Die volkssprachliche Literatur im Hochmittelalter befasst sich überwiegend mit ernsten Themen. […] Ob diese Vorstellung der gelebten Realität entsprach ist nicht nur mehr als fraglich, sondern selbst für den miles christianus […] widerlegt. Umso heller strahlen adlige Tugenden in den fiktiven mittelhochdeutschen Epen. […] Dementsprechend spielen Humor und Komik in diesen Werken eine untergeordnete Rolle. Wenn in [den Nibelungen] die ,musikalischen’ Bluttaten Volkers des Spielmannes beschrieben werden, klingt dieser Teil zwar brutal und makaber, […] wirkt [aber] zumindest für unsere Ohren darüber hinaus grotesk scherzhaft: Sîne léiche lûtent übele, sîne züge die sint rot: jâ vellent sîne doene vil manigen helt tôt. Mutet uns hier etwas komisch an, was für den zeitgenössischen Rezipienten keinesfalls „witzig“ war und vom Autor nicht beabsichtigt wurde? Oder fehlt andererseits dem Menschen unserer Zeit […] die Fähigkeit zum Verständnis des mittelalterlichen Humors […]? Passiert es uns nicht oft genug, dass wir Witze nicht verstehen, weil sie nicht unserem Erfahrungshorizont entsprechen? […] Der Humor mittelalterlicher Literatur stellt nicht nur in der Frage nach dem Verständnis, sondern auch in Bezug auf seine Funktion in den Texten ein Problem dar, das sich bis in den Bereich der Mentalität fortsetzt. Humor und Komik verlangen einen distanzierten Blick auf die Welt[…]. Man könnte sagen, dass der Mensch, der Humor benutzt, sich seiner Individualität bewusst ist. […] Die Wandlung der Mentalität hin zur „Subjektivität“ […] bildet nach wie vor eines der Elemente zur Bestimmung des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit. Die Frage stellt sich, ob Subjektivität im Mittelalter empfunden wurde. Ein Weg, das herauszufinden, führt über die Untersuchung des Humors.
Der erste Teil der Arbeit soll in das Wesen der Witztheorie einführen […] und die problematische Beziehung des Christentums […] zum Lachen beleuchten.
Mit Wolfram von Eschenbach begegnet uns um 1200 ein Autor, dessen Umgang mit dem Artusroman als Hochform des Ritterepos, die bis dahin gesetzten Grenzen im Bereich Humor, Ironie, Erzählerperspektive und Publikumsanrede sprengt. In diesen Punkten sticht unter seinen drei großen Werken der Parzival besonders hervor. […] Um Wolframs Humor näher zu kommen, [ist] der Parzival das ergiebigste Werk, weshalb er im Hauptteil der Arbeit die größte Rolle spielen wird. Dort soll geklärt werden, wie Wolframs Humor funktioniert und in welchen Zusammenhängen er ihn einsetzt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlegendes zum „Lachen“
2.1. Zu Komik, Humor und Witz
2.2. Der Humor im Mittelalter und sein Verhältnis zum Christentum
3. Der Humor Wolframs von Eschenbach und seine Sonderformen
3.1. Witztypen bei Wolfram
3.2. Wolframs Spiel mit Witz und Ernst
3.3. Die Selbststilisierung des Erzählers
4. Kreaturen und Kreatürlichkeit des Parzival im Dienst des Lachens
4.1. Die Tiere im Parzival
4.2. Die Körperlichkeit
5. Schlussbetrachtung
6. Primärliteratur
7. Sekundärliteratur
Lexika:
1. Einleitung
Die volkssprachliche Literatur im Hochmittelalter befasst sich überwiegend mit ernsten Themen. Eine ganze Gattung widmete sich den moralischen Prinzipien der adligen Gesellschaft wohlgemerkt beiderlei Geschlechts. Frauendienst, rechtes und gottgefälliges Handeln im Kampf als Ehrenkodex der Ritterschaft, sowie staete und triuwe auf Seiten der frouwen. Ob diese Vorstellung der gelebten Realität entsprach ist nicht nur mehr als fraglich, sondern selbst für den miles christianus durch die Ereignisse der Geschichte widerlegt.