Das Kuba Anfang der 90er Jahre in Antonio José Ponte's "Una tirada del libro de los cambios"


Hausarbeit, 2022

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Historischer Kontext

2.1 Kuba Anfang der 90er Jahre
2.1.1 Die Schwierigkeiten für die literarische Szene
2.2 Der Autor Antonio José Ponte

3. Merkmale einer Kurzgeschichte in „Una tirada del libro de los cambios“

4. Interpretation von „Una tirada del libro de los cambios” von Antonio José Ponte
4.1 Einleitung zur Interpretation
4.2 Das Spiel der Brüder
4.3 Verschlüsselung, Dekontextualisierung, Ellipsen
4.4 Der Wandel und seine Darstellung in „Una tirada del libro de los cambios“

5. Fazit

1.Einleitung

Antonio José Ponte, geboren vier Jahre nach der Machtübernahme Fidel Castros in Matanzas, Kuba, ist studierter Ingenieur und Autor. Er gehört zu der Generation von kubanischen Autor*innen, die nach 1959 geboren sind und sich mehr und mehr vom Kanon der Revolutionsideologie distanziert haben. Sie sind Leser*innen auch ausländischer, westlicher Literatur, die mit einer Öffnung und Demokratisierung des Landes sympathisieren würden und die während des Zerfalls des sozialistischen Staatenbundes um 1990 auf eine solche Öffnung gehofft hatten. Eine Hoffnung, die vom Kurs der kubanischen Regierung und Fidel Castro enttäuscht wurde. Die darauffolgende periodo especial bereitete der kubanischen Gesellschaft existenzielle Probleme, die auch eine einschneidende Wirkung auf die damalige Literatur hatten. In diesem Kontext bewegt sich das Werk von Antonio José Ponte und seine Kurzgeschichte „Una tirada del libro de los cambios“, die in dieser Arbeit analysiert werden soll.

Die zentrale Fragestellung lautet: Inwiefern lässt sich der Text in das Genre der Kurzgeschichten einordnen und wie stellen die literarischen Mittel, vor allem im Hinblick auf die periodo especial, die Situation Kubas Anfang der 90er Jahre dar. Um diese Frage zu beantworten, wird zuallererst ein Einblick in den historischen Kontext und das Leben des Autors gegeben. Darauf folgt die Einordnung des Textes in das Genre der Kurzgeschichten, um zum Schluss eine Interpretation aufgrund der vorher erarbeiteten Informationen aufzustellen. Zentral für die Analyse sind die allegorische Bedeutung des Textes, Dekontextualisierung und Ellipsen und das Thema des Wandels.

2. Historischer Kontext

2.1 Kuba Anfang der 90er Jahre

„Una tirada del libro de los cambios“ ist vor dem Hintergrund der politisch­gesellschaftlichen Situation Kubas in den frühen 1990er Jahren zu sehen, in denen das Land in einer tiefen Krise steckte. Diese Krise entstand, nachdem im sogenannten Bruderstaat der Sowjetunion die Perestroika eingeführt wurde. Die Perestroika -Bewegung unter dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow zielte darauf ab, den russischen Sozialismus zu öffnen und mehr an den westlichen, liberalen Markt anzupassen. Zu jener Zeit hofften viele Menschen in Kuba auf einen ähnlichen Kurs der Regierung. Sie hofften auf eine vorsichtige Öffnung, hin zu mehr Demokratie und zur Dezentralisierung des Staates1.

Nachdem Fidel Castro, Che Guevara und ihre Revolutionsarmee am 1. Januar 1959 in Havanna einmarschierten und die Revolution für erfolgreich erklärten, errichteten sie einen stark sozialistisch ausgerichteten Staat. Sie reformierten das Bildungswesen und Gesundheitswesen mit teils großen Erfolgen. Sie schafften es, den Analphabetismus durch kostenlose Bildung und Schulpflicht nahezu zu überwinden und verbesserten die gesundheitliche Versorgung in hohem Maße2.

