«Dem Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen» - Aufkommen der Ökonomie und Rückzug der Natur

Spiegelung des gesellschaftlichen Umbruchs im ersten Akt des "Faust" Zweiter Teil?


Seminararbeit, 2005

38 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zeit der Veränderungen in Europa
2.1. Vom Colbertismus zu Quesnay: Frankreich
2.2. Der englische Merkantilismus
2.3. Liberalistischer Ideenwandel
2.4. Industrialisierung in England: Umsetzung des liberalistischen Postulats
2.5. Wirtschaftlicher Rückstand in Deutschland
2.6. Einzug des wirtschaftlichen Fortschritts in Deutschland
2.7. Zwischenfazit

3. Anmutige Gegend – Natur und Abglanz
3.1. Erwachen im reinen Naturzustand
3.2. Farbiger Abglanz: Der Schein wird Thema

4. Das Sein vor dem Schein: Systemkrise im Reich
4.1. Die Zustandsbeschreibung der Minister
4.2. Systemdiagnose: „Hier aber fehlt das Geld“
4.3. Das Wesen des Geldes: Geld-Schein
4.4. Kompetenzübertragung des Kaisers: Auslieferung an den Schein

5. Mummenschanz: Scheinhafte Vorführung des Neuen
5.1. Die Geburt einer neuen Gesellschaft
5.2. Erneuerung der Wirtschaftsform: Die neue Natürlichkeit der Märkte
5.3. Einzug des Reichtums: Verwechslung von Schein und Sein
5.4. Der Reichtum übernimmt die Regie: Entstehung einer neuen Religion
5.5. Triumph des Reichtums - Degradierung des Kaisers

6. Das Sein nach dem Schein
6.1. Wiedergeburt der Gesellschaft: Wirtschaftlicher Aufschwung
6.2. Der Grund des Aufschwungs – Retrospektive
6.3. Das neue Prinzip: Alles beim Alten?

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

« The world was, in fact, on the eve of an industrial revolution; and it is interesting to remember that the two men who did most to bring it about it, Adam Smith and James Watt, met, as I have mentioned, in Glasgow, when one was dreaming of the book, and the other of the invention, which were to introduce a new industrial age.

For the Wealth of Nations and the steam-engine (with the great inventions, like the spinning-jenny and the power-loom, which accompanied or followed it) destroyed the old world and built a new one. » (Arnold Toynbee)[1]

Sowohl das 18. als auch 19. Jahrhundert waren geprägt von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Johann Wolfgang Goethe, als politischer Amtsträger und als Beobachter seiner Zeit, konnte seine Werke nicht unbeeinflusst von dieser ihn umgebenden außerliterarischen Realität verfassen. So finden sich in seinem Lebenswerk, dem „Faust“, zahlreiche Anspielungen auf reale politische und wirtschaftliche Begebenheiten.

In den europäischen Königreichen herrschte im 17. Jahrhundert stärkster wirtschaftlicher Protektionismus vor. Diese Wirtschaftsphilosophie, die in den Ländern Europas aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen unterschiedliche Ausprägungen erfuhr, wird Merkantilismus genannt. Beeinflusst von den wirtschaftlich-liberalistischen Diskursen des Franzosen Franςois Quesnay schrieb der Engländer Adam Smith 1776 sein Werk „Wohlstand der Nationen“, in dem er eine liberale Wirtschaft postulierte. Dieses Buch wurde zum Schlüsselwerk der Freihandelsbewegung. Gedrückt von zunehmender Staatsverschuldung und ansteigenden Bevölkerungszahlen, verwirklichte zuerst England dieses wirtschaftliche Freiheitspostulat. Die englische Industrielle Revolution beeinflusste schließlich auch die wirtschaftliche Entwicklung Rest Europas.

Die vorliegende Arbeit beginnt mit einem einleitenden Wirtschaftsteil, der diese wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungen – von ersten liberalistischen Diskursen in Frankreich, über die englische Freihandelsbewegung bis hin zur deutschen Entwicklung – und ihre sozioökonomischen Auswirkungen nachzeichnen soll. Um die wirtschaftlichen Veränderungen kenntlich zu machen, sollen zunächst die unterschiedlichen Merkantilismusausprägungen der drei Länder thematisiert werden. Hiervon ausgehend soll verdeutlicht werden, inwieweit Goethe im ersten Akt des Faust II auf die Begebenheiten seiner Zeit anspielt. Zu diesem Zweck muss die Eröffnungsszene des Werkes untersucht werden. Es soll betrachtet werden, ob dieser eine Prologfunktion im Werk zukommt, ob sie ein literarisches Thema für die weitere Handlung vorgibt. Nach der ersten Szene spielt das Geschehen in der Gesellschaft des Hofes. Der Staat ist verschuldet, das alte System bedarf einer Erneuerung. Daher soll beleuchtet werden, inwieweit die wirtschaftliche Neubelebung der literarischen Gesellschaft mit in der Goethe-Zeit erfahrbaren Entwicklungen korrespondiert.

