Die Trommel


Classic, 2008

26 Pages

Elisabeth von Heyking (Author)


Excerpt


Die Trommel

Zu den indischen Bergen, wo sie einst glücklich gewesen, hatte es sie zurückgezogen.

Oftmals war ihr im Traum die ferne indische Sommerstadt erschienen, die, einem riesigen Wespennest gleich, an der Bergwand zu hängen scheint und aus kühler Höhe herabschaut auf die endlose, in der Hitze dampfende Ebene tief unten.

Nun, nach Jahren, war die einsame Frau wieder dort oben.

Aus dem lärmenden, dünnwandigen Hotel mit den wackligen Holzveranden, wo sie, nach der langen Postfahrt bergan, abgestiegen war, trat sie bald wieder hinaus und schritt durch die winklig gewundenen Gäßchen des Bazars.

Es war da alles wie früher, und, wie so oft im Traume, erkannte sie es nun in der Wirklichkeit wieder. Da waren die glatten, geschmeidigen Händler aus Delhi, die schimmernde Goldstickereien und glitzerndes Geschmeide in elenden Buden feilbieten; die feierlichen Kaschmirioten, die ihre Warenballen aufrollen und alte Schals ausbreiten, deren Farben wie bunte Kirchenfenster glühen; die Holzschnitzer, die in offener Werkstatt immer wieder die gleichen durchbrochenen Wandschirme anfertigen. Kameele, in langer Reihe, zogen noch wie einst mit wiegendem Nicken der würdevollen Köpfe durch die Straße; neben ihnen afghanische Karawanentreiber mit grünem Turban und rotgefärbten Bärten. Unverändert waren auch die fetten bengalischen Babus mit ihren Imperatorenköpfen dekadenten Zeitalters, ihren togaartigen Gewändern, weißen Socken an nackten haarigen Beinen, schwarzen Zugstiefeln und baumwollenen Regenschirmen. Alles so unverändert, als müßten es noch dieselben Menschen, dieselben Tiere sein, die sie hier vor Jahren gesehen!

Aus dem Gewirr der Stimmen begann sie einzelne Klänge zu unterscheiden; sie hatte damals die Sprache der Eingebornen erlernt mit dem Eifer der Jugend und ihrem heiligen Glauben an den Wert des Wissens; jetzt erkannte sie die Laute, die sie so lang nicht mehr vernommen, und verstand alsbald wieder ihren Sinn.

Nun bog sie aufwärts zu dem bewaldeten Berge, wo die Bungalows der weißen Beherrscher des Landes verstreut im Grünen liegen. Hier begegneten ihr Regierungsboten in scharlachroten, goldbetreßten Gewändern; mit ernsten Mienen trugen sie für ihre fremden Gebieter Aktenmappen in die Ministerien oder auch kleinere Schriftstücke in die Wohnungen der vielen schönen Strohwitwen, die, selbst Kühlung suchend, aus der Sommerglut der Ebene aufsteigen zu den Bergen und hier manch neues Feuer entzünden. Rickschaws kamen der Einsamen entgegengesaust, gezogen von untersetzten, mongolisch aussehenden Gebirgskulis; blasse europäische Frauen lehnten darin, und eine jede, wenn sie nur ein bißchen hübsch und jung war, wurde von einem Reiter begleitet, der in Sonnenhelm, Flanellanzug und hohen Stiefeln neben ihrem leichten Gefährte trabte; der Syce, mit der Pferdedecke auf dem Rücken, keuchte hinterdrein.

Auch das - ganz wie einst.

Und doch alles so verschieden.

Damals hätte sie die Namen all der weißen Frauen und ihrer Begleiter gewußt, - heute schritt sie grußlos an ihnen vorüber. Denn sie war selbst fremd geworden, niemand kannte sie mehr; für die rasch wechselnde Gesellschaft dieser Sommerstadt gehörte sie schon zu einer entschwundenen Epoche. Aber tieferer Unterschied noch trennte sie von jenen: alle, denen sie begegnete, hatten Zwecke noch und Ziele, standen noch im Zwang des Wollens; sie aber war wie losgelöst von allem Seienden, glich, lebend noch, doch schon den Schatten, die sehnsuchtsvoll Stätten einstmaligen Lebens umschweben.

Ein seltsames Gefühl der Unwirklichkeit überkam die Wanderin. Wie im Traume stieg sie weiter hinan. Die Bungalows lagen nun alle hinter ihr; sie befand sich im dichten Walde. Aber ganz oben, nahe des Berges Gipfel, an den zerklüfteten Felsen gelehnt, in dessen Höhlen Gaukler, Schlangenbeschwörer und Fakire, die die heiligen Affen füttern, wohnen, - dort oben, wußte sie, stand noch ein Haus. »Das letzte Haus«, wie man es nannte. Dort hatte sie einst gewohnt. Nicht einsam damals.

