werden, dass es sich zum einen nur um eine Anerkennung der tatsächlich vorhandenen Machtverteilung unter den Supermächten handelte und zum anderen sollte nicht vergessen werden, welche Handlungsalternativen den Westalliierten realistischerweise vorlagen. Ein Fortsetzen des Zweiten Weltkrieges gegen die Sowjetunion stand völlig außer Frage. Und so musste sich das Papier, auf dem die „Wiederherstellung der souveränen Rechte und der Selbstregierung“ der vormals okkupierten Länder im Sinne der Atlantik-Charta54 abgedruckt war, als außerordentlich geduldig erweisen, während die UdSSR das sowjetfreundliche Lubli- ner Komitee im April des Jahres 1945 demonstrativ anerkannte und damit der nationalpolnischen Exilregierung eine deutliche Absage erteilte - dem Westen waren die Hände schlicht gebunden, auch aus dessen selbstauferlegter Zurückhaltung: Premier Churchill hatte General Eisenhower eindringlich beschworen, die amerikanischen Truppen bis nach Berlin vorstoßen zu lassen, die westliche Tschechoslowakei zu besetzen und sich erst dann auf die vereinbarten Zonengrenzen zurückzuziehen, wenn mit den Sowjets eine Einigung im Sinne eines demokratischen Osteuropas erreicht worden wäre; doch lehnte Truman es ab, Eisenhower dahingehend zu instruieren, da er sich schnellstmöglich der Beendigung des Krieges im Pazifik zuwenden wollte.55
Das gegenseitige Misstrauen vertiefte sich zunehmend. Stalin haderte mit der Tatsache, dass die Deutschen in den letzten Kriegstagen an der Ostfront weitaus verbissener kämpften als gegen die Engländer und Amerikaner. Ebenso wurde von sowjetischer Seite entschieden gegen Teilkapitulationen deutscher Streitkräfte vor den Westalliierten protestiert. In dieser Situation verstarb nun Präsident Roosevelt im April 1945 überraschend.56 Mit ihm verschied der große Befürworter der „einen Welt.“ Eine neue politische Richtung nahm daraufhin ihren Anfang in Washington, die der Sowjetunion keineswegs mehr den Kooperationswillen Roosevelts entgegenbrachte. US-Generalstabschef Admiral Leahy, Marineminister Forrestal und der amerikanische Botschafter in Moskau Harriman hatten, zusammen mit Churchill - in dieser frühen Phase des Kalten Krieges kamen noch sehr entscheidende Impulse aus London57 - großen anti-sowjetischen Einfluss auf den auf außenpolitischem Parkett recht unerfahrenen neuen US-Präsidenten Harry S. Truman.58
Die Konferenz von Potsdam im Sommer 1945 stand dann zu großen Teilen unter dem Stern der Sicherheitsbestrebungen Stalins. Es wurde deutlich, dass dieser Osteuropa offenbar als seinen Herrschaftsbereich betrachtete und dort eine aggressive Sicherheitspolitik betreiben wollte.59 Der britische Botschafter in Moskau Balfour hatte dies schon erkannt:
[T]he Soviet Union looks upon [...] Poland as a security zone. [...] No plans for world organisation or pacts with the Western Powers will deflect the U.S.S.R. from buttressing up her security system in this region as a first line of defense.60
Die von der Sowjetischen Armee geschaffenen Tatsachen
standen den westlichen Hoffnungen diametral entgegen - in den von deutscher Herrschaft befreiten Ostgebieten wurde fieberhaft die kommunistische Regierungsübernahme vorbereitet.61 Stalin verlangte den Westmächten die Zustimmung zur Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze Polens ebenso ab62 wie er kurz darauf von der Türkei die Aufkündigung der Montreux-Konvention und den Zugang zu den Meerengen für die UdSSR forderte.63 Dies und die sowjetischen Pressionen gegenüber dem Iran wurden als erste Anzeichen eines aufkommenden Expansionismus aufgefasst.64 Zufriedenstellende Ergebnisse konnte die Potsdamer Konferenz in diesem sich schnell abkühlenden Klima nicht mehr vorweisen. Mit dem Wegfall des gemeinsamen Kriegsgegners traten die Eigeninteressen der Großmächte wieder in den Vordergrund, die viel zu gegensätzlich waren, als dass sie Einigungen in wichtigen Fragen, wie der Zukunft Deutschlands, erlaubt hätten;65 der Sicherung von geopolitischen Einflussphären und Ressourcen hatten sich auf beiden Seiten