Führt die Entstehung einer neuen Wirtschaftsform tatsächlich zu einer Verbesserung der Verhältnisse? Bedingt das neue Marktsystem die Beziehung des Menschen zur Natur? Welches ist die neue Instanz, die die Gesellschaft – nach der Zurückdrängung des feudalen Systems - zusammenhält? Die literarischen Antworten Goethes auf all diese Fragen sollen in dieser Arbeit interpretiert werden. Besondere Bedeutung kommt hier der Untersuchung der zwischen Analyse der Systemkrise und der Erneuerung des wirtschaftlichen Systems liegenden Mummenschanz-Szene zu, in der die Gesellschaft literarisch seziert wird.

Auf keinen Fall sollen Goethes eigene wirtschaftstheoretische Ansichten analysiert werden. Dies wird Teil einer späteren Arbeit sein. Im vorliegenden Text geht es vielmehr um die Kenntlichmachung literarischer und realgeschichtlicher Parallelitäten. Wie spiegelt der erste Akt des Faust II diese Zeit der Veränderungen wider?

2. Zeit der Veränderungen in Europa

2.1. Vom Colbertismus zu Quesnay: Frankreich

In Frankreich war der theoretische Diskurs über Wirtschaftsfragen im 17. Jahrhundert nicht weit entwickelt, da wirtschaftspolitische Maßnahmen in dem absolutistischen Staat keiner Legitimierung bedurften.[2] So „war die Wirtschaftspolitik Colberts auf die Machtpolitik ‚seines’ Königs Ludwig XIV. zugeschnitten.“[3]

Jean-Baptiste Colbert, der „Generalkontrolleur der Finanzen“[4], war der Vordenker der französischen Merkantilismus-Ausformung, des nach ihm benannten Colbertismus. Durch eine Steigerung der Exporte sollte ein zunehmender Goldfluss in das Land hinein realisiert werden. Colberts Wirtschaftspolitik war geprägt von strikter Reglementierung des Produktionsprozesses. Die Zollpolitik wurde hier zum wichtigsten Instrumentatrium der Außenwirtschaftslenkung.

Neben der holländischen und der englischen avancierte die französische zur drittstärksten Kriegsflotte. Mit militärischem Druck wurde auch die Kolonialisierung vorangetrieben. Der Kolonialhandel florierte, was nicht zuletzt der weiter ausgebauten Handelsflotte zu verdanken war.[5] „Um den Kolonialhandel zu organisieren, gründete Colbert nach englischem und niederländischem Beispiel Handelskompanien auf Aktienbasis, die mit weit reichenden Privilegien versehen wurden.“[6]

Erst unter Ludwig XV. florierte der wirtschaftstheoretische Diskurs in Frankreich.[7] In Kontrastierung zum Colbertismus entwickelte sich die Schule der Physiokraten. Nach Ansicht dieser galt von den „ Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden“ [8] lediglich der Boden als produktiv. Der Leibarzt Ludwig XV. und der Madame Pompadour, Franςois Quesnay, entwickelte das erste wirtschaftliche Kreislaufmodell, das so genannte „Tableau économique“. Dieses unterteilte er in eine produktive Bauernklasse, in eine verteilende Klasse der Grundbesitzer und in „die gewerbliche Wirtschaft als ‚classe stérile’[9]. Lediglich die Klasse der Bauern könne, so die Ansicht der physiokratischen Schule, einen Mehrwert erzeugen. In der „classe stérile“ hingegen finde keine Mehrwertsteigerung statt, da hier auf den Wert der Produktion lediglich die Lohn- und Kapitalaufwendungen aufgeschlagen, die Rohprodukte aus der Wirtschaft also nur weiterverarbeitet würden. Ausgegangen wurde von einer Ordnung, in der Angebot und Nachfrage ein „natürliches“ ökonomisches Gleichgewicht schaffen. Staatliche Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf wurden daher strikt abgelehnt.[10] Dünkirchen, Marseille, Bordeaux und Bayonne waren die ersten Freihäfen. Auch die Schutzzölle wurden nach und nach aufgegeben.[11]