[1] Umso heller strahlen adlige Tugenden in den fiktiven mittelhochdeutschen Epen. Ehre und Moral sind ihrem Wesen nach ernsthaft und dementsprechend spielen Humor und Komik in diesen Werken eine untergeordnete Rolle. Wenn in der 33. Aventiure des Nibelungenliedes die ,musikalischen’ Bluttaten Volkers des Spielmannes beschrieben werden, klingt dieser Teil zwar brutal und makaber, aber das Ausreizen der Spielmannsmetapher wirkt zumindest für unsere Ohren darüber hinaus grotesk scherzhaft: Sîne léiche lûtent übele, sîne züge die sint rot: jâ vellent sîne doene vil manigen helt tôt.[2] Mutet uns hier etwas komisch an, was für den zeitgenössischen Rezipienten keinesfalls „witzig“ war und vom Autor nicht beabsichtigt wurde? Oder fehlt andererseits dem Menschen unserer Zeit, der die vor wenigen Jahren erst ausgerufene Spaßgesellschaft erlebt hat, vielleicht die Fähigkeit zum Verständnis des mittelalterlichen Humors überhaupt? Passiert es uns nicht oft genug, dass wir Witze nicht verstehen, weil sie nicht unserem Erfahrungshorizont entsprechen? So ist z.B. der Humor von Mathematikern einem Menschen ohne umfassende mathematische Kenntnisse vollkommen verschlossen. Der Humor mittelalterlicher Literatur stellt nicht nur in der Frage nach dem Verständnis, sondern auch in Bezug auf seine Funktion in den Texten ein Problem dar[3], das sich bis in den Bereich der Mentalität fortsetzt. Humor und Komik verlangen einen distanzierten Blick auf die Welt, die Mitmenschen und die eigene Person. Man könnte sagen, dass der Mensch, der Humor benutzt, sich seiner Individualität bewusst ist. Bei dem Philosophen und Theologen Meister Eckhart (ca. 1260–1328) dagegen ist das Wort ,ich’ nieman eigen dan gote aleine in siner einicheit[4]. Die Wandlung der Mentalität hin zur „Subjektivität“, Karl Bertau[5] verwendet diesen Begriff, bildet nach wie vor eines der Elemente zur Bestimmung des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit. Die Frage stellt sich, ob Subjektivität im Mittelalter empfunden wurde. Ein Weg, das herauszufinden, führt über die Untersuchung des Humors. Der erste Teil der Arbeit soll in das Wesen der Witztheorie einführen, deren zentrale Begriffe klären und die problematische Beziehung des Christentums als allumfassende Lebenswirklichkeit des Mittelalters zum Lachen beleuchten.
Mit Wolfram von Eschenbach begegnet uns um 1200 ein Autor, dessen Umgang mit dem Artusroman als Hochform des Ritterepos, die bis dahin gesetzten Grenzen im Bereich Humor, Ironie, Erzählerperspektive und Publikumsanrede sprengt. In diesen Punkten sticht unter seinen drei großen Werken der Parzival besonders hervor. Sein Willehalm ist mit witzigen Wendungen sparsamer versehen, während im (älteren) Titurel die für Wolfram typischen Wortspiele fast völlig fehlen. Dagegen bewegt sich die Geschichte des letzteren auf einer höheren, metaphorisch eng durchsetzten und verzweigten Erzählebene. Wie im Parzival und teilweise im Willehalm werden hier Sinn und Wesen des höfischen Lebensbereiches und seiner Sprache überhaupt in Frage gestellt, nur passiert das ohne die Ausschöpfung witzelnder Andeutungen. Es fehlt zwar im Titurel nicht an komisch wirkenden Bildern, wenn Schionatulander barfüßig an einem Bach sitzt und mit seiner Angel Fische fängt[6] oder in diesem ungezwungenen Aufzug ergebnislos dem entfliehenden Bracken hinterher springt[7], doch explizite Komik sucht man in diesem Alterswerk vergebens. Um Wolframs Humor näher zu kommen, bleibt der Parzival das ergiebigste Werk, weshalb er im Hauptteil der Arbeit die größte Rolle spielen wird. Dort soll geklärt werden, wie Wolframs Humor funktioniert und in welchen Zusammenhängen er ihn einsetzt.
