Commercial Off-The-Shelf Games im Schulunterricht. Lernen und Förderung von Kompetenzen mit Unterhaltungsspielen


Bachelorarbeit, 2022

93 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Erkenntnisinteresse
1.3 Aufbau der Arbeit

2 Digitale Medien im Schulunterricht
2.1 Definition „digitale Medien“
2.2 Digitalisierung in der Schule
2.3 Medienkompetenz

3 Spielerisches Lernen mit digitalen Medien
3.1 Die Geschichte des Spiels und dessen Bedeutung für die Bildung
3.2 Nutzung von Computerspielen in der Gesellschaft
3.3 Game-Based Learning
3.3.1 Definition
3.3.2 Motivationsaspekt
3.3.3 Flow-Erlebnis

4 Serious Games und Commercial Off-The-Shelf Games im Vergleich
4.1 Serious Games
4.1.1 Definition
4.1.2 Anwendungsbereich und Zielsetzung
4.1.3 Eigenschaften eines Serious Games
4.1.4 Serious Games im Schulunterricht
4.2 Commercial Off-The-Shelf Games
4.2.1 Definition
4.2.2 Anwendungsbereich und Zielsetzung
4.2.3 Eigenschaften eines Commercial Off-The-Shelf Games
4.2.4 Commercial Off-The-Shelf Games im Schulunterricht: Voraussetzungen und Rahmenbedingungen
4.3 Bewertung: Serious Games und Commercial Off-The-Shelf Games im Vergleich

5 Fallstudie
5.1 Vorgehensweise
5.2 Minecraft
5.2.1 Minecraft als Unterhaltungsspiel
5.2.2 Minecraft: Education Edition
5.3 Vergleich mit Anforderungen an Serious Games
5.4 Vergleich mit Kernlehrplan der Sekundarstufe I
5.5 Bewertung des Spiels Minecraft: Education Edition

6 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Einleitend in das Thema der vorliegenden Forschungsarbeit wird zunächst die Problemstellung beschrieben und ein Bezug zur bildungswissenschaftlichen Forschung hergestellt. Daran anschließend wird die Zielsetzung und das Erkenntnisinteresse dargelegt sowie die forschungsleitenden Fragen vorgestellt. Abschließend erfolgt ein kurzer Überblick über den Aufbau der Arbeit.

1.1 Problemstellung

Für die Hälfte der deutschen Bevölkerung sind Computerspiele ein fester Bestandteil der täglichen Mediennutzung. Sie nehmen Einfluss auf verschiedene Bereiche unseres Lebens und lassen sich als wichtiges digitales Medium der heutigen Gesellschaft und digitaler Kultur identifizieren (Freyermuth, 2015, S. 11; game – Verband der deutschen Games-Branche e.V., 2021a; Bopp, 2009, S. 3). Ihre vielfältigen sowie adaptiven und interaktiven Darstellungsmöglichkeiten machen sie für jede Altersklasse und Bildungsschicht interessant und können sowohl unterhaltend, motivierend als auch lernförderlich auf Spieler*innen wirken (Castendyk et al., 2021, S. 16). Das Zusammenspiel von Unterhaltung, Lernen und Motivation führt zu positiven Lerneffekten bei Spielenden und stellt für die Bildungslandschaft ein entsprechend großes Potenzial dar, Wissen abwechslungsreicher und zielführender zu vermitteln (Le & Weber, 2011, S. 222). Das Konzept des Game-Based Learnings greift das Potenzial des spielenden Lernens auf und ist in der Bildung insbesondere in Form von Serious Games vertreten. Hierbei handelt es sich um digitale Lernspiele, die explizit für die Vermittlung von Fähigkeiten und Wissen entwickelt werden und den Unterhaltungsaspekt des Computerspielens zugunsten des Bildungsaspekts zurückstellen (Alvarez, 2008, S. 14; Bopp, 2009, S. 2f). Durch diese Intention grenzen sie sich bewusst von unterhaltungsorientierten Computerspielen (Commercial Off-The-Shelf Games, abgekürzt COTS Games) ab und bilden einen eigenständigen Bereich. Es stellt sich die Frage, weshalb COTS Games, die ebenfalls positive Lerneffekte erzeugen können, nicht für eine nähere Betrachtung für den Einsatz in der Bildung herangezogen werden, sondern vorzugsweise Serious Games gewählt werden, die in ihrer Darstellung und Umsetzung hinsichtlich der Grafik, des Gamedesigns und Spielmechaniken den COTS Games oftmals unterlegen sind (Petko, 2008, S. 10; Charsky & Mims, 2008, S. 40).

1.2 Zielsetzung und Erkenntnisinteresse

Das Ziel dieser Arbeit ist zu prüfen, ob Commercial Off-The-Shelf Games für den Einsatz in der deutschen Schulbildung geeignet sind. Dazu werden Stärken und Schwächen der kommerziellen Unterhaltungsspiele in Bezug auf das Lernen und die Entwicklung von Kompetenzen im Schulunterricht der Sekundarstufe I mithilfe einer theoretischen Fundierung sowie einer Fallstudie analysiert und bewertet. Der Fallstudie liegt der Forschungsgegenstand Minecraft: Education Edition als Beispiel für unterhaltungsorientierte Spiele zugrunde und wurde gewählt, da dieses nach einer ersten Recherche als sinnvoll für die Untersuchung im Bildungsbereich erscheint. Anschließend an die Analyse der Stärken und Schwächen wird untersucht, ob Commercial Off-The-Shelf Games das Potenzial besitzen, Serious Games in der Bildung zu ersetzen. Hierzu werden die beiden Spieltypen untersucht und miteinander in Vergleich gesetzt.

Die forschungsleitende Fragestellung lautet: Welche Chancen und Grenzen besitzen Commercial Off-The-Shelf Games für den Einsatz im Schulkontext?

Die untergeordnete Fragestellung lautet: Inwiefern besitzen Commercial Off-The-Shelf Games das Potenzial, Serious Games in der Schulbildung zu ersetzen?

1.3 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit ist in fünf Themenabschnitte gegliedert. Der Schwerpunkt des ersten Teils liegt bei den digitalen Medien und deren Bedeutung für den Schulunterricht. Der nachfolgende Teil beleuchtet die Entwicklung der Nutzung von Computerspielen in der Gesellschaft sowie die Potenziale des spielerischen Lernens, welches durch die wachsende Beliebtheit von Computerspielen immer präsenter wird. Daran anschließend widmet sich der dritte Teil dem Vergleich von Serious Games und Commercial Off-The-Shelf Games bezüglich ihrer Anwendungsbereiche, Eigenschaften und ihrem Einsatz im Schulunterricht. Dieser Vergleich ermöglicht eine erste Beurteilung hinsichtlich der gesetzten Fragestellungen. Der vierte Teil ist eine Fallstudie, deren Ziel es ist, herauszufinden, ob das Computerspiel Minecraft: Education Edition den Ansprüchen eines Serious Games sowie den Anforderungen des Kernlehrplans für das Fach Englisch für die Sekundarstufe I gerecht wird und somit für den Einsatz im Schulunterricht geeignet ist. Mithilfe der Fallstudie werden die forschungsleitenden sowie untergeordneten Fragestellungen noch einmal betrachtet und beantwortet sowie ein abschließendes Fazit zum generellen Einsatz von Commercial Off-The-Shelf Games im Schulunterricht formuliert.

