„Der Staat ist eine Maschine in den Händen der herrschenden Klasse zur Unterdrückung des Widerstands ihrer Klassengegner." – Josef Stalin 1947
Dieses Zitat Josef Stalins beschreibt deutlich das Selbstverständnis seiner Herrschaft, gilt aber auch für das der Bolschewiki im Allgemeinen. Der Historiker Jörg Baberowski präzisiert in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. März 2007: „Dieses Regime war ein Staat gegen sein Volk. Die Bolschewiki machen die Erfahrung, dass die Mehrheit in diesem Vielvölkerimperium ihr Projekt des ‚Neuen Menschen‘ ablehnt. Und dafür müssen sie eine Begründung finden.“ (Baberowski 2007: FAZ). So war der Staat Mittel zum Zweck, ein Instrument gegen Widerstand und Feind. Integraler Bestandteil sowjetischer Innenpolitik war die Nationalitätenpolitik. Mit Hilfe dieses Steuerinstruments wurde versucht, nationale Minderheiten, vor allem an der Peripherie der Sowjetunion, zu integrieren und zu beherrschen. Davon war mehr als die Hälfte der sowjetischen Bevölkerung betroffen. Ein zentraler Abschnitt im Kontext der sowjetischen Nationalitätenpolitik war die von Stalin unter massiver Gewaltanwendung oktroyierte „Revolution von oben“. […]
Die historische Entwicklung und Entstehung der Sowjetunion ist gekennzeichnet von Gewalt und Toten, beginnend mit dem Machtkampf der Bolschewiki gegen die Menschewiki, schließlich gesteigert und weit übertroffen durch die Herrschaft Stalins. Diese ist ein Synonym für staatliche und organisierte Repression gegenüber Andersdenkenden, politischen Gegnern, ethnischen Minderheiten, aber auch gegenüber der eigenen Bevölkerung. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die ethnischen Gewalt während des Stalinismus im Kontext der sowjetischen Nationalitätenbildung – explizit in Bezug auf die Deportation der Tschetschenen und der Inguschen 1944. Die folgenden Ausführungen sollen dabei zeigen, dass der Deportation der Tschetschenen und der Inguschen ein konstruierter, kultureller Rassismus zugrunde lag, der sich aus den Freund- und Feindbildern kommunistischer Ideologie im Spannungsfeld von Regime und Volk speist. Der ethnischen Komponente kam dabei eine entscheidende Rolle zu, wie der Historiker Jörg Baberowski weiter ausführt: „Der sowjetische Rassismus ist ganz klar ein kultureller Rassismus, zum Beispiel sind die Tschetschenen ein ‚Banditenvolk‘, und die Armenier sind ein ‚Händlervolk‘, die Polen sind ein ‚Verrätervolk‘.“ (Baberowski 2007: FAZ). […]
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die Sowjetunion unter Stalin
- 2.1 Die Herrschaft Stalins
- 2.2 Faktoren sowjetischer Nationalitätenpolitik von 1917 bis 1953
- 3. Der historische Kontext der Tschetschenen-Inguschen
- 3.1 Ethnogenese und präsowjetische Historie der Tschetschenen-Inguschen
- 3.2 Tschetschenen und Inguschen in der Sowjetunion
- 4. Die Deportation der Tschetschenen-Inguschen 1944
- 4.1 Die Deportation der Tschetschenen-Inguschen 1944 – eine Chronologie
- 4.2 Die Mär von der kollektiven Kollaboration mit der Wehrmacht
- 5. Fazit – Die Deportation der Tschetschenen-Inguschen als „Endlösung“?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die ethnische Gewalt während des Stalinismus, speziell die Deportation der Tschetschenen und Inguschen 1944. Ziel ist es, den zugrundeliegenden kulturellen Rassismus aufzuzeigen und die Frage zu klären, ob die stalinistische Nationalitätenpolitik pragmatisch oder ideologisch motiviert war.
- Stalinismus und sowjetische Nationalitätenpolitik
- Historischer Kontext der Tschetschenen und Inguschen
- Chronologie und Motive der Deportation 1944
- Der kulturelle Rassismus im Kontext der stalinistischen Herrschaft
- Die Rolle von Freund- und Feindbildern in der kommunistischen Ideologie
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 (Einleitung): Die Einleitung stellt den Kontext der Arbeit dar und führt Stalins Herrschaft als ein System der Unterdrückung ein. Sie benennt die zentrale Forschungsfrage nach der pragmatischen oder ideologischen Motivation der stalinistischen Nationalitätenpolitik am Beispiel der Deportation der Tschetschenen und Inguschen.
Kapitel 2 (Die Sowjetunion unter Stalin): Dieses Kapitel fasst die Merkmale des Stalinismus und die Entwicklung der sowjetischen Nationalitätenpolitik von 1917 bis 1953 zusammen. Es bildet die Grundlage für die folgende Fallstudie.
Kapitel 3 (Der historische Kontext der Tschetschenen-Inguschen): Hier wird die Ethnogenese und die historische Entwicklung der Tschetschenen und Inguschen vor und während der sowjetischen Herrschaft skizziert.
Kapitel 4 (Die Deportation der Tschetschenen-Inguschen 1944): Dieses Kapitel beschreibt chronologisch die Deportation der Tschetschenen und Inguschen 1944, beleuchtet die Motive und geht auf die Legende der kollektiven Kollaboration mit der Wehrmacht ein.
Schlüsselwörter
Stalinismus, sowjetische Nationalitätenpolitik, Tschetschenen, Inguschen, Deportation 1944, kultureller Rassismus, ethnische Gewalt, Freund- und Feindbilder, kommunistische Ideologie, Repression, Totalitarismus.
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- Alexander Boettcher (Autor), 2008, Ethnische Konflikte in der Sowjetunion, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/119840