Integration durch den Fußballsport am Beispiel türkischer Fußballvereine in Bremen?


Examination Thesis, 2008

59 Pages, Grade: 3,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Vorwort
1.2 Hinführung zur Thematik
1.3 Vorgehensweise und Ziel der Arbeit

2. Migration
2.1 Begriffserklärung Migration
2.2 Historischer Hintergrund
2.3 Migration türkischer Arbeiter
2.4 Entstehung türkischer Communities

3. Integration
3.1 Begriffserklärung Integration
3.2 Integrationsmodelle nach Bingemer
3.2.1 Die monistische/assimilative Integration
3.2.2 Die pluralistische Integration
3.2.3 Die interaktionistische Integration
3.3 Sprache als Notwendigkeit der Integration

4. Fußballsport im Zusammenhang mit der Integration
4.1 Fußball – eine nationenübergreifende Sportart?
4.2 Gründe zur Entstehung türkischer Fußballvereine
4.3 Derzeitige Situation im deutsch-türkischen Fußballvereinswesen
4.4 Probleme im deutsch-türkischen Fußballvereinswesen
4.5 Strukturelle Veränderungen im deutschen Jugendfußball
4.6 Integrative Lösungskonzepte im Fußballsport

5. Die Experteninterviews
5.1 Der Zweck von Interviews
5.2 Durchführung von Experteninterviews
5.3 Die Experten
5.4 Fragestellungen der Interviews
5.5 Auswertung der Interviews
5.5.1 Eingrenzung der Fragen
5.5.2 Analyse der Interviews
5.5.3 Ergebnis der Experteninterviews

6. Fazit und Auswertung der Untersuchungsfrage

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Vorwort

Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung[1] über gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen einer deutschen und einer multi-ethnischen Fußballmannschaft in Bremen weckte in mir das Interesse, eine Examensarbeit zum Thema „Integration durch den Fußballsport am Beispiel türkischer Fußballvereine in Bremen?“ zu schreiben. Bereits seit einigen Jahren, und vor allem während meines Studiums, habe ich mich intensiv mit der Thematik der Integration und Migration von türkischen Gastarbeitern und deren Kindern beschäftigt. Dabei war es mir wichtig, für mich selbst eine Identitätsfindung zu erhalten, indem ich diverse Veranstaltungen meiner Studienfächer Sportwissenschaft, Geschichte und Erziehungswissenschaft an der Universität Bremen besuchte, die sich mit den sozialen Problemen der Migranten[2] auseinandersetzten. Unter anderem belegte ich folgende Seminare: „Zur Bedeutung ethnischer und kultureller Unterschiede in der Erziehung“, „Migration und Gender, Schwerpunkt Männlichkeit“ sowie „Interkulturalität im Handlungsfeld Schule“. Zu dem letztgenannten Seminar habe ich ein Referat über das Thema „Das Bildungssystem der Türkei“ gehalten und eine Ausarbeitung geschrieben. Mein Halbjahrespraktikum absolvierte ich an der Gesamtschule West, die einen hohen Ausländeranteil hat. Dort leitete ich einen Wahlpflichtkurs Fußball, der auch von türkischen Schülern besucht wurde. Auf Grund dieses fundierten Erfahrungsschatzes ergab sich als Vertiefungsthema meines Sportpraktikums: „Der Bildungserfolg türkischer Schüler in Deutschland“.

Meiner Meinung nach spielen die oben genannten Themen im Zusammenhang mit der Integrationspolitik im Aufnahmestaat Deutschland schon jetzt, aber auch in näherer Zukunft, eine bedeutende Rolle. Insbesondere für mich als angehender Lehrer ist es wichtig, sich für diese Themen zu sensibilisieren, um bereits im Vorfeld thematisch so gut wie möglich auf den Schulalltag vorbereitet zu sein, da im Laufe der Jahre die Zahl der Schüler mit Migrationshintergrund weiter steigen wird. In manchen Schulen beträgt der Anteil der Schülerschaft mit Migrationshintergrund jetzt schon über 50 Prozent.[3]

1.2 Hinführung zur Thematik

Neben dem Bildungswesen und der Arbeitswelt gilt der Freizeitbereich als gesellschaftliches Handlungsfeld mit einem hohen Verständigungspotential zwischen Teilnehmern der Mehrheitsgesellschaft und der ethnischen Minorität. In diesem Zusammenhang wird dem Sport eine besondere Bedeutung für die Entwicklung multi-ethnischer Beziehungen zugewiesen, wenn ihm von politischen Instanzen eine hohe Integrationsfähigkeit bescheinigt wird.

