John Locke und das System der bürgerlichen Gesellschaft


Hausarbeit, 2006

13 Seiten, Note: 1.7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I.Vorbemerkungen

II.HistorischerKontext und Entstehung derTreatises

III. Das politische System der bürgerlichen Gesellschaft
3.1. Herrschaftsrechte und Gesellschaftsgründung
3.2. Der Naturzustand
3.3. Der Sozialvertrag

VI. Fazit

V. Quellen-und Literaturverzeichnis

I. Vorbemerkungen

Kein Denker hat das 18. Jahrhundert mehr geprägt als John Locke. Sein Werk umfasst einen ansehnlichen Fundus aus Beiträgen zur Philosophie, Theologie, politischen Theorie und sogar zur Pädagogik. Darüber hinaus blieben seine Ansätze auch nach der Zeit des Absolutismus gültig und werden immer wieder herangezogen. Im Mittelpunkt der folgenden Arbeit sollen seine Schlüsse zur politischen Theorie stehen, mit denen er eine Reihe von Philosophen und Staatstheoretikern nachhaltig beeinflusste. So werden Lockes Ideen zur Staatlehre dargestellt, die im politischem HauptwerkTwoTreatisesofGovernment1 nachzulesen sind: In dieser Schrift finden sich seine innovativen Grundsätze für einen ‚besseren Staat’, denn die Zeit zwischen Bürgerkrieg und Absolutismus erforderte neue Modelle und die Herausbildung von modernen Gesellschaftsstrukturen. Somit ist auch nicht verwunderlich, dass Lockes Leitsätze eine wichtige Funktion in Zeiten des sozialen und gesellschaftlichen Umbruchs einnahmen2.

Im ersten Teil der Arbeit wird der historische Kontext nur kurz gestreift, so dass die Umstände, in denen Locke seine Ansichten formulierte, eingeschätzt werden können. Anschließend geht es um die Entstehung derTreatises. In der Folge werden dann maßgeblich die Schlagwörter ‚Gesellschaftsgründung’, ‚Naturzustand’ und ‚Sozial- vertrag’ erläutert und anhand der wesentlichsten Bestandteile dargestellt. Locke schrieb zwar auch über ökonomische Zusammenhänge des Staates und die Toleranz, doch soll es um die ausgewählten Kernelemente gehen, denn die ausführliche Bearbeitung seiner politischen Schriften hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Im Fazit werden schließlich die Teilergebnisse zusammengetragen und seine Leistungen abschließend dargestellt.

Was macht Lockes Werk für die politische Utopie so interessant? Welches Bild schwebte ihm vor, als er dieTreatisesverfasste und damit die grundlegenden Begrifflichkeiten für einen modernen Staat lieferte? Diesen Fragen soll im Folgenden auf den Grund gegangen werden.

II. Historischer Kontext und Entstehung der Treatises

Als John Locke seine großen philosophisch-politischen Schriften verfasste, befand sich Europa im Zeitalter der konfessionellen Bürgerkriege: Der Dreißigjährige Krieg hatte Deutschland verwüstet, in Frankreich regierte Ludwig XIV. und in England waren die Stuarts nach der kurzen Regierungszeit Cromwells wieder an die Macht gekommen. Der absolutistische Staat Englands galt in diesen Zeiten als Mittel zur Überwindung dieses historischen Ausnahmezustands und wurde von den Staats- treuen als Garant für Kontinuität begriffen. Auch der Philosoph Thomas Hobbes sah in der Souveränität dieses Staates eine stimmige Antwort auf die sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen: Er beschrieb den Naturzustand zwischen den Menschen als ‚Krieg aller gegen alle’, der erst durch die Übereinkunft der Individuen in einem Staatsvertrag gelöst werden könne. Im Sinne dieser vertraglichen Vereinbarung sollten die Menschen auf ihre gegensätzlichen und gegenläufigen Freiheiten verzichten. Des weiteren sollte im Zuge des gemeinsamen Schutzes alle Gewalt an den Staat übertragen werden, der wiederum erst durch dieses Bestreben entstünde3. Hobbes gilt als charakteristischer Theoretiker dieser Zeit und lieferte gewissermaßen die Vorlage, auf die Locke indirekt reagierte. Indirekt deshalb, weil die 1689 erschienenenTreatisesdem politischen Tagesgeschäft entsprangen und ursprünglich als Streitschrift gedacht waren4. So galt Lockes Polemik gegen die Herrschaft des Monarchen in erster Linie als Antwort auf die Theorien von Sir Robert Filmer, der radikale und patriarchalische Ansichten vertrat.

