Blanche

Fünf Kapitel einer Liebesgeschichte


Classic, 2008

38 Pages

Victor Hadwiger (Author)


Excerpt


Inhalt

1. Das böse Maul

2. Die Phrase

3. Die Hochzeit der Eintagsfliegen

4. Das Gastmahl

5. Agonie

1. Das böse Maul

Über den blaßblau schillernden Smyrnaläufer huschten kleine Lichter und Sonnenkringel, sprangen über die Schwelle des Speisesaales und machten sich breit auf den bleichen Polstern der zierlichen Empirestühle, wie ein Volk zudringlicher Vögel. Zuweilen sprangen sie einem der schwarzen, feierlichen Männer, die mit gesenkten Köpfen um die Tafel saßen, vertraulich auf die Schultern und wärmten ihm den Nacken. Nur wenn ein Wort aus dem Munde der Schweigsamen fiel, flatterten sie gleichsam erschreckt in die Höhe und verschwanden wieder.[1] Durch vier offene Türen durfte man den flüchtenden Lichtern folgen bis an eine fünfte rätselhafte, florverkleidete, durch weite, üppige Perspektiven, über seidene Teppiche, feingetönte vornehme Tapeten und wundersam zierliche Möbel.

So waren sie eben die Bartholmé, schweigende Genießer hinter Portieren. So war auch er, der Tote, dort hinter der fünften Türe, nur noch um eine Nuance einsamer und schweigsamer. Fast ganz von der Sippe losgelöst war er wie ein Feldherr, den man mit seinem Stabe umgangen hat, der seine Bataillone zurückzieht und Posten um Posten aufgibt, bis auf ein kleines Dorf, das er verteidigen will. Aber auch das muß fallen. Haus um Haus wird erkämpft, und dann Anhöhe für den Heldentod.

Und die Männer der Bartholmé wußten das alles, daß ihr Charles der einsamste gewesen war unter ihnen, daß er ihnen vieles zuvorgetan und manches gegen sie unternommen hatte. Aber sie liebten ihn trotzdem, weil er ihre Art in einen Gipfelpunkt entwickelt hatte. – »Daß er auch so enden mußte, der arme Charles,« und sie schüttelten die Köpfe ganz auf ihre Art Ihre Mienen bekamen jenen nachdenklichen Feierabend, den man nur auf den Gesichtern ganz ernster Menschen zuweilen findet. So saßen sie heute da, jeder Muskel ein Bartholmé, und warteten auf den Imbiß, den ihnen die blasse Hausfrau besorgte. – Die blonde, kleine Frau, diese Filigranarbeit des lieben Herrgotts von Frankreich mit den wasser blauen Augen, die immerfort lachten und Sünden begingen auch in der Traurigkeit. Darum dachten die sieben Bartholmé an den bevorstehenden Imbiß und den darauffolgenden Familienrat mit den Gefühlen von Richtern, die ein mißlauniges Schicksal in jenen populären Konflikt von Pflicht und Sympathie gedrängt hat. Ja, es war zu peinlich, denn die Bartholmé waren nicht wie schlechte Dichter, die aus so etwas noch immer eine Tragödie machen wollen. Hätte man doch darüber hinweggehen dürfen mit einer vornehmen Geste oder so irgendwie.

Aber wenn sie ihre lichten graumelierten Köpfe, auf denen die bezeichnende Bartholmésche Familienblondheit noch immer die Vorherrschaft hatte, in einem kaum merklichen Takte bewegten, sah man, daß es mit einem vornehmen Darüber hinweggehen schlecht bestellt sei. Und der eine unbesetzte Stuhl da oben an der Tafel hatte manchem besorgten Blick standzuhalten. Es war noch ein Sitz im Rate frei.

Wie ein weißes Tuch lag das Schweigen über den Wartenden, und von Zeit zu Zeit war es gar, als hielten die Sieben den Atem an. Dann kamen leise Töne aus allen Luken und Winkeln, jenes Flüstern und Wispern, das schon bei der Concierge begann und leise und langsam über die Treppe emporkam. Mit dem Flüstern und Wispern aber kam auch das Achselzucken und jenes Kopfschütteln der Domestiken und lief wie ganz feine elektrische Schläge über die Schultern der Bartholmé.

Diese feinen Schläge hörten erst auf, als die leicht angelehnte Tür des Speisezimmers von dem Druck eines Fußes geöffnet wurde und Tante Claire mit der ersten Schüssel erschien.

