Diese Arbeit beschäftigt sich mit den verhaltensorientierten Theorien, die es zum Thema Gewalt gegen Frauen gibt und somit für die Frauenhausarbeit Relevanz besitzen, den Bedarfslagen von Klientinnen, mit denen sich die Frauenhausarbeit oftmals beschäftigt, und mit den verhaltensorientierten Interventionen, die hierbei Anwendung finden beziehungsweise wie sie hier umgesetzt werden können.
Zuerst beschäftigt sich die Arbeit mit dem Begriff der Häuslichen Gewalt im Allgemeinen, der Prävalenz dieser und statistischen Daten zur Frauenhausarbeit in Deutschland. Im Anschluss wird das Verhalten rund um Häusliche Gewalt mithilfe verhaltenswissenschaftlicher Theorien und Studien zu Ursachen von Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften und Gründe zum Verbleib in solchen Partnerschaften erklärbar gemacht.
Daraufhin werden aktuelle Bedarfslagen von Klientinnen im Frauenhaus mit möglichen verhaltensorientierten Interventionen verknüpft, um betroffenen Frauen (möglichst wirksame) praktische Unterstützung bieten zu können. Es folgt eine Zusammenführung der Ergebnisse und eine Diskussion hinsichtlich ihrer Chancen und Grenzen. Abschließend erfolgen ein Ausblick und Fazit im Hinblick auf den Themenkomplex.
Seit den Anfängen der Neuen beziehungsweise zweiten Frauenbewegung Anfang der 1970er Jahre ist Gewalt gegen Frauen in Deutschland ein öffentliches Thema, zu dessen Bekämpfung Frauen zunächst im Sinne der Selbsthilfe Orte der Entfaltung und des Schutzes aufbauten. Diese spezialisierten sich schnell von allgemeinen Frauenzentren hin zu bedarfsorientierten Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern.
Die Frauenhausbewegung setzte sich dabei zu Beginn vor allem zwei grundlegende Ziele: Erstens Frauen und ihre Kinder in Gefährdungssituationen zu schützen und sie auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu unterstützen sowie zweitens durch die Veröffentlichung des Problems das Recht von Frauen auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung einzufordern.
Dies beinhaltet nach wie vor die Frage, wie gesellschaftliche und politische Veränderungen weitergedacht und vorangetrieben werden können, sodass Häusliche Gewalt stärker öffentlich sichtbar gemacht wird und geltende Gesetze und Schutzmaßnahmen tatsächlich zur Verhinderung von Gewalt und dem Schutz Betroffener genutzt werden. Heute gilt es mehr denn je, die Veränderung in professionelle Arbeits- und Organisationsformen zu gestalten und dabei eine grundlegende frauenpolitische Ausrichtung zu wahren.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Häusliche Gewalt gegen Frauen und Frauenhausarbeit
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Prävalenz von Häuslicher Gewalt gegen Frauen
2.3 Statistische Daten zur Frauenhausarbeit
3 Verhaltensorientierte Erklärungsansätze zur Entstehung von und zum Verbleib in Partnerschaftsgewalt
3.1 Verhaltensorientierte Theorien zur Entstehung von Partnerschaftsgewalt
3.1.1 Ärger und Gewalttätigkeit
3.1.2 Das „Anger Avoidance Model“ (AAM)
3.1.3 Die Beziehung zwischen Ärger, Kindesmisshandlung und Schwierigkeiten in der Emotionsregulation
3.2 Verhaltensorientierte Theorien zum Verbleib in Partnerschaftsgewalt
3.2.1 Aversiver Reiz als diskriminativer Stimulus
3.2.2 Resistenz gegen Löschung
3.2.3 Bestrafung zur Förderung der Reaktionsfähigkeit
3.3 Folgerungen für die Beratung im Frauenhaus
4 Verhaltensorientierte Interventionen mit Frauenhausbewohnerinnen
4.1 Rollenspiel -am Beispiel von Umgangskontakten mit dem gewalttätigen Expartner
4.2 Motivierende Gesprächsführung - am Beispiel Ambivalenz bezüglich der Rückkehr in eine gewaltvolle Beziehung
4.3 Gruppenprogramme zur Erweiterung von Wissen, Erkenntnis und Zugehörigkeitserfahrungen
4.3.1 Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK)
4.3.2 Therapeutisches Gruppenprogramm für Stalking-Opfer
4.3.3 Gruppentherapie bei Traumafolgestörung
5 Diskussion
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
Zusammenfassung
Ziel von Frauenhäusern ist es, von Häuslicher Gewalt betroffene Frauen zu unterstützen sich langfristig (wieder) handlungsfähig, selbstbestimmt und sicher fühlen zu können. Die vorliegende Arbeit untersucht, wie die Verbindung von klassischer Frauenhausarbeit und verhaltensorientierter Beratung genutzt werden kann, um jenes Ziel zu erreichen. Aufgezeigt werden ausgehend von der Gegenüberstellung und Differenzierung verschiedener Benennungen zu Häuslicher Gewalt gegen Frauen sowie grundsätzlichen Bedarfslagen in der Frauenhausarbeit mit der statistisch steigenden Betroffenheit von inzwischen jeder dritten Frau die weitere Relevanz der Forschung in diesem Bereich und die Notwendigkeit von Überlegungen für Präventions- und Interventionsmöglichkeiten. Die erörterten verhaltensanalytischen Theorien erklären einerseits anhand klassischer Lerntheorie die Entstehung von Häuslicher Gewalt vor allem durch in der Kindheit erlebte Gewalt und damit zusammenhängende Emotionsregulationsstörungen sowie andererseits mit operanten Theorien den Verbleib betroffener Frauen in Situationen von Partnerschaftsgewalt aufgrund von paradoxer Bestrafung im Sinne von aversiven Reizen, die als Verstärker fungieren. Damit werden Mechanismen erklärbar gemacht, welche als Psychoedukation für Beratende sowie Ratsuchende in diesem Setting unterstützend sind. Daneben werden häufige Problemlagen der Klientinnen in Frauenhäusern identifiziert, wie beispielsweise psychische Belastungen, Kontakte mit gewalttätigen Expartnecinnen und Ambivalenzen bezüglich der Trennung. Besonders vielversprechend für die Zielgruppe sind die verhaltensorientierten Interventionen Rollenspiel, motivierende Gesprächsführung sowie mögliche Gruppenprogramme bezüglich der Verbesserung sozialer Kompetenzen als auch ein Programm spezifisch für Stalking- Opfer und eines für Betroffene von Traumafolgestörungen. Dabei werden Impulse für weitere Konzeptentwicklungen und Anwendungen verhaltensorientierter Interventionen gesetzt. Gleichzeitig wird ein großer Forschungsbedarf in diesem Bereich deutlich, um die Evidenz der vorgestellten Handlungsempfehlungen im Hinblick auf die besondere Zielgruppe zu gewährleisten. Zudem wird die Notwendigkeit der Förderung und Unterstützung von Kindern in der Frauenhausarbeit zur Verhinderung einer transgenerationalen Weitergabe der Häuslichen Gewalt deutlich.