Doch nach 30 Jahren hatte sich der sozialistische Staat zu einem repressiven System entwickelt, wogegen vor allem die jüngere Generation mit ihrem Wunsch der Öffnung nach außen zunehmend aufbegehrte. Dazu kam die wirtschaftliche Krise, in der selbst grundlegende Alltagswaren und die Energieversorgung in extremem Maße rationiert waren.

Was sich schon gegen Ende der 1980er Jahre ankündigte, wurde Anfang der 1990er Jahre Realität. Die Perestroika -Bewegung wurde umgesetzt. Diese Vorgänge in der Sowjetunion weckte bei vielen Menschen auf Kuba die Hoffnung darauf, dass sich bei ihnen eine ähnliche Entwicklung vollziehen würde. Besonders unter den Kulturschaffenden Kubas gab es ein Erwachen künstlerischer und kultureller Strömungen, die im Angesicht dieser Möglichkeiten Hoffnung schöpften3. Doch Castro und seine Regierung verweigerten eine parallele Erneuerung und gingen auf Gegenkurs zur Perestroika mit einem politischen Programm namens Rectificación de errores (Korrektur von Fehlern).

Der sozialistische Staatenbund hatte Kuba bis zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich stark unterstützt. So erhielt Kuba zum Beispiel jährlich 13 Millionen Tonnen Erdöl als kostenlose Unterstützung. Dies fiel mit dem Auseinanderdriften der politisch-gesellschaftlichen Ausrichtungen ausnahmslos weg. Auf die darauffolgende Knappheit der Ressourcen reagierte die Regierung Castros mit der sogenannten Período Especial en Tiempos de Paz (Sonderperiode in Friedenszeiten). Mit ihr kamen rigide Sparmaßnahmen wie die Rationierung vieler Waren und mehrstündige Stromsperren. Grundnahrungsmittel und Dinge des alltäglichen Bedarfs wie Seife und Zahnpasta wurden knapp.

2.1.1 Die Schwierigkeiten für die literarische Szene

In dieser Zeit wurde auch die literarische Szene Kubas in eine tiefe Krise gestürzt. Leonardo Padura benannte für diese Schwierigkeiten drei Faktoren4. Erstens führten fehlende technische Möglichkeiten, ein Mangel an Papierversorgung sowie die gefürchteten apagones (Stromsperren) dazu, dass nur sehr wenige Bücher zwischen 1990 und 1994 publiziert werden konnten5. Zweitens waren sehr wenig Raum und Möglichkeiten für Kulturschaffende vorhanden, um ihre Arbeit publik machen zu können, vor allem wenn sie nicht auf einer Linie mit der revolutionären Parteipolitik Castros standen. Das dritte Problem war die stetig wachsende Anzahl an Autoren, die ein Leben im Exil den Schwierigkeiten auf Kuba vorzogen, und das Land verließen. Folge dieser Schwierigkeiten war ein starker Verfall der literarischen Szene Kubas.

Einige Autor*innen, unter ihnen auch Antonio José Ponte, fingen an, Texte, die sich nicht mit dem kubanisch-revolutionären Kanon deckten, im Ausland zu publizieren. Die Möglichkeiten hierzu gab es unter anderem, da im Verlauf der 1990er Jahre ein neues Interesse an kubanischer Kultur und Literatur einsetzte. Innerhalb von Kuba waren Texte außerhalb der revolutionären Ideologie strikt verboten. Es gab jedoch einen Kreis an Leser*innen und Autor*innen, die sich von Hand zu Hand einige Exemplare zuspielten, die zuvor von Tourist*innen eingeführt worden waren. Dieses geheime Teilen der verbotenen Bücher schaffte ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit zwischen den Eingeweihten und ermöglichte es einigen Autor*innen, wichtige Einblicke in die Literatur außerhalb des kubanischen Kanons zu erhalten6.

