Messiaens Modi und deren Verwendung in der improvisierten Musik


Magisterarbeit, 2008

82 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

1. EINLEITUNG
1.1 EINFÜHRUNG UND FRAGESTELLUNG
1.2 FASZINATION SYMMETRIK

2. OLIVIER MESSIAEN - BIOGRAPHIE
2.1 EINLEITUNG
2.2 DIE ERSTEN LEBENSJAHRE
2.3 STUDENT IN PARIS
2.4 MESSIAEN ALS KOMPONIST UND ORGANIST VOR DEM 2. WELTKRIEG
2.5 IN KRIEGSGEFANGENSCHAFT
2.6 LEHRER AM CONSERVATOIRE
2.7 ERFOLGE IN DER GANZEN WELT
2.8 1970-1992

3. MESSIAENS MODI
3.1 BEGRIFFSDEFINITION
3.2 STRUKTUR DER MODI
3.2.1 ZYKLISCHE INTERVALLSTRUKTUR
3.2.2 BEGRENZTE TRANSPOSITIONSMÖGLICHKEIT
3.2.3 FEHLENDE TONALE FIXIERUNG
3.3 ERSTER MODUS
3.3.1 STECKBRIEF
3.3.2 BESCHREIBUNG
3.3.3 VERWENDUNG
3.4 ZWEITER MODUS
3.4.1 STECKBRIEF
3.4.2 BESCHREIBUNG
3.4.3 VERWENDUNG
3.5 DRITTER MODUS
3.5.1 STECKBRIEF
3.5.2 BESCHREIBUNG
3.5.3 VERWENDUNG
3.6 VIERTER – SIEBTER MODUS
3.5.1 STECKBRIEF
3.6.2 BESCHREIBUNG
3.6.3 VERWENDUNG
3.7 MESSIAENS FEHLER NACH KOEPF

4. VERWENDUNG SYMMETRISCHER SKALEN VOR MESSIAEN
4.1 TONARTEN-DISPOSITION
4.2 SYMMETRISCHES TONMATERIAL
4.2.1 CÉSAR FRANCK
4.2.2 FRANZ LISZT
4.2.3 FRANZÖSISCHE IMPRESSIONISTEN
4.2.4 ALEXANDER SKRJABIN

5. VERWENDUNG IM JAZZ
5.1 MODUS 1, DIE GANZTONLEITER
5.1.1 AKKORDE
5.1.2 TUNES
5.1.3 PATTERNS
5.2 MODUS 2, DIE HALBTONGANZTONLEITER
5.2.1 AKKORDE
5.2.2 TUNES
5.2.3 PATTERNS
5.3 DIE HEXATONIK
5.2.3 AKKORDE
5.2.5 PATTERNS UND TUNES
5.4 HANS KOLLER

6. EIGENE MUSIKTHEORETISCHE AUSARBEITUNG ANHAND VON BEISPIELEN
6.1 DOMINATFUNKTION
6.1.2 V7 – I MAJ7
6.1.2 IIM7 – V7 – I MAJ7
6.2 BLUES
6.3 OUTSIDE
6.3.1 MODALER JAZZ
6.3.2 ALL THE THINGS YOU ARE
6.4 HARMONIC GENERALIZATION
6.4.1 COLTRANE II-V-I
6.4.2 RHYTHM CHANGES
6.5 MELODIEFINDUNG
6.5.1 LACOUR
6.5.2 BASSLINIE
6.5.3 ZEITGENÖSSISCHE JAZZKOMPOSITION

7. ZUSAMMENFASSUNG

8. QUELLENVERZEICHNIS

ANHANG

ÜBER DEN AUTOR

VORWORT

Das Thema dieser Arbeit ist untrennbar mit meinem eigenen musikalischen Werdegang verbunden. Im zweiten Jahr meines Baccelauriatsstudiums an der Anton-Bruckner- Privatuniversität Linz lernte ich die Modi des Olivier Messiaen kennen und auch bald zu schätzen.

Im Rahmen des Saxophonunterrichts bei Mag. Florian Bramböck habe ich Guy Lacours Etüdenheft “28 Éutdes sur les modes à transpositions limitées d’ Olivier Messiaen pour saxophone” erübt. Jede Etüde dieses Bandes ist auf einem Modus oder dessen Transposition aufgebaut. Die abstrakte und sich frei im Raum bewegende Melodieführung faszinierte mich und rief Assoziationen an die zeitgenössische Malerei in mir wach. Seit nunmehr acht Jahren arbeite ich an diesem Material, ohne das jemals Langeweile oder Müdigkeitserscheinungen entstanden wären.

Im Laufe der Zeit bemerkte ich in meinen eigenen Improvisationen, dass bestimmte Motive unbewusst Eingang in mein Spiel gefunden haben. Auch das wachsende Interesse an zeitgenössischen Werken der Klassik wie auch des Jazz haben den Wunsch nach einer genauen Auseinandersetzung mit diesen Skalen geprägt. Mangelnde Fachliteratur, vor allem bezüglich der Anwendung der Modi in der improvisierten Musik, haben mich dazu bewogen diesen Themenkomplex in meiner Master Thesis näher zu beleuchten. Ganz im Sinne Messiaens habe ich versucht, die theoretische Aspekte der Harmonielehre nicht federführend wirken zu lassen, sondern auch die Faszination dieser Klangästhetik und den Menschen Olivier Messiaen zu beschreiben.

Der Blick in den Kalender zeigt, dass Zeitpunkt für diese Arbeit gut gewählt ist. Nachdem Messiaen im Jahr 1908 geboren ist, würde er heuer seinen 100. Geburtstag feiern. Auch wenn er, gemessen an seiner Bedeutung für die Musik der Gegenwart, noch selten aufgeführt wird, bietet dieses Jubiläum Anlass zur intensiveren Auseinandersetzung mit diesem faszinierenden Komponisten.