2. Grundlegendes zum „Lachen“
2.1. Zu Komik, Humor und Witz
Um subjektive Komik zu produzieren, muss sich der Mensch in einem Verhältnis zur Welt erkennen und empfinden, wie eingangs bereits formuliert wurde.[8] Die Differenzierung in Witz, Komik und Humor wurde zuerst von Sigmund Freud unternommen.[9] Er definierte Humor als eine Verbindung aus dem Ich und dem Über-Ich, das abstrakten Erscheinungen wie Schicksal und Gott entspringt. Wenn ein Individuum die distanzierte, scheinbar zeitlose Position des Über-Ichs einnimmt und damit den Schranken seiner begrenzten Wahrnehmung entkommt, kann es über das eigene oder das Ich anderer Menschen genauso wie über bestimmte Situationen „lächeln“. Die Komik dagegen entspringt einer konkreten, historischen Situation. Sie verzichtet auf die Reflexion über die Endlichkeit der Handlung, im Unterschied zur Position des Über-Ichs in der Ewigkeit im Fall des Humor. Der Witz unterscheidet sich von den beiden genannten humoristischen Formen[10] durch seine Existenz im Unbewussten, das nicht mit dem Unterbewussten gleichzusetzen ist. Er entsteht im kurzzeitigen „Überspringen des Bewusstseins“[11]. Ohne willentliche Anstrengung entsteht der Kontakt zwischen Ich und Es. Das Momentane bringt den Witz der Komik nahe, denn auch er ist historisch verortet. Freud hat sich in seiner Studie der Erforschung dieses sprunghaften Aufleuchtens des Unbewussten im Bewussten zugewandt.[12]
Zur Unterscheidung formulierte er abschließend:
„Die Lust des Witzes schien uns aus erspartem Hemmungsaufwand hervorzugehen, die der Komik aus erspartem Vorstellungs (Besetzungs) aufwand, und die des Humors aus erspartem Gefühlsaufwand .“[13]
Die Ebene des Witzes ist deutlich greifbar, da seine Erscheinungsform meist knapp formuliert ist. Dagegen lassen sich Humor und Komik nur schwer beschreiben und formulieren, denn Ersterer benennt eher eine nur schwer fassbare, unklar umrissene Geisteshaltung, während Letztere ihr Potential zu sehr aus der konkreten Situation schöpft, um von ihr losgelöst erfahrbar zu sein. Freud unterschied also den Witz zunächst in die Gruppe der Wortwitze und die Gruppe der Gedankenwitze. Im Zuge der Analyse der Witztendenzen etablierte er den Begriff des „ersparten Hemmungsaufwandes“, der im Folgenden noch Verwendung finden wird. Zum Wesen des Witzes gehört seiner Meinung nach die soziale Motivation. Der Erzähler ist auf das Lachen des Rezipienten angewiesen, denn sein Witz entfaltet seine Wirkung erst im kommunikativen Akt mit dem Anderen. Im Idealfall besteht eine direkte Verbindung, da so die Wirkung auf den Rezipienten für den Witzmacher deutlicher ablesbar und das Echo stärker ist. Das heißt nichts anderes, als dass die Genugtuung für den Schöpfer oder Erzähler von Humor im unmittelbaren Lachen des Gegenübers größer ist, als bspw. in einem späteren Bericht über den Lacherfolg. Dieser kann die Stimmung nicht direkt wiedergeben. Das Problem des Witzes selbst liegt ebenfalls in der Aktualität, denn die meisten Witze schöpfen ihre Lacher aus den gegenwärtigen Umständen,[14] woraus die Begrenztheit ihrer Lebenszeit resultiert. Für diese später „ausgebrannten“, bzw. wirkungsleeren Witze hat Bertau den Begriff der „Toten Witze“ benutzt, der so treffend wie bildhaft ist. Doch auch einen toten Witz kann man noch verorten. Selbst wenn er keine Lacher mehr erzeugt, kann er nachvollziehbar bleiben. Freud sprach von ,schlechten Witzen’, wenn sie an die Aktualität gebunden waren und von ,guten Witzen’, wenn ihre lachenerzeugenden, entgegengesetzten Vorstellungen auch ohne Gegenwärtigkeit vom Rezipienten sinnvoll verbunden werden können.[15]
2.2. Der Humor im Mittelalter und sein Verhältnis zum Christentum