1 Einleitung
Seit den Anfängen der Neuen bzw. zweiten Frauenbewegung Anfang der 1970er Jahre ist Gewalt gegen Frauen in Deutschland ein öffentliches Thema zu dessen Bekämpfung Frauen zunächst im Sinne der Selbsthilfe Orte der Entfaltung und des Schutzes aufbauten. Diese spezialisierten sich schnell von allgemeinen Frauenzentren hin zu bedarfsorientierten Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern (Brückner, 2018). Unter dem Motto „Das Private ist politisch" wurde die Gewalt aus dem sogenannten Häuslichen herausgeholt, zum Skandal gemacht und Wege des Widerstands und der Veränderung erdacht (Meyer, 2017). Die Frauenhausbewegung setzte sich dabei zu Beginn vor allem zwei grundlegende Ziele: Erstens Frauen und ihre Kinder in Gefährdungssituationen zu schützen und sie auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu unterstützen sowie zweitens durch die Veröffentlichung des Problems das Recht von Frauen auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung einzufordern (Brückner, 2010). Dies beinhaltet nach wie vor die Frage, wie gesellschaftliche und politische Veränderungen weitergedacht und vorangetrieben werden können, sodass Häusliche Gewalt stärker öffentlich sichtbar gemacht wird und geltende Gesetze und Schutzmaßnahmen tatsächlich zur Verhinderung von Gewalt und dem Schutz Betroffener genutzt werden. Heute gilt es mehr denn je die Veränderung in professionelle Arbeits- und Organisationsformen zu gestalten und dabei eine grundlegende frauenpolitische Ausrichtung zu wahren.
Denn Gewalt gegen Frauen ist immer auch ein politisches bzw. gesellschaftliches Problem. Dass Frauen oftmals in gewaltvollen Beziehungen verbleiben und ihre Bevormundung und Missachtung lange Zeit hinnehmen, zeigt die spezifische Qualität von Unterdrückung. Dies mag Folge des gesellschaftlich tief verankerten Musters des ,Blaming the Victim' sein.
Dieses Muster, welches als Fremdzuschreibung nur langsam abgebaut wurde, aber als Selbstzuschreibung, also als Verantwortungsübernahme eines Opfers der Tat für das Angetane, oftmals noch fortbesteht, ist ein „traditionelles geschlechterpolarisierendes Sozialisationsmuster" (Meyer, 2017, S. 32). Dieses wird Frauen wohl auch besonders nahegelegt, weil sie gesellschaftlich für das Ge- oder Misslingen von Beziehungen verantwortlich gemacht werden. Somit bewegen sich von Häuslicher Gewalt betroffene Frauen immer auch in einem Raum des „falschen Verhaltens" - als Fremd- und/oder Selbstzuschreibung.
In der Verhaltensanalyse - und dementsprechend auch in der verhaltensorientierten Beratung - wird das konkrete Verhalten besonders in den Blick genommen, um zu ergründen, weshalb ein Mensch das tut, was er tut und davon ausgehend Überlegungen anzustellen, wie durch Verhaltensänderungen Problemlagen bzw. Schwierigkeiten verringert werden können. Dabei sind die vorausgehenden Bedingungen und Konsequenzen dieses Verhaltens von besonderer Relevanz. Unter diesen vorausgehenden Bedingungen wird einerseits alles verstanden, das zeitlich vor dem Verhalten geschehen ist und erlebt wurde, also die gesamte Lerngeschichte der Person. Andererseits gehört dazu auch die unmittelbare Vorgeschichte des beobachteten Verhaltens, ebenso wie die Situation selbst mit ihren Rahmenbedingungen. Als Konsequenzen werden im verhaltenswissenschaftlichen Sprachgebrauch die Ereignisse bezeichnet, die auf das Verhalten direkt folgen oder im weiteren Sinne mit diesem Zusammenhängen. Dazu gehören nicht nur materielle Veränderungen in der Umwelt der Person, also durch ein gewisses Verhalten etwas zu bekommen bzw. zu verlieren, sondern besonders auch soziale Konsequenzen, dementsprechend die Reaktionen anderer Menschen auf das Verhalten (Bördlein, 2013).
Verhalten ist grundlegend und kann tieferliegende Interessen und Absichten oft deutlicher aufzeigen, als Sprache dies kann. Verhalten ist gelernt und wird beibehalten, wenn (subjektiv) gute Gründe dafür vorliegen. Somit können jedoch auch Problemlagen durch gewohntes Verhalten aufrechterhalten werden, welche eine Analyse und entsprechende Interventionen benötigen, um für einen solchen Fall eine Verhaltensänderung herbeiführen zu können. Während Verhaltensorientierte Beratung im englischsprachigen Raum bereits seit den 1960er Jahren breite Anerkennung genießt, weist sie im deutschsprachigen Raum noch eine vergleichsweise geringe Publikationsdichte auf. Jedoch gewann sie vor allem seit der Jahrtausendwende an Beachtung und lässt sich in der Praxis in immer mehr Konzepten finden (Como-Zipfel, 2013). Verhaltensorientierte Methoden besitzen eine überaus große Evidenz, ihre Wirksamkeit ist wissenschaftlich klar nachweisbar, sie bezieht sich auf Fakten und klare Vorgehensweisen (Pauls, 2013). Oft wird darunter ein langer Therapieprozess verstanden, welcher mit unplanbaren Verläufen und Aufenthaltsdauern von Klientinnen im Frauenhaus wenig vereinbar erscheint. Doch dürfen daneben die Möglichkeiten und Chancen verhaltensorientierter Interventionen bei der weiteren Professionalisierung und Ausgestaltung des Angebots von Frauenhäusern nicht unbeachtet bleiben, weshalb die vorliegende Arbeit diese hinsichtlich der Bedarfe in der Frauenhausarbeit interpretieren und für solche nutzbar machen möchte.
Die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit befasst sich dementsprechend damit, welche verhaltensorientierten Theorien es zum Thema Gewalt gegen Frauen gibt und somit für die Frauenhausarbeit Relevanz besitzen, mit welchen Bedarfslagen von Klientinnen sich die Frauenhausarbeit oftmals beschäftigt und welche verhaltensorientierten Interventionen hierbei Anwendung finden bzw. wie sie hier umgesetzt werden können.
Somit beschäftigt sich das erste Themenkapitel mit dem Begriff der Häuslichen Gewalt im Allgemeinen, der Prävalenz dieser und statistischen Daten zur Frauenhausarbeit in Deutschland. Im Anschluss wird Verhalten rund um Häusliche Gewalt mithilfe verhaltenswissenschaftlicher Theorien und Studien zu Ursachen von Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften und Gründe zum Verbleib in solchen Partnerschaften erklärbar gemacht. Daraufhin werden aktuelle Bedarfslagen von Klientinnen im Frauenhaus mit möglichen verhaltensorientierten Interventionen verknüpft, um betroffenen Frauen (möglichst wirksame) praktische Unterstützung bieten zu können. Es folgt eine Zusammenführung der Ergebnisse und eine Diskussion hinsichtlich ihrer Chancen und Grenzen. Abschließend erfolgen ein Ausblick und Fazit im Hinblick auf den Themenkomplex.
Die Bearbeitung der Fragestellungen erfolgte mithilfe von Literaturrecherche und -analyse. Texte bezüglich der Bedarfslagen bzw. Problemstellungen von Klientinnen im Frauenhaus wurden mit Literatur bezüglich verhaltensorientierter Methoden in Relation gesetzt und auf Grundlage aktueller Erkenntnisse aus dem Bereich miteinander in Verbindung gebracht. Ausgeschlossen wurden dabei Artikel, die sich auf den Bereich des Kindesmissbrauchs beziehen (siehe Definition von Häuslicher Gewalt Kapitel Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.) sowie Beiträge, die sich vorrangig mit Gewalt gegen Männer beschäftigen, um den Fokus eng am Thema der parteilichen Arbeit für von Gewalt betroffene Frauen im Frauenhaus zu halten.