2 Digitale Medien im Schulunterricht

Für die Untersuchung der dargestellten Problemstellung ist es essenziell, grundlegende Begriffe der digitalen Welt sowie deren Relevanz für den Bildungsbereich Schule darzulegen. Entsprechend werden in den folgenden Kapiteln die digitalen Medien näher betrachtet und analysiert, welchen Stellenwert sie in deutschen Schulen für die Vermittlung von Kompetenzen und Wissen einnehmen. Daran anschließend wird der Begriff der Medienkompetenz definiert und dargelegt, weshalb dieser für den Einsatz digitaler Medien maßgeblich ist.

2.1 Definition „digitale Medien“

Wenn von „Medien“ gesprochen wird, liegt eine gewisse Unschärfe des Begriffs vor. Dies ist einerseits mit dem Tempo der heutigen Medienentwicklung als auch mit der Vielzahl an wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Medien beschäftigen, zu begründen und erlaubt es nicht, eine allseits akzeptierte Definition festzulegen (Petko, 2014, S. 13; Brandhofer et al., 2018, S. 311). Für die Medienpädagogik ist entsprechend eine Arbeitsdefinition zu fassen, die wie folgt lautet: Medien sind sowohl kognitive als auch kommunikative Mittler, die zusammenhängende zeichenhafte Informationen verarbeiten, speichern, übermitteln und in bildhafter oder symbolischer Form wiedergeben können (Petko, 2014, S. 13; Herzig & Grafe, 2007, S. 11).Unter dieser Definition sind sowohl traditionelle als auch digitale Medienformate zu fassen, die sowohl mit als auch ohne technische Hilfsmittel kommunizieren können (Herzig & Grafe, 2007, S. 11). Für die vorliegende Arbeit ist es von besonderem Interesse, herauszustellen, welche Bedeutung dem Begriff „digital“ dabei zukommt.

Traditionelle Medientheorien wie u.a. das Grundmodell der Medienkommunikation von Shannon und Weaver aus den 1940er Jahren gehen davon aus, dass Medien der Kommunikation zwischen einem Sender und einem oder mehreren Empfänger dienen (Petko, 2014, S. 14). Bei den Medien liegt also nur ein Weg der Informationsvermittlung vor, der keine Reaktion des Empfängers ermöglicht und somit eine fehlende Interaktivität vorweist (Poqué & Albrecht, 2021). Beispielhaft sind hier die unterstützenden technischen Medien wie u.a. das Radio, Fernsehen oder Bücher zu nennen.

Digitale Medien stellen zum Teil eine Erweiterung der traditionellen Medienangebote aber auch ein gänzlich neues Medienformat dar. Dies lässt sich an den verschiedenen Ansichten und Blickwinkeln auf neue bzw. digitale Medien erkennen, die sich in der Fachliteratur herausgebildet haben (Eichenberg & Auersperg, 2018; Petko, 2014; Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001; Zorn, 2011). Der Begriff der Digitalisierung gibt einen ersten Anhaltspunkt, digitale Medien näher zu beschreiben und von traditionellen Medienformaten abzugrenzen. Digitalisierung findet in zwei Interpretationen Anwendung: zum einen steht sie für die gesellschaftlich-strukturelle Veränderung auf der Basis des technischen Fortschritts und zum anderen für die Umwandlung von analog gespeicherten Informationen zu digitalen Speicherungen (Dander, 2020, S. 20f; Ladel et al., 2018, S. VII). Ein Beispiel für Letzteres ist ein Buch, das eingescannt wird und anschließend auf einem Tablet als PDF-Datei zur Verfügung steht. Es ist nun digital verfügbar, aber stellt vorerst nur eine Erweiterung des traditionellen Medienformats des Buches dar. Zorn (2011), Reinmann-Rothmeier und Mandl (2001) sowie Petko (2014) weisen auf die besonderen technischen Merkmale hin wie Hardware, Software, Daten und Netzwerke, die die Grundbausteine digitaler Medien bilden, und machen damit den neuen Ansatz digitaler Medien sowie den Unterschied zu traditionellen Medien deutlich (Zorn, 2011, S. 179; Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001, S. 76; Petko, 2014, S. 16). Denn mithilfe der genannten Eigenschaften verfügen digitale Medien über die Möglichkeit der Speicherung, Verarbeitung sowie Weiter- und Wiedergabe von Informationen und zeichnen digitale Medien mit Multimedialität, Interaktivität, Adaptivität, Kommunikation und Kooperation aus (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001, S. 76).

2.2 Digitalisierung in der Schule

Schon seit den 1960er Jahren findet eine Auseinandersetzung über den Einsatz digitaler Medien und dessen Möglichkeiten sowie Risiken für den schulischen Bildungsbereich statt. Besonders die Frage nach den Potenzialen der neuen Techniken im Unterricht, aber auch die Sorge um eine mögliche Verschlechterung der menschlichen Beziehung und des sozialen Kontakts standen dabei im Fokus und erschwerten die Implementierung digitaler Medien in den Schulalltag (Heinen & Kerres, 2017, S. 129). Mit der Einführung des Computers Anfang der 1980er Jahre entstand auf Basis eines bildungspolitischen Konsens, der darauf verwies, dass Schulen sich der wachsenden Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien stellen müssen, die Forderung nach einem eigenständigen Fach mit passenden informatischen Inhalten (Eickelmann, 2018, S. 11). Ende der 1980er kam es schließlich auch zur Festlegung einer informationstechnischen Grundbildung für die Sekundarstufe I, mit dem Ziel Grundlagenwissen zu Informationstechnologien zu vermitteln, um eine kompetente und verantwortungsbewusste Nutzung dieser zu gewährleisten, jedoch scheiterte die Implementierung aufgrund der weiterhin mangelnden pädagogischen Akzeptanz der breiten Masse (Eickelmann, 2018, S. 12). Erst die Initiative „Schule ans Netz“ Mitte der 1990er Jahre brachte den entscheidenden Erfolg. Sie ermöglichte Schulen den Zugang zum Internet und ebnete damit den Weg, mit neuen Technologien zu lernen und zu arbeiten, sodass mit der Zeit vielzählige Varianten des digitalen Lernens wie u.a. das E-Learning oder mobile Lernen entstehen konnten, die inzwischen fester Bestandteil der medienpädagogischen Arbeit sind (Eickelmann, 2018, S. 12f). Auch die Erwartungen und Befürchtungen der früheren Tage haben sich relativiert und die Möglichkeiten sowie Grenzen digitaler Medien werden unter einem anderen Licht betrachtet (Heinen & Kerres, 2017, S. 129). Grund dafür ist die immer weiter voranschreitende Durchdringung der Digitalisierung unserer Lebens-, Lern- und Arbeitswelt (Bister et al., 2017, S. 1). Digitale Medien sind ein fester Bestandteil unseres Lebens geworden, sodass es für die Bildung unausweichlich ist, diese „als Bildung in einer durch digitale Medien geprägte Welt zu verstehen“ (Heinen & Kerres, 2017, S. 129). Fragen nach dem Kontrast zwischen analog und digital oder ob das Thema Digitalisierung überhaupt in der schulischen Bildung vertreten sein sollte, sind damit weder länger zeitgemäß noch zielführend. Vielmehr steht in der heutigen Zeit die Fragestellung im Raum, wie Schule die Bedürfnisse und Anforderungen einer digitalen Gesellschaft aufgreift und vermittelt (Heinen & Kerres, 2017, S. 129).