2.2. Der englische Merkantilismus

In England begründete Thomas Mun mit seinem Werk „Englands Treasure by Forraign Trade“ die englische Merkantilismusausformung. Er stellte die These auf, dass der Import von Gütern, also der Export von Geldwerten, einer Wirtschaft zuträglich sein könne, wenn hieraus später profitable Warenexporte entstünden. Hierbei räumte Mun der Handelsbilanz einen hohen Stellenwert im Hinblick auf die Staatsbilanz ein.[12] Er erkannte, dass „trotz bilateraler passiver Saldi“[13] ein wirtschaftlicher Vorteil für die gesamte Handelsbilanz entstehen könne. So wurde die Einfuhr von Fertigwaren blockiert, während die Einfuhr von Rohstoffen forciert wurde. Analog wurde der Rohstoff-Export begrenzt, während der Export von Fertigwaren angestrebt wurde.[14] Handel als Nullsummenspiel begreifend wurde nach der Maxime verfahren: „One man´s loss is another man´s gain.“[15] Die Gewinne einer Volkswirtschaft bedeuteten also die Verluste einer anderen. Der schottische Wirtschaftstheoretiker James Steuart forderte schließlich die staatliche Einmischung in den Wirtschaftprozess, um Marktungleichgewichten entgegenwirken zu können.[16]

Um ausländische Produkte zu schwächen und die eigenen Exportmöglichkeiten zu stärken, wurden staatliche Arbeitshäuser errichtet, in denen Arbeitslose und bedingt Arbeitsfähige unter niedrigsten Lohnbedingungen beschäftigt wurden.[17] Es wurde staatliche Bevölkerungspolitik betrieben. Durch Bevölkerungsmehrung sollte eine Ankurbelung der Binnennachfrage erzielt werden. Gleichzeitig wurden die Löhne gesenkt, um im Außenhandel wettbewerbsfähig zu bleiben.[18] Trotz erhöhter Wirtschaftlichkeit im Agrarsektor nahm die Arbeitslosigkeit unter den Landarbeitern zu.[19]

England bediente sich „eines umfangreichen Instrumentariums „ tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse[20] und begann mit der Regentschaft von Elisabeth I. nun, seine Außenwirtschaft protektionistisch abzuschotten. Es kam zur Gründung von staatlichen Außenhandelskompanien. 1571 eröffnete die Londoner Börse mit dem Ziel, den Kapitalmarkt zu stärken. Im Jahr 1651 wurde die so genannte Navigationsakte erlassen, nach der alle Handelsgüter aus Übersee, die nach England oder von England nach Übersee verschifft wurden, auf englischen Schiffen transportiert werden mussten. Die Navigationsakte hatte vor allem entscheidende Bedeutung im Zusammenhang mit den Kolonien, die den Engländern einen Handelsvorteil gegenüber der Konkurrenz verschafften.[21] Die Kolonien wurden als Exportziele für die eigenen Güter instrumentalisiert, während umgekehrt ihre Rohstoffe ausgebeutet wurden.[22]

Um niedrige Lohnniveaus zu erhalten, verbot der englische Staat im Jahr 1720 Arbeiterzusammenschlüsse im Sinne von Gewerkschaften. Drei Jahre später wurden die Arbeitshäuser verstaatlicht.[23] Die Auffassung, dass die Reichtumsvermehrung eines Landes nur mit dem Reichtumsverlust eines anderen einhergehe und dass Reichtumsvergrößerung gleichzeitig Machtvermehrung bedeute, rechtfertigte auch Handelskriege.[24] So kam es zwischen 1652 und 1674 zu drei Seeschlachten zwischen England und seinen beiden größten Konkurrenten im Außenhandel Holland und Frankreich.[25]

2.3. Liberalistischer Ideenwandel

Unter anderem aufgrund verbesserter medizinischer und hygienischer Bedingungen stieg die Bevölkerungszahl rapide an. Die zuerst gleich bleibende Geburtenrate sank ab. Dafür fiel die Sterberate überproportional stärker.[26]