Bezüglich der sprachlichen Ausformulierung der vorliegenden Arbeit muss beachtet werden, dass Häusliche Gewalt im Kontext der Frauenhausarbeit behandelt wird, welche sich aus Gründen des Schutzes und der Parteilichkeit ausschließlich an weibliche Klientinnen richtet. Gleichzeitig werden dabei als Frauen bzw. Mädchen Personen bezeichnet, die sich entweder selbst dem weiblichen Geschlecht zuordnen oder von anderen Menschen diesem Geschlecht zugeordnet werden, also als Frauen bzw. Mädchen gelesen werden. Auch Männer und Jungen erfahren Häusliche sowie geschlechtsspezifische Gewalt, doch braucht es hierfür gesonderte Unterstützungsstellen bzw. Forschung. Dies überschreitet jedoch den Rahmen dieser Arbeit. Tatbegehende im Kontext der Frauenhausarbeit sind in der überwältigenden Mehrheit der Fälle männlich (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [BMFSFJ], 2004; Martinez et al., 2007), weshalb im Folgenden meist die männliche Form „Täter" verwendet wird, um diesen Fakt sprachlich zu verdeutlichen. Gleichzeitig muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass auch Täterinnen geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen anwenden und Geschlecht im Allgemeinen nicht binär gedacht werden kann. Dementsprechend werden geschlechtsbezogene Benennungen nur dann verwendet, wenn diese aufgrund der Thematik oder vorgestellten Studien diesbezüglich eine Aussage treffen. In allen anderen Fällen wird eine neutrale Bezeichnung bzw. der inklusive Gender-Doppelpunkt in der Wortmitte gewählt, auch um Geschlechterstere- otype zu überwinden und abseits der Binarität der Geschlechter die Diversität dieser aufzuzeigen.
2 Häusliche Gewalt gegen Frauen und Frauenhausarbeit
Um eine einheitliche Informations- und Verständnisgrundlage sicherzustellen, werden im Folgenden zunächst einige der in der vorliegenden Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten erläutert und die damit verbundenen Problemlagen hinsichtlich ihrer Prävalenz in Deutschland bzw. für diese Arbeit relevanter Forschung betrachtet.
2.1 Begriffsbestimmung
Zunächst muss allgemein erläutert werden, was unter dem weitgefassten Begriff der Gewalt verstanden wird. Für den Bundesgerichtshof ist Gewalt ein relativ eng gefasster Begriff, nämlich „körperlich wirkender Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch sonstige physische Einwirkung, die nach ihrer Intensität und Wirkungsweise dazu geeignet ist, die freie Willensentschließung oder Willensbestätigung eines anderen zu beeinträchtigen" (Weiner & Haas, 2009, S. 28). Der sogenannte vergeistigte Gewaltbegriff ist mit dem Grundgesetz (Artikel 103 Absatz 2 GG) insofern nicht vereinbar, dass die Strafbarkeit nicht mehr vor der Tat vom Gesetzgeber, sondern sozusagen erst nach der Tat durch die Überzeugung des Richters im konkreten Fall bestimmt werden könnte, was nicht zulässig ist (Heinrich & Hilgendorf, 2021).
Als weitgefasster Begriff hingegen, wie er vor allem in den Sozialwissenschaften verwendet wird und so auch vom schwedischen Friedensforscher Johan Galtung in seiner Definition bezüglicher struktureller Gewalt empfohlen wird, liegt Gewalt dann vor, „wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung." (Galtung, 1975, S. 9)
Dementsprechend ist Gewalt weiter als der eng gefasste Begriff von Gewalt zu verstehen, nämlich umfassender als physische Beschädigung oder ein Angriff auf das Leben. Somit wird im Kontext von Häuslicher Gewalt grundsätzlich zwischen vier Arten von Gewalt unterschieden: körperliche Gewalt, sexuelle Gewalt, emotionale Gewalt und Stalking (Büttner, 2020b). Auch die beiden letztgenannten psychischen Gewaltformen können durch ständige Entwertungen, Herabsetzungen, Demütigungen und Einschüchterungen massive Folgen für die psychische Gesundheit von Betroffenen haben und dürfen neben physischer, sichtbarer Gewalt nicht bagatellisiert bzw. grundsätzlich als „leichte" Formen gewertet werden (Dok- kedahl et al., 2019; Spinazzola et al., 2014). Opfer sind in sehr unterschiedlicher Weise von Gewalt betroffen und es besteht ein breites Spektrum von Schweregraden und Mustern solcher Gewalt, das mit unterschiedlichen Folgen für die Betroffenen und dementsprechend ungleichen Bedarfen an Unterstützung und Intervention einhergeht (BMFSFJ, 2008a). Dass die personale körperliche Gewalt mehr im Blickpunkt der Aufmerksamkeit steht als die strukturelle Gewalt, liegt nach Galtung an der deutlichen Sichtbarkeit dieser Gewaltform (und damit - wie bereits weiter oben festgestellt - auch der Strafverfolgung), während strukturelle oder auch psychische Gewalt mitunter gar nicht wahrgenommen wird bzw. werden kann (Galtung, 1975).
Doch wenn über Gewalt an Frauen gesprochen wird, geht es eben immer auch um strukturelle Gewalt und nicht nur eine Erscheinungsform in einer individuellen Paarbeziehung. So stellt beispielsweise Meyer (2017) unter dem Titel „Kritisch ambitionierte Soziale Arbeit" die These in den Raum, dass Grenzverletzungen und (sexualisierte) Gewalt immer systematisch der Aufrechterhaltung von Asymmetrien im Geschlechterverhältnis dienen und in den nach wie vor vorherrschenden patriarchalen Gesellschaften männlich konnotiert sind. Diese Tatsache habe eindeutig mehr mit geläufigen Bildern von Männlichkeit - und komplementär dazu von Weiblichkeit - zu tun, als beispielsweise mit anderen (benachteiligenden) Faktoren wie der Nationalität oder ethnischen Zugehörigkeit. Dabei muss an dieser Stelle selbstverständlich dennoch mitgedacht werden, dass Gewalt ebenso in kulturelle Asymmetrien eingebettet ist und daher Gewalt gegen Frauen auch immer ein Thema bezüglich Intersektionalität ist (Meyer, 2017). Intersektionalität beschreibt das gleichzeitige Vorhandensein und Zusammenwirken verschiedener Diskriminierungskategorien gegenüber einer Person, also beispielsweise die Tatsache, dass eine schwarze Frau Rassismus und Sexismus nicht nur isoliert voneinander erlebt, diese Diskriminierungsformen sich auch nicht nur addieren, sondern sie vielmehr zu eigenständigen und umso ausgeprägteren Diskriminierungserfahrungen führen können (Giebeler, Rademacher & Schulze, 2013; Lehmann, 2013).
Passend zu oben genanntem Aspekt der strukturellen Gewalt im Kontext von Gewalt gegen Frauen, definiert die polizeiliche Kriminalstatistik Gewalt auch als eine Handlungsform, „die in erheblich höherem Maße von Männern als von Frauen gewählt wird." (Bundeskriminalamt [BKA], 2021b; Meuser, 2002) Obwohl diese Definition äußerst unzureichend ist, trifft dieser Aspekt umso mehr auf den für die vorliegende Arbeit relevanten Bereich der Häuslichen Gewalt - insbesondere gegen Frauen - zu (BKA, 2021a).