Integrative Impulse des Sports werden vor allem im Spitzen- und Hochleistungssport erreicht, die über nationale und ethnische Grenzen hinweg nicht nur Partizipation, sondern auch den sozialen Aufstieg von ethnischen Minderheiten im und über den Sport ermöglichen. Aber nicht nur im Bereich des Hochleistungssports finden interkulturelle Kontakte statt, auch auf mittlerer und unterer Wettkampfebene, im Freizeitsport und im Schulsport sind solche Tendenzen anzutreffen. Beispielsweise ist die Mitgliedschaft von Kindern- und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den meisten Fußballvereinen alltägliche Praxis. In Folge dessen stellt der schulische Sportunterricht eine institutionalisierte Form interkultureller Sportkontakte dar.[4]

Trotzdem existiert neben dieser, von der Aufnahmegesellschaft wie von den Migranten selbst inzwischen als selbstverständlich registrierten Seite der Sportkontakte noch eine andere, oft parallel mitlaufende Realität. Vor allem der organisierte Vereinssport in Deutschland liefert viele Belege für die Fremd- und auch Selbstausgrenzung der Migranten sowie für Konflikte bei ethnischen Sportbewegungen.[5]

1.3 Vorgehensweise und Ziel der Arbeit

Das Ziel meiner Arbeit zum Thema „Integration durch den Fußballsport am Beispiel türkischer Fußballvereine in Bremen?[6] “ besteht darin aufzuzeigen, ob und inwiefern der Fußballsport im Allgemeinen und unter besonderer Berücksichtigung für den Bremer Bereich die Integration unterstützt oder hemmt. Aus diesem Grund gehe ich in dieser Arbeit folgendem Problem nach: Kann Fußballsport integrativ wirken?

Um diese Problematik systematisch bearbeiten zu können, habe ich den Hauptteil meiner Arbeit wie folgt gegliedert.

Das zweite Kapitel meiner Arbeit beschäftigt sich mit der türkischen Migration nach Deutschland und deren Folgen. Vorweg werde ich den Begriff „Migration“ definieren (2.1). Es folgt ein allgemein-historischer Einblick zur Migration nach Deutschland (2.2). Darauf aufbauend zeige ich die Gründe der türkischen Arbeiter nach Deutschland einzuwandern auf (2.3). Zum Ende des Kapitels wird die Entstehung der türkischen Communities problematisiert (2.4).

Um auf die Integrationsmöglichkeiten des Fußballsports eingehen zu können, ist es meiner Auffassung wichtig zu klären, wie Integration in multi-ethnischen Gesellschaften vonstatten gehen kann. Deshalb widme ich mich im dritten Kapitel dem Thema der Integration. Dazu werde ich unterschiedliche Definitionen des Begriffs „Integration“ vorstellen (3.1). Anhand der von BINGEMER entworfenen Modelle (monistischen/assimilativen, pluralistischen und interaktionistischen Integration) sollen drei Möglichkeiten des Zusammenlebens zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft gegenübergestellt werden, um unterschiedliche Integrationsmöglichkeiten darzulegen. Diese Ausführungen sollen zeigen, welche differenzierte Sichtweise es in den Sozialwissenschaften über ein gelingendes bzw. misslingendes Zusammenleben zwischen Einheimischen und Migranten gibt, das entweder integrativen oder desintegrativen Charakter haben kann (3.2). Für eine gelingende Integration und Teilhabe an der Gesellschaft des Aufnahmelandes ist es wichtig, die Sprache des Aufnahmelandes zu beherrschen. Welche Bedeutung der Sprachkompetenz im Zusammenhang mit der Integration zukommt steht am Ende des Kapitels (3.3).

