Der Komplex "Schluss mit dem Schuldbekenntnis". Die Verschiebung des Sagbaren im erinnerungspolitischen Diskurs durch die "Neuen Rechten"


Hausarbeit, 2020

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Fragestellung

2. Begriffsklärung
2.1 Fake News oder alternative Fakten
2.2 Verschwörungserzählungen

3. Wer ist anfällig für Fake News
3.1 Die häufige Annahme von >Paranoia<
3.2 Warum Menschen in diesen Strukturen bleiben

4. Die Verbreitung von Verschwörungserzählungen
4.1 Facebook als Tagebuch und persönlich Zeitung
4.2 Das Prinzip der Stammestrommel

5. Die Verbreitung von Fake Fakts als Selbstzweck
5.1 Fake News als Geschäftsmodell
5.2 Misinformation als politisches Mittel

6. Fazit

7. Bibliographie

1. Einleitung

Moderne soziale Bewegungen sind eng mit sozialen Netzwerken verknüpft. Pegida, Querdenken, #MeToo oder Fridays for Future funktionieren durch und mit sozialen Pla formen.

Die unmittelbare Vernetzung und vermeintliche Nähe zueinander verbindet die Mitstreiter in ihren Bestrebungen und lässt Anführer dieser Bewegungen unmittelbar mit ihren Anhängern kommunizieren.

Zeitgleich ist ein weiteres Phänomen in den Fokus von Medienwissenschaftlern und Soziologen gerückt. Die Verbreitung von Falschmeldungen über soziale Netzwerke. Diese Falschmeldungen sind eng mit sozialen Bewegungen verknüpft und zahlreiche dieser Bewegungen beruhen auf und speisen sich aus Falschmeldungen und daraus resultierenden oder sie hervorrufenden Verschwörungserzählungen. Desinformationskampagnen sind keine neue Erfindung, wenn es darum geht Menschen für oder gegen eine Sache einzunehmen, doch durch die Verbreitung über soziale Netzwerke hat es hier eine neue Qualität und Quantität erreicht.

Im Kontext des Seminars haben wir verschiedene soziale Bewegungen und ihre Präsenz auf sozialen Netzwerken untersucht. Auffällig ist, dass dort verbreitete Behauptungen in den einzelnen Onlinecommunitys schnell Gehör finden und auch durch eindeutige Gegenbeweise nicht in der Weiterverbreitung aufgehalten werden können. Diese Gruppen werden auch als Blasen oder Bubbles bezeichnet, da sie sich klar nach Außen abgrenzen und hauptsächlich Inhalte konsumieren, die innerhalb ihrer Bubble l i e ge n .

1.1 Fragestellung

In dieser Hausarbeit möchte ich mich mit der Frage beschäftigen, ob und wenn ja wie sich auch nachweislich falsche Aussagen über soziale Netzwerke in diesen Bewegungen schneller verbreiten. Daraus ergeben sich weiterführend Fragen zu der Struktur von sozialen Netzwerken, den Dynamiken in sozialen Bewegungen und natürlich, inwieweit sich diese gegenseitig verstärken. Gleichzeitig möchte ich untersuchen, ob es Pla^ormen gibt, die die Verbreitung von Falschmeldung und Verschwörungserzählungen weniger einschränken als andere und ob es bestimmte Präpositionen gibt, die Menschen anfälliger macht, diese Falschmeldungen zu glauben. Letztendlich stellt sich außerdem die Frage, mit welchem Zweck Falschmeldungen veröffentlicht und verbreitet werden.

2. Begriffsklärung

2.1 Fake News oder alternative Fakten

Seit 2016 wurden die Bezeichnungen Fake News, also Falschmeldungen, und alternative Facts zu Kampfoegriffen. Pressekonferenzen, bei denen der damalige US-Präsident Trump seine politischen Gegner oder Medienvertreter als Fake oder Fake News beschimpfte, sind eindrücklich in Erinnerung geblieben. Die damalige Sprecherin des Weißen Hauses, Kellyanne Conway, etablierte den zweiten Begriff. In einem Interview mit dem Fernsehsender NBC sagte sie »He [former press secretary Sean Spicer] gave you alternative Facts.«1

Also Alternativen zu den Tatsachen, nach denen die Reporter Sean Spicer fragten. Seine Antworten waren laut Conway keine Lügen, sondern schlicht eine andere Möglichkeit die Wahrheit zu betrachten.

Inzwischen werden diese Bezeichnungen sowohl für Falschmeldungen genutzt, aber auch um Meldungen, die nicht in die eigene Meinungsblase passen, zu diskreditieren.