Im Sinne des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt" (sog. Istanbul-Konvention) wurden im Jahr 2011 die wichtigsten Begriffe im Kontext Häuslicher Gewalt gegen Frauen umfassend definiert. Damit wurde die Grundlage für ein allgemeines Verständnis im deutschen - aber auch ganzen europäischen - Sprachgebrauch aller im großen Feld Häuslicher Gewalt arbeitenden bzw. beteiligten Professionen gelegt, welche daher auch Ausgangspunkt der in der vorliegenden Arbeit verwendeten Definitionen bzw. Begriffe sein soll. Im Kontext dieser Begriffsdefinitionen ist zu beachten, dass der Begriff „Opfer" laut dem Europarat (2011) eine natürliche Person bezeichnet, die von den im folgenden erläuterten Formen der Gewalt betroffen ist und der Begriff „Frauen" auch Mädchen unter achtzehn Jahren umfassen soll. Während in der angloamerikanischen Literatur (anders als in Deutschland) seit 40 Jahren innerwissenschaftlich wie in Politik und Praxis über die verschiedenen Begriffe „wife battering", „violence against women", „intimate partner violence", „domestic violence" und „fa- mily violence" heftig kontrovers debattiert wird (Hagemann-White, 2008), sollen an dieser Stelle vor allem die Begriffe „Häusliche Gewalt", „Gewalt gegen Frauen" und „geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen" ausführlicher differenziert, diskutiert und erörtert werden.
Nach Verständnis des Europarats (2011) bezeichnet der Begriff „Häusliche Gewalt" alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts, aber auch zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen vorkommen, unabhängig davon, ob der oder die Tatbegehende tatsächlich im selben Haus wohnt oder gewohnt hat. "Gewalt im sozialen Nahraum" oder "Gewalt in Familien" werden in der Praxis äquivalent dazu verwendet. Hier wird verdeutlicht, dass Häusliche Gewalt, anders als es oft auch im wissenschaftlichen Kontext geschieht, nicht grundsätzlich mit Gewalt gegen Frauen durch ihre männlichen Partner und Ex-Partner gleichgesetzt werden soll. Vielmehr bezeichnet Häusliche Gewalt vor allem zwei Arten von Gewalt: die Gewalt zwischen Beziehungspartner:innen, seien es derzeitige oder ehemalige Ehegattinnen oder Partnerinnen, und zum anderen die generationenübergreifende Gewalt, zu der es im Allgemeinen zwischen (Stief-)Eltern und Kindern kommt. Aber auch ältere und behinderte Menschen werden Opfer Häuslicher Gewalt. Es handelt sich hierbei um eine Definition des Begriffs Häuslicher Gewalt, die gleichermaßen auf alle Geschlechter angewandt wird und Opfer sowie Tatbegehende aller Geschlechter abdeckt. Dabei erfahren
Betroffene oft nicht nur von einem anderen Menschen in diesem Kontext Gewalt und auch Tatbegehende richten in vielen Fällen die Gewalt nicht nur gegen eine einzelne Person, womit wiederum innerhalb des Begriffes der Häuslichen Gewalt auch ein besonderes Augenmerk auf mitbetroffenen Kindern liegen sollte.
Im Rahmen der Befragung des Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (2012a) gaben 60% der befragten Frauen, die über die letzte Paarbeziehung in der sie Gewalt erlebt hatten berichteten, an, dass sie in dieser auch mit Kindern zusammengelebt hatten. Dabei bestätigten 57% der Befragten, dass die Kinder gewaltvolle Situationen gehört hätten, 50%, die Kinder hätten sie gesehen, etwa 21 bis 25%, die Kinder seien in solche Situationen hineingeraten oder hätten sogar die Betroffenen zu verteidigen versucht (BMFSFJ, 2012a). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine repräsentative Untersuchung von Hamby, Finkelhor, Turner und Ormrod (2010), die feststellten, dass Kinder und Jugendliche, die Zeug:innen von Partnerschaftsgewalt geworden waren, in 57% der Fälle auch selbst Misshandlungen erfahren hatten. Damit sind sie fast viermal häufiger von Kindesmisshandlung betroffen als Kinder und Jugendliche, die noch nie Partnerschaftsgewalt miterlebt hatten. Wenn eine solche indirekte (als Zeug:innen) oder direkte Gewalt durch elterliche Bezugspersonen miterlebt wird, wird später mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit in eigenen Paarbeziehungen, sowie in anderen Lebensphasen und -kontexten, ebenfalls Gewalt selbst erlitten oder verübt (Gardner, Moore & Dettore, 2014; Herrenkohl et al., 2020; Jung et al., 2019). Gewalt prägt somit in vielen Fällen die gesamte Lebensspanne und kann sich sogar über Generationen hinweg erstrecken, was in der Fachliteratur als „Transgenerationalität von Gewalt" bezeichnet wird, hierzu jedoch im anschließenden Kapitel mehr. Aus diesen Gründen muss im Kontext von Häuslicher Gewalt eben auch immer die Abklärung einer Kindeswohlgefährdung für die anwesenden Kinder und Jugendlichen erfolgen und der Schutz dieser neben dem des eigentlichen (direkten) Opfers an erster Stelle stehen (Büttner, 2020b).
Dies weist auch auf die besondere Spezifizität Häuslicher Gewalt hin; nämlich, dass sie im sozialen Nahraum, also dem subjektiv als sicheren Rückzugsort erlebten Zuhause, stattfindet, und somit das alltägliche Leben an seiner vulnerabelsten Stelle betrifft. Die persönliche Solidarität, Würde und das Selbstbestimmungsrecht des Opfers werden durch das Ausnutzen der Privat- und Vertrautheit der Verhältnisse verletzt (Schweikert, 2000). Im Gegensatz zum Europarat fordert das Bündnis Istanbul-Konvention [BIK] (2021) die Begrifflichkeit „Häusliche Gewalt" kritisch zu betrachten, da sie das dahinterstehende Phänomen „Gewalt gegen Frauen" verdeckt, indem es nicht benannt wird und der Rahmen zu weit gefasst wird. Während sich der Begriff der Häuslichen Gewalt im Zuge des Aufbaus institutionsübergreifender Projekte sozusagen als Kompromiss auf neutralem Boden zwischen polizeilicher und feministischer Sprache etabliert habe und inzwischen auch in Politik und Verwaltung als zweckmäßig übernommen worden ist, werde hingegen der gesellschaftspolitischen und somit strukturellen Dimension von Gewalt gegen Frauen keine Rechnung getragen und das Problem nicht explizit bzw. genau genug benannt (Kavemann, 2000). Ebenso trifft dies auf ähnliche Bezeichnungen wie „Gewalt im sozialen Nahraum", „Gewalt in Familien" aber auch „Partnerschaftsgewalt" zu (Hagemann-White, 2008).
Der Begriff der „Gewalt gegen Frauen" hingegen wird nach Definition des Europarats (2011) größer im Sinne von politischer, nämlich als eine Menschenrechtsverletzung sowie eine Form der gezielten Diskriminierung der Frau verstanden und bezieht alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt ein, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können. Auch allein die Androhung solcher Handlungen, die Nötigung oder willkürliche Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder auch im privaten Leben, beinhaltet dieser Begriff (Europarat, 2011). Gleichzeitig wird Gewalt gegen Frauen überwiegend im Kontext von Paarbeziehungen verübt, weshalb Untersuchungen zu Häuslicher Gewalt eine herausragende Rolle bei der Analyse und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen einnehmen (BMFSFJ, 2008a). Als Weiterführung dieses Begriffes der „Gewalt gegen Frauen" beinhaltet der Begriff der „geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen" laut Definition aus der Istanbul-Konvention explizit die Spezifikation des weiblichen Geschlechts, also Gewalt gegen eine Frau aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau ist (bzw. als solche gelesen wird) und demensprechend Gewalt, die besonders Frauen unverhältnismäßig stark betrifft (Europarat, 2011). Beide Begriffe zielen auf eine spezifische Verbindung zwischen Gewaltausübung und Dominanzbeziehungen und benennen statt des Familienlebens als Ausgangspunkt die Perspektive der strukturellen Gewalt als relevant.