Nachdem ich die Bedeutung der Integration im Allgemeinen vorgestellt habe, soll im vierten Kapitel der Zusammenhang zwischen dem Fußballsport und Integration hergestellt werden. Zunächst werfe ich die Frage auf, ob der Fußballsport eine nationenübergreifende und somit eine integrative Sportart sein kann (4.1). Um den Rahmen meiner Arbeit nicht zu sprengen, werde ich diese Frage ausschließlich auf die Gründe zur Entstehung türkischer Fußballvereine in Deutschland beziehen (4.2). Dazu stelle ich die derzeitige Situation und Probleme im deutsch-türkischen Vereinswesen vor (4.3/4.4). An diese strukturellen Veränderungen im deutschen Jugendfußball (4.5) schließt sich die Frage nach integrativen Lösungskonzepten im Fußballsport an (4.6).

Die Experteninterviews im fünften Kapitel sollen zeigen, ob die theoretischen Erkenntnisse auch für die in der Stadtgemeinde Bremen zuständigen Vereine und Verbände zutreffen. Darum wird zunächst der Zweck der Experten-Interviews vorgestellt (5.1). Danach wird erläutert, wie man ein Experteninterview durchführt (5.2), um im Anschluss daran die von mir ausgewählten Experten vorzustellen (5.3). Damit der Leser einen Überblick über meine Interviewfragen bekommt, werden sie aufgelistet (5.4). Abschließend werte ich die fünf Experten-Interviews zielgerichtet aus (5.5). Im Kapitel 6 ziehe ich aus den gewonnenen Erkenntnissen ein Fazit, indem ich die Frage meiner Arbeit erneut aufgreife und beantworte.

2. Migration

In dem folgenden Kapitel werde ich einleitend den Begriff der Migration erläutern und den historischen Beginn der Migration nach Deutschland aufzeigen. Anschließend gehe ich speziell auf die Migration türkischer Arbeiter ein, um dann auf die Entstehung türkischer Communities einzugehen.

2.1 Begriffserklärung Migration

Bevor ich zum Thema „Integration durch den Fußballsport am Beispiel türkischer Vereine in Bremen?“ komme, ist es von großer Bedeutung, sich mit dem Begriff der Migration auseinanderzusetzen. Sie steht im engen Zusammenhang mit dem Begriff der Integration[7] und muss dementsprechend an dieser Stelle behandelt werden.

Der Begriff Migration umfasst alle Wanderungsbewegungen. Dazu gehören die interne Landflucht, grenzüberschreitende Wanderungen aus verschiedenen Motiven, die freiwillige Auswanderung oder Vertreibung durch Kriege oder Diktatoren, die durch Arbeitsverträge regulierte Arbeitsmigration und die illegale Suche nach Arbeit jenseits der Grenzen des eigenen Staates[8].

Hierbei kann zwischen so genannten Schub- und Sogfaktoren unterschieden werden. Zum Einen werden durch die Schubfaktoren Menschen dazu bewegt oder gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Dies wird bedingt durch bestimmte Umstände in ihren Herkunftsländern, die oft als unerträglich empfunden werden, wie beispielsweise Kriege, politische Verfolgung, soziale Diskriminierungen (z.B. von ethnischen / religiösen Minderheiten), Arbeitslosigkeit, Revolutionen, Naturkatastrophen oder Landknappheit. Die genannten Aspekte können auch im Zusammenhang stehen, so dass die Lebenssituation der Menschen prekär wird und häufig zu Armut führt.[9]

Zum Anderen können durch Industrieländer Sogfaktoren entstehen, indem sie ein großes Angebot an Arbeit, Wohlstand oder Freiheit anbieten. Dieser Zustand bewirkt eine starke Anziehungskraft auf Einwohner anderer Länder, in denen solche Verhältnisse nicht gewährleistet sind.[10] Die Schub - und Sogfaktoren sind oft miteinander verbunden, so dass man sie nur schwer voneinander trennen kann. Es mischen sich zum Beispiel häufig objektive Tatbestände (z. B. Kriege, Verfolgung durch Diktaturen, Terror) mit subjektiven Wahrnehmungen (z. B. Hoffnung auf ein besseres Leben, Wohlstand) der einzelnen Menschen.[11] Bei der Entscheidung, die Heimat zu verlassen, spielt u. a. auch der "Grad der eigenen Leidensfähigkeit" eine Rolle. Wie stark ausgeprägt diese Leidensfähigkeit ist, ist vom Individuum abhängig. Sie kann deshalb auch bei ähnlichen Lebensumständen unterschiedlich sein.