Natürlich darf ein Vorwort nicht ohne Danksagung zum Ende kommen.

Mein Dank gilt meinem Betreuer Prof. Mag. Dr. Harald Huber sowie Wolfgang Puschnig, der mich saxophonistisch durch das Magisterstudium begleitet hat.

Vor allem möchte ich mich bei meiner Familie bedanken, insbesonders bei meinem Bruder Andreas, dessen Erfahrung im Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten stets eine große Hilfe war. Speziellen Dank möchte ich meiner Freundin Sabine aussprechen, die neben emotionaler Unterstützung auch durch kritischer Analyse einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit geleistet hat.

Lobend müssen auch die MitarbeiterInnen der Stadtbücherei Wien mit ihrem Willen zur Verlängerung erwähnt werden.

Wien, am 20. August 2008

1. EINLEITUNG

„Denken wir an den Hörer unserer modalen und rhythmischen Musik; er wird im Konzert nicht die Zeit haben, die Nicht-transponierbarkeit und Nicht-umkehrbarkeit nachzuprüfen, und diese Fragen werden ihn dann auch nicht mehr interessieren: sein einziger Wunsch wird sein, bezaubert zu werden. Und eben das wird geschehen; ohne sein Zutun wird er dem seltsamen Reiz der Unmöglichkeiten erliegen; eine gewisse Wirkung von tonaler Allgegenwart in der Nicht-transponierbarkeit, eine gewisse Einheit der Bewegung (worin sich Anfang und Ende, weil identisch, miteinander vermischen) in der Nicht- umkehrbarkeit – all dies wird ihn nach und nach zu jener Art von theologischem Regenbogen führen, der die musikalische Sprache, deren Aufbau und Theorie wir erforschen, zu sein versucht.“[1]

Diese Worte des Komponisten und Organisten Oliver Messiaen ordnen die Musiktheorie der emotionalen Wirkung des Klangerlebnisses unter. Die Theorie mit all ihren Regeln ist ein Hilfswerkzeug, um schneller und präziser das gewünschte musikalische Endprodukt zu erreichen, sei es nun in der Komposition oder in der Improvisation. Für diese Arbeit soll dieses Plädoyer als Leitfaden dienen.

1.1 EINFÜHRUNG UND FRAGESTELLUNG

Die Musik des 20. Jahrhunderts präsentierte eine Dichte an Innovationen und Klangexperimenten aus verschiedensten künstlerischen Perspektiven. Man denke an die Dodekaphonie eines Schönbergs oder Hauers oder an die Entwicklung des Serialismus, an der Messiaen – wenn auch etwas unfreiwillig – maßgeblich beteiligt war. Man denke an die Einführung der Aleatorik oder die Verwendung elektronischer Musikinstrumente bis hin zur Computermusik. Messiaens Beitrag zur musikalischen Biographie dieses Jahrhunderts ist nicht zuletzt dank der Entwicklung seiner sieben Modi als eine der wichtigen Innovationen dieser Zeit zu betrachten.

Seine symmetrisch aufgebauten Modi und deren fesselnde Klangästhetik sind ein noch nicht allzu oft untersuchtes Gebiet. Diese Arbeit möchte die Modi in Relation zu den zwei großen Stilausprägungen des 20. Jahrhunderts, der Klassik und des Jazz, setzen und ist daher in zwei Teile gegliedert.

Der erste Teil untersucht die Modi in ihrem ursprünglichen Umfeld, der zeitgenössischen Musik des 20. Jahrhunderts. Kernfragen, die hier beantwortet werden sollen, sind: Welche Kriterien muss eine Skala erfüllen, um als Modus nach Messiaen bezeichnet werden zu können? Wie hat Messiaen seine Modi in seinen Kompositionen verarbeitet?

Welches kultursoziologisches Weltbild prägte den Menschen Oliver Messiaen und wie sah sein musikalisches Umfeld aus, das ihm zur Entwicklung seiner Modi inspirierte? Wie gingen Komponisten vor dem Wirken Messiaens mit symmetrischem Tonmaterial um? Hat Messiaen mit seinen sieben Modi eine komplette Sammlung an allen möglichen symmetrischen Skalen, die die Kriterien eines Modus erfüllen, ausgeschöpft? Jeder Fragestellung ist ein Kapitel gewidmet.

Der zweite Teil dieser Arbeit stellt die Modi in Verbindung zur improvisierten Musik. Hier wird der Frage nachgegangen, welche Verwendungsweisen sich bereits in der Jazzgeschichte und in der schulischen Jazzvermittlung etabliert haben. Noch nicht beachtete Verwendungsmöglichkeiten sollen in einem eigenen Kapitel ausgearbeitet werden.

Die Erläuterungen und Analysen werden von kurzen Notenbeispielen unterstützt, um einen praktischen Zusammenhang zu gewährleisten. Schließlich richtet sich diese Arbeit auch an dem praktizierenden Musiker, der sein musikalisches Vokabular erweitern möchte.

1.2 FASZINATION SYMMETRIK

Jeder Mensch findet Gefallen an der Symmetrie, deren Ursprung in visuellen Formen zu suchen ist. In der Antike führten die Griechen diesen Begriff in die Geometrie ein.[2] Schon seit Menschengedenken finden wir in zahllosen, von Menschen hervorgebrachtem, Symmetrie. Sie gilt als ästhetisch, sei es nun im handwerklichen Bereich, in der Architektur oder in der Kunst.