Das Ende des Merkantilismus erfolgte schleichend. Ab 1760 avancierte die englische Agrargesellschaft zur Industrienation. Anders als der von Arnold Toynbee geprägte Terminus Industrielle Revolution vermuten lässt, handelte es sich jedoch nicht um eine schlagartige Entwicklung. Vielmehr war diese Revolution technischen Basisinnovationen wie dem mechanischen Webstuhl, der Erfindung der Dampfschiffe und anderen Erfindungen im Transportwesen und auch der Kohle- und Eisentechnologie zu verdanken.[27]

Die Voraussetzungen Englands waren wie geschaffen für wirtschaftliche Veränderungen, „da die wirtschaftlichen, sozialen und ideologischen Bindungen der vorindustriellen Zeit bereits gebrochen und die herkömmlichen Lebensweisen und Beschäftigungsmuster so schwach waren, daß sie sich leicht auflösen ließen.“[28] Zudem war das Land nicht wie Deutschland in Territorialfürstentümer aufgeteilt und es gab kein Zunftwesen. Die Seeflotte war gut ausgebildet. Weiterhin war die Arbeitsteilung schon in weiten Bereichen der englischen Wirtschaft verbreitet, da hier bereits die Schiff-, Eisen- und Baumwollindustrie florierte.[29]

Ausgehend vom 1776 erschienenen Werk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ des Moralphilosophen und Ökonomen Adam Smith entwickelte sich schließlich eine liberalistische wirtschaftstheoretische Diskussion. Der Markt wurde nun als natürliche Ordnung angesehen.[30]

Im Gegensatz zum Merkantilismus, der das Kollektive betonte, konzentrierte sich der Liberalismus auf das Individuum.[31] Adam Smith setzte die Ideen der Physiokraten in gewissen Zügen fort. So forderte er die Aufhebung aller staatlichen Beschränkungen. Er teilte mit den Physiokraten die Auffassung, dass sich die freie Wirtschaft selbst reguliere. Doch Smith betrachtete die Industrie und nicht – wie die Denkschule Quesnays – die Landwirtschaft. Für den „Vater der klassischen Nationalökonomie“ avancierte der Produktionsfaktor Arbeit zur wichtigsten Bestimmungsgröße einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Voraussetzung für den Arbeitsprozess nach Smith ist der Einsatz von Kapital, das durch produktive Arbeit schließlich erneut gebildet wird. Durch Arbeitsteilung kann die Arbeitsproduktivität erhöht werden. Der Einzelne handelt – wie von einer unsichtbaren Hand geleitet – nach seinem Eigeninteresse und trägt damit zum Wohl der gesamten Gesellschaft bei. Durch produktive Arbeit wird also Wohlstandsmehrung erzielt. Der Staat hingegen soll nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen. So gewährleistet er die innere und äußere Sicherheit, stellt ein Rechtssystem und öffentliche Infrastruktureinrichtungen bereit, kommt seiner Repräsentationspflicht nach und garantiert frei zugängliche Bildung.[32]

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts arbeiteten viele Wirtschaftstheoretiker in Diensten der Regierungen. Besonders in den oberen Schichten bestimmte die Theorie des Liberalismus das Meinungsbild.[33] „Wichtiger noch als die wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Klassiker, die nur ein kleines Publikum las, waren die in zahlreichen Auflagen verbreiteten stark vereinfachten, doktrinären Vulgärversionen der klassischen Politökonomie, die bis in die Arbeiterschicht gelesen wurden.“[34]

2.4. Industrialisierung in England: Umsetzung des liberalistischen Postulats

Auf Druck der Freihandelsbewegung wurden die englischen Korngesetze und auch eine Vielzahl von Zöllen – beides Teile der englischen Protektionismusstrategie zum Schutz der heimischen Landwirtschaft – abgeschafft.[35] Mit dieser Liberalisierung setzte die Industrie ihre Interessen gegenüber der Landwirtschaft durch, „wohlhabende urbane Mittelschichten drängten immer stärker nach Partizipation an der politischen Macht neben der etablierten ländlichen Aristokratie.“[36] Es entstand eine neue „Unternehmergeneration“[37].