»Guten Tag, meine lieben Bartholmé, es kommt mehr, es kommt gleich viel mehr; unsere kleine, süße Frau …«

Man rückte den ledigen Stuhl für Tante Claire zurecht und erwiderte den Gruß mit der langgeübten Herzlichkeit, die nichts Unehrliches mehr an sich hat, weil sie eine Kunst geworden ist. Und alle die andern kleinen Pointen und Wendungen, was brauchen sie mehr zu sein als ein rücksichtsvolles Pausenausfüllen.

So spannen die Bartholmé Heiterkeit und Laune von Mann zu Mann, wie Seile, auf denen sie ihre Seelen balancieren ließen. Sie waren privilegierte Lügner, diese feinen Gesellschaftsmenschen, liebenswürdige Lügner, wenn sie mußten; ihre Lügen waren wie geschäftige, kunstfertige Hände. Das wußte auch Tante Claire, und sie gab sich ihnen gefangen. Nur selten gingen ihre Blicke suchend und lauernd bis an die schwarze Tür und standen da still, als müßte jetzt oder dann eine unsichtbare Hand den Flor zerreißen und die liebenswürdigen Lügen ersticken.

In einem der fünf Nebenzimmer fiel ein Gegenstand zur Erde. Erschrocken hielt man einen Augenblick inne, und durch die Stille ließen sich kurze, prüfende Schritte von kleinen Füßen vernehmen. Dann ein feines, kaum hörbares Flüstern, und der Schatten einer Kinderhand über der verkleideten Tür.

»Unsere armen, kleinen Hühnchen, die armen, süßen, kleinen, gelben Putthühnchen, man hat sie am Ende gar vergessen.«

Tante Claire wollte noch etwas hinzufügen, als die Augen der sieben Bartholmé sich dem Saaleingang zuwandten, zwischen dessen halbgeöffneten Flügeln zwei schmale Frauenhände erschienen, leicht um eine Silberterrine gewölbt. Es waren die Hände der Frau Blanche Bartholmé, wie in einer bittenden Gebärde vorgestreckt. Wer sollte ihnen nicht zu Hilfe eilen, diesen schönen, bittenden Händen?

»Blanche, Blanche Vorsichtig, um Gottes willen« riefen die faltigen Lippen der Tante Claire in das Geräusch der gerückten Stühle hinein. »Blanche, Blanche, in deinem Zustand die schwere Terrine!«

»Willst du dich nicht setzen, mein Lieb? Hier, ich will dir den bequemen Stuhl zurechtstellen.«

»Danke, Claire, danke, Henry ist schon so gut.« Sie glättete mit einer verlegenen Bewegung der Finger das weite, schwarze Damastkleid. In dem satten Licht der Spätsonne glitzerten die Spitzen ihrer Haare von einem zarten Gelb bis in ein reines Weiß und Silber hinüber. Der kleine, zierliche Kopf bewegte sich mit jener koketten Traurigkeit, die man nur bei schönen und vornehmen Frauen findet, die etwas Erlösendes in den stumpfen Rhythmus der Begräbnisse bringt. – Ja, so war Frau Bartholmé, dieses kleine, graziöse Filigran mit seiner sieghaften Zartheit, mit seiner triumphierenden Schwäche. – Ja, so eine hatte er immer gewollt, der hinter der schwarzen Tür. Armer Charles Er, der blondeste Mann in Frankreich, viel zu blond für einen Franzosen, wollte die blondeste Frau der Republik und ein blondes Geschlecht. Eine geniale Caprice ihres Jüngsten hatten es die lächelnden Bartholmé genannt, dieses lichte Intermezzo innerhalb einer dunkeln Rasse. Lange hatte er gesucht, mit dem Heißhunger des begeisterten Sammlers, der zu seinen seltenen Stücken noch das seltenste und eigenste legen will. Und während er eine Brücke baute in Paris und man über seine Meisterschaft Debatten hielt, schickte er seine Sorgen in die Provinz. Im Departement der Marne fand er endlich seine Blanche, zu Chalons, auf dem Weinberg ihres Vaters, mit ihren schmalen Händen, die er küßte, mit jenen Augen, die immer sündigten, mit jener Seele, die ihn besiegte. Armer Charles, einen vornehmen Sammler hatte er für einen Liebhaber ausgetauschtem kühner Brückenbauer war an ihm zuschanden geworden, als er ein eifersüchtiger Gatte und ein unglücklicher Vater wurde.