Untersuchungen haben ergeben, dass selbst der Attraktivitätsfaktor eines menschlichen Gesichtes von symmetrischen Kriterien beeinflusst wird. So gilt ein symmetrisches Gesicht als ein Indikator für Gesundheit und verweist auf gute Gene. Das sind Faktoren, die für den Menschen in seiner Partnerwahl entscheidend sind.[3]

In der westlichen Musik lassen sich unzählige Beispiele für symmetrische Formen finden. Auf der rhythmischen Ebene ist der 4/4 Takt durch seine gleichmäßige Schwerpunkt- setzung und Teilbarkeit das natürlichste Metrum. Ungerade Taktarten finden, bis auf dem Walzer und spezielle Ausformungen in der Volksmusik bestimmter Regionen, nur schwer Zugang zum Ohr des Durchschnittshörers.

Aus der natürlichen Obertonreihe wurde die wohltemperierte Stimmung entwickelt. Sie bringt jedoch keine symmetrische Tonanordnung im hier behandelten Sinn hervor, sondern folgt dem Prinzip der Vervielfachung der Grundtonfrequenz. Die mitschwingenden Untertöne befinden sich zwar in einem symmetrischen Verhältnis zur Obertonreihe, die Forschung auf diesem Gebiet hat jedoch noch nicht genügend Beweise für diese Theorie gefunden.[4]

Werden nun die zwölf Töne der Oktave in eine mathematisch symmetrischen Anordnung gebracht, entsteht ein zunächst unfamiliärer Klang, dessen Symmetrie aber dennoch fasziniert. Eine absolute Erklärung, warum und wie bestimmte Klänge auf uns wirken, kann nicht gefunden werden. Ein Versuch der Annäherung an dieses Faszinosum und die Untersuchung der einzelnen Bausteine der Musik ist es allemal wert. Eine mögliche Antwort auf diese Frage liegt vielleicht darin, dass uns die Musik Wege der Vermittlung von Emotionen und Informationen eröffnet, die im Unbewussten verborgen liegen.

„Wie verstehen wir diese unbewussten Kräfte? Wie vermitteln wir sie anderen? Obgleich sie nicht in Begriffe gefasst werden können, kann man sie erleben und nach Schopenhauers Meinung direkt, ohne Worte, auf dem Wege der Kunst kommunizieren. Deshalb sollte er der Kunst, vor allem der Musik, mehr Aufmerksamkeit widmen, als jeder andere Philosph.“[5]

2. OLIVIER MESSIAEN - BIOGRAPHIE

2.1 EINLEITUNG

Dieses Kapitel basiert – sofern nicht anders angegeben – auf Theo Hirsbrunners „Olivier Messiaen – Leben und Werk“ und Christopher Dingles „The life of Messiaen“ (siehe Quellenverzeichnis).

Olivier Messiaen gilt heute als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Komponisten in der Musik des 20. Jahrhunderts. Er kreierte nicht nur die „Modi mit begrenzter Transpositionsmöglichkeit („les modes à transpositions limitèes“) und die „Nicht- umkehrbaren Rhythmen“ sondern war auch Wegbereiter des Serialismus. Aus seinem Leben ist nur wenig Persönliches bekannt. Messiaen verstand es sein Privatleben abzuschirmen, sowie er auch immer größten Wert darauf legte, dass unfertige Werke oder Skizzen nicht an das Licht der Öffentlichkeit dringen.

2.2 DIE ERSTEN LEBENSJAHRE

Olivier Eugène Prosper Charles Messiaen wurde am 10. Dezember 1908 in Avignon, Frankreich, geboren. Beide Elternteile beschäftigten sich mit Literatur. Sein Vater unterrichtete Englisch und verbrachte den Großteil seines Arbeitslebens mit Shakespear- Übersetzungen. Messiaens Mutter, Cècile Sauvage, war Dichterin, deren Werke heute in Vergessenheit geraten sind. Jedoch verdanken wir ihrem Einfluss, dass Messiaen für nahezu all seine Vokalstücke den Text selbst verfasste. Inspiriert von Shakespeares Arbeiten entdeckte er früh seine Begeisterung für das Märchen und alles Fabelhafte. Die sinnliche Welt hat es ihm angetan, sein Interesse für Politik und Gesellschaft hielt sich zeitlebens in Grenzen.

„Bereits im Kindesalter bin ich unwiderstehlich vom katholischen Glauben, von der Musik und auch vom Theater mit seinem Dekorationen angezogen worden“, konstatiert Messiaen selbst in einem Interview.[6]

Messiaen war ein visuell denkender Mensch und konnte Farben sehen, wenn er Musik hörte. Jeder Ton, jeder Akkord hatte seine eigene Farbe, auch Akkorde des gleichen Geschlechts konnten unterschiedlich aussehen. So beschrieb er zum Beispiel den C-Dur Dreiklang als weiß, während der G-Dur Dreiklang gelb klingen würde.[7]

Ein erster wichtiger Abschnitt in Messiaens Leben begann mit dem Umzug nach Grenoble im Jahr 1914. Hier soll er im zarten Alter von nur sieben Jahren die großen Bühnenwerke von Mozart („Die Zauberflöte“, „Don Giovanni“), Gluck („Orphèe“, „Alceste“), Berlioz („La Damnation de Faust“) sowie vor allem Wagner („Die Walküre“, „Siefgried“) entdecken und die Partituren studieren. Messiaen erinnerte sich, schon damals sein ausgeprägtes inneres Ohr erstmals entdeckt zu haben, als er im Stadtpark von Grenoble Auszüge aus Glucks „Orphèe“ studierte.[8]

Messiaens frühe Liebe zur Oper wirkte sich bemerkenswerterweise nicht auf sein eigenes Schaffen aus. Sein einziges Bühnenwerk „Saint FranVois d´Assise“ wurde erst 1983 uraufgeführt und kann nicht als Oper im traditionellen Sinn kategorisiert werden.

