(...) Auch in Johann Wolfgang Goethes 1774 publiziertem Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ wird der Realitätsverlust durchaus thematisiert: Der Protagonist Werther schreibt fortlaufend Briefe an seinen Freund Wilhelm, aus denen immer deutlicher hervorgeht, dass er selbst in besonderem Maß davon ‚betroffen’ ist. Wohl auch deshalb mehren sich in den letzten Jahren die Versuche, den „Werther“ unter psychoanalytischen Aspekten interpretieren zu wollen. Diese für die „Werther“-Forschung durchaus früchtetragenden Arbeiten konzentrieren ihren Blick allerdings eher auf die melancholische Erkrankung Werthers oder seine Gesamtpersönlichkeit; weniger aber wird darin die Entwicklung seines Realitätsverlustes im Ganzen nachvollzogen. Aus diesem Grund soll deren Analyse Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein. Insbesondere wird der Fragestellung nachgegangen, welche Ursachen, Symptome und Folgen des Realitätsverlustes sich für die Hauptfigur des Romans abzeichnen.
Zuerst wird dabei das Interesse auf die Erzählform gestützt, weil es sich – wie bereits erwähnt – bei „Die Leiden des jungen Werthers“ um einen Briefroman handelt, in dem das subjektive Erleben und Empfinden des Protagonisten eine besondere Rolle spielt und auch eine methodische Funktion übernimmt. U.a. lässt sich daraus die Genese des Realitätsverlustes ableiten, auf die das Augenmerk im nächsten Abschnitt der Arbeit zu richten sein wird. Hier sollen insbesondere Werthers Kindheit, seine Flucht in die Isolation und die damit verbundene Ichbezogenheit untersucht werden. Denn aus jenen Ursachen ergibt sich letztendlich Werthers Fehldeutung der Umwelt, die im nächsten Abschnitt der Arbeit unter Berücksichtigung seiner Naturwahr-nehmung und der falschen Interpretation von Lottes Verhalten näher erläutert werden soll, um abschließend die Folgen des Realitätsverlustes für die Hauptfigur offen zu legen. Dabei werden die seelische Erkrankung Werthers, seine gescheiterten Therapieversuche und der schließlich stattfindende Entschluss zum Freitod als wichtigste Merkmale herausgearbeitet.
Zitate sind in der vorliegenden Arbeit als solche durch Anführungszeichen kenntlich gemacht und mit einer Fußnote versehen. Alle anderen einge-klammerten Hinweise, wie z.B. (vgl. Kap. 2.1.), sind Binnenverweise dieser Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Subjektivität als Methode
- Goethes „Werther“: Ein klassischer Briefroman?
- Der Erzähler
- Ursachen für den Realitätsverlust
- Werthers Kindheit
- Rückzug in die Isolation
- Totalität des Ich
- Fehldeutung der Umwelt
- Die Beschreibung der Natur
- Überzogene Interpretation von Lottes Verhalten
- Folgen des Realitätsverlustes
- Die seelische Erkrankung
- Gescheiterte Therapiemaßnahmen
- Selbstmord als letzte Konsequenz
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Realitätsverlust des Protagonisten Werther in Johann Wolfgang Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“. Sie analysiert die Ursachen, Symptome und Folgen dieser Entwicklung, die Werthers Wahrnehmung der Welt und sein Handeln maßgeblich beeinflussen.
- Subjektive Wahrnehmung und Realitätsverlust
- Einfluss der Kindheit und Isolation auf die Persönlichkeitsentwicklung
- Fehlinterpretation von Umwelt und zwischenmenschlichen Beziehungen
- Folgen des Realitätsverlustes auf die seelische Gesundheit
- Selbstmord als Konsequenz des gescheiterten Umgangs mit der Realität
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Realitätsverlust als ein Phänomen vor, das durch eine Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Realität entsteht. Sie führt in das Thema des Realitätsverlustes in Goethes „Werther“ ein und umreißt die Forschungsfrage nach den Ursachen, Symptomen und Folgen dieser Entwicklung für Werther.
Das Kapitel „Subjektivität als Methode“ befasst sich mit der spezifischen Erzählform des Romans und der Rolle der Briefe als Ausdruck der subjektiven Wahrnehmung Werthers. Es wird analysiert, inwiefern der Briefroman die Genese des Realitätsverlustes erhellt.
Im Kapitel „Ursachen für den Realitätsverlust“ werden Werthers Kindheit, sein Rückzug in die Isolation und die damit verbundene Ichbezogenheit als prägende Faktoren für seine Fehldeutung der Umwelt untersucht.
Das Kapitel „Fehldeutung der Umwelt“ analysiert Werthers Wahrnehmung der Natur und seine überzogene Interpretation von Lottes Verhalten als Ausdruck seines Realitätsverlustes.
Das Kapitel „Folgen des Realitätsverlustes“ beleuchtet die seelische Erkrankung Werthers, seine gescheiterten Therapieversuche und schließlich den Selbstmord als letzte Konsequenz seines Realitätsverlustes.
Schlüsselwörter
Realitätsverlust, Subjektivität, Briefroman, "Die Leiden des jungen Werthers", Johann Wolfgang Goethe, Werther, Kindheit, Isolation, Ichbezogenheit, Fehldeutung, Naturwahrnehmung, Lotte, seelische Erkrankung, Therapie, Selbstmord.
- Citation du texte
- Mirco Rauch (Auteur), 2008, "...und die ganze Welt verliert sich um mich her." Zum Realitätsverlust in Johann Wolfgang Goethes Roman "Die Leiden des jungen Werthers", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118544