Diese beiden Bezeichnungen sind vor allem in der Forschungsliteratur zu finden und entsprechen den englischsprachigen Begriffen „violence against women" und „genderbased violence", was zugleich die Begriffe sind, die auch in vielen (weiteren) internationalen Vereinbarungen und Dokumenten verwendet werden (etwa in Dokumenten der UNO, der EU und der Weltgesundheitsorganisation). Lange Zeit waren dies auch die Bezeichnungen die Frauenhäuser für ihre Zielgruppe verwendeten, doch durch die institutionsübergreifenden Interventionsansätze hat der Terminus „Häusliche Gewalt" sie auch hier etwas zurückgedrängt (Hagemann-White, 2008).
Dementsprechend wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit für die Frauenhausarbeit als gemeinsame Grundlage der Klientinnen der Begriff der „Häuslichen Gewalt gegen Frauen" verwendet. Dieser soll die Aspekte von Häuslicher Gewalt, also vor allem die Familie als Institution, die durch patriarchale Strukturen grundlegende Vorbedingungen zur Entstehung und Ausübung von Gewalt legt, dem Fakt, dass Täter meist Partner oder ExPartner sind sowie die Kinder als Mitbetroffene, mit der Spezifizität der Frau als Opfer und den damit verbundenen weiteren Formen, wie Androhung, Nötigung und willkürlicher Freiheitsentziehung, umfassen.
2.2 Prävalenz von Häuslicher Gewalt gegen Frauen
Die Relevanz dieses Themas wird durch die nach wie vor hohen Fallzahlen in diesem Bereich mehr als deutlich. So erstellt das Bundeskriminalamt (BKA) seit 2015 jährlich eine kriminalstatistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt in Deutschland und lässt somit erkennen, dass die angezeigten Gewalttaten in diesem Bereich seit Beginn der Auswertungen sogar kontinuierlich stiegen. Dementsprechend wurden auch 2020 4,9 % mehr Fälle von Gewalt in bestehenden und ehemaligen Partnerschaften verzeichnet. Ganz überwiegend, nämlich zu 80,5 %, traf diese Gewalt Frauen. Im Schnitt wurde alle 45 Minuten eine Frau Opfer einer versuchten oder vollendeten Körperverletzung. Mindestens 359 Frauen wurden Opfer von (versuchtem) Mord und Totschlag durch ihren (Ex-)Partner, davon wurden 139 Frauen tatsächlich von ihrem (Ex-)Partner getötet. Gleichzeitig wurden 30 Tötungsdelikte durch Partnerschaftsgewalt an Männern erfasst. Da jedoch von staatlicher Seite keine verlässlichen Daten zum Hintergrund, Grund des Todes und Motiv von Tötungen an Frauen erhoben werden, kann auch kein damit einhergehendes Verständnis von Art und Ausmaß sowie entsprechende Rückschlüsse wirksamer Prävention aufgrund von Tatsachen erfolgen.
Gendertheoretische Erklärungsansätze erkennen dabei in weiblichen Aggressionsdelikten wesentliche Unterschiede in den Motiven: So wird vermutet, dass Männer töten um nicht verlassen zu werden, Frauen hingegen, um sich aus einer Beziehung möglichst unbeschadet zu lösen, in der sie leiden. Diese Sichtweise spiegelt sich auch in medialen Berichten, die oftmals sogar so weit gehen weibliche Gewalt als „Befreiungsschlag" aus gewaltvollen Beziehungen sozial zu legitimieren (Bereswill, 2006; Kastner, 2016; Röttinger, 2001). Gleichzeitig wird deutlich, dass ein gutes Beratungsangebot für von Gewalt betroffene Frauen an dieser Stelle mit alternativen Wegen aus der Gewalt auch Prävention auf mehreren Ebenen bedeuten kann.
Dabei geht es in diesem Kontext vor allem um konkrete Untersuchungen des Phänomens sogenannter „Femizide", wie die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund von Frauenhass bezeichnet wird. Dieser Begriff steht für eine Debatte um die gesellschaftlichen Bedingungen und vor allem für eine Kritik an der gesellschaftlichen Praxis, Tötungen von Frauen als Einzelfälle abzutun und das dahinterliegende System, welches dazu führt, dass Frauen auf unterschiedliche Weise abgewertet werden und dadurch Objekt von Hass werden, anzuklagen (Sanders, Berg & Goetz, 2020). Dadurch, dass die Bundesregierung keine Zahlen zu Frauen erhebt, die wegen ihres Geschlechts getötet wurden, und sie in der polizeilichen Kriminalstatistik lediglich als „Opfer von Tötungsdelikten" erfasst werden, wird deutlich, dass das Problem von Femiziden als solches nicht anerkannt werden will und soll. Während der Bund also Fragen wie der Zeugenschaft von Kindern oder Tatwaffen nicht beantworten kann, erfasst die Organisation Femicide Observation Center Germany [FOCG] (2021) mithilfe von Presse- und Polizeimeldungen selbst Femizide und kommt so für das Jahr 2020 auf 184 erfolgte Femizide. Ein Großteil der Frauen wurde laut der Auswertung erstochen, in rund 42% der Fälle waren erwachsene oder minderjährige Kinder Zeuge oder Zeugin des Todes der Mutter oder fanden sie nach der Tat (FOCG, 2021).
Insgesamt brachten 119.164 Frauen die Gewalt in ihrer Partnerschaft unter der sie litten zur Anzeige, wovon unter anderem errechnet wurde, dass durchschnittlich in Deutschland mehr als 9 Frauen täglich von ihrem Partner vergewaltigt oder sexuell genötigt wurden (BKA, 2021b). Dabei ist zu betonen, dass die Dunkelziffer in diesem Bereich ungleich höher vermutet wird - Experten sprechen von bis zu 80% - was durch eine Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte [FRA] (2014), für die damals in den 28 Mitgliedsstaaten rund 42.000 Frauen zwischen 18 und 74 Jahren zu ihren Erfahrungen mit Gewalt befragt wurden, unterstützt werden konnte. Denn die statistisch erhobenen Zahlen bilden nur jene Straftaten ab, die überhaupt zur Anzeige gebracht wurden. Dass der Prozentsatz der Anzeigen in diesem Bereich sehr gering ist, liegt an verschiedensten Faktoren, unter anderem der Scham der Opfer (siehe Kapitel Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. ,Blaming the Victim'), Unkenntnis des deutschen Rechtssystems und strafrechtlich relevanter Vorfälle, Ambivalenz zum Partner aber auch Angst vor Drohungen des Partners (Ha- netseder, 1991; Meyer, 2017).