Buhl et al. (2021) betrachten in ihrem Werk „Schule in der digitalen Welt“ die heutige Nutzung digitaler Medien im Unterricht genauer und halten auf Grundlage von Klauer und Leutner (2012) vier Varianten der Nutzung digitaler Medien in der Schule fest: Informationssysteme, Übungssysteme, tutorielle Systeme und Simulationssysteme. Das Internet ist das bekannteste Informationssystem und wird in der heutigen Zeit regelmäßig als Suchmaschine und Recherchewerkzeug genutzt. Zu Übungsprogrammen gehören alldiejenigen Lernprogramme, mit denen bereits gelerntes Wissen geübt, wiederholt oder vertieft wird. Tutorielle Systeme hingegen dienen der Aneignung neuen Wissens. Hierzu zählen u.a. Learning- und Content-Management-Systeme, die komplette Lerneinheiten online zum selbstständigen Lernen anbieten. Den Abschluss bilden Simulationssysteme wie Serious Games. Diese dienen sowohl der Einübung bereits gelernten als auch komplett neuen Wissens und werden zumeist in Form von Problemlösungsaufgaben präsentiert, die das eigenständige Handeln einfordern und so das aktive Lernen fördern (Klauer & Leutner, 2012, S. 111ff; Buhl et al., 2021, S. 36ff). Die Nutzungsvarianten digitaler Medien für den Schulunterricht sind entsprechend vielfältig und mit großen Potenzialen bezüglich der Verbesserung von Lernprozessen und -erlebnissen verknüpft (Eickelmann & Drossel, 2020, S. 349). Laut Herzig und Grafe (2007) zählen dazu u.a. eine stärker selbst gesteuerte, motivierte Lernkultur, die Umorientierung von einem lehrerzentrierten zu einem offeneren Unterricht, ein höherer Wissenserwerb sowie ein vertieftes Verständnis der gelernten Inhalte, die anwendungsbezogener eingesetzt werden können und eine geringere Lernzeit (Herzig & Grafe, 2007, S. 13f).

Nachfolgend werden die Ergebnisse der International Computer and Information Literacy Study (abgekürzt ICILS) aus den Jahren 2013 und 2018 herangezogen, um zu prüfen, wie intensiv digitale Medien tatsächlich in deutschen Schulen eingesetzt werden und wie sich der Einsatz in fünf Jahren Entwicklungszeit verwandelt hat. Für die vorliegende Arbeit stehen dabei die Häufigkeit sowie die Art des Einsatzes digitaler Medien im Fokus. Im Hinblick auf die Häufigkeit der Nutzung digitaler Medien stellte die Studie aus dem Jahr 2013 fest, dass nur 34,4% der Lehrpersonen Computer regelmäßig im Unterricht nutzen (Eickelmann et al., 2014, S. 20). Fünf Jahre später ist dieser Wert signifikant höher und liegt nun bei 60,2% der Lehrpersonen (Eickelmann et al., 2019, S. 17). Diese Entwicklung ist vielversprechend für den Einsatz von digitalen Medien in der Bildung, jedoch sollte dabei nicht unerwähnt bleiben, dass Deutschland mit diesem Wert im internationalen Vergleich weiterhin zu den schlechtesten gehört (Eickelmann et al., 2019, S. 17). Bei der Art der eingesetzten digitalen Medien zeigt sich, dass sie am häufigsten zur Präsentation von Informationen im Frontalunterricht genutzt werden (44,1%), nur 14,8% der Lehrpersonen in Deutschland geben an, digitale Medien auch zur individuellen Förderung einzelner Schüler*innen zu nutzen (Eickelmann et al., 2019, S. 18). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass computerbasierte Anwendungen wie Übungs-, Trainings-, Simulations- oder Modellierungsprogramme kaum zum Einsatz kommen (Eickelmann et al., 2014, S. 20).

Gründe hierfür liegen in der mangelnden Ausstattung deutscher Schulen sowie in den fehlenden bis unzureichenden Kenntnissen der Lehrkräfte im Bereich der Medienkompetenz (Herzig & Grafe, 2007, S. 35ff; Grüling, 2021). Bei der IT-Ausstattung liegt das Verhältnis von Schülern zu digitalen Geräten in Deutschland bei 9,7:1 und ist zumeist auch nur in Computerräumen vorhanden anstatt in allen Klassenräumen (Eickelmann et al., 2019, S. 14; DIPF, 2020, S. 240f). Im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA (1,6:1) ist dieses Verhältnis alarmierend schlecht und bedeutet, dass die finanzielle Unterstützung durch den DigitalPakt, der Schulen hinsichtlich ihrer technischen Ausstattung unterstützen soll, (noch) nicht ausreichend greift (Eickelmann et al., 2019, S. 14; Wilmers et al., 2020, S. 59). Im Rahmen der eigenen Lehrerausbildung lernen nur 25,9% der Lehrer*innen selbst mithilfe digitaler Medien (Eickelmann et al., 2019, S. 18). Entsprechend konnten diese auch nur wenige eigene Erfahrungen im Lernprozess mit digitalen Medien sammeln. Im weiteren Verlauf ihrer Karriere entscheiden sich allerdings auch nur wenige Lehrkräfte (31,5%) diesen Mangel an Erfahrung aufzuholen, indem sie bspw. eine Weiterbildung zum Thema „Integration digitaler Medien in Lehr- und Lernprozesse“ besuchen (Eickelmann et al., 2019, S. 18).