Im Zuge der Agrarrevolution, die mit neuen Anbau- und Verarbeitungstechniken und einer neuen Landaufteilung einherging, konnte der großen Nahrungsnachfrage, bedingt durch die ansteigenden Bevölkerungszahlen, entsprochen werden. Durch die steigende Anzahl der im Agrarbereich Beschäftigten stieg auch die Kaufkraft der Bürger. Ihr erwirtschaftetes Kapital investierten viele Grundbesitzer in Industriegewerbe.[38] Die angehäuften Gewinne wurden nun in produktive Kapitalgüter reinvestiert, wie etwa in Maschinen. Auch durch Infrastruktur-Projekte wie Kanal-, Straßen- und Flussbauten konnte auf lange Sicht Kapital eingespart werden. Auf diese Weise wurde der technische Fortschritt vorangetrieben.[39]

Der Staat verhielt sich jedoch nicht völlig passiv im Industrialisierungsprozess. So sorgte er durch die Bereitstellung seiner mächtigen Seeflotte für die ökonomische Vormachtstellung Englands. Zudem war der hohe Materialbedarf während des Krieges gegen Frankreich eine Mitbedingung für die Entwicklung technischer Innovationen.[40]

In der für Englands Wirtschaft bedeutenden Textilindustrie kam es zu technischen, die Produktion rationalisierenden Neuerungen. Als die Dampfmaschine Einzug in die Baumwollindustrie hielt, waren Fabrikansiedlungen auch fern von Wasserstellen möglich.[41] England schwang sich zu einem der größten Eisenexporteure auf.[42]

Mit der beginnenden Industrialisierung nahm auch die Bedeutung der Märkte zu. Während früher wirtschaftliche mit gesellschaftlichen Zielsetzungen einhergingen, fand nun eine Interessenspaltung statt. Es entstand ein System „interdependenter Konkurrenzmärkte“.[43]

„Die Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital mußten von allen nichtökonomischen Zwängen und Tabus befreit werden. Für diese Produktionsfaktoren mußten Märkte geschaffen werden, um die optimale Faktorallokation in einer zunehmend arbeitsteiligen Wirtschaft zu sichern. Nur so konnte auf Wettbewerbsmärkten flexibel auf immer neue Herausforderungen reagiert werden. Dies bedeutete, daß Mensch und Natur auf ihre Funktion als Ware reduziert werden mußten, damit der Marktmechanismus funktionieren konnte. Gesellschaft und soziale Verhaltensweisen hatten sich den Marktgesetzen anzupassen.“[44]

Bedingt durch das vergrößerte Kreditvolumen aufgrund steigender Produktion und durch die Existenz eines Weltmarktes wurde die englische Wirtschaft anfälliger für Wirtschaftskrisen. Wirtschaftliche Boomphasen wurden gefolgt von Rezessionen. Die Unternehmer suchten im Ausnutzen technischer Innovationen nach Möglichkeiten, ihre Produktion zu rationalisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Während vor den Napoleonischen Kriegen in der Baumwoll- und Eisenindustrie akuter Arbeitskräftemangel geherrscht hatte, so fanden sich nach dem Wiener Kongress tausende Soldaten ohne Broterwerb.[45]

Auch Frauen und Kinder wurden zu Hungerlöhnen und ohne Höchstarbeitszeiten beschäftigt. Das hohe Angebot an Arbeitskräften und der damit einhergehende Konkurrenzdruck bedingten sinkende Reallöhne. Die Unternehmergewinne hingegen stiegen rapide. Es entstanden Industriestädte, in denen die Arbeiter unter ärmlichen Bedingungen leben mussten. In einem Gesetzesentwurf wurden im Jahre 1824 schließlich Arbeitszusammenschlüsse erlaubt.[46]

2.5. Wirtschaftlicher Rückstand in Deutschland

Die Entwicklung in Deutschland verlief anders geartet. Der Dreißigjährige Krieg hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Die Infrastruktur war zerstört und auch die Bevölkerungszahl hatte sich immens verringert. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 und der damit verbundenen Fürstensouveränität ging auch eine Vielheit unterschiedlicher Währungen einher. So wurde eine einheitliche Wirtschaftspolitik verunmöglicht.[47] Ein „deutsche [r] Reichsmerkantilismus erwies sich als kaum mehr als eine Utopie.“[48]

An mehreren Universitäten wurden wirtschaftswissenschaftliche Lehrstühle errichtet, von denen sich die Territorialfürsten, in der Hoffnung auf Steuereinnahmen, Rat in Wirtschaftsfragen erhofften. Da der Merkantilismus für eine Verbesserung des Staatshaushalts sorgen sollte, war er in die „camera“, also in die Schatzkammer der Fürsten eingebunden.[49] Die deutsche Ausprägung des Merkantilismus wird daher als Kameralismus bezeichnet. In Preußen regierte Friedrich II. Da das Gebiet jedoch selbst keine Edelmetallvorkommen besaß, bestand eine Abhängigkeit von Gold- und Silbermärkten. Das Papiergeld spielte in Deutschland jedoch keine relevante Rolle. „Der Papiergeldumlauf soll im ausgehenden 18. Jahrhundert in Preußen ca. 1-2% des Münzgeldumlaufes betragen haben (...).“[50]

[...]