Das BMFSFJ (2021) führt den Anstieg der Fälle von polizeilich registrierter Partnerschaftsgewalt statt auf einen tatsächlichen Anstieg von Vorfällen in diesem Bereich, darauf zurück, dass mehr Opfer solcher Gewalttaten Hilfe bei der Polizei suchen und Gewalttaten zur Anzeige bringen würden. Gleichzeitig kommen weltweite Studien zu dem Ergebnis, dass Gewalttaten in Krisenzeiten zunehmen. Dazu zählt die COVID-19-Pandemie genauso wie jüngste weltweite humanitäre Krisen, Konflikte und Klimakatastrophen (Spotlight Initiative, 2021; UN Women, 2020). Auf Basis von Daten aus dreizehn Ländern konnte gezeigt werden, dass sogar zwei von drei Frauen berichteten, dass sie selbst oder eine Frau, die sie kennen, während der Pandemie eine Form von Gewalt erlebt haben. Dabei gab nur jede zehnte Frau an, dass die Opfer diese Gewalt zur Anzeige bringen würden (UN Women, 2020).
2.3 Statistische Daten zur Frauenhausarbeit
Neben der Hürde die erlebte Gewalt bei Polizei oder Gericht öffentlich zu benennen, bietet das Gewaltschutzgesetz und die damit verbundenen Möglichkeiten wie Platzverweis oder Kontaktverbot vielen betroffenen Frauen jedoch auch keinen ausreichenden Schutz, weshalb ihnen oftmals kein anderer Weg bleibt, als Schutz in einem Frauenhaus zu suchen. Der „Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder", der 2012 erstmals veröffentlicht und seitdem leider nicht aktualisiert wurde, gibt einen umfassenden Einblick in das gesamte bundesweite Hilfesystem bezüglich Gewalt gegen Frauen. So wurden damals etwa 16.000 Frauen, die jährlich Hilfe in einem der rund 350 Frauenhäuser Deutschlands suchten, erfasst (BMFSFJ, 2012b).
Der Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) kann hingegen mit der jährlichen Statistik „Frauenhäuser und ihre Bewohnerjnnen" Einblick in die Lage der deutschen Frauenhäuser im Pandemiejahr 2020 geben. Diese hielten ihre Unterstützungsangebote auch über Lockdowns hinweg, trotz erschwerter Bedingungen wie Platzreduzierungen zur Einhaltung von Hygieneregeln sowie Aufnahmestopps bei Corona-Verdachtsfällen, weitgehend aufrecht. So fanden in den 182 an der Befragung teilnehmenden Frauenhäusern 6.614 Frauen sowie 7.676 Kinder Schutz. Gegenüber dem Vorjahr wurde hier ein leichter Rückgang um 431 Frauen registriert (Frauenhauskoordinierung e.V. [FHK], 2021a). Als besorgniserregend wurde der Rückgang vor allem gewertet, da das Risiko Häuslicher Gewalt während den Lockdowns als erhöht eingeschätzt wurde und gleichzeitig wichtige Außenkontakte und Frühwarnsysteme für betroffene Frauen wegfielen (FHK, 2021b). So verzeichnete der Jahresbericht des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen" für das Jahr 2020 den stärksten Anstieg an Beratungen seit 2016 zum Vorjahr (plus 15 %). Entsprechend fand dort im Schnitt alle 22 Minuten eine Beratung zu Häuslicher Gewalt statt (Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben [BAFzA], 2021).
Der Weg ins Frauenhaus bedeutet für von Häuslicher Gewalt betroffene Frauen eine umfassende Veränderung ihrer bisherigen bekannten Lebensumstände und ist aufgrund dieser Veränderungen auch mit einigen Unsicherheiten verbunden (Hanetseder, 1991; Ziegler, 1998). Diese nehmen die Frauen in Kauf, da die Hoffnung auf Besserung ihrer Situation überwiegt. Vorstellungen und Hoffnungen können dabei sehr unterschiedlich sein, doch soll der Aufenthalt in jedem Fall eine Chance auf positive Veränderung sein, wie auch immer diese aussehen soll. Das Ziel der Klientinnen ist individuell und oft vorher ungewiss. Was Klientinnen von ihrem Aufenthalt in einem Frauenhaus erwarten bzw. erhoffen ist leider durch Studien, die explizit der Evaluation des Frauenhaus-Angebotes gelten, nach wie vor kaum untersucht worden (Hanetseder, 1991; Melanie Büttner, 2020). Dagegen liegen Studien zu Biographien misshandelter Frauen und zu Zusammenhängen von Misshand- lung/Gewalt und Weiblichkeit vor (Backes, 2002; Bereswill, 2006; BMFSFJ, 2004, 2008b; FRA, 2014). Außerdem untersuchten Steinert und Straub (1988) in einer qualitativen Studie die verändernde Wirkung auf im Frauenhaus lebende und auch arbeitende Frauen, worauf jedoch aufgrund des beschränkten Rahmens der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen werden kann.
Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland im Auftrag des BMFSFJ (2004) untersuchte jedoch welche psychosozialen Hilfen von gewaltbetroffenen Frauen in Anspruch genommen wurden und befragte diese auch hinsichtlich der Zufriedenheit bzw. Problemen mit den einzelnen Hilfseinrichtungen. Obwohl diese Studie nun bereits vor einigen Jahren durchgeführt wurde, darf davon ausgegangen werden, dass dennoch einige Aussagekraft für die heutige Situation darin zu erkennen ist. Ein Ergebnis dabei war, dass die von körperlicher und sexueller Gewalt betroffenen Frauen weit häufiger unspezifische Angebote wie Therapien und allgemeine Beratungsstellen in Anspruch genommen hatten, als direkt mit spezialisierten Hilfe- und Beratungsstellen Kontakt aufzunehmen. Nur etwa 20 % der Frauen, die Hilfseinrichtungen in Anspruch genommen hatten, wendeten sich an Frauenhäuser, nur 16 % an Frauenberatungsstellen (BMFSFJ, 2004). Dies kann auf die Niedrigschwelligkeit unspezifischer Angebote aber möglicherweise auch auf bestehende Stigmata bezüglich Häuslicher Gewalt und den entsprechenden Hilfseinrichtungen wie dem Frauenhaus zurückgeführt werden und unterstreicht somit explizit die Relevanz der Sensibilität und des Wissens im Bereich Häuslicher Gewalt sowie einer guten Vernetzung des Hilfesystems.
Bei der Bewertung der Zufriedenheit mit den einzelnen Hilfseinrichtungen schnitten psychiatrische Einrichtungen, Frauenhäuser und gerichtliche Hilfen vergleichsweise schlecht ab, was jedoch nach Einschätzung der Verfassenden nicht direkt die Qualität der Arbeit in diesen Stellen widerspiegeln dürfte, sondern vor allem auf die inneren und äußeren Problemlagen der Nutzerinnen der jeweiligen Angebote und Einrichtungen zurückzuführen ist. So sind Frauen, die Hilfe und Unterstützung in diesen drei spezifischen Angeboten suchen, vergleichsweise massiv von Gewalt und psychischen Problemlagen betroffen, sodass ihr hoher Leidensdruck und Hilfebedarf auch eine kritischere Bewertung der genutzten Einrichtungen nahe legt (BMFSFJ, 2004). Für die Frauenhäuser bedeutet dies konkret, dass bei 80 Bewertungen nur knapp über die Hälfte der Befragten angaben „sehr zufrieden' bzw. „zufrieden' zu sein. 27,5 % waren „mäßig zufrieden" und 18 % „unzufrieden bis sehr unzufrieden". Dies ergab eine durchschnittliche Bewertung von 2,6 als Schulnote.