Falschmeldungen können unbewusst, z.B. durch nachlässige Recherche oder ganz bewusst und mit einer bestimmten Zielrichtung veröffentlicht werden. Dieses Phänomen ist bereits in der Flüchtlingskrise 2015 in Deutschland aufgetaucht, aber auch international haben sie große, politische Entscheidungen, wie den Brexit, mitbeeinflusst. Während der Coronapandemie erleben wir wieder den Einfluss von Falschmeldungen, die sich über Netzwerke wie Telegram und Facebook verbreiten.

2.2 Verschwörungserzählungen

Der gängige Begriff Verschwörungstheorie, der häufig benutzt wird, um mehrfach widerlegte Erzählungen größer Verschwörungen zu benennen, ist in den letzten Jahren immer wieder kritisiert worden, da es sich dabei eben nicht um Theorien im wissenschaftlichen Sinne handelt. Denn im Gegensatz zu wissenschaftlichen Theorien zeichnet sich die Verschwörungstheorie dadurch aus, dass sie sich der Nachprüfoarkeit entzieht. Diese Narrative erzeugen geschlossene Weltbilder, wohingegen wissenschaftliches Wissen einer ständigen Falsifizierbarkeit unterliegt.

Um eine klare Abgrenzung zu schaffen, werde ich in diesem Text den Begriff Verschwörungserzählungen nutzen.

Verschwörungserzählungen sind die Annahme, dass eine als mächtig betrachtete Gruppe wichtige Ereignisse der Welt beeinflusst und/oder steuert. Ihr Ziel ist dabei entweder sich selbst zu bereichern oder der gemeinen Bevölkerung zu schaden. Ein weiterer zentraler Punkt ist, dass dabei versucht wird, diese Machenschaften zu verschleiern. Der Glauben, dass nur eine kleine, auserwählte Gruppe diese Verschwörung durchschaut hat, zieht sich ebenfalls durch die gängigen Verschwörungserzählungen und schafft eine klare Abgrenzung zu der Mehrheit der Gesellschaft, die auf die vermeintliche Verschwörunghereinfällt.

3. Wer ist anfällig für Fake News

Die Untersuchungen zur Anfälligkeit für Falschnachrichten sind vielfältig und gehen in unterschiedliche Richtungen. In den nachfolgenden Abschnitten bin ich auf einige gängige Annahmen in Bezug auf Menschen eingegangen, die Verschwörungserzählungen anhängen und sich in den entsprechenden Gruppen und sozialen Bewegungen organisieren.

3.1 Die häufige Annahme von >Paranoia<

Ein häufig verwendeter Begriff ist der, der Paranoia. In diesem Kontext wurde er zuerst von dem US-amerikanischen HistorikerRichard Hofstadter 1964 genutzt. In sei nem Essay The Paranoid Style in American Politics beschrieb er damit einen politischen Persönlichkeitstypus, der durch Übertreibungen, Emotionalität, haltlose Verdächtigungen und Verschwörungserzählungen auffiel. 2016 wurde diese These durch die Wahl von Donald J. Trump zum US-amerikanischen Präsidenten wieder bekannt.

Das Bild des verwirrten, psychisch labilen Verschwörungsanhängers ist zwar populär, aber laut Prof. Dr. Roland Imhof, Professor für Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Mainz, nicht richtig. In dem Onlinemagazin PsyPost wird er zitiert mit:

»I have been studying conspiracy mentality for almost ten years now and although there is fantastic scholarly work out there, something bugged me about the way conspiracy scholars talk about conspiracy >believers<. Too often, there is a slight pathologizing tone and a certain arrogance towards the >crazy< conspiracy believers«2

Arroganz ist sicherlich kein gutes Mittel, um sich der Frage zu nähern, warum manche Menschen eher dazu neigen, Verschwörungserzählungen Glauben zu schenken. Tatsächlich gibt es inzwischen verschiedene Untersuchungen, um sich dem psychologischen Hintergrund von des Verschwörungsglauben anzunähern. Der US-amerikanische Soziologe Ted Goertzel stellte 1994 eine vielbeachtete These auf: Dem Glauben an eine Verschwörungserzählung geht eine grundlegende Mentalität voraus. Dies bedeutet auch, dass Menschen selten nur an eine einzige Verschwörungserzählung glauben. Wer grundlegend davon ausgeht, dass eine echte Wahrheit gibt, die verschwiegen wird, der ist anfällig dafür an mehrere Verschwörungserzählungen zu glauben, auch wenn sie sich rein logisch gegenseitig ausschließen sollten. Die inhärente Logik dahinter ist, dass man zu wissen glaubt, die offizielle Erklärung für ein Ereignis sei falsch, auch wenn man sich über den tatsächlichen Hergang nicht sicher sein könne. Zudem stellte er in seiner Befragung auch fest, dass Menschen, die persönliche Sorgen und wenig Vertrauen in ihre Mitmenschen hatten, eher an Verschwörungserzählungen glaubten.3