Bei der Betrachtung des Humors im Mittelalter sind wir auf Schriftzeugnisse angewiesen, da jegliche mündliche Überlieferung nicht nur schwerlich nachvollziehbar, sondern auch höchst unwahrscheinlich ist. Unser Bild vom damaligen Urteil über Lachenswertes muss notwendig eingeschränkt bleiben, denn nicht nur die des Lesens und Schreibens unkundigen Kreise verschwinden am Rand, auch ein wahrhaftiges Abbild des Humors fällt nicht in den Blickbereich. Vermutlich blieb vieles ungeschrieben, was als religiös, sexuell oder ästhetisch anstößig angesehen wurde. Obwohl gerade der geschlechtliche Bereich überraschend häufig und offen angesprochen ist. Um nur ein Beispiel zu nennen, sei die Bearbeitung des ,Tristan’ Ulrichs von Türheim gewählt. In einer Episode reitet Isôt auf ihrem Pferd, als unerwartet Wasser an ihr hoch spritzt, und zwar under die wât, biz hin dâ daz süeze stât: des begunde Ysôte lachen und vluochen doch der lachen.[16] Sie assoziiert im Selbstgespräch das Wasser mit einer ihre Beine entlang tastenden Männerhand.[17] Besonders interessant ist hier aber auch das Lachen im Handlungskontext. Derartige Stellen können Aufschluss über die mittelalterlichen Vorstellungen von Humor geben, denn worüber die (positiv besetzten) handelnden Figuren im Roman lachen, das könnte auch dem Geschmack des realen Publikums entsprochen haben. Sexualität taucht in der Handlung des höfischen Romans meist im Zusammenhang mit Witzen oder komischen Bildern auf. Der entgegengesetzte Fall ist nicht unproblematisch: Ernst gemeinte Texten, die aus heutiger Sicht Lachenswertes enthalten. In St. Gallen wurde einem Klosterschüler als Briefbeginn folgender Satz vorgeschlagen: „Meinen Eltern ein frommes Blöken zuvor von X., dem entwöhnten Lamme.“[18] Die vermeintliche Komik des „frommen Blökens“ ist in der Allegorie durch das biblische Lamm neutralisiert. Hier handelt es sich nicht um eine Textstelle, die Lachen hervorrufen sollte, unserem Erfahrungskontext nach jedoch komisch zu sein scheint. Gleiches gilt für die Heldenepik. Im Iwein Hartmanns von Aue versucht der Löwe seine seelische Pein durch Selbstmord zu beenden. Er will sich erstechen und handelt an dieser Stelle gemäß dem höfisch-männlichen Ehrenkodex. Das nach heutigem Geschmack scheinbar Groteske der Szene hätte ein mittelalterlicher Hörer oder Leser nicht empfunden. In ihrem Ernst verliert das Komische seine Kraft.[19] Wie sich gezeigt hat, ist das Lachen ein schwer definierbares, unscharfes Phänomen, entsprechend vorsichtig muss die Beurteilung mittelalterlicher Komik ausfallen. Ein vollständiges Bild des Humors lässt sich ohnedies nicht ermitteln, allein schon aufgrund des Ausmaßes dieses Themas[20].
Die Produzenten und Träger von Komik waren im Mittelalter in besonderem Maße die joculatores oder „Spielmänner“. Sie verdienten ihren Unterhalt durch die Darstellung und den Vortrag von Komik. Darunter fallen sowohl mündlicher Vortrag, als auch gestische Darstellung oder Artistik. Anders als der Minnesänger, der seine Dienste am Hof anbot, musste der Spielmann den Publikumsgeschmack verschiedener Schichten treffen. Die zeitgenössische Literaturkritik mied die Auseinandersetzung mit dem Humor. So wurde Wolfram von Eschenbach auch nicht als Humorist, sondern als „Kenner dunkler Geheimnisse“ identifiziert.[21] Um überhaupt etwas über die Prinzipien der comoedia wie über jede andere Kunst und Wissenschaft zu lernen, musste man sich im Mittelalter an die rhetorischen Werke der antiken Autoren wenden, im Fall der Komik an Ciceros De oratore und Quintilians Institutio oratoria.