Ein anderer Gesichtspunkt, der die Entscheidung zur Migration beeinflusst, ist die Bereitschaft zum Risiko, das bei jeder Migration vorhanden ist. Auch diese Risikobereitschaft ist individuell verschieden. Es führt fast immer eine Unzufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen dazu, die eigene Heimat zu verlassen. Diese Unzufriedenheit kann verschiedene Ursachen haben. Meistens vermischen sich dabei aber - wie bereits erwähnt - die Schub - und Sogfaktoren.[12]

Migration umfasst mehrere Arten und Phasen, z.B. vom Land über Regionalstädte in die Metropolen. Von dort aus geht die Wanderung evtl. noch weiter, entweder in Nachbarländer, in entfernter liegende Länder oder auch auf andere Kontinente.

Das Migranten dauerhaft ihre Heimat verlassen wollen, ist eher selten der Fall. Häufig ist es so, dass sie für eine bestimmte Zeit ihre Heimat verlassen, um an einen anderen Ort oder in ein anderes Land zu gehen und dort zu arbeiten und so für den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sorgen (Arbeitsemigranten). Oft bleiben sie dann aber, anders als geplant, auf Dauer dort, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen (z.B. die erste Generation der Gastarbeiter).[13]

2.2 Historischer Hintergrund

Es muss zunächst festgehalten werden, dass Arbeitsmigration lange Zeit als raumgreifende Einbahnstraße von den europäischen Industriemächten[14] in die Kolonien bedeutete.[15] Dies hing unter anderem mit der Weltwirtschaftskrise von 1873 zusammen. Sie vollzog sich in allen Industrieländern. Unternehmer und Kaufleute waren darauf bedacht, neue Märkte in Asien und Afrika zu erschließen, um aus der Krise herauszukommen.[16] Auf Grund dieser frühen kolonialen Globalisierung wurden entfernte Räume, Kulturen und Geschichten in dieser Zeit untrennbar miteinander verkettet.[17] Die Arbeitsmigration sollte sich im Laufe der westeuropäischen Kolonialpolitik des 19. Jahrhunderts jedoch in die westlichen Industrieländer verlagern. Die Ursache lag im Wirtschaftswachstum, das nicht mehr mit einheimischen Kräften abgedeckt werden konnte.[18] Ein verschärfter weltweiter Konkurrenzkampf unter den westlichen Imperialstaaten war entstanden, der in der Mobilmachung zum 1. Weltkrieg mündete. So wurden für das Wettrüsten zum Teil Arbeitsemigranten vor allem aus Polen rekrutiert[19].

Die Wurzeln der deutschen Anwerbungspolitik reichen bis in das Jahr 1905 zurück. In der als „Deutschen Feldarbeiter – Zentralstelle gegründeten Arbeitsrekrutierungsagentur[20] “ knüpfte Preußen organisatorisch an die zwei Jahre zuvor ins Leben gerufene „Centralstelle zur Beschaffung Deutscher Ansiedler und Feldarbeiter“ des Alldeutschen Verbandes und des Ostmarkenvereins an. Sie traten als einflussreiche Massenorganisationen für eine Kolonialpolitik ein und sahen in der Arbeitsmigration ein geeignetes Instrument, um ihre Ziele zu verwirklichen, indem die größtmögliche Gewinnmaximierung im Vordergrund stand.[21]

Diese vornehmlich polnischen Migranten wurden zum Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter Bedingungen beschäftigt, die selbst zeitgenössische Kommentatoren dazu veranlasste, die polnischen Arbeitskräfte als rechtlose Lohnsklaven zu bezeichnen.[22] In Verbindung ihrer misslichen Arbeitssituation kam auch der Rassismus seitens der einheimischen deutschen Bevölkerung zum Ausdruck. Forciert wurden diese Tendenzen allen voran durch anerkannte nationalliberale Soziologen wie Max Weber.[23] Er assoziierte Migranten mit „Fluten und Strömen“. Darüber hinaus beklagte er in seiner nationalistischen These die Verdrängung der deutschen Kultur, des deutschen Volkes und der deutschen Arbeiter durch Einwanderung aus Osteuropa.[24] Trotz dieser offenkundigen fremdenfeindlichen Haltung waren die Arbeitsemigranten aus östlichen Gefilden nicht abgeneigt, auf Grund der besseren Verdienstmöglichkeiten im damaligen Kaiserreich, Arbeit in der Fremde zu suchen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren im Deutschen Reich 800 000 ausländische Arbeiter tätig. Anzutreffen waren viele von ihnen insbesondere in der Landwirtschaft als Saisonarbeiter, im Bergbau und im Baugewerbe.[25]