Der Royalist Filmer hatte bereits 1680 in der SchriftPatriarcha,or the Natural Power of Kingseindeutig Stellung bezogen und galt als Verfechter der absolutistischen Herrschaft. Gegen diese Königstreuen, welche die Monarchie als Abbild der göttlichen Macht ansahen, formierte sich bald eine Gegenpartei um Lockes politischen Lehrer Ashley, dem Graf von Shaftesbury5. So scheint es als gesichert, dass Ashley unter dem Eindruck der bevorstehenden Thronfolge Locke zur Abfassung derTreatisesveranlasste und diese nicht nach, sondern bereits vor der Glorreichen Revolution und zur Zeit Cromwells geschrieben wurden. Trotzdem ist ihnen die große Bedeutung für

das Selbstverständnis der Revolution von 1688/89 nicht abzusprechen, was durch die Verwendung der Hobbes’schen Kategorien ‚Naturzustand’ und ‚Staatsvertrag’ noch verstärkt wurde (§4; §97)6. Als reine Begründung der revolutionären Ereignisse sind sie jedoch nicht zu verstehen. Demnach können die Abhandlungen verschiedenartig gelesen werden, so dass einerseits die Beschäftigung mit Filmers Thesen stattfindet und andererseits die Hobbes’schen Ideen in einem anderen Licht erscheinen.

DieTreatiseswaren von Locke nicht als geschlossenes Werk konzipiert, sondern sollten vorrangig Filmers Thesen begegnen. Damit sind auch die hohen Anteile von Polemik zu erklären, die fester Bestandteil der Widerlegungsarbeit in den Schriften ist. Darüber hinaus wurde von Peter Laslett bereits 1960 herausgestellt, dass die Veröffentlichung der Abhandlungen mit einem hohen Risiko verbunden war7. Denn selbst 1689/90 war die Veröffentlichung keinesfalls harmlos, zumal das politische Gleichgewicht empfindlich gestört werden konnte. Die Stuarts waren zu diesem Zeitpunkt immer noch in der Lage zurückkehren. Somit ist auch nicht verwunderlich, dass Locke dieTreatisesanonym publizierte. Denn wenn er seine Argumente mit Hilfe der erkenntnistheoretischen Form des Essays kundgetan hätte, so Walter Euchner, wäre die Herkunft der Schriften nicht zu verheimlichen gewesen8. Die Jahre im holländischen Exil zeigen daher ganz deutlich, dass die politische Atmosphäre sehr gespannt war. Locke konnte erst nach der Revolution nach London zurückkommen.

Trotz der Darlegungen um die Entstehung derTreatiseskann nicht geleugnet werden, dass Locke unter dem Einfluss der Hobbes’schen Schriften stand. Das wird einerseits an den Modi seiner Arbeiten und andererseits an der Nähe zur klassischen Naturrechtslehre deutlich. Hinzu kommt, dass nach Ansicht einiger Forscher bereits die Jugendschriften zahlreiche Hobbes’sche Gedanken beinhalteten9. Die indirekte Polemik gegen Hobbes ist aber nicht als ‚Gegenkonzept’ zu verstehen, sondern Locke bediente sich lediglich der Begriffe und ordnete ihnen andere Bedeutungen zu10. Dies wird vor allem an seiner Definition des Naturzustandes erkennbar. Die Theorie, die in denTreatisesentworfen wurde, hat in einem hohen Maße den Staat der bürgerlichen Freiheit geprägt. Dies soll nun näher ausgeführt werden.

III. Das politische System der bürgerlichen Gesellschaft

3.1. Herrschaftsrechte und Gesellschaftsgründung

Wie bereits angedeutet, ging es Locke imFirst Treatiseum die Widerlegung von Sir Robert Filmers patriarchalisch-absolutistischen Thesen. Dabei orientierte er sich systematisch an der religiös begründeten Argumentationskette Filmers, deren zentrale Behauptung folgendermaßen lautete: Gemäß der biblischen Schöpfungs- geschichte und der göttlichen Vorsehung besitzt der Monarch das natürliche Recht auf Führung. Da nur Adam von Gott zum absoluten Gebieter über die Schöpfung gemacht wurde, „d.h. über die niederen Wesen sowie über Eva und seine Nachkommen“11, habe er das natürliche Recht über die Zeugung und über die Vererbungslinie zu bestimmen. Demnach sei keines dieser ‚niederen Wesen’ von Geburt an frei, was augenscheinlich ein klares Plädoyer für die Monarchie war. Filmer beschrieb dieses göttliche Recht äußerst angreifbar und ließ verlauten, dass es in jeder Menge von Männern einen geben müsse, „der als nächster Erbe Adams das Recht besitze, König über alle anderen zu sein.“12 Da jedoch viele Monarchen durch Wahlen oder z.B. Schenkungen an den Thron gekommen waren, hatte diese Argumentation einen entscheidenden Fehler und konnte von der Gegenseite als platte Begründung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse zurückgewiesen werden. An Lockes Antworten wurde daher schnell erkennbar, dass hier vollkommen konträre Vorstellungen von Gesellschaft und Herrschaft aufeinander prallten. Denn nach Locke war Adams väterliche Gewalt mit der politischen Gewalt des realen Staates nicht gleichzusetzen13. Diesen Unterschied des Herrschaftsverständnisses verdeutlichte er imSecondTreatiseanhand der Familie und am menschlichen Zusammenleben: So stellte er grundlegend heraus, dass die ‚politische Herrschaft’ des Vaters erst durch die Kinder legitimiert werden müsse. Zwar hätten die Eltern – und damit meint er Mann und Frau – eine Art Weisungs- und Erziehungspflicht gegenüber ihren Kindern, doch diese würde mit der Volljährigkeit der Kinder erlöschen. Die Kinder seien von

Natur aus freie Individuen (§ 61)14. „Die Richtschnur der bürgerlichen Gewalt ist das Wohl aller, die der elterlichen Gewalt das Wohl der Kinder“15.