[22] Ob und wie intensiv die antiken Rhetoriken darauf hin gelesen und gelehrt wurden, liegt allerdings im Dunkeln, und damit auch ihr Einfluss auf die Ausbildung mittelalterlicher Komik. Da den antiken Schriften besondere Bedeutung zukam, kann man allerdings von einer Nutzung derjenigen antiken Prinzipien ausgehen, die auch dem mittelalterlichen Autor noch einleuchtend waren. Das war bspw. die Widergabe der vermeintlichen Meinung eines anderen, die dieser ganz augenscheinlich nicht hegt, wodurch eine komische Wirkung erzeugt wurde. So rief Cassius einem Soldaten zu, der sein Schwert vergessen hatte: ,He, Kamerad, du wirst deine Faust tüchtig brauchen!’[23] Ein weiteres Prinzip war das Lachen über Erwartungsenttäuschungen. Cicero sagt, dass „die bekannteste Form der Komik dann gegeben ist, wenn etwas anderes gesagt ist, als wir erwarten“.[24] Den mittelalterlichen Autoren waren auch die Verspottung[25] und die Hyperbel bekannt, um Lachen und Witz zu erzeugen. Beide Mittel tauchen in der Rhetorik Quintilians auf.[26] Der Zweck witziger Formulierungen bestand darin, mittels ausführlicher Situationsdarstellungen, Personenbeschreibungen und Handlungsberichten Laster und Fehlverhalten aufzuzeigen.[27] Ziel war also eine didaktische Wirkung auf den Zuhörer und Leser. Dieses Motiv dürfte auch Wolfram geleitet haben, wenn er an etlichen Stellen durch Kritik am höfischen Prinzip und dessen Regeln die „hohe Moral“ des Adels problematisierte, sogar relativierte und sein höfisches Publikum zur Selbstreflexion anregte. Um nur eine Textstelle herauszugreifen, sei auf die „Blutstropfenepisode“ im Parzival verwiesen: Segramor greift den geradezu hypnotisierten Parzival zwar nach allen Regeln von Recht und Kunst an, wird aber niedergeworfen.[28] Erst die friedliche, weniger heldenhafte Lösung Gawans führt zum Ziel, indem er ein Tuch über die bannenden Blutstropfen legt.[29]
Der humoristische Erfolg des einzelnen Witzes wie auch des joculators zeigt sich im Lachen des Publikums. Worüber aber wurde gelacht? Einmal kann man davon ausgehen, dass die erfolgreichen Witze am längsten überlebt haben dürften. Ob aber Wolframs Parzival wegen seiner hohen Witzdichte oder nicht etwa wegen der Gralsthematik oder aus anderen Gründen als erhaltenswert eingestuft wurde, ist ohne überlieferte Aussagen zur Rezeption durch seine Zeitgenossen und spätere Leser und Abschreiber nicht mit Gewissheit feststellbar. Mehr Aufschluss über das Lachenswerte im Mittelalter bietet u.U. das handlungsintegrierte Lachen. Ein Beispiel wurde bereits in der Wasser-Episode mit Isôt genannt. Ein weiteres ist das ,magisch-prophetische’ Lachen der Cunneware in Wolframs Parzival, die erst dann Lachen kann, wenn sie dem besten Ritter begegnet und zwar in diesem Fall Parzival.[30] Leider sind beide Beispiele ebenso wie Dutzende andere nicht ergiebig für den Erkenntnisgewinn über literarisch Lachenswertes im Mittelalter. Dagegen finden sich nutzbare Stellen wiederum im Parzival. Als Gawan von Arnive die „Leidens“-Geschichte des bösen Zauberers Clinschor[31] erfährt, lacht er laut auf.[32] Hier könnte Gawan mit seinem Lachen über eine etwas derbe, aber komische Geschichte die Rolle des Publikums übernommen haben.[33] Ein Aspekt gerade dieses Lachers mag Schadenfreude sein.
[...]
[1] Die Kreuzritter bspw. plünderten während des vierten Kreuzzuges 1202–1204 Konstantinopel, das damalige Zentrum der oströmischen christlichen Kirche.
[2] Nibelungenlied, Str. 2002, V. 1f. Zitiert nach: Das Nibelungenlied. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Stuttgart: 20022, S. 602, Str. 2002, V. 1f.
[3] Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. Stuttgart: 20048, S. 224. (= Sammlung Metzler, Bd. 36.)
[4] Friedrich Christoph Dahlmann, Georg Waitz: Quellenkunde der Deutschen Geschichte. Bd. 2. Herausgegeben von Hermann Heimpel und Herbert Geuss. Stuttgart: 196910, Pred. 28, 68, 4. Zitiert nach: Lexikon des Mittelalters. Bd. 5. Stuttgart: 2002, Sp. 40f.