alle anderen Ziele unterzuordnen. Stalins Pläne sahen die osteuropäischen Staaten als Objekte direkten sowjetischen Interesses an: Polen traf, wie schon angedeutet, das schwerste Schicksal. Dieses traditionell russenfeindliche Land hatte sowohl beim Massaker von Katyn 1940, bei dem die Rote Armee 15,000 polnische Offiziere erschoss, als auch beim Warschauer Aufstand 1944, als die Rote Armee abwartend zusah, wie die antikommunistische Résistance aufgerieben wurde, sowjetische Brutalität über sich ergehen lassen müssen. Die Anerkennung des Lubliner Komitees anstelle der Londoner Exilregierung schließlich markierte die Totalität der sowjetischen Dominanz. Auch in Rumänien, Bulgarien und Ungarn waren ebenfalls nach kurzer Zeit schon kommunistische Satellitenregime etabliert worden. Einzig die Tschechoslowakei konnte sich noch bis 1948 eine gewisse Unabhängigkeit bewahren. Jugoslawien hatte unter Tito eine eigenständige kommunistische Kraft entwickelt, die sich der Machtübernahme durch Stalin entgegenstellte; Finnland, das der UdSSR im Zweiten Weltkrieg zweimal erbitterten militärischen Widerstand geleistet hatte, erhielt sich gänzlich seine demokratische Ordnung und blieb im Kalten Krieg neutral. Dennoch hatte die Sowjetunion eine nicht-sowjetfeindliche Orientierung ihres westlichen Vorhofes erreicht.66
Den Westmächten ging es nicht um einen Herrschaftsgürtel in Form von Satellitenstaaten. Sie wollten zunächst kommunistische Machtübernahmen in Griechenland, Italien, Frankreich und nicht zuletzt Deutschland verhindern. Außerhalb Europas lagen die Konfliktbereiche im Jahr 1945 in der Türkei (Montreux-Konvention); im Iran, wo britische und sowjetische Truppen standen und reiche Ölvorkommen lockten; in Palästina, wo zwar beide Seiten den neu gegründeten Staat Israel sofort formell anerkannten, der Westen diesem jedoch näher stand, während der Osten den arabischen Staaten zuneigte; und in Asien, wo aus dem chinesischen Bürgerkrieg schließlich eine zweite kommunistische Großmacht hervorgehen sollte und wo rote Kräfte auch stark an dem Prozess der Dekolonisation beteiligt waren.67
Doch markierte Potsdam noch weit mehr als die Trennung von Einflussphären: „Potsdam war mithin die Geburtsstunde der atomaren Polarisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“68 Der atomare Wettlauf der Supermächte hatte damals schon begonnen, bevor die Bomben über Hiroshima und Nagasaki gezündet wurden. Stalin gab sich in Potsdam demonstrativ unbeeindruckt von Trumans Ausführungen über die neue Wunderwaffe. Sowjetische Spione gelangten in den Besitz vieler Informationen, die es der UdSSR erlaubten, schon vier Jahre später ihre erste eigene Nuklearwaffe zu testen.69 Stalin zeigte sich bis dahin uneingeschüchtert vom Nuklearmonopol der Amerikaner.70
Potsdam hatte also unverkennbar Realitäten geschaffen. Nun mussten Mittel und Wege gefunden werden, mit diesen Realitäten umzugehen. Auf der Außenministerkonferenz in London im September 1945 boten sich erste Möglichkeiten, eine solche Handhabung auszutesten. Es prallten zwei komplett unterschiedliche Vorstellungswelten aufeinander. US- Außenminister Byrnes war unvorbereitet darauf, dass sein Gegenüber Molotow nicht klein beigeben würde, als er die nach Kriegsende militärisch und ökonomisch überlegene Stellung der Vereinigten Staaten herausstellte, um die Bedingungen der Friedensverträge zu diktieren. Doch Molotow ignorierte diese Machtdemonstrationen, beharrte seinerseits auf seinen Vorstellungen von diesen Verträge und forderte unerwartet auch noch eine sowjetische Beteiligung an der Besatzung Japans. Die Konferenz schlug fehl. Nach einem weiteren Versuch zur Verständigung zwischen Byrnes und Stalin selbst im Dezember 1945 stand Truman innenpolitisch, von Seiten der Presse und auch von den Briten, deren Außenminister Bevin als weniger kompromisswillig dargestellt wurde, unter großem Druck. Am 3. Februar 1946 wurde berichtet, dass sowjetische Spione Informationen über die Atombombe gestohlen hatten. Die Republikanische Partei, allen voran