In der Folge kritisierte Locke die ungenaue Quellenarbeit Filmers und widerlegte ihn an einer Reihe von formalen Denkfehlern16 bis er zur Darlegung der Gesellschafts- gründung kam: Die einzige Möglichkeit eine rechtmäßige Gesellschaft zu gründen, beruhe auf „[…] der Übereinkunft mit anderen, sich zusammenzuschließen und in einer Gemeinschaft zu vereinigen (§ 95)“17. Genauer ausgedrückt sei die Gründung einer politischen Gesellschaft „[…] nichts anderes als die Übereinkunft einer für die Bildung der Mehrheit fähigen Anzahl freier Menschen, sich zu vereinigen und sich einer solchen Gesellschaft einzugliedern (§ 99)“18. Das Mehrheitsprinzip war nach seiner Überzeugung elementar und folgte dabei dem Gesetz der Natur und der Vernunft. Nachdem Locke diese Gründungsvoraussetzungen dargelegt hatte, formulierte er seinen politischen Entwurf weiter, indem er die Ziele der Gesellschaft bestimmte: Somit habe der Mensch das Recht auf den Schutz des Lebens und der Freiheit, was er unter der allgemeinen Bezeichnung ‚Eigentum’ zusammenfasse (§123)19. Diese Schlüsselbegriffe seiner politischen Theorie begründete Locke durch die Notwendigkeit, das Eigentum gegen andere zu schützen. Um wiederum den Schutz des Eigentums zu bewerkstelligen, sei der Mensch zum Zusammenschluss mit anderen Menschen bereit. Denn das maßgebliche Ziel der Staatsgründung sei die Erhaltung des Eigentums, also des Lebens und der Freiheit. Jedoch nur im Rahmen der gesetzlichen Ordnung, d.h. die Maßnahmen zum Eigentumsschutz müssten sich am Gemeinwohl orientieren.

Trotzdem hat das Eigentumsrecht nicht die Funktion der Legitimation von Herrschaft auf einem ‚anderen Wege’. Genau wie das Heranwachsen der Kinder hilft es bei der Erhaltung und Pflege der Schöpfung, was ja u.a. auch im Sinne der Erziehungspflicht die Aufgabe der Eltern ist. Somit lieferte Locke ein in sich stimmiges System, obwohl es eigentlich nicht so angelegt war. Um seine Idee eines göttlichen Plans in der Natur

[...]


1 Im Folgenden wird die KurzbezeichnungTreatisesverwendet. Vgl. Locke, John: Zwei Abhandlungen über die Regierung. (Hg. u. eingel. v. Walter Euchner). Frankfurt am Main 1967.

2 Ashcraft, Richard: Revolutionary Politics and Locke’s Two Treatises of Government. Princeton 1986., S. 11

3 Macpherson, Crawford B.: Die politische Theorie des Besitzindividualismus. Von Hobbes bis Locke. (Übers. von Arno Wittekind). Frankfurt am Main 1973., S. 33

4 Euchner, Walter: John Locke zur Einführung. Hamburg 2004., S. 69

5 Euchner, Walter: John Locke zur Einführung., S. 70; Vgl. hierzu auch: Ashcraft, Richard: Ebd., S. 11 ff.

6 Locke, John: Ebd., S. 201; 265

7 Specht, Rainer: John Locke. München 1989., S. 175

8 Euchner, Walter: John Locke zur Einführung., S. 70

9 Euchner, Walter: Naturrecht und Politik bei John Locke. Frankfurt am Main 1969., S. 2

10 Macpherson, Crawford B.: Ebd., S. 269

11 Euchner, Walter: John Locke zur Einführung., S. 72

12 Euchner, Walter: John Locke zur Einführung., S. 73

13 Euchner, Walter: Naturrecht und Politik bei John Locke., S. 36

14 Locke, John: Ebd., S. 256

15 Specht, Rainer: Ebd., S. 176

16 Dabei zielte er insbesondere auf die Theorie derVererbung von Herrschaftab, die ihm bei näherer Betrachtung unlogisch erschien. Vgl. hierzu: Euchner, Walter: John Locke zur Einführung., S. 74/75 17 Locke, John: Ebd., S. 264

18 Locke, John: Ebd., S. 266

19 Locke, John: Ebd., S. 283

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
John Locke und das System der bürgerlichen Gesellschaft
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
1.7
Autor
Jahr
2006
Seiten
13
Katalognummer
V119579
ISBN (eBook)
9783640232178
ISBN (Buch)
9783640232277
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Arbeit zitieren
Christoph Hermes (Autor:in), 2006, John Locke und das System der bürgerlichen Gesellschaft , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119579

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