Abschließend ist festzuhalten, dass der Prozess der Implementierung digitaler Medien in deutschen Schulen im internationalen Vergleich deutliche Schwächen aufwies und die Ergebnisse bis heute nicht als gänzlich zufriedenstellend bewertet werden können. Dies ist insbesondere auf die unzureichende IT-Ausstattung der Schulen zurückzuführen, die es erschwert, das volle Potenzial digitaler Medien ausschöpfen zu können. Doch auch wenn die Digitalisierung eher schleppend voranschreitet, ist zu vermerken, dass sich das Verhältnis bzw. der Blick auf digitale Medien und deren medienpädagogische Potenziale geändert haben, sodass diese häufiger berücksichtigt und in Unterrichtseinheiten als ergänzendes Mittel zum traditionellen Unterricht eingesetzt werden.

2.3 Medienkompetenz

Mit der Einführung digitaler Medien stand für den schulischen Bildungsbereich schnell fest, dass ein Nachholbedarf bezüglich der medienpädagogischen sowie materiellen Ausstattung bestand (Hugger, 2008, S. 93). Es bedurfte also neben der Anschaffung passender Ausstattung wie Computer auch einer Vermittlung von Grundlagenwissen für Lehrer*innen und Schüler*innen, um digitale Medien gewissenhaft und erfolgsversprechend nutzen zu können (Eickelmann, 2018, S. 12). Als zentrales theoretisches Konzept der Medienpädagogik trat Anfang der 90er die Medienkompetenz in den Vordergrund. Diese setzt sich mit dem Wissen über Medien, der Bedienung von Medien sowie der Beurteilung und Gestaltung von Medien auseinander und stellt damit das erforderliche Wissen dar, um mit digitalen Medien gewissenhaft umgehen zu können (Hugger, 2008, S. 93). Nach Baacke (1996) werden diese Aufgabenbereiche in vier Dimensionen differenziert: 1) die Medienkritik, 2) die Medienkunde, 3) die Mediennutzung sowie 4) die Mediengestaltung (Baacke, 1996, S. 120). Die Medienkritik beschäftigt sich mit drei unterschiedlichen Sichtweisen: Zum einen gibt es die analytische Sicht, die sich mit der angemessenen Erfassung von problematischen gesellschaftlichen Prozessen befasst. Die reflexive Sichtweise fordert, dass der Mensch in der Lage ist, sein Wissen auf sich selbst und sein persönliches Handeln beziehen und anwenden zu können. Das ethische Betroffensein bildet die dritte Unterdimension der Medienkritik und bedeutet, das analytische Denken und den reflexiven Rückbezug als sozialverantwortet abstimmen und definieren zu können. Medienkunde umfasst das Wissen über Medien und ist in zwei Dimensionen unterteilt. Die informative Dimension betrachtet den allgemeinen Wissensbestand zu Medien, während die instrumentell-qualifikatorische Dimension sich mit der Bedienungsfähigkeit des Mediums beschäftigt. Auch die Mediennutzung kann in zwei Dimensionen differenziert werden. Die rezeptiv-anwendende Dimension beruft sich auf die Programm-Nutzungskompetenz und bedeutet, dass u.a. Texte und Filme verarbeitet und rezeptiert werden. Die zweite Dimension bezieht sich auf die interaktive Nutzung der Medienangebote und stellt eine entsprechende Erweiterung der rein rezeptiv-wahrnehmenden Nutzung dar. Die Mediengestaltung stellt den vierten und letzten Bereich der Medienkompetenz dar und ist einerseits als innovativ, im Sinne von Veränderungen und Weiterentwicklungen des Mediensystems, und andererseits als kreativ, im Sinne von ästhetischen Varianten hinsichtlich neuer Gestaltungs- und Thematisierungsdimensionen zu verstehen (Baacke, 1996, S. 120).

Der definierte Begriff der Medienkompetenz nach Baacke ist bis heute vertreten und häufig in Verwendung, wird aber immerzu neu diskutiert, da der Versuch besteht, das Konzept für die verschiedenen Felder der Medienpädagogik weiter zu präzisieren (Hugger, 2008, S. 94; Brandhofer et al.,2018, S. 308). So wandeln u.a. Dewe und Sander (1996) die Dimensionen der Medienkompetenz für die Erwachsenenbildung ab und definieren diesen mit den drei Bereichen Sachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz (Dewe & Sander, 1996). Auch Tulodziecki (1998) konkretisiert Medienkompetenz für den Bereich der schulischen Bildung und hebt die Fähigkeit, sachgerecht, selbstbestimmt sowie kreativ und sozial verantwortlich in Medienzusammenhängen handeln zu können, hervor (Tulodziecki, 1998). Daraus resultieren fünf Aufgabenbereiche, die Schulen zu fallen: Der erste Bereich umfasst das Auswählen und die Nutzung von Medienangeboten unter der Berücksichtigung verschiedener Handlungsalternativen. Als zweites ist das eigene angemessene Gestalten und Verbreiten von Medienbeiträgen zu nennen sowie drittens das Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen. Daran anschließend ist der vierte Bereich des Erkennens und Aufarbeitens von Medieneinflüssen zu nennen sowie fünftens das Durchschauen und Beurteilen von den vorliegenden Bedingungen der Medienproduktion sowie -verbreitung (Hugger, 2008, S. 94).

Anhand der Definition der Medienkompetenz nach Baacke sowie den Ergänzungen bzw. Abänderungen von Tulodziecki ist zu erkennen, dass eine Auseinandersetzung mit den dargestellten Dimensionen für die schulische Bildung inzwischen unausweichlich geworden ist, da digitale Medien alle Lebenswelten der Gesellschaft durchdrungen haben und in Zukunft weiter an Bedeutsamkeit gewinnen werden (Heinen & Kerres, 2017, S. 129). Um gewissenhaft mit ihnen arbeiten zu können, muss Medienkompetenz ein fester Bestandteil der schulischen Bildung sein und in die Gestaltung sowie Umsetzung von Unterricht miteinfließen, um so den erfolgreichen und sinnvollen Einsatz von digitalen Medien gewährleisten zu können (Schwarz et al., 2021, S. 96). Dieser Forderung kamen die Kultusminister auf der Konferenz im Jahr 2016 nach und formulierten neben den Kompetenzen, die Schüler*innen für einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien benötigen, auch Handlungsempfehlungen für die Kompetenzentwicklung der Lehrer*innen hinsichtlich der notwendigen Medienkompetenz für den Schulunterricht (KMK, 2016, S. 24f).

3 Spielerisches Lernen mit digitalen Medien

Nachdem digitale Medien in ihren Grundzügen dargestellt und ein erster Eindruck zum Einsatz dieser in deutschen Schulen ermöglicht wurde, gehen die folgenden Kapitel auf das Potenzial des spielenden Lernens mit digitalen Medien ein. Dazu wird zunächst die Geschichte des Spiels genauer betrachtet und herausgestellt, welche Bedeutung das Spielen für die Bildung einnimmt. Mit dem Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf die COTS Games wird anschließend geprüft, wie die generelle Nutzung von Computerspielen in der heutigen Gesellschaft einzustufen ist und welche Bedeutung dies für die Bildung hat. Abschließend wird die Lernmethode Game-Based Learning sowie ihre Potenziale bezüglich der Motivation sowie des Flow-Erlebens angeführt und erläutert.