2.2 Der Autor Antonio José Ponte

Antonio José Ponte wurde am 11. August 1964 in Matanzas, Kuba, geboren. Matanzas, auch genannt La Atenas de Cuba, ist historisch das Zentrum kulturellen und künstlerischen Lebens auf Kuba, in dem schon Anfang des 19. Jahrhunderts die Druckerpresse eingeführt wurde. In der Kindheit Pontes, Ende des 20. Jahrhunderts, war die Blütezeit der Stadt jedoch vorbei. In dieser Stadt schrieb er schon als kleines Kind Gedichte und Kurzgeschichten, bis seine Familie 1980 nach Havanna umzog. Wenig später veröffentlichte er dort einen ersten Gedichtband (Árbol del muerto y otros poemas, 1985) und schloss 1988 sein Ingenieursstudium mit Schwerpunkt auf Hydraulik ab und begann auch, diesen Beruf auszuüben.

Es folgte 1989 die Veröffentlichung einer Anthologie über zeitgenössische kubanische Poesie. Im Jahre 1990 begann für die Menschen auf Kuba die einschneidende Phase der período especial. In dieser Zeit des Mangels und einer repressiven Atmosphäre sah sich auch Antonio José Ponte mit gravierenden Schwierigkeiten konfrontiert, was sich auch in seinen Arbeiten niederschlägt. Pontes Literatur, auch aus dieser Zeit, sticht durch eine chaotische, symbolische Darstellung der Realität heraus und ist von Zweifeln und Identitätssuche gezeichnet7. In dieser Zeit, Anfang der 1990er Jahre, arbeitete Ponte auch als Kritiker und schrieb, neben der Veröffentlichung seiner Gedichte, auch Rezensionen. Außerdem schrieb er für verschiedene literarische Fachzeitschriften, in denen er regelmäßig Artikel über europäische und kubanische Poesie, sowie über die kubanische Kultur des 18. Jahrhunderts veröffentlichte8. Auffällig ist, dass von Ponte aus dieser Zeit wenig Erzählliteratur veröffentlicht wurde. Die Poesie, die er publizierte, war nicht von Zensur betroffen, seine Kurzgeschichten jedoch schon. Texte, die nicht auf einer Linie mit der Ideologie Castros waren, wurden von den Zensoren der Regierung verboten. In seinen bekannten Palabras a los intelectuales (1961) charakterisierte Castro die geduldete Literatur so: "dentro de la Revolución, todo; contra la Revolución, nada"9.

Ponte veröffentlichte später, bis auf eine Ausnahme (Corazón de skitalietz, 1998), Erzählliteratur im Ausland, wo im Verlauf der 90er Jahre das Interesse an kubanischer Literatur gestiegen war. In diesen Veröffentlichungen wurde eine kritische Haltung gegenüber Castros Regime immer deutlicher. Trotzdem hatte er die Möglichkeit zu einigen Auslandsreisen, um seine Werke auf Buchmessen und Lesungen vorzustellen. 2003 erfolgte jedoch der Ausschluss aus der Unión Nacional de Escritores y Artistas de Cuba (UNEAC). Damit waren Auslandsreisen nicht mehr im Bereich des Möglichen. 2006 verließ er Kuba und ging ins Exil nach Madrid. Mittlerweile ist Ponte am Diskurs der Exilliteratur beteiligt. Er gab die Kulturzeitschrift Encuentro de la cultura cubana heraus und ist heute Vizedirektor der offen regierungskritischen Online-Zeitung Diario de Cuba. Außerdem hatte er verschiedene Professurstellen, unter anderem in Berkely, California und New York.10

3.Merkmale einer Kurzgeschichte in „Una tirada del libro de los cambios” nach Quiroga

Es soll festgestellt werden, aufgrund welcher Elemente “Una tirada del libro de los cambios” zur Gattung der Kurzgeschichten zugeordnet werden kann.

Der uruguayische Schriftsteller Horacio Quiroga verfasste 1925 El manual del perfecto cuentista und 1927 den Decálogo del perfecto cuentista, in welchen er die wichtigsten Merkmale eines perfekten cuentos zu Papier brachte. Diese normativen Texte sollen als Maßstab dienen, um „ Una tirada del libro de los cambios” einzuordnen.