Grenoble stellte – fern vom hektischen Pariser Alltag – auch im späteren Leben Messiaens einen Rückzugsort dar. Mit der Aussicht auf „seinen heiligen Berg“, ein Gletscher namens Meije, komponierte er die meisten seiner Werke.

In diesem Lebensabschnitt begann er sich autodidaktisch das Klavierspiel anzueignen und kaufte seine ersten theologischen Bücher. Das Fundament für Messiaens späteres Leben und Werk wurde gelegt.

Im Jahr 1918 wurde Messiaens Vater für ein Jahr nach Nantes versetzt, ein Umstand, der die Familie zu einem neuerlichen Umzug zwang. Hier erhielt Messiaen bei verschiedensten Pianisten Klavierunterricht und sollte seine erste große Lehrerpersönlichkeit treffen. Jehan de Gibon war Harmonielehrer und schenkte dem damals Zehnjährigen die Partitur von Debussys „Pellèas et Mèlisande“. Ein Geschenk das Messiaens musikalische Welt nachhaltig veränderte. „Diese Partitur war für mich eine Offenbarung (...), ich habe sie gesungen, gespielt und endlos wieder gesungen. Ich sehe darin wahrscheinlich das Werk, das mich am entscheidensten beeinflusst hat.“[9]

2.3 STUDENT IN PARIS

Im Herbst 1914 wurde Messiaens Vater als Englischlehrer an einem Pariser Gymnasium angestellt. In einer bescheidenen Wohnung, jedoch mitten im Herzen der Stadt, fanden die Messiaens eine akzeptable Unterkunft. Der erst elfährige Olivier konnte nun am Conservatoire bei Georges Falkenberg Klavierunterricht nehmen. Anders als in Österreich wurde in Frankreich sehr früh mit der professionellen Musikausbildung begonnen. Bis zum Jahr 1930 war Messiaen Student an dem berühmten aber auch sehr konservativ geprägten Institut. Er verspürte jedoch nicht den Drang traditionelle Werte zu stürzen oder eine kulturelle Revolution anzuzetteln, wenngleich er später als einer der großen Erneuerer der Musik des 20. Jahrhunderts gelten soll. Sein friedliches und respektvolles Auftreten gegenüber anderen Meinungen ist eine Eigenschaft, die Messiaen sein ganzes Leben beibehalten werden wird.

Seine Eltern besuchten mit ihm Theateraufführungen, sowie auch die beeindruckenden Kultur- und Sakralbauten in Paris. Vor allem die großen gotischen Kathedralen und deren farbigen, lichtdurchfluteten Kirchenfenster faszinierten den jungen Messiaen, der seinen Glauben immer mehr vertiefte und sich als „geborenen Gläubigen“[10] bezeichnete. Oft besuchte er die heiligen Messen, auch um den Organisten oben auf der Empore zu lauschen, die nicht nur hochtalentierte Musiker waren, sondern Messiaen auch mit ihrem spirituellen, an Gott gerichteten Spiel überzeugten. Diese Erfahrungen bewegten Messiaen dazu, immer zweckgerichtete beziehungsweise themenbezogene Kompositionen zu schreiben und nie den technischen, konstruierten Aspekt in seiner Arbeit für sich allein wirken zu lassen. So ist es nicht verwunderlich, dass im Jahr 1927 der junge Student selbst das Orgelspiel erlernte, um bald darauf Messen musikalisch zu untermalen. 1931 wurde Messiaen als Organist an der Sainte-Trinitè Kirche engagiert, eine Tätigkeit, die er bis kurz vor seinem Tod beibehielt. Nicht nur die traditionelle Liturgie sondern auch Improvisationen, in denen oftmals die symmetrischen Skalen zur Anwendung kamen, fanden hierbei ihren Platz.

Doch zurück zu Messiaens Studienzeit. Im Paris der 20er Jahre gewann eine Musikströmung („Groupe de Six“) an Popularität, die eine neue Einfachheit und Heiterkeit proklamierte. Messiaen kritisierte diese Hinwendung zum Hedonismus. Vielmehr fand er in einer Aufführung von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“, ein Werk mit komplizierten, neuen Rhythmen Inspiration. Auch Wagners „Die Walküre“ oder

„Siegfried“ konnte er nach jahrelangem Studium der Partituren zum ersten Mal im Konzertsaal erleben.

Am Conservatoire trägt Messiaens großer Fleiß erste Früchte. So konnte er Preise in Harmonielehre, Kontrapunkt, Klavierbegleitung, Orgelspiel und später auch in Komposition gewinnen. Jedoch stand das Komponieren in seinen ersten Studienjahren nicht im Vordergrund. Messiaen wollte sich zunächst auf seine Ausbildung und das Lernen konzentrieren.[11]

Er erhielt von Marcel Duprè, einem der größten Orgelvirtuosen der damaligen Zeit, Unterricht. In Musikgeschichte führte Maurice Emmanuel seine Studenten in die altgriechische Musik und dessen Metrik ein, ein Metier das Messiaen immer wieder faszinieren und aufgreifen wird. Bei ihm erhielt Messiaen auch Klavier- und Schlagwerkunterricht. Die dritte wichtige Lehrerpersönlichkeit stellte Paul Dukas in Komposition und Instrumentation dar.

2.4 MESSIAEN ALS KOMPONIST UND ORGANIST VOR DEM 2. WELTKRIEG

Wie bereits zuvor erwähnt, wurde Messiaen 1931 im jungen Alter von 22 Jahren zum Organisten an der „Sainte Trinité“ Kirche ernannt. Damit war er der jüngste Organist ganz Frankreichs, der je ein solches Amt inne hatte.[12]

Diese Aufgabe nahm Messiaen sehr gewissenhaft und mit großer Hingabe wahr. So ist es auch nicht verwunderlich, dass er sich bis zum Beginn des 2. Weltkrieges hauptsächlich als komponierender Organist einen Namen machte. Aus den vielen improvisierten kleinen Zwischenspielen, die er spielte, wenn die Zeit zwischen den Psalmen oder Versen keine kompletten Stücke erlaubte, schrieb er später eine Art Zusammenfassung, die „Messe de la Pentecôte“.

Ab Anfang der 30iger Jahre wurden einige Orchersterwerke Messiaens zur Uraufführung gebracht. Anerkannte Dirigenten wie Pierre Monteux nahmen sich seiner Werke an, die alle mit einem religiösen Titel versehen waren.

Im Jahr 1935 entstand „La Nativitè du Seigneur“, ein Orgelwerk, das heute als eines seiner Meisterwerke gilt. Es trägt den Untertitel „Neuf Méditations pour Orgue“[13] und im Vorwort erwähnt Messiaen erstmals die „modes à transpositions limitées“ sowie auch sein rhythmisches Konzept.[14] Großen Anteil am Entstehen dieses Werkes hatte sicherlich Strawinskys „Le Sacre du Printemps“, das maßgeblich harmonische und rhythmische Ideen lieferte.

Wenn auch Messiaen erstmals im Vorwort seine Modi näher beschreibt, fand eine erste Annäherung und Verwendung dieser Skalen schon im 1927 erschienenen Orgelwerk „Esquisse modale“ statt.

Schon seit frühesten Studienjahren faszinierten Messiaen neue tonale Möglichkeiten, die das bekannte Dur/Moll-System verlassen.[15] Jedoch gestaltete sich Messiaens Zugang zu diesen neuen Klängen grundsätzlich nicht auf theoretischer Ebene. So erzählte er in einem Interview, dass er das theoretische Konstrukt für seine Modi erst später entwarf, nachdem er seine eigenen Arbeiten analysiert hatte. Sein Kompositionsprozess begann mit der Improvisation und seine Finger wählten instinktiv jene Noten, die er später zu seinen „modes à transpositions limitées“ zusammenfasste.[16]

Messiaen fand auch in der Natur Inspiration für neue Klangfarben. So flossen zu Beginn der 30iger Jahre von ihm selbst angefertigete Transkriptionen von Vogelgesängen in seine Arbeiten ein. Das Studieren und Analysieren verschiedenster Vogelrufe beziehungsweise - gesänge ist eine weitere klangliche Erneuerung, die untrennbar mit Messiaens Namen verbunden ist und ihn sein ganzes kompositorisches Leben beschäftigte.

1937 gründete Messiaen mit André Jolivet, Daniel Lesur und Yves Baudrier die Komponistengruppe „La Jeune France“. Vom Neoklassizismus sich abwendend war es ihr Bestreben „(...) wieder eine gewisse Romantik zu kultivieren und Ehrlichkeit, Großmütigkeit und Gewissen“ in die Musik zu bringen.“[17]

In dieser Zeitspanne ist nicht viel über Messiaens Privatleben zu erfahren. Es ist dokumentiert, dass er 1932 die Geigerin und Komponistin Claire Delbos heiratete und im Juli 1937 ihr einziger Sohn Pascal geboren wurde. Das familiäre Glück dauerte nur kurz an. In den ersten Kriegsjahren erkrankte Claire Delbos an einer schweren Krankheit und verstarb nach langem Leiden im Jahr 1959. Überlieferungen zufolge sprach Messiaen nie über diese Krankheit, auch nicht im engsten Freundeskreis.

2.5 INK RIEGSGEFANGENSCHAFT

Auch Olivier Messiaen musste, wie sein Vater fünfundzwanzig Jahre zuvor, in den Krieg ziehen. Er wurde im September 1939 als Pionier einberufen und war mit der harten, körperlichen Arbeit alles andere als glücklich. So klagte er in einem Brief an einen Freund

über seine abgeschürften und rußgeschwärzten Hände, vom Arbeiten mit der Spitzhacke und vom Tragen „unglaublich schwerer Lasten“[18] Später gelang es ihm in die Krankenstation versetzt zu werden, wo er als Pfleger seinen Dienst verrichtete.

Im Mai 1940 überraschten die Deutschen die schlecht organisierte französische Armee und besetzten Frankreich. Messiaen war in Verdun stationiert und versuchte daraufhin mit drei Musikerkollegen in den Süden zu flüchten, was ihnen nicht glückte. Sie wurden in Kriegsgefangenschaft genommen und in einem Lager bei Nancy festgehalten. Kurz darauf wurde Messiaen nach Görlitz in Schlesien überstellt. Das Erstaunen der deutschen Soldaten war groß, als sie in Messiaens Tasche Partituren von Beethoven oder Strawinsky fanden, die sie als ungefährlich einstuften und Messiaen zurückgaben.

Die Insassen des Lagers litten an Hunger und Kälte, doch Messiaens tiefer Glaube und auch die Liebe zur Musik halfen ihm, den widrigen Umständen zu trotzen. Als die deutschen Wärter herausfanden, dass Messiaen ein anerkannter Komponist ist, versorgten sie ihn mit Schreibutensilien sowie Notenpapier und verschafften ihm später die Möglichkeit auf einem alten Klavier zu komponieren.

Glücklicherweise konnte Messiaen in dieser harten Zeit Gleichgesinnte finden.

Mit dem Cellisten Étienne Pasquier hatte er schon im Krankenlager Bekanntschaft gemacht. Er war sein unmittelbarer Vorgesetzter und wurde gemeinsam mit Messiaen auf der Flucht festgenommen. Auf den Klarinettisten Henri Akoka traf Messiaen im Zwischenlager bei Nancy und in Görlitz stieß er auf Jean le Boulaire, einen Geiger. Akoka konnte glücklicherweise seine Klarinette bis in die Gefangenschaft bei sich behalten und auch ein Cello und eine Violine konnten organisiert werden.[19]

Sofort begann Messiaen an einem kleinen Trio zu arbeiten. Nach der Dienstzeit war es Messiaen erlaubt von 18 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit zu komponieren und zu proben. Was mit einem kleinen Trio begann, sollte im Verlauf der Gefangenschaft zu einem seiner bedeutendsten Werke heranreifen, das „Quartet pour la Fin du Temps“. Das Komponieren beschrieb Messiaen als „(...) Flucht vor dem Schnee, dem Krieg und der

Gefangenschaft, und das inmitten von 30.000 Mithäftlingen“.[20] Dieses Quartett ist zugleich das erste Werk, in dem eine größere Anzahl von Vogelrufen vorkommt, wenn auch noch nicht mit der Genauigkeit späterer Werke.

Die Uraufführung des „Quatuor pour la Fin du Temps“ war ein denkwürdiges Ereignis. Nicht nur über 400 Gefangene wohnten der Premiere bei, auch die deutschen Offiziere ließen es sich nicht nehmen, in erster Reihe der Darbietung zu lauschen. Das Konzert fand unter widrigsten Umständen bei sibirischer Kälte statt. Dennoch bemerkte Messiaen, dass ihm noch nie mit so viel Aufmerksamkeit und Verständnis zugehört wurde.[21] Messiaen berichtete desöfteren, dass die Uraufführung vor 5000 Gefangenen und auf einem Cello mit nur drei Saiten stattfand. Dem widerspricht der Cellist Étienne Pasquier in einem späteren Interview. Es wäre unmöglich gewesen, dieses anspruchsvolle Stück auf drei Saiten zu meistern, und der „Konzertsaal“ hätte niemals Platz für 5.000 Besucher geboten.

Messiaen und Pasquier gehörten zu den ersten Gefangenen, die freigelassen wurden. Ein ihnen wohlgesinnter Offizier begründete die Freilassung damit, dass sie Musiker seien und ohne Waffen aufgefunden wurden.[22] Im März 1941 wurden die beiden nach Lyon gebracht, wo sie noch einige Wochen unter Quarantäne verbrachten, bevor sie offiziell entlassen wurden.

Diese Kriegserfahrungen schlugen sich auch in Messiaens Musik nieder. Man meint das erlebte Leid zu hören, die Süße des Klangs ist deutlich reduziert.

2.6 LEHRER AMC ONSERVATOIRE

Nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft nahm Messiaen seine Arbeit als Organist an der Trinité Kirche wieder auf und erhielt eine Stelle als Professor für Harmonielehrer am Conservatoire. Seine Lehrtätigkeit verrichtete Messiaen bis zur Erreichung des Pensionsalters mit 78 Jahren mit großer Leidenschaft.

Überraschenderweise zeigte sich Messiaens Unterricht durchaus den strikten Regeln der klassischen Harmonielehre verpflichtet. Seine modernen, freien Kompositionstechniken hatten hier wenig Einfluss. Während der ersten Jahren als Professor verwendete Messiaen seine 1939 selbst geschriebene Schule namens „Vingt LeVons d´harmonie“, in der, neben traditionellen Stilübungen, nur im letzten Kapitel den „modes à transpositions limitées“ etwas Bedeutung beigemessen wird.

Das „Quatuor pour la Fin de Temps“ wurde mit großem Erfolg in Paris wiederaufgeführt und auch viele neue, bemerkenswerte Werke festigten Messiaens Status als einen der wichtigsten Vertreter in der modernen Musikwelt Frankreichs und weit darüber hinaus.

In Rahmen seiner Lehrtätigkeit lernte Messiaen auch die ausgezeichnete Pianistin Yvonne Loriod kennen. Sie inspirierte Messiaen zu neuen Klavierwerken. In den letzten sieben Jahren hatte er hauptsächlich für die Orgel komponiert.

Im Jahr 1943 unterrichtete Messiaen privat eine kleine Gruppe von Studenten in Komposition. Unter den TeilnehmerInnen befanden sich unter anderem Pierre Boulez und Loriod. Der Erfolg dieser Arbeit bewog den Rektor des Conservatoires Messiaen eine Analyseklasse am Institut zu übertragen. Eigentlich wollte er Messiaen als Kompositionslehrer verpflichten, doch war dieser als Vertreter der Moderne nicht unumstritten und ohnehin hatte das Conservatoire mit Darius Milhaud in diesem Bereich eine mehr als würdige Lehrkraft.

Erst mehr als 20 Jahre später wurde Messiaen als Kompositionslehrer ernannt. Von 1942 bis 1944 schrieb Messiaen sein wohl bekanntestes Lehrbuch „Technique de mon Langage Musical“ das in zwei Bänden erschien. Ein Band beinhaltet Erklärungen und Ausführungen zu den Notenbeispielen, die im anderen Band abgedruckt sind. Diese

Abhandlung gilt als wichtigste, vom Komponisten selbsterstellte Analyse seiner Musik. Neben indischen Ragas (Tonleitern) und seinem rhythmischen Konzept widmete Messiaen vier Kapitel seinen Modi und deren Beziehungen zur Tonalität bzw. Polymodalität. Leider erklärt auch „Technique de mon Language Musical“ die Bausteine Messiaens komplexer musikalischen Sprache nicht besonders detailliert.[23]

Messiaen bildete eine ganze Generation wichtiger Komponisten für die Musik des 20. Jahrhunderts aus. Iannis Xenakis, Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen zählen zu den Bekanntesten. Seine erfolgreiche pädagogische Arbeit begründete Messiaen damit, dass er „(...) die Persönlichkeiten respektiere“.[24] Nie versuchte er seine StudentInnen in sein musikalisches Konzept zu pressen, vielmehr unterstützte er ihr individuelles Entfalten ohne seine eigenen Philosophien verkaufen zu wollen. Auf die Frage, wie er zu seinen revolutionären, den offenen Konflikt nicht scheuenden Schülern wie Boulez steht, antwortete er: „Ich liebe sie alle, mögen sie zart, sanft, wütend, revolutionär oder friedlich sein!“[25]

Vor allem die Rhythmik besaß in Messiaens Kursen hohen Stellenwert. Rhythmische Gleichförmigkeit empfand er als unnatürlich, auch der „gewöhnliche Schritt des Menschen sei unregelmäßig“. Selbst den Jazz bezeichnete er als unryhthmisch:

„Durch das Spiel der Synkopen enthält er auch Rhythmen, aber diese Synkopen existieren nur, weil sie auf regelmäßige Werte aufgesetzt sind, denen sie widersprechen.“[26]

1949 wurde er zum ersten Mal als Dozent nach Darmstadt in Deutschland eingeladen. Die „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ in Darmstadt gelten noch heute als wichtigstes Forum für zeitgenössische Musik seit der Nachkriegszeit und Messiaen und seine Schüler hatten beziehungsweise haben großen Anteil am Erfolg dieser Veranstaltung. Während einem dieser Aufenthalte komponierte Messiaen im Sommer 1949 ein eigentlich als Etüde benanntes Werk, das großen Einfluss auf die gesamte Musikentwicklung hatte.

Die berühmte „étude de rythme“ mit dem Titel „Mode de valeurs et d´intensités“[27] zeigte sich als Wegbereiter des Serialismus. Dieses Konzept wurde vor allem von Stockhausen unmittelbar aufgegriffen. Die „Mode de valeurs et d´intensités“ basieren auf allen zwölf Tönen, deren Reihenfolge frei wählbar ist. Das System ist aus Arnold Schönbergs Zwöftontechnik bekannt. Messiaen fügte zwölf Tondauern, zwölf Anschlagsarten und sieben Intensitäten hinzu.[28] Diese komplexen Differenzierungen können nur schwer von Menschenhand ausgeführt werden, erst mit Hilfe der elektronischen Musik kann eine absolut genaue Aufführung gelingen. So lehnte der gefühlsbetonte Messiaen später seinen Ausflug in den Dodekaphonismus und Serialismus entschieden ab und verwies auf seine, der Romantik verpflichteten Ästhetik.[29]

Dennoch schritten neben Karlheinz Stockhausen unter anderem auch Pierre Boulez oder Luigi Nono durch diese, von Messiaen geöffnete Tür und entwickelten die serielle Musik weiter.

2.7 ERFOLGE IN DER GANZEN WELT

Obwohl Messiaen keine Ambitionen zum Startum hatte, berichtete er gerne und mit natürlichem Stolz von seinen Erfolgen. Gerne erzählte er, dass wichtige Prominenz und offizielle Persönlichkeiten aus allen Sparten zu seinen Konzerten gekommen waren und wie sehr das Publikum von seinen Werken angetan war. Er vergaß aber nie, die mitwirkenden KünstlerInnen aufzuzählen und deren Leistungen zu honorieren. Bei öffentlichen Auftritten und auch privat trug er im Knopfloch seiner Jacke den einen oder anderen Orden, den er im Verlauf der Jahre erhalten hatte.[30]

Von 1946 bis 1948 arbeitete Messiaen an seiner bedeutenden „Turangalila-Symphonie“, die den Tristan-Themenkreis behandelt. Sie ist ein Auftragswerk für das Boston Symphony Orchestra, welches aus 10 Sätzen besteht und nicht allen Kriterien einer „klassischen“ Symphonie entspricht, da die Verarbeitung der Themen in einer Durchführung fehlt.

Messiaen erläuterte die Liebe als Leitidee des Werkes:[31]

„Dieses Werk ist ein Liebesgesang. Ich halte es nicht für notwendig, weitere Erklärungen abzugeben (...)“[32]

Mit Ende des Krieges begann Messiaen auch seine umfangreiche Reisetätigkeit. Viele Konzerte dirigierte er selbst und soweit es ihm möglich war, versuchte er den Aufführungen seiner Werke im Auditorium beizuwohnen. Auf den Reisen intensivierte Messiaen seine Vogelstimmenforschung. Mit einem portablen Aufnahmegerät nahm er die Gesänge auf, um sie später zu analysieren und zu transkribieren. Er konnte über 700 Vögel an deren Lauten unterscheiden und dieses Wissen ließ er vor allem in den fünfziger Jahren in seine Musik einfließen. In dieser Zeitspanne entstand auch der „Catalogue d`oiseaux“, mehrere Stücke für Klavier, die hauptsächlich auf Vogelrufen basieren. Von 1956 bis 1958 arbeitete Messiaen an diesem neuartigen Werk, dass 1959 in Paris uraufgeführt wurde.[33]

Wie bereits erwähnt starb Messiaens erste Frau Claire im Jahre 1959. Drei Jahre später sollte er Yvonne Loriod heiraten. Messiaen kannte Loriod seit Beginn seiner Lehrtätigkeit am Conservatoire. Sie war eine ausgezeichnete Pianistin, war großteils für die Uraufführung seiner Klavierwerke verantwortlich und gilt als wichtigste Interpretin seiner Musik. Loriod war Messiaens ständige Begleiterin und durch das gemeinsame Musikverständnis auch auf künstlerische Ebene eine kompetente Partnerin.

1962 besuchten Messiaen und Loriod im Jahr ihrer Hochzeit zum ersten Mal das ferne Japan, quasi als Hochzeitsreise. Sie zeigten sich von Land und Kultur begeistert:

„Ich muss sagen, dass wir sofort überzeugt waren: Wir träumten nur noch davon, auf einem Tatami zu liegen, Sukiyaki und Tampura zu essen; und Yvonne bereitet mir immer noch von Zeit zu Zeit japanische Mahlzeiten zu, die wir gewissenhaft mit Stäbchen essen.“[34]

In unregelmäßigen Abständen besuchten die beiden immer wieder Japan, um sich von der dortigen Musikkultur inspirieren zu lassen, wie auch von Japans mythischer und religöser Welt. Ergebnis dieser ersten Reise in den Osten war „Sept Haîkaî. Esquisses japonaises“ für die ungewöhnliche Besetzung Klavier, Bläser, acht Violinen, und Schlagzeug.

Die 60er Jahre zeigten eine große Produktivität an erstklassiger Musik mit Uraufführungen von Werken wie „Chronochromie“(1960), „Couleurs de la cité céleste“(1964) oder “Et exspecto resurrectionem mortuorum“(1965).[35]

2.8 1970-1992

Ich erwähnte im ersten Kapitel dieser Biographie wie sehr Messiaen Gefallen an der Gattung Oper fand und dennoch mit „Saint FranVois d´Assise“[36] nur ein einziges Bühnenwerk erschuf. Er wählte den heiligen Franz von Assisi als zentralen Protagonisten und stellte somit einmal mehr ein religiöses Thema in den Mittelpunkt. Musikalisch spielen wieder seine Modi und Vogelgesänge eine tragende Rolle. Ursprünglich wollte Messiaen die Bühnenbilder selbst entwerfen und auch die Regietätigkeit übernehmen.

Dieser Wunsch wurde von der Oper abgelehnt, sein Kommentar und Rat wurde jedoch sehr ernst genommen. Die vorgesehene opulente Besetzung von 90 SängerInnen und einem teilweise doppelt besetzten Orchester konnte finanziell nicht erfüllt werden und musste reduziert werden. Aufgrund der langen Aufführungsdauer und dem großen personellen Aufwand wird diese Oper heutzutage nur sehr selten aufgeführt.[37]

Nach vollendeter Arbeit an „Saint FranVois d´Assise“ verfiel Oliver Messiaen zum ersten Mal in seinem Leben in eine veritable Schaffenskrise.

„Danach fühlte ich mich leer, ich dachte ich hätte alles gesagt und meinte, dass ich zu Komponieren aufhören könnte.“[38]

Nach wenigen Monaten fasste Messiaen neuen Mut und begann an Skizzen für ein neues Werk zu arbeiten, dass er Pierre Boulez widmete. Skeptisch betrachtete er seine neuen Entwürfe und erst ein Jahr später schöpfte er wieder Selbstvertrauen, als ihm während einer Improvisation an der Orgel der Grundriss für „Livre du Saint Sacrement“ einfällt.[39]

[...]


[1] MESSIAEN, 1. Band, S. 61, 1966

[2] vgl. WERNER, S. 1, 1969

[3] vgl. LIVIO, http://plus.maths.org/issue38/features/livio/index.html, 08/2008

[4] vgl. KOTSCHY, http://www.naturton-musik.de/harmonik_5_1_5.html, 08/2008

[5] vgl. YALOM, S. 293, 2005

[6] SCHWEITZER, S. 56, 1982

[7] vgl. RÖßLER, S. 127, 1984

[8] vgl. HIRSBRUNNER, S. 18, 1999

[9] ebd. S. 20

[10] DINGLE, S. 12, 2007

[11] vgl. DINGLE, S. 15, 2007

[12] vgl. HIRSBRUNNER, S. 30, 1999

[13] deutsch.: “Neun Mediationen für Orgel”

[14] vgl. MESSIAEN, Vorwort zu “La Nativite du Seigneur”, 1957

[15] vgl. DINGLE, S. 15, 2007

[16] ebd., S. 16

[17] HIRSBRUNNER, S. 36, 1999

[18] DINGLE, S. 67, 2007

[19] vgl. POPLE, S. 7, 1998

[20] DINGLE, S. 74, 2007

[21] vgl. HIRSBRUNNER, S. 40, 1999

[22] vgl. DINGLE, S. 75, 2007

[23] vgl. MESSIAEN, 1966

[24] HIRSBRUNNER, S. 49, 1999

[25] SAMUEL, S. 198, 1967

[26] ebd., S. 67

[27] vgl. BLUMRÖDER, S. 25, 2004

[28] vgl. HIRSBRUNNER, S. 116, 1999

[29] ebd., S. 152

[30] vgl. HIRSBRUNNER, S. 71/72, 1999

[31] vgl. SCHWEITZER, 1982

[32] GOLÉA, S. 83, 1960

[33] vgl. HIRSBRUNNER, S. 63 – S. 70, 1999

[34] Zitat Messiaen nach HIRSBRUNNER, S. 77, 1999

[35] HIRSBRUNNER, S. 218/219, 1999

[36] Arbeitsbeginn 1975, Urauffühung 1983

[37] vgl. HIRSBRUNNER, S. 192-S. 299, 1999

[38] Zitat Messiaen nach DINGLE, S. 220, 2007

[39] vgl. DINGLE, S. 222, 2007

Ende der Leseprobe aus 82 Seiten

Details

Titel
Messiaens Modi und deren Verwendung in der improvisierten Musik
Hochschule
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
82
Katalognummer
V118925
ISBN (eBook)
9783640221738
ISBN (Buch)
9783640223602
Dateigröße
896 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Messiaens, Modi, Verwendung, Musik
Arbeit zitieren
Mathias Mayrbäurl (Autor:in), 2008, Messiaens Modi und deren Verwendung in der improvisierten Musik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/118925

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