3.1 Die Geschichte des Spiels und dessen Bedeutung für die Bildung

Laut dem niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga ist das Spielen kein abstraktes Prinzip, sondern eine aktive Handlung, die unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft oder Kultur betrieben wird (Huizinga, 1991, S. 37). Dabei können während des Spielens gefahrlos Kompetenzen und Wissen erworben werden, indem neue Dinge entdeckt, erprobt oder erlebt werden (Hawlitschenk, 2009, S. 121). Angelehnt an die jeweilige Kultur können diese Dinge gesellschaftliche Strukturen, Normen und Wertevorstellungen sein, die das Spiel widerspiegelt und zur Ausgestaltung der Selbst- und Werteverhältnisse in einem bildenden Sinne bereitstellt (Schrammel & Mitgutsch, 2009, S. 2). Dies erreichen Spiele über ihre charakteristischen Merkmale, die Huizinga (1991) folgendermaßen zusammenfasst: Das Spiel besitzt festgelegte Grenzen von Raum und Zeit, die mithilfe von freiwillig angenommenen Regeln gesetzt werden. Zudem ist das Ziel des Spielens, das Spielen selbst und wird von einem Gefühl der Spannung sowie Freude begleitet (Huizinga, 1991, S. 37). Besonders das entstehende Gefühl der Spannung und Freude, ist ein zentrales Ziel des Spielens. Das Merkmal der Zweckfreiheit bedeutet, dass das Spielen als Tätigkeit angesehen wird, welche um ihrer selbst willen und ohne äußere Zwänge stattfindet (Wiemeyer, 2016, S. 13). Es besteht also ein gewisser Anreiz sowie eine gewisse Befriedigung im Spielen selbst, sodass der Mensch es tun möchte. Dieses Empfinden wird als intrinsische Motivation bezeichnet und beschreibt einen Zustand, der auch im Lernprozess ein zentrales Ziel darstellt (Deci & Ryan, 1993, S. 225). Eine nähere Definition des Motivationsaspekts erfolgt in Kapitel 3.3.2. Weiter berufen sich die Gegenwärtigkeit und Mittelbarkeit darauf, dass Spielende ihre Handlungen und die daraus entstehenden Resultate unmittelbar erleben. Dieses direkte Erleben führt unter geeigneten Bedingungen dazu, dass Spielende vollständig in das Spiel versinken und das Gefühl für die Zeit verlieren (Wiemeyer, 2016, S. 14). Es kommt zum sogenannten Flow-Erlebnis, dessen nähere Betrachtung in Kapitel 3.3.3 erfolgt. Die Offenheit des Spiels bezieht sich auf den offenen Verlauf bzw. Ausgang des Spiels. Keiner der Spielenden weiß, was als nächstes passieren wird, sodass Fantasie, Neugier und Spannung erzeugt werden (Wiemeyer, 2016, S. 14). Diese entstehenden Gefühle während des Spielens bedeuten für das Lernen ein enormes Potenzial, da Wissen mithilfe spielerischer Handlungen vermittelt werden kann und gleichzeitig (intrinsisch) motivierend auf den Lernenden wirkt (Pfannstiel et al., 2008, S. 2).

3.2 Nutzung von Computerspielen in der Gesellschaft

Nachdem der grundlegende Begriff des Spielens dargestellt wurde, wird im nächsten Abschnitt das digitale Spielen in Form von Computerspielen näher betrachtet. Unter Computerspiele werden alle Typen von digitalelektronischen Spielen subsummiert. Dabei wird der Begriff „Game“ im Deutschen als Synonym für Computerspiele gebraucht und bedeutet, dass das Spiel strukturiert, organisiert und regelgebunden ist (Breiner & Kolibius, 2019, S. 2; Wiemeyer, 2016, S. 14). Nach Wünsch und Jenderek (2009) werden Computerspiele weiter als Spiele definiert, die eine technisch vermittele Simulation und Regelüberwachung bzw. Spielleitung aufweisen, die eine Stimulation beim Spielenden hervorbringen. Die Kommunikation innerhalb der Simulation erfolgt ebenfalls technisch vermittelt und bezeichnet die Interaktion mit dem Spielgeschehen sowie Spielpartnern, die die stimulierende Wirkung unterstützt (Wünsch & Jenderek, 2009, S. 47). Computerspiele weisen also zunächst die gleichen Merkmale wie Spiele im Allgemeinen auf, d.h. das Spielen ist eine intrinsisch motivierte freiwillig verrichtete Handlung, sie wird nach Regeln geführt, vom Gefühl der Spannung begleitet und um ihrer selbst willen gespielt (Wünsch & Jenderek, 2009, S. 47; Bopp, 2009, S. 2). Allerdings besitzen Computerspiele ein zusätzliches spezifisches Merkmal: der Einsatz des Computers bzw. eines passenden elektronischen Geräts wie einer Spielekonsole (Mertens & Meißner, 2006, S. 8; Wünsch & Jenderek, 2009, S. 47).

In den 1990er und 2000er Jahren waren Computerspiele nur für einen kleinen Teil der Gesellschaft eine beliebte Freizeitaktivität. Besonders jüngere männliche Jugendliche waren die typische Nutzergruppe, die in den Fantasiewelten der Spiele aktiv wurden und großes Interesse bekundeten (Jöckel, 2018, S. 49). Ältere hingegen konnten diese Begeisterung selten nachvollziehen, sodass eine Diskrepanz zwischen Jung und Alt entstand, die sich zu einer Konfliktlinie in der Gesellschaft entwickelte (Jöckel, 2018, S. 49). Die Digital Immigrants, diejenigen, die ohne digitale Medien aufwuchsen, erkannten sogar eine Gefahr in dem neuen Medienformat der Computerspiele und wurden durch Debatten wie z.B. über die Gewaltverherrlichung in Ego-Shooter Spielen oder Gefahren wie Sucht und Abhängigkeit, die allesamt nicht wissenschaftlich belegbar sind, weiter in ihrer Meinung bestärkt und die moralische Panik fasste vermehrt Fuß (Jöckel, 2018, S. 50f). Auch in jüngeren Jahren ist ein solcher Aufruhr gelegentlich noch vertreten, indem immer wieder die Gefahren von Computerspielen von etablierten Massenmedien ohne fundierte Beweise aufgeworfen werden (Jöckel, 2018, S. 63). Trotz dieser einzelnen Fälle ist die Zeit der kontroversen Diskussionen über Computerspiele inzwischen vorüber, da diese in der Mitte der Gesellschaft angelangt sind (Jöckel, 2018, S. 65). Dies liegt u.a. an dem Wechsel der Generationen von den Digital Immigrants zu den Digital Natives, zu denen alldiejenige gehören, die nach 1990 geboren wurden und mit digitalen Technologien groß geworden sind (Jöckel, 2018, S. 68). Durch die ständige Begleitung von Technologie nutzen Digital Natives Computer auf einem vertrauten und selbstverständlichen Level, sodass keine Zurückhaltung oder Angst gegenüber diesen besteht und sie in der Freizeit zum Spielen, Entspannung und Spaß genutzt werden (Prensky, 2001, S. 23; Grüninger, Quandt & Wimmer, 2008, S. 113ff).