Zur Einordnung des Textes als Kurzgeschichte ist das erste und offensichtlichste Merkmal der geringe Umfang von fünf Seiten. Des Weiteren stimmt der Punkt der narrativen Ökonomie im cuento mit Quirogas Ausführungen überein. Die Beschreibungen im Text schweifen nicht aus, sondern weisen eine präzise, kurze Sprache ohne überflüssige Adjektive auf. Beispiele hierfür sind „Si no tropieza ninguno, gana“11 oder “se vierte tres o cuatro jarras y lo deja”12.

[...]


1 Basile, Teresa: “Posfacio Estación Habana. Sobre Corazón de Skitalietz de Antonio José Ponte”, in: Ponte, Antonio José: Corazón de Skitalietz. Rosario: Beatriz Viterbo Editora, 2010. S.110

2 Hoffmann, Bert: Kuba. München: Beck (Originalausgabe), 2000. S.83

3 Basile, Teresa: “Posfacio Estación Habana. Sobre Corazón de Skitalietz de Antonio José Ponte”, in: Ponte, Antonio José: Corazón de Skitalietz. Rosario: Beatriz Viterbo Editora, 2010. 110

4 Padura Fuentes, Leonardo: „Vivir en Cuba, crear en Cuba: riesgo y desafío”, in: Kirk, John / Padura Fuentes, Leonardo: La cultura y la revolución cubana: Conversaciones en La Habana. San Juan, Puerto Rico: Editorial Plaza Mayor, 2002. S.321-332

5 Ponte, Antonio José: Un arte de hacer ruinas y otros cuentos. Mexiko: FCE, 2005. S. 9-38 (Prólogo, Cronología, Temas de investigación, Bibliografía básica)

6 Rodriguez, Nestor E. (2002). Un arte de hacer ruinas: entrevista con el escritor cubano Antonio José Ponte. Revista Iberoamericana; Vol. LXVIII, Núm. 198, Enero-Marzo 2002; 179-186.

7 Arango, Arturo: Prolog zu: Codina, Norberto (Hrsg.): Los ríos de la mañana: Poesía cubana de los 80. La Habana: Ediciones Unión, 1995, S. 15. Außerdem: Llarena, Alicia: Poesía cubana de los años 80. Madrid: Ediciones La Palma, 1994, S. 15-31.

8 Ponte, Antonio José: Un arte de hacer ruinas y otros cuentos. Mexiko: FCE, 2005. S.9-38 (Prólogo, Cronología, Temas de investigación, Bibliografía básica)

9 Castro, Fidel: "PALABRAS A LOS INTELECTUALES." Tareas, vol. no. 154, 2016, pp.77-110.

10 De Eusebio, Carmen: “Entrevista, Antonio José Ponte”. Quelle: https://cuademoshispanoamericanos.com/antonio-jose-ponte/ (27.12.2021)

11 Ponte, Antonio José: Un arte de hacer ruinas y otros cuentos. Mexiko: FCE, 2005. S.130

12 Ponte, Antonio José: Un arte de hacer ruinas y otros cuentos. Mexiko: FCE, 2005. S.129

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Details

Titel
Das Kuba Anfang der 90er Jahre in Antonio José Ponte's "Una tirada del libro de los cambios"
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Romanistik)
Veranstaltung
Erzählanalyse am Beispiel spanischsprachiger Kurzgeschichten
Note
1,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
15
Katalognummer
V1185980
ISBN (eBook)
9783346621276
ISBN (Buch)
9783346621283
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Spanisch, Romanistik, Kuba, período especial, período, especial, Antonio José Ponte, Ponte, Literatur, cuento, cuentos, Castro, Fidel Castro, Fidel, Kubakrise
Arbeit zitieren
Tim Lemcke (Autor:in), 2022, Das Kuba Anfang der 90er Jahre in Antonio José Ponte's "Una tirada del libro de los cambios", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1185980

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