Besonders totalitäre Regime beziehen sich seit jeher auf vergangene Ereignisse, um ihre Machtstellung im Innern zu festigen und zu legitimieren. So findet die Instrumentalisierung eines historischen Exempels gerade bei innenpolitischen Krisen Verwendung.
Auch in der Epoche des Nationalsozialismus musste sich die politische Führung Anfang 1943 einer drohenden Destabilisierung ihres Systems entgegenstemmen. Auslöser hierfür war die verlorene Schlacht in Stalingrad, bei der hunderttausende deutsche Soldaten den Tod fanden, nachdem sie im November 1942 von den sowjetischen Armeen eingekesselt wurden. Die Niederlage ist der skrupellosen Kriegsführung der Parteispitze zuzuschreiben, die sich nicht davor scheute, ihre Truppen in der auswegslosen Lage ihrem Schicksal zu überlassen. Um ihre Machtstellung im Reich zu sichern, ging die NS-Führung die Taktik ein, der Öffentlichkeit die negativen Ereignisse an der Wolga zu verschweigen. Doch als Nachrichten über die tragischen Entwicklungen in Russland Angehörige der in Stalingrad festsitzenden Soldaten erreichte, zweifelten nicht nur (wie im Verlauf der Schlacht zunehmend der Fall) Teile des Generalstabs der Wehrmacht an Hitlers militärischen Führungsqualitäten, sondern auch die deutsche Bevölkerung.
Die Sorge vor dem Loyalitätsverlust zwang die NS-Führung schließlich, die Strategie der Verschwiegenheit aufzugeben und die Niederlage in Stalingrad zuzugeben. Mit dieser Aufgabe wurde Reichsmarschall Hermann Göring betraut, der mit einer Rede am 30.1.1943, dem zehnten Jahrestag der Machtergreifung, an die Öffentlichkeit trat. Darin bemühte er sich, die militärischen Fehlentscheidungen in Russland unter Einbezug der Schlacht bei den Thermopylen zu rechtfertigen. Der Tod des Spartiatenkönigs Leonidas im Kampf gegen das riesige Perserheer des Xerxes 480 vor Christus, war lange vor Beginn des "Dritten Reichs" im Bewusstsein breiter Kreise des damaligen Bildungsbürgertums, insbesondere der Offiziersfamilien, verankert.
Inwiefern sich dieser Rückgriff tatsächlich dafür eignete, die Katastrophe von Stalingrad zu legitimieren, und zugleich die sich verschlechternde Stimmung ranghoher Offiziere und der deutschen Bevölkerung abzufangen, möchte diese Arbeit aufdecken.
Inhaltsverzeichnis:
1 Einleitung
2 Die Schlacht bei den Thermopylen 480 v. Chr.
2.1 Der Verlauf der Schlacht
2.2 Herodot als Richtungsgeber der späteren Rezeption
3 Die Schlacht um Stalingrad 1942/43
3.1 Informationen zur Schlacht
3.2 Reaktionen auf die Schlacht
4 Der Vergleich der Schlacht von Stalingrad mit der Schlacht bei den Thermopylen in Görings Rede vom 30.1.1943
4.1 Die Bedeutung der antiken Schlacht bei Göring
4.2 Wirkung des Vergleichs auf
4.2.1 die Bevölkerung
4.2.2 die Offiziere
5 Schlussbetrachtung
6 Quellen- und Literaturverzeichnis
6.1 Quellen
6.2 Literatur
1. Einleitung
Besonders totalitäre Regime beziehen sich seit jeher auf vergangene Ereignisse, um ihre Machtstellung im Innern zu festigen und zu legitimieren. So findet die Instrumentalisierung eines historischen Exempels gerade bei innenpolitischen Krisen Verwendung. Auch in der Epoche des Nationalsozialismus musste sich die politische Führung Anfang 1943 einer drohenden Destabilisierung ihres Systems entgegenstemmen. Auslöser hierfür war die verlorene Schlacht in Stalingrad, bei der hunderttausende deutsche Soldaten den Tod fanden, nachdem sie im November 1942 von den sowjetischen Armeen