Man wartet nicht lange in Paris, man geht gern bequem und liebt klingende Namen über den Dingen, die entstehen. So wartete man auch ungeduldig auf seine Brücke. Aber die wollte nicht fertig werden, und schließlich – es war so um den dritten Pfeiler –, da kam ein anderer, der nahm dem Charles alles ab, Arbeit, Verantwortung und Ehre. Es war ein kleiner Weltverächter ohne Passionen und Leidenschaften.

Die sieben Bartholmé betrachteten den Kleinen wie einen Erbfeind ihres Hauses, aber Charles, der hatte nur gelächelt, als er den Rückzug antrat. Was verstanden die Bartholmé von seiner Welt Feine, schmale Hände muß man haben, und wenn man ein Ding betastet, muß man die Seele des Dinges fühlen können. Hatten die Bartholmé etwa solche Hände, diese plumpen Aristokraten, die dort stecken geblieben waren, wo er begann? Blanche, ja, Blanche, die hatte etwas davon, wenn ihre Finger in Bewegung waren, wenn sie leise, kaum merklich vibrierten an einer Tulakapsel oder einer kleinen, stilvollen Vase, und wenn sie dann ein abwesendes Lächeln in so ein kleines Gefäß hinabgoß. Ja, Blanche, die hatte Stil, die war selbst so eine kleine Vase, in die man hineinlachen und hineinweinen und sich freuen konnte, weil kein anderer seine Hand daran rühren darf. Dann aber ist es' ein Sonntag der Seele, wenn man sie einmal einem Besucher zeigt.

Es kamen viele Sonntage zu Charles, als er seine kleine Nippessache, die Blanche, neben sich aufgestellt hatte und sie mit seinen feinen Händen hütete, sie erklärte mit dem ihm eigentümlichen Tonfall und der differenzierten Bewegung des berauschten Kenners.

So hatte Blanche neben ihm gelebt, zur Grazie und Eigenart erzogen, in das Parfüm einer betäubenden Kultur getaucht. Und vier Jahre lebte er neben ihr in diesem Rausch des Sammlers, ohne Jahreszeiten möchte man sagen, immer in einer temperierten Stubenwärme. Nur als sich Hoffnungen erfüllten, die mit in seinen Glücks- und Lebensplan gehörten, waren die Schritte des intimen Genießers für Augenblicke rascher und lauter geworden, als hätte man die Perser zurückgerollt, die sonst alle vorlauten, störenden Geräusche hinwegnahmen. Das war damals, als seine beiden blonden Kinder ankamen, Blanche, die kleine, und Cecile ein Jahr jünger, beide ein Traum von Schönheit, eine Erfüllung. Aber dann bekamen auch sie ihren Platz und wurden ein neuer Akkord in dem stillen Rhythmus des Bartholméschen Hauses. Nun begannen die Besucher Charles auch zu verstehen, und die Bewunderer sprachen von einer zarten Randleiste über seinen Lebensblättern. Wenn einer einmal mit versteckter Ironie auf die Dekadenz eines solchen Geschmackes anspielte oder mit täppischen Gebärden und Bemerkungen die feinen Gewebe verletzte, wenn das vorkam, dann schlossen sich die Türen lautlos, und es mußten wieder Wochen vergehen bis der nächste Besucher Einlaß fand.

Nur einer, der blieb immer da; der mußte eine Tür gefunden haben, zu der es keinen Schlüssel gab, oder gar selbst einen Schlüssel haben. Der kleine verdrießliche Brückenbauer mit wulstigen, roten Händen, der ging jetzt aus und ein, und seine breiten Amerikaner tappten selbstbewußt über die Smyrnaläufer. Ja, selbst ein Lächeln, so ein ganz gesundes, oberflächliches, schien jetzt über die mürrische Apathie des Arbeitsharten den Sieg davongetragen zu haben.

Und das war wieder ganz ein Charles. Gerade dem, der ihn in jenem Leben von Einst abgelöst hatte, gerade dem mußte er seine »Schätze« zeigen, jene kleinen, tief unergründlichen, gewählten Welten, um die man einen goldenen Ring geschmiedet hat; nur so von oben mußte er den hinabschauen lassen in die schmalen Gläser und Vasen, in die Nischen und Hecken, in denen Geheimnisse nisteten, wie fremde, südliche Vögel.