Mit dem „Wirtschaftswunder“[26] Mitte der fünfziger Jahre setzte in der Bundesrepublik Deutschland ein Aufschwung bisher nicht dagewesenen Ausmaßes ein.[27] Da für diese Prosperitätsphase[28] nicht genügend einheimische Arbeitskräfte vorhanden waren, mussten angeworbene ausländische Arbeitnehmer jene unproduktive Arbeitssituation kompensieren.1955 begann somit die zweite Geschichte der Arbeitsmigration in der Bundesrepublik Deutschland. Mehr als 2,39 Mio. Menschen durften bis zum Anwerbestopp[29] im Jahre 1973 unter der offiziellen Verantwortung der Bundesanstalt für Arbeit einreisen, um in dieser Periode der Vollbeschäftigung den wirtschaftlichen Aufschwung zu ermöglichen und abzusichern.[30]

Bevor der historische Hintergrund der Arbeitsmigration fortgesetzt wurde, sollte berücksichtigt werden, dass das Aufkommen der Arbeitsmigration in den 1950er Jahren im Sinne des zugrundeliegenden Rotationsprinzips[31] ausschließlich um die Ausbeutung billiger und austauschbarer Arbeitskräfte hauptsächlich aus den verschiedenen Mittelmeeranrainerstaaten ging.[32] Etwa 50 000 Menschen vornehmlich italienischer Herkunft wurden bis 1959 angeworben. Ab den 1960er Jahren folgten auf Grund der expandierenden Wirtschaft und der steigenden Nachfrage nach Industriearbeitskräften Anwerbeverträge mit Griechenland und Spanien.[33] Gründe für diese Maßnahmen lagen unter anderem an der Arbeitszeitverkürzung auf 45 Stunden, an verlängerten Ausbildungszeiten, dem Bau der Berliner Mauer, durch den der Übersiedlerstrom aus der DDR abriss, sowie dem Eintritt der geburtsschwachen Kriegsjahrgänge ins Erwerbsleben. Dies alles führte zu einem Rückgang des inländischen Arbeitskräfteangebots. Von daher wurden bereits 1961 weitere Anwerbeverträge mit der Türkei und später mit Portugal, Tunesien, Marokko und schließlich 1968 mit Jugoslawien unterzeichnet.[34] Zwischen der Türkei und Deutschland wurde am 31. Oktober 1961 das „Abkommen zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt[35] “ beschlossen. Zu diesem Zeitpunkt lag die Zahl der gemeldeten offenen Arbeitsstellen um die 500 000, dem standen nur circa 180 000 als arbeitslos gemeldete Deutsche gegenüber.[36]

2.3 Migration türkischer Arbeiter

Laut Ausländerzentralregister (AZR) lebten 2004 etwa 7,158 Millionen Ausländer in Deutschland. Davon bildeten die Türken mit 1.837.400 die dominanteste Gruppe unter der ausländischen Bevölkerung, gefolgt von Migranten aus Italien mit 590.000 und 512.000 Migranten aus Serbien.[37] Häufig folgte die regionale Verteilung der türkischen Migranten der geographischen Zentrierung starker ökonomischer und industrieller Arbeitsmarktregionen.[38] Der größte Anteil türkischer Migranten lebt mit 34,4% in Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg sind es 17,5%, in Bayern 13%, in Hessen 10%, in Berlin 6,9%.[39] In Bremen beträgt dieser 1,60% .[40]

Mit der Ölpreisexplosion 1973 in Deutschland setzte eine wirtschaftliche Rezession ein, in der zum Teil die Produktion von industriellen Gütern eingestellt wurde. In Folge dessen nahm der Arbeitskräftebedarf stark ab und so verfügte die Bundesregierung im November 1973 einen Anwerberbestopp für türkische Arbeitnehmer.[41] Trotzdem bemühten sich viele der Migranten um eine Einreise nach Deutschland, da es in der Türkei kaum Möglichkeiten zur wirtschaftlich gesicherten Existenzgründung gab.[42] Dementsprechend führte der Anwerbestopp von 1973 nicht zum erhofften Rückgang der türkischen Arbeiter, sondern durch die Familiennachführung zu einem Ausbau der türkischen Wohnbevölkerung in Deutschland, auf den ich im folgenden Abschnitt genauer eingehe.[43]