Bezüglich der Schwierigkeiten, die die befragten Frauen mit den genutzten Einrichtungen benannten, lassen sich hingegen kaum einrichtungsspezifische Probleme und Bewertungen erkennen. So wurden als zentrale Kritikpunkte der Nutzerinnen aller Einrichtungen genannt, sie hätten nicht die Hilfen erhalten, die sie brauchten, sie hätten kein Vertrauen zu den Personen gehabt und zu wenig Stärkung und Unterstützung erfahren. Bezüglich der frauenspezifischen Einrichtungen, also Frauennotrufen, Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen, aber auch anderen (allgemeinen) Beratungsstellen, wurde vor allem ein zu geringes Maß an praktischer Hilfe bemängelt. Die folgende Tabelle zeigt, wie häufig welche weiteren Probleme mit Frauenhäusern genannt wurden:
Tabelle 1: Probleme mit Frauenhäusern. Fallbasis: 72 Befragte, die Angaben zu Problemen machten (eigene Darstellung nach BMFSFJ, 2004, S. 177)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dass nicht über die Gewalt gesprochen wurde, war vor allem eine oft genannte Problematik bei psychiatrischen Einrichtungen und der Telefonseelsorge, wohingegen lange Wartezeiten vor allem bei Beratungsstellen, therapeutischen Praxen und psychiatrischen Einrichtungen als Problem benannt wurden (BMFSFJ, 2004).
Die Probleme der Nutzerinnen mit dem Angebot des Frauenhauses zu betrachten ist vor allem dann wertvoll, wenn daraus eine Verbesserung, Intensivierung und Erweiterung dieses Angebotes angepasst an die jeweiligen Bedarfe entsteht. Ansatzpunkte lassen sich hier offensichtlich auch für Konzepte verhaltensorientierter Beratung erkennen, vor allem wenn „zu wenig Stärkung und Unterstützung", „zu wenig praktische Hilfe" aber auch „nicht die Hilfe, die ich brauchte" genannt werden. Hierauf soll in Kapitel vier weiter eingegangen werden. Zunächst sollen an dieser Stelle verhaltensorientierte Erklärungsansätze bezüglich der Dynamik von Partnerschaftsgewalt betrachtet werden.
Verhaltensorientierte Erklärungsansätze zur Entstehung von und zum Verbleib in Partnerschaftsgewalt
3 Verhaltensorientierte Erklärungsansätze zur Entstehung von und zum Verbleib in Partnerschaftsgewalt
Die Verbindung von Verhaltensorientierter Beratung und Frauenhausarbeit soll an dieser Stelle zunächst im Hinblick auf Theorien und Erkenntnisse aus der Forschung bezüglich des Themenfeldes beleuchtet werden. Die Datenlage ist - nach wie vor - als äußerst gering zu bewerten, traditionell beschäftigt sich die verhaltensorientierte Beratung doch eher mit Themen der Kinder- und Jugendhilfe, der Hilfe für suchterkrankte oder von (anderen) Behinderungen jeglicher Art betroffenen Menschen (Blanz & Schermer, 2013). Der fokussierte Blick und die Erweiterung auf weitere Klientelgruppen bergen jedoch sicherlich Potenziale.
Während sich in der Frauenhausarbeit in den letzten Jahren einige (strukturelle) Veränderungen ergeben haben, verändern sich die Gründe, weshalb betroffene Frauen bei ihrem misshandelnden Partner bleiben (bzw. nach Trennungsversuchen immer wieder zurückkehren), nicht von selbst und auch nicht allein durch Beratungs- und Hilfsangebote oder eine breitere Thematisierung in der Öffentlichkeit. Daher sollen im Folgenden Theorien mit spezifisch verhaltensorientiertem Hintergrund dargestellt werden, welche sich mit den beiden großen Fragen bezüglich Häuslicher Gewalt beschäftigen: Weshalb kommt es überhaupt zu Häuslicher Gewalt und warum verbleiben betroffene Frauen teils über lange Zeiträume in solch missbräuchlichen Beziehungen? Bei diesbezüglichen Überlegungen im Kontext sozi- alarbeiterischer Praxis werden selbstverständlich immer auch - in diesem Fall verhaltensorientierte - Interventionen und deren Wirksamkeit mitgedacht. Dementsprechend soll im Anschluss die Frage beleuchtet werden, inwiefern verhaltensorientierte Erkenntnisse und
Partnerschaftsgewalt Theorien in der Praxis der Frauenhausarbeit für gewaltbetroffene Frauen nutzbar gemacht werden können, beispielsweise bei der Entscheidung zu unterstützen, sich auch langfristig aus gewaltvollen Beziehungen zu lösen bzw. eine gewaltfreie Perspektive für sich zu entwickeln und umzusetzen.
3.1 Verhaltensorientierte Theorien zur Entstehung von Partnerschaftsgewalt
Für Partnerschaftsgewalt gibt es zahlreiche Erklärungsmodelle, die unterschiedliche Aspekte wie die psychologische, biologische, psychiatrische, systemische, soziologische oder feministische Ebene betonen (Egger & Schär Moser, 2008; Lawson, 2003). Mittlerweile sind sich Forschende aus all diesen Bereichen einig, dass integrative, multifaktorielle bzw. mehrdimensionale Erklärungsmodelle notwendig sind, um das komplexe Zusammenspiel verschiedener Faktoren zur Entstehung von Partnerschaftsgewalt zu beschreiben (Rothman, 2018; Schwarz, 2020).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
So hängt das Ausüben von Gewalt in der eigenen Partnerschaft vom Vorliegen verschiedener gewaltbegünstigender Aspekte ab, wie eigenes Gewalterleben in der Kindheit, konfliktorientiertem Kommunikations- und Interaktionsverhalten in der Beziehung, Alkohol- oder Drogenkonsum, sozialer Isolation und einem gewaltbejahenden sozialen Umfeld (Backes, 2002; Egger & Schär Moser, 2008; Herrenkohl et al., 2020; Jung et al., 2019). Dadurch werden Ursachen eher zu Risikofaktoren bzw. Risikosituationen, die die Wahrscheinlichkeit der Anwendung von Gewalt in Paarbeziehungen erhöhen (Egger & Schär Moser, 2008).
Vor allem in der verhaltensorientierten Forschung wird bei der Erforschung von Gründen zur Entstehung von Partnerschaftsgewalt besonderes Augenmerk auf die Beziehung zwi- sehen Ärger und Gewalt gelegt (vgl. DiGiuseppe & Tafrate, 2007, für eine Übersicht), jedoch fehlen weiterhin empirische Belege zur Unterstützung dieser Modelle und der psychosozialen Behandlungsmöglichkeiten, die aus ihnen folgen könnten.
Partnerschaftsgewalt Im Folgenden wird daher aus verhaltensorientierter Sicht zunächst der Zusammenhang von Erleben von Ärger und Gewalt im Allgemeinen erläutert sowie anschließend das „Anger Avoidance Model" mit der Theorie von gewalttätigem Verhalten (v.a. innerhalb intimer Partnerschaften) als eine auf Flucht basierende Emotionsregulationsstrategie. Im dritten Teil wird ein neueres Modell zum Verständnis der Beziehung zwischen Ärger und Gewalt (Gardner et al., 2014) vorgestellt, welches die doppelte Diathese von erfahrener Misshandlung in der Kindheit und späteren Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation als zentral für das Verständnis der Ärger-Gewalt-Beziehung postuliert.