eingekesselt wurden. Die Niederlage ist der skrupellosen Kriegsführung der Parteispitze zuzuschreiben, die sich nicht davor scheute, ihre Truppen in der auswegslosen Lage ihrem Schicksal zu überlassen. Um ihre Machtstellung im Reich zu sichern, ging die NS-Führung die Taktik ein, der Öffentlichkeit die negativen Ereignisse an der Wolga zu verschweigen. Dennoch erreichten die Bevölkerung vereinzelte Meldungen über die katastrophalen Zustände in Stalingrad. Die Stimmung des deutschen Volkes verschlechterte sich zunehmend, gerade auch deshalb, weil man von offizieller Seite nichts erfuhr. Auch einige Offiziere äußerten Kritik am Verhalten der Parteispitze. Nach den tragischen Entwicklungen in Stalingrad, zweifelte ein Teil des Generalstabs der Wehrmacht an Hitlers militärischen Führungsqualitäten. Vor Sorge, die Loyalität der Bevölkerung und ranghoher Militärs zu verlieren, entschied sich die NS-Führung die Strategie der Verschwiegenheit aufzugeben und die Niederlage in Stalingrad zuzugeben. Mit dieser Aufgabe wurde Reichsmarschall Hermann Göring betraut, der mit einer Rede am 30.1.1943, dem zehnten Jahrestag der Machtergreifung, an die Öffentlichkeit trat. Darin bemühte er sich, die negativen Geschehnisse in Russland mit Hilfe zweier historischer Beispiele zu erläutern. Er verglich die Schlacht von Stalingrad mit dem Kampf der Nibelungen in Etzels Halle und mit der Schlacht bei den Thermopylen 480 vor Christus. Weit mehr widmete sich Göring der antiken Schlacht, in der sich der Spartiatenkönig Leonidas mit seinen Verbündeten im Engpass bei Thermopylai dem riesigen Perserheer des Xerxes in den Weg stellte, um seine Heimat zu verteidigen. Trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit gelang es den Hellenen ihre Stellung für einige Tage zu halten, ehe sie von den Persern umzingelt und besiegt wurden.
Dass die NS-Führung in der prekären innerstaatlichen Lage Anfang 1943 dem antiken Beispiel mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem Kampf in Etzels Halle, ist auffällig. Der Bezug auf die Nibelungen schien nahe liegender, da ihre Sage gerade zu jener Zeit für deutsche Identität und deutsche Tugend stand. Trotzdem rückte Göring die Verknüpfung der Schlacht um Stalingrad mit der bei den Thermopylen in den Mittelpunkt seiner Rede. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich daher ausschließlich auf diesen Vergleich. Die Reaktionen deutscher Soldaten im Stalingrader Kessel auf Görings Rede bleiben von der Analyse weitgehend unberührt, da diese Männer von der NS-Führung bereits abgeschrieben waren und somit keine Gefahr für das System darstellten. Von der Untersuchung vollkommen ausgeschlossen bleiben ebenso die Ansichten der einfachen Soldaten an den anderen Fronten und in der Heimat, weil deren Meinungsbild vom NS-Regime in erster Linie durch ihre Befehlshaber geprägt wurde. Es sind gerade die Offiziere, die durch ihre Kritik an der NS-Führung einen großen Einfluss auf die Zukunft der Parteispitze nehmen konnten. Doch auch die sinkende Stimmung in der Bevölkerung stellte eine Bedrohung für den Machterhalt der Nationalsozialisten dar. Es drängt sich daher die Frage auf, inwieweit der von Göring herangezogene Vergleich der Schlacht von Stalingrad mit der Schlacht bei den Thermopylen ein geeignetes Mittel darstellte, dem wachsenden Unmut der Bevölkerung und des Generalstabs gegenüber der Regime-Führung entgegenzuwirken.
Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig sich zunächst der antiken Schlacht zu widmen, da sich Göring auf diese bezog. In einem ersten Schritt soll der Verlauf des Kampfes skizziert, in einem zweiten Schritt sollen die Elemente der herodoteischen Überlieferung untersucht werden, die den Grundstein für die spätere Rezeption des Thermopylen-Ereignisses legten. Danach wird zur Schlacht von Stalingrad übergegangen. Um die Entstehung und das Ausmaß der Kriegstragödie nachvollziehen zu können, sind reichhaltige Informationen zur Schlacht unverzichtbar. Diese beinhalten sowohl den Verlauf der Schlacht, als auch die Entscheidungen und Reaktionen militärischer Befehlshaber vor und während der Gefechte. Anschließend soll insbesondere die Stimmung der Bevölkerung, aber auch die Meinung mancher Offiziere, auf die Vorgänge in Stalingrad aufgezeigt werden, um den Handlungsbedarf der NS-Führung zu verdeutlichen. Schließlich wird Görings Vergleich der Schlacht von Stalingrad mit der Schlacht bei den Thermopylen ins Zentrum der Arbeit gerückt. Die Eignung des Vergleichs soll auf zwei Ebenen überprüft werden. Die erste Ebene, die inhaltliche, untersucht auf welche Elemente der herodoteischen Überlieferung der Thermopylen-Schlacht sich Göring bezog, wie er sie einsetzte und inwieweit sich diese für seinen Vergleich eigneten. Die zweite Ebene will analysieren, wie sich dieses historische Exempel auf die Bevölkerung einerseits und auf Offiziere andererseits ausgewirkt haben könnte. Hierbei soll festgestellt werden, ob der Vergleich sein Ziel erreichte, die negative Stimmung abzufangen. Zuletzt werden die Ergebnisse prägnant zusammengefasst.
Bevor zum Hauptteil übergegangen wird, sollen die Quellen und die Forschungsliteratur knapp vorgestellt werden, auf die in der vorliegenden Arbeit besonders Bezug genommen wird. Für die Analyse des Themas unverzichtbar sind speziell zwei Quellen: Zum einen Herodots Historien[1], welche die ältesten Überlieferungen der Schlacht bei den Thermopylen sind; zum anderen Hermann Görings Rede vom 30.1.1943[2], weil diese den Vergleich der Schlacht von Stalingrad mit der antiken Schlacht enthält. Die Reaktionen des Volkes auf die Ereignisse in Stalingrad und auf die Ansprache des Reichsmarschalls, sollen vor allem anhand der geheimen Berichte des Sicherheitsdienstes (SD) der SS untersucht werden.[3] Diese zeichneten zumeist ein recht realistisches Bild von der Stimmung der Bevölkerung. Welche Wirkung die Tragödie von Stalingrad und ihr Vergleich mit der antiken Schlacht beim Generalstab der Wehrmacht erzeugte, wird mit Hilfe dreier Memoiren beleuchtet: General Erich von Mansteins „Verlorene Siege“[4] sowie „Die verdammte Pflicht“[5] und „Die Tragödie von Stalingrad“[6] der Ordonnanzoffiziere Alexander Stahlberg und Joachim Wieder. Diese Retrospektiven wurden gewählt, da sie auf nachvollziehbare Art aufzeigen, inwiefern und wodurch sich die Haltung der drei ranghohen Soldaten zur politischen Führung unterschied. Die wichtigste verwendete Literatur ist die 2006 erschienene Monographie von Anuschka Albertz mit dem Titel „Exemplarisches Heldentum – Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart“[7]. Darin werden die Rezeptionen der antiken Schlacht in den einzelnen Epochen untersucht und die Bedeutung des historischen Exempels herausgestellt. Gerade das Kapitel „Die Schlacht an den Thermopylen in der Antike“[8], aber mehr noch der Abschnitt über den Vergleich der antiken Schlacht bei Göring[9], haben der vorliegenden Untersuchung anregende Erkenntnisse[10] geliefert. Zur Schlacht von Stalingrad wurden insbesondere die Arbeiten „Stalingrad – eine Schlacht des Zweiten Weltkrieges“[11] von Gerd R. Ueberschär und „Stalingrad“[12] von Bernd Ulrich herangezogen. Darin werden nicht nur die wesentlichen Eckpunkte der Schlacht prägnant dargelegt, sondern auch ein anschauliches Gesamtbild der Ereignisse um Stalingrad geschaffen. Die Auswirkungen der Schlacht von Stalingrad auf das NS-Regime und seine Propaganda-Strategie werden in Wolfram Wettes „Das Massensterben als ‚Heldenepos’ – Stalingrad in der NS-Propaganda“[13] eingängig beleuchtet. Für die Bearbeitung des antiken Teils eignete sich die Arbeit von Reinhold Bichler und Robert Rollinger „Herodot“[14], da sich diese unter anderem der Biographie Herodots und der Darstellung seiner Historien in der Antike widmet. Die Analyse der Elemente des herodoteischen Schlacht-Berichts, die den Weg für die spätere Rezeption ebneten, wurde von den Aufsätzen „Religion in Herodotus“[15] und „Archaic greek history“[16] von Jon D. Mikalson und Robin Osborne unterstützt.
2. Die Schlacht bei den Thermopylen 480 v. Chr.
2.1 Der Verlauf der Schlacht
Unser Wissen über die Schlacht bei den Thermopylen 480 v. Chr. beruht auf den herodoteischen Historien. Herodot[17] liefert die älteste schriftliche Quelle zu diesem Ereignis. Die Veröffentlichung seines neun Bücher umfassenden Werkes[18] wird auf die Jahre 430 bis 425 v. Chr. datiert.[19] Das Geburtsjahr des antiken Geschichtsschreibers wird auf etwa 484 v. Chr. gelegt.[20] Somit konnte er selbst kein Augenzeuge des Kampfes gewesen sein. Seine Berichte beruhen in erster Linie auf mündlichen Überlieferungen. Allerdings begutachtete Herodot wohl persönlich intensiv den Kriegsschauplatz bei den Thermopylen.[21] Die Materialien für seine Historien soll er etwa zwischen den Jahren 450 bis 430 v. Chr. gesammelt haben.[22]
Im Frühjahr 480 v. Chr. brach der persische Großkönig Xerxes mit einem gigantischen Heer auf, um nach Hellas vorzudringen.[23] Der scheinbar einzige Weg dorthin, war ein Engpass bei Thermopylai. Dieser war westlich von einem steil abfallenden Gebirge, östlich von Meer umgeben. (Hdt. 7,176) In der Engstelle postierten sich die Spartiaten mit ihrem Kontingent, um die persische Expansion zu stoppen. Ganz im Gegensatz zu Xerxes, standen dem Oberbefehlshaber und König Spartas, Leonidas, nur einige tausend Soldaten zur Verfügung. Darunter sollen 300 Spartiaten, 700 Thespier und 400 Thebaner sowie 2800 peloponnesische Bündner gewesen sein. (Hdt. 7,201-203) Als die Perser auf die Spartiaten trafen, soll Xerxes vier Tage mit dem Angriff gewartet haben, in der Hoffnung, Leonidas und seine Verbündeten würden fliehen. Als diese jedoch weiterhin die Engstelle blockierten, ließ der Großkönig