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erleben digitale Spiele entsprechend einen kulturellen Aufstieg. Während einst Theater, Filme und Fernsehen die einzigen audiovisuellen Ausdrucks- und Erzählformen waren, gehören nun auch digitale Spiele zu den zentralen Massenmedien, die unsere Gesellschaft in Hinsicht auf ihre Kunst-, Kultur-, Informations- und Bildungslandschaft prägen (Wagner, 2006, S. 41; Freyermuth, 2015, S. 11). Allein in Deutschland sind Computer- und Videospiele für 34 Mio. Menschen fester Bestandteil der täglichen Mediennutzung, davon spielen 36% regelmäßig und 42% gelegentlich (game – Verband der deutschen Games-Branche e.V., 2021a, S. 8). Das heißt jede*r zweite Deutsche ist ein*e Gamer*in. Für die Computerspielhersteller bedeutet dies nicht nur eine große Kundengruppe, sondern auch eine stark heterogene. So ist die Geschlechterverteilung mit 52% bei Männern und 48% bei Frauen recht ausgewogen, genauso wie die Altersverteilung (game – Verband der deutschen Games-Branche e.V., 2021a, S. 8). Jede Altersgruppe, die unter 9-Jährigen ausgenommen, ist mit ca. 5,0 Mio. Gamer*innen gleich stark vertreten. Beispielhaft sind hier die 10- bis 19-Jährigen mit 5,3 Mio. (16%), die 30- bis 39-Jährigen mit 5,5 Mio. (16%) und die 50- bis 59-Jährigen mit 5,7 Mio. (17%) zu nennen (game – Verband der deutschen Games-Branche e.V., 2021a, S. 10). Es zeigt sich, dass das Computerspiele nicht länger nur die jüngere Generation beschäftigt, sondern zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema geworden ist. Für die vorliegende Arbeit wird die Nutzung digitaler Spiele der Kinder und Jugendlichen noch einmal näher betrachtet. Dazu wird die JIM-Studie (Jugend, Information, Medien) aus dem Jahr 2020 herangezogen, die bereits seit 1998 jährlich das Medienverhalten von Jugendlichen zwischen 12- und 18-Jahren in Deutschland untersucht (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2020, S. 2). Sie stellt fest, dass 68% der Jugendlichen regelmäßig digital spielen, ob mit Computer, Tablet oder Smartphone, und lediglich 8% gar nicht. Mädchen spielen hier allerdings deutlich weniger (56%) als Jungen (79%) (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2020, S. 53f). Die Nutzungsdauer liegt in den unterschiedlichen Altersgruppen zumeist bei ½ Stunde bis 2 Stunden am Tag. Zu den beliebtesten digitalen Spielen gehören dabei Minecraft mit 15%, Fortnite mit 13% und FIFA mit 11% (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2020, S. 57).

Die dargelegten Zahlen zeigen, dass Computerspiele ein vielgenutztes Medium in unserer heutigen Gesellschaft, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, sind. Sie sind ein fester Bestandteil der Lebenswelt geworden und sollten entsprechend auch ein Teil der Bildungswelt werden bzw. dort eine größere Rolle einnehmen. So fordert der Verband der deutschen Games-Branche, die Chancen von Computerspielen für die digitale Bildung zu nutzen und die Entwicklung für den Unterricht gezielt zu fördern und voranzutreiben (game – Verband der deutschen Games-Branche, e.V., 2021a, S. 40).

3.3 Game-Based Learning

3.3.1 Definition

Unter dem Begriff „Game-Based Learning“ oder auch „Digital Game-Based Learning“, hier durch die digitale Komponente ergänzt, versteht man „den Einsatz von Spielen als Medien des Lehrens und Lernens“ (Kettler & Kauffeld, 2019, S. 252). Er wurde Anfang der 2000er Jahre durch die Autoren James Paul Gee (2007) und Marc Prensky (2007) geprägt und beschäftigt sich mit sinnvollen Einsatzmöglichkeiten (digitaler) Spiele im Bereich der Bildung, mit der Absicht Lernprozesse durch das Spielen zu unterstützen und bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten zu trainieren (Kettler & Kauffeld, 2019, S. 252; Le & Weber, 2011, S. 220). Dabei geht es nicht allein um das simple Verstehen und Speichern von Informationen, sondern auch um die Fertigkeit, dieses Wissen in komplexen Situationen anzuwenden (Le & Weber, 2011, S. 223). Der Einsatz (digitaler) Spiele im Bildungskontext enthält somit eine „ernste Absicht“ (Le & Weber, 2011, S. 220). Prensky (2007) bezeichnet Game-Based Learning weiter als jegliches Zusammenspiel von bildenden Inhalten und Computerspielen (Prensky, 2007, S. 145). Daraus resultiert, dass das Game-Based Learning nicht festlegt, um welche Art von Spiel es sich handelt, welche Art von Wissen erlernt werden soll, noch in welchem Kontext das Lernen stattfinden soll (Jacob & Teuteberg, 2017, S. 98). Diese Heterogenität hinsichtlich der Spielform, Komplexität und Größe des Spiels offenbart vielseitige Einsatzmöglichkeiten. Kettler und Kauffeld (2019) weisen diesbezüglich besonders auf die Eignung von Spielen für erfahrungsbasiertes, problembasiertes und situiertes Lernen hin. So kann beispielsweise die Verbesserung von motorischen Fähigkeiten, die Übung von Faktenwissen oder die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen als Ziel verfolgt werden (Kettler & Kauffeld, 2019, S. 250f). Auf Grundlage dieser Varianz an Einsatzmöglichkeiten, die (digitale) Spiele liefern, führen Le und Weber (2011) weitere Potenziale bezüglich der Verbesserung des Lernens an. Sie beschreiben, dass das Game-Based Learning zu stärker selbstgesteuerten und eigenverantwortlichen Lernprozessen führt. Gleichzeitig wird das aktive Lernen verbessert, indem der*die Spieler*in kontinuierlich den Spielzyklus durchläuft und interagieren muss. Das konstruktive Lernen sowie das soziale Lernen werden ebenfalls mittels Wettbewerbe und Kooperationsaufgaben gefördert. Auch das emotionale Lernen und situierte Lernen, bei dem der*die Spielende sich in unterschiedliche Rollen versetzen und entsprechende Probleme oder Aufgaben lösen muss, werden verbessert und gestärkt (Le & Weber, 2011, S. 222). Gründe für die positiven Effekte des Game-Based Learnings sind u.a. die Motivation sowie das Flow-Erlebnis, dass während des spielenden Lernens entstehen kann. Um diesen beiden Aspekten in ihrer Bedeutung für das erfolgreiche und verbesserte Lernen gerecht zu werden, werden sie in den zwei folgenden Kapiteln näher behandelt.