2.4 Entstehung türkischer Communities

Mit der dauerhaften Niederlassung der türkischen Bürger in Deutschland betrachteten insbesondere ihre Nachkommen Deutschland als Heimat, in der sie eine ausdifferenzierte ethnische Kultur aufbauen konnte.[44] Die Entstehung jener türkischen Kultur in Deutschland steht nach Ansicht von BLECKING im Spannungsfeld von Segregation[45], Ethnisierung[46] und Integration.[47]

COHN-BENDIT und SCHMID beschreiben die ersten Unterkünfte der türkischen Arbeiter wie folgt: „In der frühen Phase der Arbeitsmigration wurden die Arbeitsmigranten in Baracken untergebracht, im späteren Verlauf folgten Wohnheime und werkseigene Wohnungen. All diese Unterkünfte waren karg bis erbärmlich zugeschnitten und ausgestattet: nicht zum Leben, sondern zum Überleben waren sie da. Das alles sah nach Menschenhaltung aus.“[48] Trotz schlechter Wohnsituationen der türkischen Migranten entstanden in etlichen größeren Städten sogenannte Viertel mit einem hohen Anteil von Türken.[49] In diesen Ballungsgebieten haben die Türken seit den 1970er Jahren „in Deutschland für sich einen eigenen Lebensraum geschaffen, in dem sie im gewohnten Umfeld und im Vergleich zur Türkei unter besseren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen leben können. Die zahlenmäßige Größe der türkischen Bevölkerung in Deutschland erleichterte die Schaffung einer Infrastruktur für gruppenspezifische, bedürfnisorientierte Angebote.“[50]. Diese sogenannten eigenethnischen Kolonien oder „türkischen Communities“, wie sie seit den 1980er von der Migrationssoziologie beschrieben werden, prägte die wirkliche gesellschaftliche Entwicklung in den deutschen Städten und Gemeinden.[51] SCHWARZ beschreibt und erläutert die Ausformungen jenes sozialen Lebensraumes folgendermaßen: „Als Formation von „Communities“ werden Vergemeinschaftungs- und darauf aufbauend, Vergesellschaftungsprozesse von Gruppen, in diesem Fall Zuwanderer, verstanden, die durch die Herausbildung von eigenständigen sozial-kulturellen Systemen angepasst an die Bedingungen des Zuwanderungslandes und an die Traditionen sozialer Systeme der Herkunftsgesellschaften geprägt werden. Als Grundlage solcher Formationsprozesse werden die Herausbildung eines Organisationsgefüges, die Übernahme und ständige Wandlung eines Systems von Symbolformationen und dadurch der Aufbau eines ethnischen Milieus gesehen“[52]. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass durch die Entstehung türkischer Communities die Frage der Integration von türkischen Gastarbeitern in die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu einem Thema in der Öffentlichkeit wurde

3. Integration

In diesem Kapitel werde ich zunächst den Begriff der Integration erläutern, um anschließend drei unterschiedliche Integrationsmodelle nach BINGEMER gegenüberzustellen.[53] Das Kapitel schließt mit der Bedeutung der Sprachkompetenz im Zusammenhang mit der Integration ab.

3.1 Begriffserklärung Integration

„Was Integration ist und wie sie verwirklicht werden kann, ist in Deutschland wie in anderen Ländern immer wieder umstritten gewesen.“[54] Im Kontext der Zuwanderung bedeutet Integration (lat. integrare: wiederherstellen, vervollständigen, eingliedern) die Eingliederung eines Individuums in eine soziale Gruppe bei gleichzeitiger Anerkennung und Akzeptanz von kulturellen Verschiedenheiten als Mitglied.[55] Es kennzeichnet einen Entwicklungsverlauf, der oft über Generationen erfolgt und in dem eine Annahme der unterschiedlichen Lebensgewohnheiten zwischen Einheimischen und Eingewanderten erfolgt.[56] TIEMANN macht darauf aufmerksam, dass Integration einen normativen Impuls enthält, der auf die Zusammenführung von Unterschiedlichem gerichtet ist.[57] Integration bedeutet, dass es in einer demokratischen Gesellschaftsform keine Barrieren zwischen einzelnen Gruppierungen im Zugang zum öffentlichen Diskurs und zu Örtlichkeiten, bei der Einkommensverteilung in grundsätzlichen Wertorientierungen sowie hinsichtlich der Gegebenheiten des demokratischen Zusammenlebens geben darf.[58]

RUMMELT weist darauf hin, dass Integration durch innere (soziokulturelle, psycho-soziale und religiöse) und äußere Indikatoren (staatlich normative, materielle, rechtliche) bestimmt wird.[59] Er folgert daraus, dass Integration ein gegenseitiger Lern-, Sozialisierungs- und Identitätsprozess ist. So sieht RUMMELT die Integration von ethnischen Minderheiten im Aufnahmeland dann, wenn die ökonomische, politische und rechtliche Gleichberechtigung der Einwanderungsminderheit unter Erhaltung ihrer kulturellen und religiösen Identität gegeben ist.[60] Die Integration stellt einen komplizierten sozialen Prozess dar, der vom gesellschaftlichen Klima abhängig ist, das im Wesentlichen durch vorhandene Normen und Werte bestimmt wird.[61] Im Umkehrschluss wird Integration dort erschwert oder nicht ermöglicht, wo das gesellschaftliche Umfeld der aufzunehmenden Gruppe ablehnend oder feindlich gegenüber den ethnischen Minderheiten gesinnt ist.

So behauptet Rummelt, dass Integration nicht nur von der Integrationsbereitschaft der aufzunehmenden Gesellschaft, sondern auch von der aufnehmenden Gesellschaft abhängig ist, während Bingemer von drei unterschiedlichen Integrationsmodellen spricht, die im Folgenden aufgezeigt werden.

3.2 Integrationsmodelle nach Bingemer

Bereits in den 1970er Jahren hat BINGEMER drei handlungsorientierte Gattungen von Integration charakterisiert. So unterscheidet er in der Integrationsforschung zwischen monistischer/assimilativer, pluralistischer und interaktionistischer Integration:

3.2.1 Die monistische/assimilative Integration

Die monistische/assimilative Integration ist geprägt von Ignoranz und Unterwerfungspostulat gegenüber der Kultur der Minderheiten. Typisch sind Aussagen, wie „bei uns klappt die Integration. Wir haben viele ausländische Kinder, die sich gut angepasst haben. Wir sind für alle offen, wenn sie sich an unsere Regeln anpassen“[62]. In diesem Fall passt sich die Minderheit nach den Gegebenheiten der Mehrheit an und gibt ihre Eigenart auf. ESSER und FRIEDRICHS deuten diese Integrationsart als Assimilation.[63]

[...]


[1] Die Süddeutsche: „Tritte gegen die Integration“14.06. 2007

[2] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwende ich in meiner Arbeit ausschließlich die maskuline Form.

[3] Vgl.: Weber 2003, S. 86 ff

[4] vgl.: Klein 1998, S. 9

[5] ebenda S. 10

[6] Meine Arbeit bezieht sich auf die Stadtgemeinde Bremen.

[7] siehe Kapitel 3

[8] vgl.: Nuscheler 2004, S. 32

[9] vgl.: Beger 2000, S. 9f

[10] vgl.: Münz/Ulrich 2000, S. 21

[11] vgl.: Goldberg/Halm/Sen 2004, S. 9 ff

[12] vgl.: Nuscheler 2004, S. 32

[13] vgl.: Ebenda, S. 33

[14] Damit waren vor allem Länder wie England, Deutschland und Frankreich gemeint.

[15] vgl.: Ha 2004, S. 25

[16] vgl.: Helbig 1982, S. 31

[17] vgl.: Osterhammel 2003, S. 101

[18] vgl.: Ha 2004, S. 25

[19] vgl.: Ebenda, S. 25

[20] Zuständige Behörde für die Anwerbung von polnischen Saisonarbeitern.