angreifen. (Hdt. 7,210) Doch trotz deutlicher Überzahl kamen die Perser gegen die spartanische Stellung tagelang nicht an. Immer wieder scheiterten persische Kontingente an der Verteidigung der Spartiaten. (Hdt. 7,210-211) Als Grund hierfür nennt Herodot unter anderem die waffentechnische Überlegenheit der Hellenen. Im engen Raum des Passes hielten sie die Gegner mit langen Speeren auf Abstand. (Hdt. 7,211) Zudem hatten sie eine sehr professionelle Kampftechnik[24], die dadurch unterstützt wurde, dass sich die griechischen Bündner zwischen den Gefechten abwechselten. (Hdt. 7,212) Einzig eintausend Phoker, die Sparta ebenfalls unterstützten, kämpften nicht, sondern bewachten einen Gebirgspfad. Dieser führte ebenfalls nach Thermopylai, was Xerxes allerdings nicht wusste. Als die zweitägigen Angriffe den Persern keinen Erfolg brachten, zogen sie sich zunächst zurück. (Hdt. 7,212) In dieser Phase soll der Malier Ephialtes den persischen Großkönig von dem nach Thermopylai führenden Gebirgspfad unterrichtet haben. (Hdt. 7,213) Daraufhin schickte Xerxes eine Truppe auf den Fußpfad, um so die Stellung des Leonidas im Engpass zu umgehen. (Hdt. 7,215) Die eintausend Hopliten der Phoker waren vom feindlichen Aufstieg und Angriff überrascht worden und flohen kampflos. (Hdt. 7,218) Am gleichen Tag soll ein Großteil der griechischen Verbündeten abgezogen sein.[25] Neben den 300 Spartiaten blieben noch die 400 Thebaner und 700 Thespier im Engpass. Im Gegensatz zu den Thespiern sollen die Thebaner aber nicht aus freien Stücken bei Leonidas geblieben sein, vielmehr soll er sie zum Kampf gezwungen haben. (Hdt. 7,222) Am dritten Tag kam ein erneuter Angriff der Perser, der zugleich der letzte war. Vom Feind ausweglos umzingelt, kämpften die Lakedaimonier bis zum Äußersten. Die Spartiaten fielen samt ihrem König Leonidas sowie den 700 Thespiern im Kampf. (Hdt. 7,224; 7,226) Die Thebaner sollen sich jedoch, als sie erkannten, dass die Perser in jedem Fall gewinnen würden, ergeben haben. (Hdt. 7, 233)
2.2 Herodot als Richtungsgeber der späteren Rezeption
Herodots Bericht über die Schlacht bei den Thermopylen 480 v. Chr. richtete den Fokus hauptsächlich auf die Spartiaten, speziell auf ihren König Leonidas. Um den spartanischen Befehlshaber und seine dreihundert Krieger kursierte offenbar schon zu Herodots Lebzeiten ein Mythos, der die herodoteischen Historien maßgeblich beeinflusst haben dürfte.[26] Zum „Idealtypus des wahren Spartaners“[27] konnte Leonidas mit großer Wahrscheinlichkeit speziell durch die heroische Darstellung seiner Person in Herodots Überlieferungen werden. Kaum Interesse zeigte der antike Geschichtsschreiber hingegen für die übrigen griechischen Verbündeten des Spartaner-Königs, weshalb diese auch in den späteren Rezeptionen und in der Forschung kaum Beachtung finden.[28] Neben einer Reihe anderer Elementen, sind es vor allem zwei, denen Herodot bei seiner Überlieferung der Schlacht große Aufmerksamkeit schenkte. Zum einen ist es der Orakelspruch von Delphi, zum anderen das Grabepigramm. Aus beiden leitete er wesentliche Handlungsmotive des Leonidas und seiner Spartiaten im Kampf gegen die Perser ab.