Zum letzten Heim war ihr das letzte Haus geworden. Nachher - da war das schaudernde Erwachen aus dem Wahn gekommen, - aber hier, ja hier in diesem Walde, auf diesen selben Pfaden, da hatte sie ihres Lebens Traum geträumt. Unten im Bazar und zwischen den Wohnstätten der Weißen hatte sie nur all die altbekannten Gestalten wiedererkannt, die Statisten im längst gespielten Stücke ihres Lebens gewesen, - hier oben aber in des Waldes Stille, da fand sie sich selbst wieder. Sich - und ihn. - Die ganze entschwundene Vergangenheit erstand plötzlich vor ihr und füllte das tiefe Schweigen mit tausend Stimmen. Brausend rauschte es ihr aus den Kronen der knorrigen Deodare entgegen, murmelnd plätscherten es die gleitenden Quellen, säuselnd erzählte es der Wind in den Zweigen der rotblühenden Rhododendren, flüsternd winkten und wehten Farren und Gräser es ihr zu: »Hier bist du glücklich gewesen.« - Und als sie einzelne alte Bäume erkannte, bemooste Felsplatten gewahrte, auf denen sie oft gesessen, und noch dieselben Blumen wie einst blühen zu sehen glaubte, da erschien ihr, was doch Jahre zurücklag und wovon sie durch schlimmere Abgründe als Jahre getrennt war, so gegenwärtig, daß sie wähnte, es wieder fassen und an sich pressen zu können. Nur noch ein paar eilende Schritte, das letzte, steilste Stück des Weges hinan und dann würde sie ihn wieder erblicken; am Eingang des Hauses würde er stehen - und es würde alles sein wie einst!

Und nun lag es vor ihr, das letzte Haus. Wie sie es oft im Traume geschaut. Die eine Seite dicht an den Felsen gedrängt, schien es sich fest an ihn zu klammern, um mit weit vorspringendem Dach und Altane hinauszulugen über die bewaldeten Abhänge und die endlose Ebene tief unten. Doch er stand nicht da.

Die Pforte des Gärtchens gähnte weit offen und mußte wohl schon lange so gestanden haben, denn rankendes Gestrüpp hatte Tür und Angeln mit dichten grünen Ketten umwoben. Die Pfade des Gartens waren überwachsen, Rasen und Beete zu einem Feld blühenden Unkrauts geworden. Von allen Seiten drang wuchernde Wildnis ein. Dazu zirpten unzählige Zikaden, schillernde Libellen schossen surrend durch die Luft, Eidechsen raschelten an bröckelndem Gemäuer, langzüngige Chamäleone schielten nach schwirrenden Fliegen, Mücken summten in Schwärmen, wilde Tauben, gurrten wie im Traume. Am Boden aber hockte eine Schar großer grauer Affen; im Halbkreis umgaben sie einen der ihren; der war ein besonders menschenähnlicher alter Geselle und mochte wohl ihr Anführer sein; mit wichtigtuendem Geschnatter schienen sie Rat zu halten, während ihre übermütigen Jungen kichernd an den Zweigen schwangen. Und gerade diese Stimmen der völlig unbekümmerten Tiere erweckten ein Gefühl unendlicher Einsamkeit - sie sagten so deutlich, daß es da schon lange keine menschlichen Herren mehr gab, vor denen sie verstummen mußten.

Leise und behutsam schritt die Fremdgewordene durch den Garten, und ganz von selbst folgten ihre Füße den einstmaligen Windungen des verwischten Pfades. Zu der offenen Veranda führte er, die rings um das Haus lief. Und sie trat ein.

Wie oft waren sie beide da zusammen eingetreten! Wenn sie, müde vom frühen Morgenritt, nach dem grellen Sonnenlicht draußen hier schattige Kühle fanden; oder wenn sie, abends spät von Gesellschaften heimkehrend, noch einen Augenblick hier stehen blieben, ehe sie zur Ruhe gingen, und aneinander geschmiegt zurückblickten auf die tausend kleinen Feuer der Leuchtkäfer, die draußen im Gebüsch des nächtlichen Gartens blinkten.

Und die Diele der Veranda knarrte laut, als erinnere auch sie sich an all das!

Glastüren führten in die einzelnen Räume. Durch verstaubte, von Spinngeweben überzogene Scheiben schaute die einsame Frau in die Zimmer, die sie einst bewohnt, zaghaft, als läge da drinnen etwas, das nicht geweckt werden dürfe. Doch da war ja nur trostlose Leere, Verfall und Verlassenheit überall. Ihren sich erinnernden Augen aber verhüllten süße Bilder der Wirklichkeit Öde, und sie sah vieles, das längst entschwunden.

[...]

Excerpt out of 26 pages

Details

Title
Die Trommel
Author
Year
2008
Pages
26
Catalog Number
V119599
ISBN (eBook)
9783640226412
ISBN (Book)
9783640227709
File size
693 KB
Language
German
Keywords
Trommel
Quote paper
Elisabeth von Heyking (Author), 2008, Die Trommel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119599

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Title: Die Trommel



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