Er verachtete die Menschen, die Brücken bauten, um zueinander zu gelangen. – Wälle um sich herum muß man aufwerfen und versteckte Batterien muß man haben, Brustwehren und goldene Panzer. Und dann muß man triumphieren just vor denen, die die Härtesten und Klügsten sein wollen, die Brückenbauer und Vielmenschen. Das war wieder der ganze Charles Bartholmé.

»Der hat eine pointierte Schwerfälligkeit,« ließ er so nebenbei einmal fallen, als der kleine Breitschultrige sich zu Frau Blanche in Liebenswürdigkeiten vergaß. Und Frau Blanche lächelte ganz eigen, so verwundert kindlich, wie Charles es liebte. Aber dann fiel sie doch aus der Rolle. – Sie mußte die Kleinen zu Bett bringen und verabschiedete sich früher als gewöhnlich.

Charles hatte den Vorfall lange nicht vergessen können. Aber sein Widerwille gegen alles Laute und Aufgeregte verbot ihm jede Auseinandersetzung. – Seine lieben, blonden Kinder, wuchsen sie doch unter den zarten Händen der Frau Blanche wie zwei lichte Blumenkelche, eine Art aus einem unentdeckten Land. Immer sah er diese Hände über den Köpfen seiner Kinder schweben, und dann hatten sie etwas Gütig-Leidendes, Mutterhaftes. –

»Dieser Mensch macht eine Offenbarung aus seinen Rücksichtslosigkeiten.«

Die Schritte Charles hatten bei diesen Worten ein rascheres Tempo angenommen, und Frau Blanche war ein wenig blaß geworden. – Die Pausen im Hause Barholmé mehrten sich nun und hatten oft etwas bedrückend Schwüles. Die Tage bekamen langweilige Gesichter, und oft lag die Sonne länger auf den Teppichen und Decken, als man es ihr gestatten wollte. Es war, als hielte eine unsichtbare Hand das Pendel der Uhren fest. In dieser verschüchterten Stille wuchs das neue Schicksal der Bartholmé wie etwas Dunkles in der Dämmerung; die Menschen und Dinge hatten die Klarheit ihrer Linien verloren. Die Worte kamen gedämpft und mehr fragend als bestimmend. Allen im Hause hatte sich dieses Warten und Sichfürchten mitgeteilt. Es war, als hätten sie ihre Fröhlichkeit an die herrlichen Herbsttage da draußen verschenkt.

Und wenn jemand unter ihnen war, der sich sein Lächeln gerettet hatte, so war es Frau Blanche selbst, auf deren gesegneten Leib sich alle die fragenden und wartenden Blicke nun zum dritten Male vereitilgten. Stundenlang saß sie oft am Fenster und schaute den Spatzen zu, die in den reifen Kastanien spielten, um dann erschrocken aufzuhorchen, wenn sich draußen auf dem Gange Schritte vernehmen ließen und der schwarze, struppige Kopf des Baumeisters mit seinen derben, harten Linien zwischen der Tür erschien.

Das Kind wurde geboren in den Tagen der Weinernte, mit schwarzen, dichten Härchen über den Zügen der Frau Blanche. –

Die breiten Schritte des Brückenbauers und die grobe Sicherheit seiner Bewegungen kamen nun zu noch größeren Rechten, und wenn ihn die blasse Frau in dem alten Fauteuil empfing, konnte er den Überwinder nicht mehr verleugnen. Allmählich schien es, als hätte er den brutalen Rhythmus seiner Person allen den zierlichen Dingen da ringsum aufgedrängt; die Worte begannen das Gedämpfte Tastende zu verlieren, und die Mienen der Dienerschaft hatten eine aufdringliche Deutlichkeit bekommen; hinter den verhangenen Türen klang es wie springende Schlösser.

[...]


[1] Der Quelltext weist hier leider eine Text-Lücke auf. Folgende Worte wurden von der Redaktion entfernt: 'in eines Speisesaal angeschlossen'

Excerpt out of 38 pages

Details

Title
Blanche
Subtitle
Fünf Kapitel einer Liebesgeschichte
Course
-
Author
Year
2008
Pages
38
Catalog Number
V119790
ISBN (eBook)
9783640229680
ISBN (Book)
9783640231140
File size
533 KB
Language
German
Keywords
Blanche
Quote paper
Victor Hadwiger (Author), 2008, Blanche, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119790

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