Beachtenswert ist auch ein Forschungsartikel von Prof. Dr. Jan-Willem van Prooijen mit dem Titel Why Education Predicts Decreased Belief in Conspiracy Theories. Darin wird die Frage erörtert, inwiefern die Bildung eines Menschen die Anfälligkeit für Verschwörungserzählungen beeinflusst. In der Einleitung des Artikels steht:

»»People with high education are less likely than people with low education to believe in conspiracy theories. It is yet unclear why these effects occur, however, as education predicts a range of cognitive, emotional, and social outcomes.«4

Es ist also ein Einfluss nachweisbar, aber wie genau er wirkt, ist bisher allerdings unklar, da Bildung mit einer Vielzahl an anderen soziodemografischen Faktoren einhergeht.

3.2 Warum Menschen in diesen Strukturen bleiben

Zu einem häufigen Narrativ innerhalb der Verschwörungserzählung um das Sars-Cov-2 Virus, gehört, dass die Impfungen, vor allem die mRNA Impfungen, schädlich oder sogar tödlich sein sollen. Prominente Vertreter dieser Erzählung haben in den letzten Monaten bereits mehrere Termine für ein bevorstehendes Massensterben der geimpften Menschen vorhergesagt, das natürlich nicht eingetreten ist. Trotz dieser nachweislich falschen Vorhersagen bleibt eine deutliche Abkehr von diesen Erzählungen aus. Woran das liegen könnte, beschreiben Pia Lamberty und Katharina Nocun in ihrem Buch Fake Facts - Wie Verschwörungstheorien unser Leben bestimmen.

Sie beschreiben eine Untersuchung des Sozialpsychologen Leon Festinger, der einige Mitarbeiter in eine Gruppe von Menschen einschleuste, die glaubten sie würden von Außerirdischen vor einer drohenden Sintflut gerettet. Obwohl es nie dazu kam, blieben einige Anhänger auch nach dem Verstreichen der angekündigten Termine in der Gruppe. Laut Lamberty und Nocun ist das vor allem davon abhängig, ob es neben der Bubble noch weitere Kontakte gibt und von welcher Qualität diese sind.5

»Von zentraler Bedeutung ist außerdem die Frage, ob eine Person bereits viel in den jeweiligen Glauben investiert hat. Die Schilderungen der Gespräche in der UFO-Sekte am schicksalhaften Abend verdeutlichen, unter welchem immensen Druck einige Anhänger standen. Eine Frau brach in Tränen aus. Sie und ihr Sohn hatten ihre Jobs im Glauben an die nahende Katastrophe aufgegeben [...] Andere hatten sich durch ihre Missonierungstätigkeit im privaten und beruflichen Umfeld zum Gespött der Leute gemacht.«6

[...]


1 Kellyanne Conway: Press Secretary Sean Spicer Gave 'Alternative Facts' | Meet The Press | NBC New, NBC, 1:54 Min. https://youtu.be/VSrEEDQgFc8?t=114

2 Dolan, Eric W.: Study: Conspiracy theorists are not necessarily paranoid. PsyPost.

https://www.psypost.org/2018/05/study-conspiracy-theorists-not-necessarily-paranoid-51216

3 Goertzel, Ted: Belief in Conspiracy Theories. Political Psychology, Vol. 15, No. 4, [International Society of Political Psychology, Wiley], 1994, S. 731.

4 van Prooijen, Jan-Willem: Why Education Predicts Decreased Belief in Conspiracy Theories. Applied Cognitive Psychology 31 (1), S. 50.

5 Vgl. Nocun, Katharina & Lamberty, Pia: Fake Facts-wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Bastei Lübbe, Köln, 2020S.46ff

6 Ebd. S. 51

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Komplex "Schluss mit dem Schuldbekenntnis". Die Verschiebung des Sagbaren im erinnerungspolitischen Diskurs durch die "Neuen Rechten"
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Veranstaltung
Aktuelle Entwicklungen des Antisemitismus in Politik, Religion und Medien
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
19
Katalognummer
V1190637
ISBN (eBook)
9783346633149
ISBN (Buch)
9783346633156
Sprache
Deutsch
Schlagworte
komplex, schluss, schuldbekenntnis, verschiebung, sagbaren, diskurs, neuen, rechten
Arbeit zitieren
Leon Maack (Autor:in), 2020, Der Komplex "Schluss mit dem Schuldbekenntnis". Die Verschiebung des Sagbaren im erinnerungspolitischen Diskurs durch die "Neuen Rechten", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1190637

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