3.3.2 Motivationsaspekt

Unter Motivation wird ein Zustand verstanden, der einen Menschen dazu veranlasst, eine bestimmte Handlungsrichtung einzuschlagen und diese so lange beizubehalten, bis ein bestimmtes Ergebnis erzielt wurde. Der Mensch verhält sich also entsprechend, um ein bestimmtes Bedürfnis oder Verlangen zu befriedigen (Maier & Kirchgeorg, 2021; Sansone & Harackiewicz, 2000, S. 1). Motivation ist dabei kein biologischer Antrieb, der den Menschen angeboren ist, stattdessen wird sie durch Sozialisationsprozesse vermittelt und es entwickeln sich einzelne und völlig verschiedene Motive der Motivation für die jeweilige Person (Maier & Kirchgeorg, 2021). Dabei werden zwei verschiedene Formen der Motivation differenziert: die intrinsische und extrinsische Motivation.

Intrinsische Motivation wird als interessenbestimmte Handlung definiert. Es liegt ein gewisser Anreiz (z.B. Neugier, Freude oder Interesse) sowie eine gewisse Befriedigung vor, die im Handlungsprozess selbst liegt und entsprechend verfolgt werden möchte (Maier, 2021; Deci & Ryan, 1993, S. 225). Sie entspringt also den persönlichen Wünschen, Lebenszielen und Überzeugungen eines Menschen und findet ihre Erfüllung darin, Freude bei der Durchführung der jeweiligen Handlung zu empfinden und nicht zwangsläufig darin, ein bestimmtes Ziel zu erreichen (Sansone & Harackiewicz, 2000, S. xvii; Schlag, 2013, S. 21). Die Bestätigung von anderen wie z.B. im Beruf oder in der Schule spielt dabei entsprechend keine Rolle. Stattdessen wird das selbstbestimmte Verhalten angesprochen und erklärt, weshalb Menschen „frei von äußerem Druck oder inneren Zwängen nach einer Tätigkeit streben“ (Deci & Ryan, 1993, S. 226). Als Beispiel ist hier die leidenschaftliche Ausübung eines Hobbys wie das Computerspielen zu nennen. Der*Die Spieler*in spielt allein für sich, kein Dritter schenkt ihm*ihr Anerkennung oder Bestätigung, nichtsdestotrotz empfindet der*die Spieler*in Freude und ist motiviert weiterzumachen. Extrinsische Motivation hingegen entspringt nicht dem persönlichem Interesse, sondern einem äußerem Anreiz, der dazu verleiten soll, ein bestimmtes Ziel zu erreichen (z.B. das Erreichen von positiven Konsequenzen oder das Vermeiden von negativen Konsequenzen). Dem eigentlichen Handlungsprozess und jeglichem inneren Anreiz kommt dabei keine Bedeutung zu, stattdessen stehen der äußerliche Druck bzw. die Konsequenz im Fokus (Schlag, 2013, S. 21).

Nach Schlag (2013) gilt intrinsische Motivation bezüglich der Freude am Lernen und des Lernerfolgs der extrinsischen Motivation als überlegen, da zu erwarten ist, dass sich intrinsisch motivierte Schüler*innen häufiger und intensiver mit dem Lernstoff beschäftigen als ausschließlich extrinsisch motivierte Schüler*innen, die eher weniger interessiert sind bzw. schneller das Interesse verlieren und nur die Leistung bringen, die zur Erreichung des äußeren Anreizes wie z.B. eine gute Note oder die Anerkennung der Eltern erforderlich ist (Schlag, 2013, S. 22). Um dieser fehlenden Lernmotivation entgegenzuwirken, ist es für die Bildung umso wichtiger intrinsische Motivation zu fördern. Schließlich sollen Schüler*innen motiviert sein, neue Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erwerben und anzuwenden. Sie sollen bei der Lösung von Lernaufgaben Freude und Begeisterung sowie Stolz empfinden (Seel, 2003, S. 87). Im Idealfall bringt das Game-Based Learning genau diese intrinsische Motivation hervor, indem das Gefühl der Spannung und Freude erzeugt und insbesondere das Bedürfnis nach Zweckfreiheit befriedigt wird (Huizinga, 1991, S. 37; Wiemeyer, 2016, S. 13; Ryan et al., 2006, S. 361).

3.3.3 Flow-Erlebnis

Ein weiterer Faktor, der eng mit der intrinsischen Motivation verwoben ist, ist das Flow-Erlebnis. Csikszentmihalyi et al. (2000) definieren das Flow-Erleben als einen Zustand, in dem eine Handlung unmittelbar auf die nächste folgt. Dabei folgen die Handlungen einer inneren Logik, die kein bewusstes Eingreifen erfordert. Der Handelnde verspürt dennoch Kontrolle und begreift die Handlungen „als ein einheitliches Fließen von einem Augenblick zum nächsten“ (Csikszentmihalyi et al., 2000, S. 59). Dies führt zu einer kaum wahrnehmbaren Trennung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Csikszentmihalyi et al., 2000, S. 59). Um diesen Zustand erreichen zu können, müssen sieben Kriterien erfüllt sein: 1) Vollständig aufmerksame Beteiligung an der Aktivität. 2) Gefühl der Ekstase bzw. Gefühl, außerhalb der alltäglichen Realität zu sein. 3) Gefühl großer innerer Klarheit, d.h. genau zu wissen, was zu tun ist und die Fähigkeit zu besitzen, dies umsetzen zu können. 4) Wissen, dass die Aktivität machbar ist. 5) Gefühl der Gelassenheit – Freiheit von Sorge und Stress. 6) Zeitlosigkeit und 7) Intrinsische Motivation, die Aktivität wird zu ihrer eigenen Belohnung (Becker, 2017, S. 47). Die aufgeführten Kriterien verweisen darauf, dass das Erreichen eines Flow-Erlebnisses äußerst anspruchsvoll ist. In Kapitel 3.1 stellte sich allerdings heraus, dass das Spielen viele der Kriterien aufgreift und erfüllt. Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass mehrere Studien belegen, dass digitale Spiele besonders gut geeignet sind, um ein Flow-Erlebnis herbeizuführen (Hsu & Lu, 2004; Keller et al., 2011). In vielen Fällen stellt der Flow für Computerspielende sogar den entscheidenden Aspekt dar, der unbedingt angestrebt und erlebt werden möchte (Becker, 2017, S. 47). Im Zusammenhang mit Lernspielen kann der Flow-Zustand ebenfalls auftreten und relevant sein, indem die spielerischen Handlungen fließend erfolgen und der Lernprozess ein Teil davon wird und positive Lerneffekte entstehen. Die durchgeführten Studien von Hsu & Lu (2004) und Keller et al. (2011) zeigen allerdings, dass dieser Erfolg oftmals nur theoretischer Natur ist und in der Praxis nicht eintritt (Hsu & Lu, 2004; Hawlitschek, 2009, S. 124; Keller et al., 2011). Laut Hoblitz (2014) können die möglichen Gründe dafür vielfältig sein. So kann zum Beispiel das untersuchte Lernspiel mangelhaft sein, indem Inhalte nur schlecht vermittelt werden oder Spiel- und Lernziel nicht identisch sind (Hoblitz, 2014, S. 137). Auch Becker (2017) weist darauf hin, dass das Game Design für ein solches Flow-Erleben sehr komplex ist und dem „Heiligen Gral“ des Game Designs gleicht (Becker, 2017, S. 47). Besonders im Fall von Lernspielen stellt der Flow eine besondere Herausforderung dar, da die Spielenden bzw. Lernenden das Spiel oft nicht freiwillig nutzen, sondern aus einem gegebenen Anlass, z.B. weil es im Lehrplan gefordert ist, und somit lediglich extrinsisch motiviert sind (Becker, 2017, S. 48).