Senator Vandenberg, forderten dringend eine Kursänderung gegenüber den Sowjets und ein Ende jeglicher Zugeständnisse. Am 12. Februar verweigerten die USA eine Anerkennung der bulgarischen Regierung und zehn Tage später gaben sie auch ihre zurückhaltende Politik gegenüber dem Iran auf - in Anerkennung der Tatsache, dass die sowjetische Kontrolle über die dortigen Ölfelder und eine ebensolche Bedrohung der Ölfelder Saudi-Arabiens eine strategische Schwächung der Vereinigten Staaten darstellen würden. Auch die Situation in der Türkei wurde aggressiv angegangen. Man beorderte das Schlachtschiff USS Missouri und den Flugzeugträger USS Roosevelt nach Istan- bul,71 um sowjetischen Einflussversuchen entgegenzutreten. Zur selben Zeit traf Kennans Telegramm in Washington ein, das zum entscheidenden Steinchen im Mosaik dieses Politikwechsels wurde. Kennans Empfehlung einer Strategie des containment, der Eindämmung sowjetischer Expansion, wurde von Truman aufgegriffen. Dies war auch dahingehend eine historische Entscheidung, als dass die USA nun ihren Isolationismus der Vorkriegsjahre ein für allemal aufgaben, um sich der UdSSR entgegenzustellen.72
Schützenhilfe für diese Politik kam von britischer Seite. Churchill, wie so oft um einen bildlichen Ausdruck nicht verlegen, prägte im März 1946 das Wort vom „Eisernen Vorhang“ und legte seine Meinung zu einer Strategie für die Behandlung der Sowjetunion dar:
From Stettin in the Baltic to Trieste in the Adriatic, an iron curtain has descended across the Continent. [...T]his is certainly not the Liberated Europe we fought to build up. Nor is it one which contains the essentials of permanent peace. [...] From what I have seen of our Russian friends and Allies during the war, I am convinced that there is nothing they admire so much as strength, and there is nothing for which they have less respect than for weakness, especially military weakness.73
Dieser messerscharfen Analyse setzte Stalin einen Vergleich Churchills mit Hitler entgegen, betonte, dass er seine eigene Europapolitik nur mit dem Ziel betriebe, für die Sowjetunion Sicherheit herzustellen und anschließend zog er noch Churchills Verstand in Zweifel.74 Kein Wunder also, dass man für den März 1946 festzustellen vermag: „[T]he Grand Alliance was dead.“75
Das amerikanische Kalkül einer härteren Linie schien aufzugehen. Im April 1946 stimmte die UdSSR kleinlaut zu, ihre Truppen aus dem Iran abzuziehen, nachdem die USA und Großbritannien im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die sowjetischen Versuche, dieses Land einzuschüchtern, offengelegt hatten. Nachdem die sowjetischen Truppen abgezogen waren, widerrief der Iran mit amerikanischer Unterstützung auch die eigentlich bereits vereinbarten Ölkonzessionen für die Sowjetunion. Kurz darauf zog Stalin die Fühler zurück, die er nach amerikanischen Krediten ausgestreckt hatte, wies die Mitgliedschaft in der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond zurück und unterstützte die chinesischen Kommunisten unter Mao Tse-Tung. Ebenfalls 1946 wurde der Baruch-Plan für die Kontrolle der atomaren Rüstung von den Vereinten Nationen gebilligt, von Stalin allerdings abgelehnt, was ihn wertlos machte. Es waren sowohl der Baruch-Plan für die UdSSR als auch ein Gegenvorschlag von Gromyko für die USA inakzeptabel. Keine Seite war willens, die eigene konkrete Atomrüstung für die vage Idee einer Rüstungskontrolle aufzugeben.76
Ihre offizielle Ausformulierung erfuhr die containmentPolitik im Frühjahr 1947. Griechenland war während des Weltkrieges von britischen Truppen besetzt worden. Das Land wurde von einem Bürgerkrieg zwischen konservativen und linken beziehungsweise liberalen Kräften gebeutelt und Großbritannien, das selbst unter einer akuten ökonomischen Krise litt, konnte diese Bürde nicht länger schultern und wandte sich mit der dringlichen Bitte um finanzielle Unterstützung an die Vereinigten Staaten.77 Trumans Antwort war von essentieller historischer Bedeutung:
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