Zunächst zum Orakel: Die Weissagung von Delphi kurz vor Beginn der Schlacht bei den Thermopylen wird in der Geschichtswissenschaft als vaticinium ex eventu angesehen, da die Geschehnisse exakt so eingetreten sind, wie sie vorausgesagt wurden.[29] Der König Leonidas war gefallen und Sparta konnte sich in den darauf folgenden Kriegsjahren behaupten. Da der Orakelspruch also erst nachträglich erfunden wurde, findet er in der Forschung bei der Analyse der Schlacht kaum Beachtung.[30] Allerdings bleibt die Wirkung der Weissagung in den herodoteischen Berichten weiterhin bestehen. Der antike Geschichtsschreiber hielt Orakelsprüche für einflussreich und meist authentisch.[31] Sie standen für etwas Übersinnliches, für einen göttlichen Schicksalsplan, der das menschliche Handeln stark beeinflussen konnte. So maß Herodot dem delphischen Orakel zur bevorstehenden Schlacht einen enormen Einfluss auf die Entscheidungen der Spartiaten und ihres Königs zu.[32] Es wurde vorhergesagt, dass die Perser Lakedaimon vernichten, oder sein König sterben werde. (Hdt. 7,220) Durch diese göttliche Offenbarung existierte also eine höhere Motivation, sich dem aussichtslosen Kampf zu stellen und im Pass zu bleiben, unabhängig davon wie sinnvoll und nützlich dieses Vorhaben letztlich sein mochte. Der Sinn und Nutzen des Handelns wird durch die göttliche Vorherbestimmung gegeben. Trotz der religiösen Vorhersehung blieben Leonidas dennoch gewisse Handlungsmöglichkeiten: Zum einen hätte er sich nicht dem Kampf stellen brauchen, was allerdings laut dem Orakel von Delphi zum Untergang Spartas geführt hätte; zum anderen hätte er sich umbringen lassen können, um die Rettung Spartas zu erreichen, da ihm lediglich der Tod, aber nicht der Umstand des Sterbens geweissagt wurde. Stattdessen kämpfte er bis zum Letzten und nutzte somit den sich bietenden Handlungsspielraum vollkommen aus.[33] Das ist es, was Leonidas in Herodots Berichten zum großen Helden, zum Retter Spartas und zum Vorbild des Soldatentums macht. Seine Entscheidung im aussichtslosen Kampf zu sterben ist hier keine passive Opferhaltung, sondern ein aktives Heldentum. Dieses freiwillige Selbstopfer wird in der Rezeptionsgeschichte oftmals nicht nur auf Leonidas, sondern auf die Spartiaten insgesamt ausgeweitet.[34]
[...]
[1] Der Arbeit zu Grunde liegt die Ausgabe des Reclam-Verlages. Herodot: Die Bücher der Geschichte VII-IX (Auswahl) ), Übers. u. Anm. v. Walther Sontheimer, Stuttgart 2005.
[2] Görings Rede vom 30.1.1943 zitiert bei Krüger, Peter: Etzels Halle und Stalingrad. Die Rede Görings vom 30.1.1943, in: Heinzle, Joachim / Waldschmidt, Anneliese (Hrsg.): Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum. Studien und Dokumente zur Rezeption des Nibelungenstoffs im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. Main 1991, S. 170-187.
[3] Meldungen aus dem Reich 1938-1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, hrsg. u. eingel. von Heinz Boberach, Band 12, Herrsching 1984.
[4] Erich von Manstein: Verlorene Siege, 17. Aufl., Bonn 2004. (Das Original erschien 1955 in München.)
[5] Alexander Stahlberg: Die verdammte Pflicht. Erinnerungen 1932-1945, Frankfurt a. Main 1987.
[6] Joachim Wieder: Die Tragödie von Stalingrad. Erinnerungen eines Überlebenden, Deggendorf 1955.
[7] Anuschka Albertz: Exemplarisches Heldentum. Die Rezeptionsgeschichte der Schlacht an den Thermopylen von der Antike bis zur Gegenwart, München 2006.
[8] Albertz, S. 28-66.
[9] Siehe Ebenda, S. 293-308.
[10] Insbesondere bei den Punkten 2.2 und 4.1.
[11] Gerd R. Ueberschär: Stalingrad – eine Schlacht des Zweiten Weltkrieges, in: Wolfram Wette und Gerd. R. Ueberschär (Hrsg.): Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht, Frankfurt a. Main 1992, S. 18-42.
[12] Bernd Ulrich: Stalingrad, München 2005.
[13] Wolfram Wette: Das Massensterben als „Heldenepos“. Stalingrad in der NS-Propaganda, in: Wolfram Wette und Gerd. R. Ueberschär (Hrsg.): Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht, Frankfurt a. Main 1992, S. 43-60.