3.1.1 Ärger und Gewalttätigkeit
Die Emotion des Ärgers hat ihre Wurzeln im evolutionären Grundmotiv des Überlebens. Emotionstheoretiker:innen sind sich einig, dass Ärger einer Vielzahl von grundlegenden adaptiven Funktionen dient (vgl. Camras, 1992; Celik, Storme & Myszkowski, 2016; Izard, 1981). Gleichzeitig kann sich das Verhaltenskorrelat von Ärger sehr negativ auf andere auswirken und zu erheblichen kurz- und langfristigen persönlichen sowie zwischenmenschlichen Problemen führen.
Verschiedene Forschungen diesbezüglich haben ergeben, dass (a) die Exposition gegenüber (und damit die Modellierung von) Gewalt zwischen den Eltern und (b) die Erfahrung häufiger schwerer Bestrafung durch die Eltern einschließlich körperlich und emotional missbräuchlicher Verhaltensweisen signifikante und konsistente Prädiktoren für spätere selbst ausgeführte zwischenmenschliche Gewalt darstellen (Black, Sussman & Unger, 2010; Ehrensaft et al., 2003; Krug, Dahlberg, Mercy, Zwi & Lozano R., 2002)
Norlander und Eckhardt (2005) bestätigten in ihrer Metaanalyse über 33 Studien die Hypothese, dass bereits mäßig erhöhte Werte von Ärger und Feindseligkeit bemerkenswerte
Partnerschaftsgewalt Merkmale von männlichen Tätern in Bezug auf Gewalt innerhalb einer Partnerschaft sind. Aus der traditionell kognitiv-behavioralen Perspektive wird die kognitive Bewertung als der wesentliche Wirkmechanismus (durch den externe Ereignisse zum Erleben von subjektivem Ärger führen) und gewalttätiges Verhalten wiederum als eine häufige Folge dieser Emotion angesehen (vgl. Kassinove & Tafrate, 2002). Bis heute sind die Daten jedoch bestenfalls inkonsistent in ihrer Unterstützung für die verschiedenen kognitiven Verhaltensmodelle, die den Zusammenhang zwischen erlebtem Ärger und ausgeführter Gewalt beschreiben (vgl. DiGiuseppe & Tafrate, 2007). Basierend auf diesen traditionellen Modellen von Aristoteles, Charles Darwin, William James und Sigmund Freud - um nur ein paar an dieser Stelle zu erwähnen - würde man erwarten, dass psychologische Behandlungen, die sich auf Kernkomponenten der Modelle konzentrieren (z.B. Modifikation spezifischer Kognitionen und die Reduzierung physiologischer Erregung) zu einer erheblichen Reduktion von Ärger und nachfolgendem gewalttätigen Verhalten in klinischen Populationen führen würden. Verschiedene Studien kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Wirksamkeit von psychologischer Behandlung von Ärger und Gewalt, die auf traditionellen kognitiven Verhaltensmodellen beruhen (vgl. Babcock, Green & Robie, 2004; Hesser et al., 2017; Olatunji & Lohr, 2004; Saini, 2009). Unter anderem deuten diese auf einen vernachlässigbaren Einfluss von kognitiver Therapie auf die Verringerung der Rückfallhäufigkeit hin, der kaum über den Effekt der Verhaftung hinausgeht.
Der Mangel an aussagekräftigen Forschungsergebnissen zur Wirksamkeit kognitiver Interventionen für Gewalttatbegehende zeigt die Notwendigkeit eines theoretischen Überdenkens von Zusammenhängen auf, weshalb im Folgenden auf neuere Theorien zur Entstehung von Gewalt eingegangen werden soll.
Verhaltensorientierte Erklärungsansätze zur Entstehung von und zum Verbleib in Partnerschaftsgewalt
3.1.2 Das „Anger Avoidance Model“ (AAM)
Ein alternatives theoretisches Modell zum Verständnis der Beziehung zwischen Ärger und gewalttätigem Verhalten stellt das „Anger Avoidance Model" (AAM, siehe Abbildung 2) (Gardner & Moore, 2008) dar, welches auf Entwicklungen in der experimentellen Psychopathologie und der Emotionsforschung, insbesondere im Hinblick auf die Emotionsregulation, basiert. Emotionsregulation wird hier definiert als die Fähigkeit, sich der eigenen Emotionen bewusst zu sein, sie zu tolerieren und angemessen damit umgehen zu können, was wiederum zu einer größeren Reaktionsfähigkeit hinsichtlich der kontextuellen Anforderungen von Emotionen (in diesem Fall Ärger) auslösenden Situationen führt (Gratz & Roemer, 2004). Das AAM geht von einem Diathese-Modell aus, um die Entwicklung von gewalttätigem Verhalten zu verstehen. So legt das AAM nahe, dass eine spezifische frühe aversive Geschichte von chronischer Misshandlung in der Kindheit in Form von Missbrauch und Vernachlässigung mit biologischen Risikofaktoren, beispielsweise Verhaltenshemmung oder Neurotizismus, interagiert und zu langfristigen und vielfältigen Defiziten in der Emotionsregulation führt.
Dementsprechend werden Emotionen (insbesondere Ärger) als unerträglich und bedrohlich empfunden und daher zum Stimulus für teils extreme Strategien, um das Erleben der Emotion zu vermeiden und bzw. oder ihr zu entkommen. Das AAM geht davon aus, dass Personen, die gewalttätiges Verhalten zeigen, oft versäumt haben, die adaptive Fähigkeit zu entwickeln, Ärger und Ärger auslösende Emotionen zu erleben, zu verarbeiten und effektiv darauf zu reagieren. Stattdessen haben sie gelernt, Situationen, die auch nur mäßige
Verhaltensorientierte Erklärungsansätze zur Entstehung von und zum Verbleib in Partnerschaftsgewalt Mengen an Ärger hervorrufen - einschließlich zwischenmenschliche Situationen - zu vermeiden bzw. davor zu fliehen. So kann Ärger in Verbindung mit Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation häufig zu gewalttätigem Verhalten führen, da ein solches Verhalten als maladaptives Mittel zur Vermeidung oder um der als unerträglich empfundenen Erfahrung dieses Ärgers zu entkommen, eingesetzt wird (Gardner et al., 2014).
Übereinstimmend mit diesen Aspekten des AAM haben empirische Studien bestätigt, dass gewalttätiges Verhalten im Allgemeinen (Bushman, Baumeister & Phillips, 2001) und innerhalb von Partnerschaften im Besonderen (Gratz, Paulson, Jakupcak & Tull, 2009; Jakupcak, Lisak & Roemer, 2002) in nicht-klinischen Populationen als eine auf Flucht basierende Emotionsregulationsstrategie funktioniert. Während vorab erwähnte traditionelle kognitive Verhaltensmodelle nahelegen, dass gewalttätiges Verhalten im Allgemeinen das unvermeidliche Produkt interner Prozesse ist, die in einem hohen Maß an Ärger kulminieren (Kassinove & Tafrate, 2002), haben empirische Studien ergeben, dass eine hohe Hemmung von Ärger (also die vollkommen fehlende Erfahrung von Ärger) genauso wahrscheinlich mit gewalttätigem Verhalten zusammenhängt wie das eher theoretisch postulierte Problem eines hohen Maßes von erlebtem Ärger (Davey, Day & Howells, 2005). Dieser Befund bestätigt die Hypothese des AAM, dass nicht der Grad oder die Menge des erlebten Ärgers über das Vorhandensein oder Fehlen von gewalttätigem Verhalten bestimmt, sondern vielmehr das Ausmaß, in dem die Emotion des Ärgers ohne die Notwendigkeit von Vermeidungs- oder Fluchtstrategien akzeptiert und verarbeitet werden kann.
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