[5] Karl Bertau: Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte. München: 1983, S. 109.
[6] Wolfram von Eschenbach: Titurel. Herausgegeben und übersetzt von Helmut Brackert, Stephan Fuchs-Jolie. Berlin, New York: 2003, Str. 159, V. 1f., Str. 164, V. 2. Im Folgenden zitiert als ,Titurel’.
[7] Titurel, Str. 165.
[8] Hans Fromm: Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters. In: DVJS. Bd. 36. 1962, S. 323.
[9] Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. 1905. In einer Neuauflage erschienen als: Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Leipzig, Weimar: 1985. Im Folgenden zitiere ich nach Karl Bertau: Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte. S. 65– 109.
[10] Zur besseren Verständlichkeit gebrauche ich den Begriff synonym für alle drei Erscheinungen im Sinne von Lustigkeit, lustig sein, Heiterkeit, Witz, etc.
[11] Karl Bertau: Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte. S. 65.
[12] Ebd., S. 65f.
[13] Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. S. 269.
[14] Karl Bertau: Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte. S. 68.
[15] Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. S. 135.
[16] Ulrich von Türheim: Tristan. Herausgegeben von Thomas Kehrt. Tübingen: 1979, V. 401-404. (= Altdeutsche Textbibliothek 89) Zitiert nach: Christoph Huber: Lachen im Höfischen Roman. Zu einigen komplexen Episoden im literarischen Transfer. S. 353. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Herausgegeben von Ingrid Kasten, Werner Paravicini, René Pérennec. Sigmaringen: 1998, S. 345-358. (= Beihefte der Francia. Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris. Bd. 43.)
[17] Christoph Huber: Lachen im Höfischen Roman. S. 353.
[18] Parentibus suis A. agnus ablactatus pium balatum. Herausgegeben von Jakob Bächtold. In: ZfdA. Bd. 31. 1987, S. 191. Übersetzt von und zitiert nach: Hans Fromm: Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters. S. 324.
[19] Hans Fromm: Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters. S. 333.
[20] Christoph Huber: Lachen im Höfischen Roman. S. 347.
[21] Hans Fromm: Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters . S.321, 327.
[22] Ralf-Henning Steinmetz: Komik in mittelalterlicher Literatur. Überlegungen zu einem methodischen Problem am Beispiel des Helmbrecht. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift. Bd. 49. 1999, S. 255-273. Hier: S. 260.
[23] Marcus Fabius Quintilianus: Institutionis oratoriae libri XII. Ausbildung des Redners. Herausgegeben und übersetzt von Helmut Rahn. Bd. 1. Darmstadt: 19882, S. 749f. Zitiert nach: Ralf-Henning Steinmetz: Komik in mittelalterlicher Literatur. S. 263.
[24] Marcus Tullius Cicero: De oratre. Über den Redner. Herausgegeben und übersetzt von Harald Merklin. Stuttgart: 19862, S. 383. Zitiert nach: Ralf-Henning Steinmetz: Komik in mittelalterlicher Literatur. S. 265.
[25] Namen wie Notker Balbulus (der Stotterer) oder Notker Labeo (der Großlippige) sind hierfür berühmte Beispiele.
[26] Ralf-Henning Steinmetz: Komik in mittelalterlicher Literatur. S. 267f.
[27] Joachim Suchomski: ,Delectatio’ und ,utilitas’. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur. Bern, München: 1975, S. 162.
[28] Wolfram von Eschenbach: Parzival. Übersetzung und Nachwort nach Wolfgang Spiewok. Stuttgart: 2003, Str. 287f. Im Folgenden zitiere ich im Zusammenhang mit dem Parzival diese zweibändige Ausgabe.
[29] Parzival, Str. 301, V. 28-30.
[30] Christoph Huber: Lachen im Höfischen Roman. S. 354f.
[31] Clinschor wurde von einem König eigenhändig kastriert, weil er mit dessen Frau zu intim wurde.
[32] Parzival, Str. 657, V. 10f.
[33] Karl Bertau: Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte. S. 86.
- Arbeit zitieren
- Toralf Schrader (Autor:in), 2006, Komik, Humor und Witz bei Wolfram von Eschenbach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119798
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