[1] Toynbee, Toynbee´s industrial revolution, Seite 189.

[2] Vgl. Blaich, Merkantilismus, Seite 18/ 19.

[3] Ebd., Seite 19, Zeile 37/ 38.

[4] Ebd., Seite 18, Zeile 30/ 31.

[5] Vgl. Schaefer, Die merkantilistische Wirtschaftspolitik, Seite 20.

[6] Ebd., Seite 20, Zeile 4-7.

[7] Vgl. ebd., Seite 13.

[8] Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 29, Zeile 6.

[9] Ebd., Seite 29, Zeile 27.

[10] Vgl. ebd., Seite 29/ 30.

[11] Vgl. Schaefer, Die merkantilistische Wirtschaftspolitik, Seite 21.

[12] Vgl. ebd., Seite 9.

[13] Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 24, Zeile 8/ 9.

[14] Vgl. Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 24.

[15] Schaefer, Die merkantilistische Wirtschaftspolitik, Seite 9, Zeile 20.

[16] Vgl. ebd., Seite 13.

[17] Vgl. ebd., Seite 10.

[18] Vgl. Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 25/ 26.

[19] Vgl. ebd., Seite 13.

[20] Vgl. ebd., Seite 24, Zeile 33-35.

[21] Vgl. Schaefer, Die merkantilistische Wirtschaftspolitik, Seite 14-16.

[22] Vgl. ebd., Seite 10.

[23] Vgl. ebd., Seite 15/ 16.

[24] Vgl. Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 21.

[25] Vgl. Schaefer, Die merkantilistische Wirtschaftspolitik, Seite 16.

[26] Vgl. Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 37-39.

[27] Vgl. ebd., Seite 39-42.

[28] Ebd., Seite 43, Zeile 5-8.

[29] Vgl. ebd., Seite 43.

[30] Vgl. Kopsidis, Liberale Wirtschaftspolitik, Seite 34.

[31] Vgl. Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 34.

[32] Vgl. Binswanger, Geld und Magie, Seite 153.

[33] Vgl. Kopsidis, Liberale Wirtschaftspolitik, Seite 37.

[34] Ebd., Seite 38, Zeile 4-7.

[35] Vgl. ebd., Seite 48/ 49.

[36] Ebd., Seite 49, Zeile 5-7.

[37] Schaefer, Die merkantilistische Wirtschaftspolitik, Seite 30, Zeile 1.

[38] Vgl. Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 43-46.

[39] Vgl. ebd., Seite 47-52.

[40] Vgl. ebd., Seite 50/ 51.

[41] Vgl. ebd., Seite 57/ 58.

[42] Vgl. ebd., Seite 60-62.

[43] Kopsidis, Liberale Wirtschaftspolitik, Seite 35, Zeile 16.

[44] Ebd., Seite 35, Zeile 16-24.

[45] Vgl. Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 63/ 64.

[46] Vgl. ebd., Seite 64-68.

[47] Vgl. Schaefer, Die merkantilistische Wirtschaftspolitik, Seite 21.

[48] Ebd., Seite 22, Zeile 16/ 17.

[49] Vgl. Walter, Wirtschaftsgeschichte, Seite 19.

[50] Ebd., Seite 23, Zeile 2/ 3.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
«Dem Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen» - Aufkommen der Ökonomie und Rückzug der Natur
Untertitel
Spiegelung des gesellschaftlichen Umbruchs im ersten Akt des "Faust" Zweiter Teil?
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
J.W. Goethe: „Faust I/II“
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
38
Katalognummer
V118469
ISBN (eBook)
9783640214884
ISBN (Buch)
9783640214952
Dateigröße
612 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grenzenlosen, Vertrauen», Aufkommen, Rückzug, Natur, Goethe, I/II“
Arbeit zitieren
Andree Czerwinski (Autor:in), 2005, «Dem Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen» - Aufkommen der Ökonomie und Rückzug der Natur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118469

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