4 Serious Games und Commercial Off-The-Shelf Games im Vergleich

Serious Games finden in Form der Game-Based Learnings Methode bereits Anwendung im Bildungskontext und können als Maßstab für Spiele dienen, die ebenfalls für Bildungszwecke eingesetzt werden sollen. In den folgenden Kapiteln werden entsprechend die beiden Spieltypen Serious Games (Lernspiele) und Commercial Off-The-Shelf Games (Unterhaltungsspiele) analysiert und miteinander in Vergleich gesetzt. Hierzu werden die Aspekte Anwendungsbereich und Zielsetzung, Eigenschaften sowie der Einsatz im Schulunterricht untersucht, um eine Bewertung hinsichtlich der Chancen und Grenzen von Commercial Off-The-Shelf Games bezüglich des Einsatzes im Bildungskontext zu ermöglichen.

4.1 Serious Games

4.1.1 Definition

Erstmalig wird der Begriff „Serious Games“ von Clark C. Abt im Jahr 1971 verwendet, der Spielen unterschiedliche Absichten zusprach und sie entsprechend in zwei Kategorien unterteilte: Spiele, die für die Unterhaltung gespielt werden, und ernste Spiele, die einen bestimmten Bildungszweck verfolgen und dafür den Unterhaltungsaspekt zurückstellen (Abt, 1971, S. 26). Für Abt ist das wesentliche Merkmal von Serious Games also der Bildungszweck, der ernsthaft verfolgt werden soll, wobei die Unterhaltung beim Spielen in den Hintergrund rückt, aber nicht gänzlich verschwindet (Alvarez, 2008, S. 14; Hawlitschek, 2009, S. 119; Hoblitz, 2014, S. 20). In den 1970er Jahren blieb es neben Abts Definition allerdings zunächst still um Serious Games. Erst ab den 2000er Jahren wurden diese näher thematisiert und erforscht. Hoblitz (2014) führt dabei an, dass die Zeit der ersten Forschungsansätze durch die Suche nach einer passenden Definition gekennzeichnet ist und bis heute keine einheitliche Grundlage existiert. Die einzige Gemeinsamkeit, auf die sich alle einigen konnten, ist, dass Serious Games den Anspruch haben, mehr als reine Unterhaltung zu sein (Hoblitz, 2014, S. 20). Daraus resultiert, dass mehrere Synonyme wie „Educational Games“, „Social Impact Games“, „Persuasive Games“ oder „Game for Change“ für Serious Games angeführt werden und Serious Games als grober Sammelbegriff für Edutainment-Spiele oder Lernspiele gilt (Hoblitz, 2014, S. 13).

Die DIN-Norm „DIN SPEC 91380“, die im Juni 2018 veröffentlicht wurde, versucht die Definitionen Abts sowie weiterer Autoren wie Michael & Chen (2006) und Wouters et al. (2013), die den gleichen Schwerpunkt setzen, aufzulockern und nicht auf die Begrifflichkeit „Bildung“ zu drängen (DIN Deutsches Institut für Normung e.V., 2018; Michael & Chen, 2006; Wouters et al., 2013). Die DIN-Norm definiert Serious Games entsprechend als digitale Spiele, die nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern zusätzlich ein spezifisches Ziel verfolgen. Diese charakteristischen Ziele können u.a. bestimmte Lerneffekte, die Sensibilisierung gegenüber relevanter Themen der Gesellschaft oder eine Veränderung des Verhaltens sein (DIN Deutsches Institut für Normung e.V., 2018, S. 6). Auf Grundlage dieser Definition entwickelten Bruder et al. im Jahr 2021 eine Bewertungsskala bezüglich Gütekriterien für Serious Games, die im späteren Verlauf der Arbeit beschrieben und der durchgeführten Fallstudie zugrunde gelegt wird.

4.1.2 Anwendungsbereich und Zielsetzung

Serious Games können aufgrund ihrer Vielseitigkeit in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen eingesetzt werden. Dazu zählen u.a. die Bereiche Bildung, Gesundheit, Militär sowie Marketing und Tourismus.

[...]

Ende der Leseprobe aus 93 Seiten

Details

Titel
Commercial Off-The-Shelf Games im Schulunterricht. Lernen und Förderung von Kompetenzen mit Unterhaltungsspielen
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,5
Autor
Jahr
2022
Seiten
93
Katalognummer
V1191131
ISBN (eBook)
9783346624840
ISBN (eBook)
9783346624840
ISBN (eBook)
9783346624840
ISBN (Buch)
9783346624857
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Mit Academic Plus bietet GRIN ein eigenes Imprint für herausragende Abschlussarbeiten aus verschiedenen Fachbereichen. Alle Titel werden von der GRIN-Redaktion geprüft und ausgewählt. Unsere Autor:innen greifen in ihren Publikationen aktuelle Themen und Fragestellungen auf, die im Mittelpunkt gesellschaftlicher Diskussionen stehen. Sie liefern fundierte Informationen, präzise Analysen und konkrete Lösungsvorschläge für Wissenschaft und Forschung.
Schlagworte
Commercial Off-The-Shelf Games, Computerspiele, digitale Spiele, Schule, Schulunterricht, Minecraft, Minecraft: Education Edition, Digitalisierung in Schulen, Medienkompetenz, Game-Based Learning, Motivation, Flow, Serious Games
Arbeit zitieren
Sabrina Hegenberg (Autor:in), 2022, Commercial Off-The-Shelf Games im Schulunterricht. Lernen und Förderung von Kompetenzen mit Unterhaltungsspielen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1191131

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Commercial Off-The-Shelf Games im Schulunterricht. Lernen und Förderung von Kompetenzen mit Unterhaltungsspielen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden