Ernährung und Geschlecht - Die Herstellung von Geschlecht im kulinarischen Rahmen


Examensarbeit, 2008

53 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

1. Ernährung und Geschlecht
- fundamentale, institutionalisierte Ausdrucksformen der Gesellschaft?
1.1. Du bist, was du isst
- Die Ernährung als Fundament des Individuums (und der Gesellschaft)
1.2. Das Geschlecht- die Zweigeschlechtlichkeit
- die Geschlechterdifferenz

2. Konstruktion von Geschlecht im kulinarischen Rahmen
2.1. Ernährungsforschung als Geschlechterforschung
- Eine Einleitung
2.2. Die Verortung von Männlichkeit und Weiblichkeit in/durch die Ernährung

3. Herstellung von Geschlechterordnung im kulinarischen Kontext
3.1. Die (An-) Ordnung der Geschlechter
- Eine Einführung
3.2. Die Hierarchieverhältnisse der Geschlechter

4. Resümee/ Fazit

5. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Die folgende schriftliche Hausarbeit beschäftigt sich mit den Themen Ernährung und Geschlecht, es liegt den Ausführungen folgende Fragestellung zu Grunde: Wie wird Geschlecht und Geschlechterordnung im kulinarischen Rahmen hergestellt?

Anfänglich unterziehen sich die zentralen Themenkomplexe einer genaueren Betrachtung; zum einen wird vorgestellt, welche Rolle der Ernährung im Leben der Menschen innewohnt und wie diese Rolle in der Gesellschaft erfasst und umgesetzt wird.

Anschließend steht das Geschlecht im Mittelpunkt: Wie ist Geschlecht bestimmbar? Ist es lediglich die Anatomie des Körpers, die die Einteilung Mann/Frau bestimmt? Welche Vorstellungen finden sich im gesellschaftlichen Kontext über die Geschlechter? Wie entstehen die Erwartungshaltungen, die jedes Individuum in Bezug auf die Geschlechter in sich trägt?

Dieser Einleitung, zum Grundverständnis gedacht, folgt eine Annäherung an die Konstruktion von Geschlecht im kulinarischen Rahmen. Erstmals findet eine Zusammenführung der zentralen Themen statt: eine Ernährungsforschung als eine Geschlechterforschung..

Im Folgenden wird die Herstellung der Geschlechterordnung im kulinarischen Kontext beleuchtet. Die allgemeine Einführung in vorhandene Hierarchiestrukturen der Geschlechter in unserer Gesellschaft leitet über zur Realisierung dieser Strukturen im kulinarischen Rahmen.

Schließen werde ich meine Ausführungen mit einem Resümee, welches die wichtigsten Erkenntnisse meiner Arbeit noch einmal aufführt und zusammenfasst. Ein Fazit wird am Ende mit einer persönlichen Bewertung und Einschätzung aufwarten um einen individuellen Abschluss zu geben.

Pierre Bourdieu sprach einst von der Verortung des Menschen im gesellschaftlichen Raum, das Individuum bemächtige sich dieser Verortung essend und trinkend.

Doch ist noch eine Verfeinerung dieser Aussage möglich? Ist es auch den Geschlechtern gegönnt, sich im kulinarischen Geschehen auf unterschiedliche Art und Weise zu behaupten und darzustellen? Wenn ja, wie sehen diese geschlechtsdifferenten Darstellungen aus?

Dies sind die Ausgangsfragen für die folgende Arbeit; mit einer soziologischen Sichtweise stelle ich mich einer möglichen Verbindung des Bereichs der Ernährung und des Themenkomplex des Geschlechts.

Ich werde mich hauptsächlich mit der Literatur von Monika Setzwein befassen. Das Buch „ Ernährung – Körper – Geschlecht. Zur sozialen Konstruktion von Geschlecht im kulinarischen Kontext“ beschäftigt sich auf ausführliche Art und Weise mit diesen Themen. Das Facettenreichtum dieser Literatur lieferte mir viele und nützliche Anregungen, die für meine Überlegungen sehr nützlich waren.

Abschließend möchte ich dieser Einleitung beifügen, dass ich mich in meiner Arbeit ausschließlich auf moderne Gesellschaften (vorzugsweise Deutschland) beziehen werde. Dies scheint mir die beste Wahl, da ich mich selbst als Mitglied dieser sehe und mich als Individuum in einer modernen Gesellschaft verorten kann.

1. Ernährung und Geschlecht – fundamentale, institutionalisierte Ausdrucksformen der Gesellschaft?

1.1. Du bist, was du isst

- die Ernährung als Fundament der Gesellschaft und des Individuums

Das Grundlegende in unserem Leben, im Alltag und im täglichen „Sein“ ist die Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse. An erster Stelle ist die Nahrungsaufnahme zu nennen, die uns Kraft verleiht, uns am Leben erhält:

„Nahrung ist der Anfang von allem. Menschen müssen sich ernähren, und das Nahrungsbedürfnis haben Menschen vor allen anderen Nöten und Wünschen zu befriedigen.“[1]

Die Nahrung stellt die Ausgangsbasis in unserem Leben dar; erst gesättigt können wir mit der Planung unseres Alltags, unseres Lebens, unserer Zukunft beginnen. Daher soll es nicht verwunderlich sein, dass die Ernährung in der soziologischen Forschung der letzten Jahrzehnte mehr und mehr an Stellenwert gewonnen hat und gewinnen wird. Bislang stets im Hintergrund ,als selbstverständlich und zwingend verstanden, erkennt man nun den repräsentativen Charakter der Ernährungsweisen. Zusammenhänge und Parallelen mit institutionalisierten, gesellschaftlichen Bereichen zeigen sich bei näherem, intensiverem Hinschauen.

Der Bedeutungswert der Ernähung/Nahrung hat sich, besonders in der jüngsten Vergangenheit, deutlich gewandelt. Wir leben heute in einer Wohlstandsgesellschaft, in einem Sozialstaat, in dem die Nahrungsversorgung für alle Individuen gesichert ist, während die letzten Jahrhunderte oftmals von Hunger und Nahrungsnöten gekennzeichnet und geprägt waren. Im historischen Verlauf der Menschheit stellte die Nahrung als „Grenzwert“[2] oftmals das „zentrale Lebensgebiet“[3] dar, so konnte durch diesen Grenzwert die Gesamtgesellschaft beschrieben und erfasst werden. Die „Nahrung als Grenzwert“[4] war noch bis vor wenigen Jahrzehnten der Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Studien; die „physische Befriedigung“[5] stand im Lebensmittelpunkt der Menschen und auch der Wissenschaften. A. H. Maslow brachte dies in seinem Modell zur Grundbedürfnisbefriedigung zum Ausdruck; sein Modell ordnet die menschlichen Bedürfnisse in einer Pyramide an: „Erst, wenn die ‚niedrigsten Bedürfnisse’ wie Ernährung, Schlafen, Kleidung befriedigt seien, würden ‚höhere Bedürfnisse', insbesondere kulturelle überhaupt hervortreten.“[6] Dies hat sich jedoch bis heute deutlich gewandelt:

„Not und Mangel und keineswegs Überfluss und Völlerei waren also die historisch prägenden Erfahrungen für die breite Mehrheit der Bevölkerung. Für die heutige Ernährungssituation, in der Dicksein allgemein verbreitet und kein Privileg der Reichen mehr ist und Übergewicht als Gesundheitsrisiko Nummer eins gilt, in der Lebensmittelüberproduktion und Vernichtung des Überangebots typisch sind, ist das Erfahrungsspektrum genau umgekehrt: Genuss und Überfluss und nicht mehr Hunger und Krisen kennzeichnen den Alltag.“[7]

Die Ernährung rückt mehr und mehr in die genauere Betrachtung der Kultur- und Sozialwissenschaften; heute wird eher über die Ernährung als soziale Komponente gesprochen und nachgedacht, ob im privaten Bereich oder auch in der Wissenschaft; bis vor ein paar Jahrzehnten wurde meist über die „funktionellen Eigenschaften der Lebensmittelinhaltsstoffe“[8] diskutiert. Dominiert von den Natur- und Technikwissenschaften, hat es die „Forschung über Nahrung und Ernährung“ in jüngster Zeit geschafft, sich über die naturwissenschaftlichen Grenzen hinweg zu setzen. Jedoch meist noch als Randthema in der Soziologie, findet sich die Ernährung als Kulturthema hauptsächlich in der Ethnologie und Kulturanthropologie etabliert.

Es soll nun im Folgenden das Hauptaugenmerk auf soziologische Aspekte der Ernährung gelegt werden. Diese Aspekte beziehen sich auf die Tatsache, dass naturwissenschaftliche Ernährungsdisziplinen niemals die allumfassende Bedeutung und den Stellenwert der Ernährung, der über die Versorgung des menschlichen Organismus hinausgeht, erfassen können.

Die Soziologie sieht ihre Aufgabe darin, eine mögliche Verbindung/ Verzahnung zwischen den natürlichen und kulturellen Aspekten aufzudecken, die die Individuen in ihren Ernährungsweisen beeinflussen. Während der Mensch beim Essvorgang selbst aus einer naturgegebenen Absicht handelt, der Absicht des Überlebens, kann er jedoch selbstständig wählen wann, was und wie er isst; der Mensch kann durch Ernährung und Essweisen seine soziale wie auch seine kulturelle Zugehörigkeit dar- und vorstellen. Er schafft sich auch auf diesem Gebiet seine eigene Identität, die ihn individuell auszeichnet.

Um jedoch tiefer in diese soziologische Thematik/Problematik eindringen zu können, sollte zunächst kurz über die Bedeutung der Nahrung reflektiert sowie anschließend über zwei aktuelle, wissenschaftliche Theorien diskutiert werden:

Handelt es sich um eine natürliche oder um eine kulturelle Notwendigkeit, die uns Tag für Tag „essen“ lässt? Um einer Antwort näher zu kommen, sollten wir uns vor Augen führen, warum wir uns ernähren? Wir wollen weiter leben ,dem Tod und Krankheiten entkommen; wir sichern unsere Existenz.[9] Es handelt sich um eine unausweichliche Situation; wir müssen unserem Körper/ Organismus Nahrung liefern. Mit dieser Tatsache sind wir jeden Tag konfrontiert, wir sind zwangsweise in natürliche Prozesse eingebunden. Diese Natürlichkeit sieht sich darin bestätigt, dass wir unsere Nahrungsmittel seit Jahrhunderten der Natur entnehmen; Pflanzen und Tiere sichern unser (Über-) Leben:

„Pflanzen und Tiere, die als Natur deklarierte Umwelt des Menschen, sind Quellen seiner Versorgung, Objekte seines Nahrungstriebes.“[10]

Fraglich ist jedoch, ob die tägliche Ernährung lediglich und ausschließlich zur Befriedigung natürlicher Bedürfnisse dient. Oder steckt hinter der Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit ein größerer, wichtigerer Zusammenhang, der auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist und verschleiert scheint? Eine Antwort lässt sich finden; wir müssen nach dem wie, wann und wo fragen.

Allein die Tatsache, dass es auf diese Fragen Antworten gibt, bestätigt, dass es sich bei der Nahrungsaufnahme um wesentlich mehr als nur um eine Bedürfnisbefriedigung handelt.

Um dem Ursprung und der Bedeutung der Ernährung noch näher zu kommen, ist es wichtig, sich mit den aktuellen wissenschaftlichen Ansätzen und Konzeptionen des Verhältnisses von Natur und Kultur zu beschäftigen:

In der Wissenschaft herrscht Uneinigkeit und Ansichten werden vertreten, die durchaus widersprüchlicher Art sind:

„Grob kann man zwei Pole unterscheiden: Die einen behaupten eine weitgehende Autonomie des Kulturellen vom Natürlichen, weshalb die Gestaltung des Essens kulturell zu erklären sei. Die natürlichen Anteile beschränkten sich darauf, den Menschen zu motivieren, sich Nahrung zu beschaffen.“[11]

Die Gegenseite argumentiert mit der „ ‚Weisheit“ der Natur’[12], die sich hinter den Essgebräuchen verberge; das als kulturell bedeutungsvoll erscheinende Essverhalten erfülle ‚bloß biologische Zwecke’[13].[14] Diese Kontroverse sucht eine Antwort auf die Frage, „ob die Ernährung des Menschen natürlich determiniert ist oder ob sie dem Bereich zugehört, den die Natur für den Menschen nicht geregelt und den er selbst zu gestalten hat – der also kulturell ist?“[15] Das Forschung auf diesem Gebiet ist sehr wichtig, denn nur so kann die Soziologie neue gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge zwischen verschiedenen Lebensbereichen herstellen und aufdecken. Die Ernährungsweisen der Menschen und die kulturellen Reglementierungen in Bezug auf die Nahrung können weitere Aufschlüsse über soziale und gesellschaftliche Beziehungen sowie Veränderungen geben.

Im Folgenden sollen zwei Konzepte „des Verhältnisses von Natur und Kultur beim Essen“[16] dargelegt werden: „die biokulturelle Erklärung und das strukturalistische Modell“.[17] Hervorzuheben ist im Vorfeld die Unterschiedlichkeit, mit der „das Verhältnis von Natur und Kultur beim Menschen“[18] interpretiert werden kann.

In der biokulturellen Erklärung findet sich „eine enge Verzahnung von biologischer und kultureller Evolution“[19]. Die Ernährungsgebräuche bringen die physischen Bedürfnisse mittels kultureller Übersetzung zum Ausdruck, „die Kultur ist deshalb im wesentlichen nichts anderes als eine Überformung physischer Notwendigkeiten“.[20] Bezieht man dies nun auf die jeweiligen Eigenarten der Küche ist festzustellen, dass die Art der Zubereitung unterschiedlichster Speisen lediglich den physischen Verträglichkeiten/ körperlichen Bedürfnissen entspricht; die verschiedenen Bevölkerungsgruppen passen sich mit ihren Kochtechniken/ Kochpraktiken an ihre „Lebensumwelt“ an.[21] So erklären sich die Eigenarten der Ernährung und somit die genetischen Anpassungen an die Umwelt, die man von Bevölkerungsgruppe zu Bevölkerungsgruppe finden kann:

„Und diese jeweilige Anpassung sei die Ursache dafür, dass es nicht nur eine menschliche Ernährungsweise gebe, wie bei den Tieren, sondern verschiedenste. Die Vielfalt der Küchen sei Resultat dieses natürlichen Anpassungsprozesses und nicht Ergebnis einer eigenständigen kulturellen Entwicklung.“[22]

Die kulturelle Gestaltung der Ernährungsweisen nimmt also in den biokulturellen Erklärungen lediglich einen Randplatz ein. Das Kulturelle bringt lediglich nur das Natürliche/ Körperliche zum Ausdruck; es gibt den körperlichen Bedürfnissen die Möglichkeit zur Artikulation und Kommunikation mit der Umwelt.[23]

Das strukturalistische Modell und die kulturalistischen Theorien „begreifen „Natur nicht als objektiv Gegebenes, sondern als symbolisch Konstituiertes “.[24] Das „Natürliche“ rückt von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Kultur zu Kultur in ein anderes Licht; es gilt, die „gesellschaftlichen Eigengesetzlichkeiten“[25] der Kultur aufzudecken und „unter der Oberfläche liegende Zusammenhänge offenzulegen“.[26] Ein wichtiger Vertreter der strukturalistischen Theorie ist Claude Lèvi- Strauss, er sieht die Natur als kulturell erschaffen; der Mensch formt sich ein Zeichensystem, das versucht „Unbekanntes und Unbegriffenes“[27] kommunizierbar und symbolisierbar zu machen. Der Strukturalist Lèvi- Strauss befasst sich in seinem Beitrag zur „kulturellen Aneignung der Nahrung“[28] mit den Besonderheiten der Küche. Er zeigt, dass „die Küche einer Gesellschaft eine Sprache ist, in der sie unbewusst ihre Struktur zum Ausdruck bringt“[29]. Deutlich macht er diese These an seinem Modell des „kulinarischen Dreiecks“, „dessen Pole das Rohe, das Gekochte und das Verfaulte darstellen“[30].[31]

Einerseits stehen diese drei Pole für die Variabilität, mit der die verschiedensten Gesellschaften dem Verständnis von roh, gekocht und verfault, der Verarbeitung von Essen generell, gegenüber stehen. Denn die Bedeutung des Nahrungsverständnisses kann sehr unterschiedlich ausfallen und sich in verschiedenen Abständen von dem Begriff der „Natürlichkeit“ loslösen. Das Gebratene ordnet Lèvi- Strauss dem Bereich der Natur zu, „da die Nahrung hierbei direkt dem Feuer ausgesetzt wird“. Das Gesottene steht dem Feuer in anderer Weise gegenüber, es ist von diesem durch einen Topf und durch Wasser getrennt: „Das Gesottene sei daher mit dem Reich der Kultur assoziiert“[32].

Andererseits gibt dieses Dreieck Aufschluss „über die einer Gesellschaft zugrunde liegende symbolische Ordnung“[33]. Betrachtet werden in diesem Zusammenhang die gesellschaftlichen Situationen, in denen die unterschiedlichen Speisen gereicht werden. Lèvi- Strauss beobachtete: „dass Gebratenes vornehmlich Gästen zum Mahl angeboten werde, wohingegen gesottene Speisen im engeren Kreis der Familie verzehrt würden“[34]. Er geht von einer Aufteilung der Küche in einen endogenen und exogenen Bereich aus, er findet weitere Parallelen zu dem Geschlechterverhältnis in der Gesellschaft: das Gebratene/ Gegrillte als Teil des exogenen, männlichen sozialen Bereiches und das Gesottene/ Gekochte als Teil des endogenen, weiblichen sozialen Bereiches.

Aus der strukturalistischen Theorie tritt das Verhältnis von Natur und Kultur als „kulturelle Leistung“[35] hervor, da das Verhältnis auch immer von den Menschen untersucht und definiert wurde und wird. Die Kultur und im Besonderen die Natur entsteht erst durch das Definieren seitens der Menschen; Natur wird „hervorgebracht“ und existiert nicht aus sich selbst heraus, sie ist „dem Menschen nur in vergesellschaftlichter Form zugänglich“[36].

Es ist äußerst schwierig, eine einzig und allein richtige Antwort und Theorie zu bestimmen; fest steht, dass der Mensch aus einem natürlichen Zwang heraus handelt/ isst, er hat jedoch über die Jahrhunderte hinweg eine Möglichkeit gefunden, diesen Zwang in Kultur umzuwandeln. Der Mensch trifft heute Entscheidungen darüber, was und wie er isst. Zudem ist die Ernährung der Faktor unseres Lebens, der uns jeden Tag in verschiedenen Formen und Ausdrucksstrukturen begegnet: wir sprechen von Essregeln, Tischmanieren, Tischsitten, Essenszeiten, Geschmack, Festmahl, Henkersmahlzeit, Imbiss, Frühstück, Mittagessen, Abendessen, usw.; der gesamte Tagesablauf eines Menschen richtet sich nach den einzunehmenden Mahlzeiten. Allein durch die unterschiedlichen Formulierungen, die wir täglich für die Nahrungsaufnahme benutzen, allein die Tatsache, dass die Nahrung, neuerdings die „gesunde Ernährung“, oftmals im Mittelpunkt unserer Konversationen steht, macht einen übergreifenden Sinn deutlich: Wir befinden uns in einer Esskultur! Diese variiert von Land zu Land, von Gesellschaft zu Gesellschaft, jedoch gilt für alle Individuen die gleiche Tatsache: Die Ernährung steht in einem Bedeutungszusammenhang, der über die ledigliche Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse hinausgeht:

„Obwohl es einige gute Gründe dafür gibt, die Ernährung mit ihren biologischen Funktionen dem Reich der Natur zuzuschlagen, kann sie mit gleicher Berechtigung als zutiefst kulturelle Angelegenheit betrachtet werden.“[37]

Die Ernährungsarten und Formen, die uns heute begegnen, sind kulturell in das Leben und in den Alltag eingebunden. Wir agieren in institutionalisierter Form, sei es beim Tisch decken, der Nahrungsbeschaffung, der Nahrungszubereitung, dem Kochvorgang oder auch den Verhaltensweisen am Tisch selbst. Die kulturellen Einflüsse in das menschliche Essverhalten zeigen sich besonders in der Frage nach der „Unterscheidung von essbaren und nicht essbaren Dingen, die in jeder Gesellschaft - jedoch nicht in jeder Gesellschaft mit dem gleichen Ergebnis - getroffen wird“[38]. Nach intensiven Überlegungen zeigt sich, dass eben nicht alles verzehrt wird was vom biologischen Standpunkt aus möglich wäre. Im Gegenzug ist nicht alles, was wir essen, lebensnotwendig.

Dem Nahrungssystem und dem Individuum werden Grenzen aufgezeigt; diese besitzen einen kulturellen Charakter. Die Nahrungsauswahl bezieht sich auf kulturelle Übereinkünfte und soziale Richtlinien. Die Gesellschaft bestimmt was genießbar bzw.ungenießbar ist und erst durch kulturell festgelegte Praktiken der Verarbeitung (Waschen, Putzen, Schälen, Schneiden) und der Zubereitung (Garen, Braten, Kochen, Sieden) werden aus den als essbar bestimmten „Naturalien“[39] Nahrungsmittel. In einer Sinfonie werden diese zu Speisen, welche sich wiederum in Mahlzeiten wieder finden. Diese Mahlzeiten werden oftmals in einer Tischgemeinschaft eingenommen, als Beispiel sei hier das gemeinsamen Familienessen genannt. Diese Zusammenkunft funktioniert jedoch nur durch gemeinsam aufgestellte, selten hinterfragte Regeln und Normen, die das Verhalten der einzelnen Familienmitglieder am Tisch regeln. Wir nehmen dies als selbstverständlich und natürlich hin; dies ist es jedoch keinesfalls. Nur durch gemeinsam geschaffene Handlungsmuster erreichen wir es, die Ernährung und die Nahrungseinnahme als Grundbedürfnis aus einer natürlichen Gegebenheit herauszulösen und in eine soziokulturelle, normierte Gesellschaftsform emporzuheben. Dieser Vorgang wird als „Kultur- schaffen“ bezeichnet; er ist das, was uns Menschen zu dem macht, was wir sind. Kultur ist die Zusammenfassung aller Sinnsysteme, die „Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft, eines Volkes“[40].

Abschließend ist festzuhalten, dass der natürliche und der kulturelle Aspekt der Ernährung sich nicht gegenseitig ausschließen: Basierend auf einem Grundbedürfnis des Überlebens formt der Mensch auch diesen Lebensbereich kulturell. Er nutzt diesen Bereich zum Ausdruck seiner gesellschaftlichen Zugehörigkeit, zur Kommunikation. Der Akt des Essens ist oftmals Ausdruck eines Verhältnisses der Menschen zueinander, der Mensch ist so veranlagt/ institutionalisiert, dass er auch beim Essen Gesellschaft sucht; an oberster Stelle steht hier wohl das „andere“ Geschlecht. Mit „diesem“ befasst sich das nächste Kapitel und gibt einen Einblick in bestehende Unterschiede.

1.2. Das Geschlecht - die Zweigeschlechtlichkeit

- die Geschlechterdifferenz

Jeden Tag begegnen wir dem „anderen“ Geschlecht; auf der Arbeit, in der Schule, in der Universität, in unserer Freizeit, in den Medien etc. Es gleicht einer Unausweichlichkeit, dass wir uns oftmals in einem „Kampf der Geschlechter“ oder auch in der „Manifestierung unseres Geschlechtes“ wieder finden. Stets kämpfen wir um die Aufmerksamkeit der „Anderen“; objektiv betrachtet beeinflusst uns diese Tatsache in vielen, wenn nicht sogar allen Lebensbereichen; beispielsweise zu nennen ist die Auswahl der Kleidungsstücke, der Umgang mit Körperpflege, die Gestik, Mimik und die Körpersprache, die Darstellung des eigenen Ichs etc. Oftmals begegnen wir dem anderen Geschlecht mit einem großen Rollenrepertoire, aus welchem wir uns mühelos bedienen lernen. Wir lechzen nach „sozialer Wertschätzung“[41] unseren Gegenübers, besonders wenn dieses dem anderen Geschlecht angehört.

Werden die Menschen nach den Erwartungen und den Anforderungen, die sie an das jeweilige andere Geschlecht richten, befragt, sind es oftmals dieselben stereotypen Vorstellungen:

Der Mann, der groß und kräftig, selbstbewusst, standhaft und zuvorkommend sein muss - das starke Geschlecht; im Gegenzug die Frau, die zart und schmal, zurückhaltend, genügsam und gefühlvoll sein muss - das schwache Geschlecht.

Diese typischen Erwatungshaltungen an „die Männlichkeit“ und „die Weiblichkeit“, die Vorstellungen über das eigene, geschlechtsdarstellende Verhalten werden dem Individuum bereits in der primären Sozialisation durch die Eltern anerzogen. Der Verlauf einer jeden Kindheit wird abgesteckt und bestimmt durch Regeln, die sich dem „gesellschaftlichen Geschlechtergedanken“ anpassen; die „Mädchen“ lernen, dass „toben“ durch den Garten und „raufen“ mit anderen Kindern nicht zu dem Verhaltensrepertoire passt, das von Mädchen/ Frauen im Verlauf ihrer Kindheit und im späteren Leben erwartet wird. Ausgleichend wird den „Jungen“ schon früh mit auf den Weg gegeben, dass die Offenbarung von Gefühlen, Kummer und Traurigkeit nicht dem Bild eines „echten“ Jungen/Mannes entspricht. Versucht man, sich in einer objektiven Position einzufinden und darüber zu reflektieren, warum in unserer Gesellschaft Zweigeschlechtlichkeit propagiert wird und eine Geschlechterdifferenz die gesellschaftlichen Bereiche dominiert, ist es sehr schwer eine Antwort zu finden, die sich dem kulturell, institutionalisierten und unhinterfragten Gedankengut und Gesellschaftsglauben entzieht; wir hinterfragen eben nicht, weil es der Einfachheit dient. Die binäre Struktur vereinfacht unser Handeln und unsere Entscheidungen in immer wiederkehrenden Situationen, das Agieren wird zur „problemlosen Routine“[42]. Die Soziologin Irene Woll-Schumacher formuliert dies wie folgt:

[...]


[1] Barlösius, 1999: S.9.

[2] vgl. Barlösius,1999.

[3] Barlösius 1999: S.18.

[4] Barlösius, 1999: S.18.

[5] vgl. Barlösius, 1999.

[6] Barlösius, 1999: S.18.

[7] ebd.

[8] Barlösius, 1999: S.20.

[9] vgl. Setzwein, 2004.

[10] Setzwein, 2004: S.18.

[11] Barlösius 1999, S.25.

[12] ebd.

[13] ebd.

[14] vgl. Barlösius, 1999.

[15] Barlösius, 1999: S.25.

[16] ebd.

[17] Barlösius, 1999: S.25.

[18] Barlösius, 1999: S.26.

[19] ebd.

[20] ebd.

[21] ebd.

[22] ebd.

[23] vgl. Barlösius, 1999.

[24] Eder, 1988: S.29. In: Barlösius, 1999: S.27.

[25] Setzwein, 2004: S.26.

[26] ebd.

[27] Barlösius, 1999: S.27.

[28] ebd.

[29] Lèvi- Strauss, 1976, Bd. III:532.

[30] vgl. Lèvi- Strauss, 1966 In: Setzwein, 2004: S.27.

[32] ebd.

[33] Setzwein, 2004: S.28.

[34] vgl. Lèvi-Strauss, 1966 In Setzwein, 2004: S.27.

[35] Setzwein, 2004: S.28.

[36] ebd.

[37] Setzwein, 2004: S.18.

[38] ebd.

[39] Setzwein, 2004: S.19.

[40] Duden – Das Fremdwörterbuch ,1974: S.409.

[41] Woll- Schumacher, Irene: Handeln und Geschlecht In: Bellers.,Jürgen/ Schulte, Peter 1998: Einführung in die Sozialwissenschaften: Grundlagen menschlichen Handelns, Münster

[42] Woll- Schumacher, 1998: S.9

Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
Ernährung und Geschlecht - Die Herstellung von Geschlecht im kulinarischen Rahmen
Hochschule
Universität Siegen
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
53
Katalognummer
V119529
ISBN (eBook)
9783640232963
ISBN (Buch)
9783640252220
Dateigröße
590 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ernährung, Geschlecht, Herstellung, Geschlecht, Rahmen
Arbeit zitieren
Leonie Ingelbach (Autor:in), 2008, Ernährung und Geschlecht - Die Herstellung von Geschlecht im kulinarischen Rahmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119529

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