[14] Reinhold Bichler / Robert Rollinger: Herodot (Studienbücher Antike 3) Hildesheim, Zürich, New York 2000.
[15] Jon D. Mikalson: Religion in Herodotus, in: Egbert J. Bakker / Irene J.F. de Jong / Hans van Wees (Hrsg.): Brill’s Companion to Herodotus, Leiden, Bosten, Köln 2002, S. 187-198.
[16] Robin Osborne: Archaic greek history, in: ebenda, S. 497-520.
[17] Der aus Halikarnassos (heute Bodrum) stammende Herodot war besonders seit der Epoche des Hellenismus als Historiograph angesehen und bekannt. Cicero bezeichnete ihn als Vater der Geschichtsschreibung. Aufgrund einiger Konflikte verließ Herodot seine Heimat und bereiste einige Gegenden, darunter auch Athen. Dort machte er mit dem Dichter Sophokles Bekanntschaft, der seine Arbeit inspiriert haben soll. Herodots Tod wird um 425 v. Chr. vermutet. Sein Grab befindet sich im unteritalienischen Thurioi. Vgl. Albert Schlögl: Herodot, Reinbek bei Hamburg 1998, S. 7-12.
[18] Das Gesamtwerk, welches Herodot selbst als „Darlegung der ‚Historie’“ betitelte, behandelt einen Zeitraum von etwa zweihundert Jahren. Es beginnt mit der Herrschaft Kroisos und endet mit der Schlacht bei Plataiai 479 n. Chr. Vgl. Bichler / Rollinger, S. 18-26.
[19] Vgl. Bichler / Rollinger, S. 111; Albertz, S. 28.
[20] Vgl. Bichler / Rollinger, S. 111.
[21] Vgl. Hdt. 7,198.
[22] Vgl. Albertz, S. 52.
[23] Vgl. Stefan Rebenich: Leonidas und die Thermopylen. Zum Sparta-Bild in der deutschen Altertumswissenschaft, in: Andreas Luther/ Mischa Meier/ Lukas Thommen (Hrsg.): Das Frühe Sparta, Stuttgart 2006, S. 193; Albert, S, 31f.
[24] Gemeint ist der spartanische Phalanxkampf, auf den in Punkt 2.2 noch kurz eingegangen wird.
[25] Herodot führt hierbei mehrere Erklärungen an. Zum einen gaben die Hellenen ihre Stellung auf, da ein Seher den Tod der Spartiaten samt ihrer Bündner im Kampf bei den Thermopylen vorhersagte. (7,219) Zum anderen schickte Leonidas die Männer fort, weil er merkte, dass ihnen Entschlossenheit und der Mut fehlte, um wehrhaft weiterzukämpfen. (7,220) Für Herodot stellt darüber hinaus der vor Kriegsbeginn eingeholte Orakelspruch eine weitere Erklärung dar. Das Orakel weissagte, dass Sparta entweder durch die Perser zerstört oder sein König umkommen wird. Um den Spartiaten den alleinigen Ruhm zukommen zu lassen, soll Leonidas seine Verbündeten fortgeschickt haben. (Hdt. 7,220)
[26] Vgl. Lukas Thommen: Lakedaimonion Politeia. Die Entstehung der spartanischen Verfassung, (Historia-Einzelschriften 103) Stuttgart 1996, S. 118.
[27] Ernst Baltrusch: Leonidas und Pausanias, in: Kai Brodersen (Hrsg.): Große Gestalten der griechischen Antike. 58 historische Portraits von Homer bis Kleopatra, München 1999, S. 310.
[28] Vgl. Albertz, S. 53f.
[29] Vgl. Ebenda, S. 54.
[30] Vgl. Ebenda.
[31] Vgl. Mikalson, S. 187-198.
[32] Vgl. Albertz, S. 54f.
[33] Vgl. Ebenda, S. 55.
[34] Vgl. Ebenda.
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