[21] vgl.: Herbert 2001, S.35

[22] vgl.: Bade: 1993, S.311-324

[23] vgl.: Ha 2004, S. 26

[24] ebenda, S. 26

[25] vgl.: Pohl 1984, S. 8

[26] Synonym für die positive Wirtschaftslage der 1950er Jahre in Deutschland

[27] vgl.: Hermann 1992, S. 4

[28] Kennzeichnung einer Periode wirtschaftlichen Aufschwungs. In: Gesellschaft. Lexikon der Grundbegriffe. 1992,

[29] siehe Kapitel 2.3

[30] vgl.: Herbert 2001, S.191-229

[31] Nach Ansicht des ehemaligen NS- Richters und langjährigen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg (1966-1978) sollte mit dem Rotationsprinzips die Wirtschaftlichkeit und Flexibilität des deutschen Gastarbeitersystems erhöht werden. Dadurch sollten Familienzusammenführungen, langfristige Sozialkosten wie Arbeitslosengeld, Gesundheitsversorgung, Rentenansprüche etc. vermieden werden. Braun 2006, S. 204

[32] vgl.: Ha 2004, S. 30

[33] vgl.: Rudolph 1996, S. 161-181

[34] vgl.: Sen 2002, S. 53

[35] Das deutsch-türkische Abkommen wurde von den Arbeitsministern Hans Katzer (CDU) und Cahit Talar unterzeichnet

[36] Nicht eingeschlossen sind die deutschen Arbeitslosen, die sich aus Schamgefühl nicht arbeitslos gemeldet haben. Statistische Bundesanstalt für Arbeit. 2005

[37] Stand 30. Juni 2004. Zahlen nach BMA. In: AID 21. 2005, S. 18

[38] vgl.: Bender/Seifert 2000, S. 59

[39] vgl.: Polm 1997, S. 165

[40] www.emservices.de

[41] vgl.: Hermann 1992, S.5

[42] vgl.: Sen 2002, S.53

[43] vgl.: Münz 1997, S. 7ff

[44] vgl.: Akkaya 1999, S. 57

[45] „Die räumliche Trennung von Personen mit gleichen sozialen Merkmalen (z. B. Nationalität, Religion, sozialer Schicht zur Vermeidung oder Verhinderung von Kontakten mit anderen Personen oder Gruppen; auch Bezeichnung für den Prozess, der zu dieser Trennung führt. Segregation kann freiwillig angestrebt werden (z. B. die bewusste Wahl eines – seines –Stadtviertels) oder durch diskriminierende Maßnahmen erzwungen werden (z. B. Abschiebung in Gettos, Politik der Rassentrennung ( Apartheid).“ www. lexikon.meyers.de

[46] „Ethnisierung begreifen wir als Prozess, durch den Kategorien, die als ursprünglich gegeben (primordial) und de facto inhaltlich und zeitlich konstant (transhistorisch) erscheinen (Sprache; Kultur als Lebensweise, Sitten und Gebräuche; Herkunft; Rasse usw.), zu den zentralen Grundlagen der Gruppenidentität werden und andere mögliche Konstrukte für kollektive Identitäten wie Stand, Dynastie, Religion, Ideologie, Klasse, Geschlecht (gender), Alter, Einkommen, Bildung usw. in den Hintergrund drängen“. Zit. nach Hummel/Wehrhöfer: 1996, S. 15

[47] vgl.: Blecking 2001, S. 86

[48] zit. nach Cohn-Bendit/Schmid 1992, S. 102 f.

[49] vgl.: Ehringfeld: 1997, S. 55

[50] zit. nach Akkaya 1998, S. 307-308

[51] vgl.: Behrendt 1997, S. 213-215

[52] zit. Nach: Schwarz 1992, S. 15

[53] vgl.: Bingemer/Meistermann-Seeger/Neubert 1972, S.19

[54] zit. nach Santel 1995, S.20

[55] vgl.: Reinhold 1997, S. 299

[56] vgl.: Berger 1997, S.11

[57] vgl.: Tiemann 2004, S. 10

[58] ebenda, S. 10

[59] vgl.: Rummelt 1995, S.143

[60] Ebenda, S. 143

[61] Ebenda, S. 143

[62] zit. nach Pilz 2005, S. 3

[63] vgl.: Esser/Friedrichs 1990, S.17

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Details

Title
Integration durch den Fußballsport am Beispiel türkischer Fußballvereine in Bremen?
College
University of Bremen
Grade
3,0
Author
Year
2008
Pages
59
Catalog Number
V119445
ISBN (eBook)
9783656388975
ISBN (Book)
9783656389712
File size
604 KB
Language
German
Keywords
Integration, Fußballsport, Beispiel, Fußballvereine, Bremen
Quote paper
Birkan Pirol (Author), 2008, Integration durch den Fußballsport am Beispiel türkischer Fußballvereine in Bremen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119445

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