Zumindest in Hinblick auf das deutsche Arbeitskampfrecht lässt sich die
Frage des Aristoteles scheinbar einfach beantworten: Gewerkschaften
dürfen unter definierten Umständen „in Zorn geraten“, d.h. streiken, der
Betriebsrat darf es unter keinen Umständen. Komplexität kommt jedoch
dadurch ins Spiel, dass den Belegschaften jenseits des offiziellen und von
Gewerkschaften getragenen Arbeitskampfes eine ganze Reihe von
Möglichkeiten offen stehen, ihren Unmut auch ohne Verband unmittelbar und
kollektiv zum Ausdruck zu bringen. Soweit ist der einschlägigen Literatur
recht zu geben. Ganz und gar unbefriedigend ist dabei jedoch, dass die
dabei in Betracht kommenden Motive der handelnden Akteure auf
Betriebsratsseite übertrieben verallgemeinert werden und dabei auch
dessen Recht eingeschränkt werden soll, Betriebsversammlungen und
Abteilungsversammlungen abzuhalten. Dieses Recht soll ausgerechnet
dann nicht gelten, wenn die Beschäftigten Informationen am dringendsten
benötigen – im Zusammenhang mit betrieblichen Umwälzungen.
Insbesondere die Literaturmeinungen zu entsprechenden Ereignissen bei
DaimlerChrysler und Opel verdeutlichen dies. Besonders unverdrossen tut
sich hier Rieble hervor, welcher sich zu der Vorstellung versteigt, es handele
sich um „Aufstände“, welchen mit Mitteln des Strafrechts und durch
Staatsanwälte zu begegnen sei. Der vorliegende Aufsatz wird deshalb eine differenziertere
Betrachtungsweise herausarbeiten. Dabei wird zu zeigen sein, dass die
kritische Fraktion der einschlägigen Literatur in multipler Weise die
Prämissen verkennt, welche für eine sachgerechte Betrachtung zu Grunde
zu legen sind. Dies führt konsequenterweise zu Schlussfolgerungen, die
auch und zuallererst in juristischer Hinsicht fehlerbehaftet sind. Zusätzlich
lassen sie jedoch auch ein oberflächliches Verständnis ökonomischer und
soziologischer Zusammenhänge in modernen Betrieben erkennen.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Die Rechtsstellung des Betriebsrates im deutschen System der Mitbestimmung
- a.) Das Arbeitskampfrecht der BRD
- b.) Das Arbeitskampfrecht der Europäischen Sozialcharta
- III. Die Durchführung von Abteilungs- und Betriebsversammlungen nach § 43 BetrVG in besonderen Situationen
- a.) Eine Umgehung des Arbeitskampfrechts?
- b.) Besondere Situationen erfordern besondere Informationsrechte
- IV. Garantierte Informationsrechte durch die europäische Sozialcharta
- a.) Die Auslegung der Art. 21 und 29 ESC – grammatische Auslegung
- b.) Systematische Auslegung
- c.) Teleologische Auslegung
- V. Die Reaktion des Managements - eine Erklärung
- VI. Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Aufsatz befasst sich mit der Frage, ob Betriebsräte durch die Durchführung von Abteilungs- und Betriebsversammlungen nach § 43 BetrVG das Arbeitskampfrecht umgehen. Dabei wird die Rechtsstellung des Betriebsrates im deutschen System der Mitbestimmung beleuchtet und insbesondere die Informationsrechte des Betriebsrates im Zusammenhang mit betrieblichen Umwälzungen untersucht. Der Fokus liegt auf der Analyse der europäischen Sozialcharta und deren Auslegung im Hinblick auf die Informationsrechte von Arbeitnehmern.
- Rechtsstellung des Betriebsrates in Deutschland
- Arbeitskampfrecht in Deutschland und der Europäischen Sozialcharta
- Informationsrechte des Betriebsrates im Zusammenhang mit betrieblichen Umwälzungen
- Auslegung der Europäischen Sozialcharta
- Reaktion des Managements auf Informationsrechte des Betriebsrates
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die Problematik der Informationsrechte des Betriebsrates im Kontext von betrieblichen Umwälzungen und kritisiert die verallgemeinernde Sichtweise der Literatur, die dem Betriebsrat eine Umgehung des Arbeitskampfrechts unterstellt.
Kapitel II analysiert die Rechtsstellung des Betriebsrates im deutschen System der Mitbestimmung und verdeutlicht den dualistischen Charakter der deutschen Mitbestimmungskultur. Es werden die Unterschiede zwischen dem Arbeitskampfrecht der BRD und der Europäischen Sozialcharta aufgezeigt.
Kapitel III beleuchtet die Durchführung von Abteilungs- und Betriebsversammlungen nach § 43 BetrVG in besonderen Situationen. Es wird die Frage diskutiert, ob diese Versammlungen eine Umgehung des Arbeitskampfrechts darstellen und welche besonderen Informationsrechte in solchen Situationen gelten.
Kapitel IV untersucht die garantierten Informationsrechte durch die europäische Sozialcharta. Es werden verschiedene Auslegungsmethoden der Art. 21 und 29 ESC angewandt, um die Reichweite dieser Informationsrechte zu ermitteln.
Kapitel V analysiert die Reaktion des Managements auf die Informationsrechte des Betriebsrates.
Schlüsselwörter
Betriebsrat, Mitbestimmung, Arbeitskampfrecht, Europäische Sozialcharta, Informationsrechte, Betriebsversammlung, Abteilungsversammlung, betriebliche Umwälzungen, Streik, Aussperrung, deutsche Mitbestimmungskultur.
- Arbeit zitieren
- Sarah von Leiden (Autor:in), 2008, Informationsveranstaltungen i.S.d. Betriebsverfassung und die Europäische Sozialcharta, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119023