Der Dualismus von Natur und Kultur sowie die Beziehung des Menschen zu beiden bilden seit jeher ein zentrales Motiv der Literatur unterschiedlichster Gattungen und Epochen. Da der Mensch als hybrides Natur- und Kulturwesen stets in beide Sphären verstrickt ist, ist zu erwarten, dass sein Verhältnis zu beiden stets ambivalent und potenziell konfliktbehaftet sein wird und er Strategien entwickeln muss, um diesen Konflikt zu überbrücken oder zumindest zu entschärfen. Es sind ebendiese Überlegungen, welche Sigmund Freud in seinem Essay Das Unbehagen in der Kultur aufgreift und zu einer umfassenden Theorie der Entstehung und Entwicklungsdynamik menschlicher Kultur weiterentwickelt.
In dieser Hinsicht weisen Untersuchungsgegenstand und Zielsetzung seiner Arbeit eine beträchtliche Schnittmenge mit dem Reflexionspotential literarischer Texte auf, welche sich ebenfalls mit der Dynamik individueller und kollektiver Kulturentwicklung bzw. Kulturversagung auseinandersetzen. Während sich die Theorie Freuds und vergleichbare Kulturtheorien jedoch zumeist auf einer makrosoziologischen und metapsychologischen Ebene bewegen, stellen literarische Texte vielmehr Fallstudien oder Gedankenexperimente dar, welche kulturtheoretische und kulturkritische Überlegungen auf individueller, innerpsychischer Ebene inszenieren und diskutieren. Hierbei kommt ihnen insofern besondere Bedeutung zu, als dass sie gerade die Übertretung und Zurückweisung kultureller Normen und Zwänge auf eine Art und Weise durchspielen können, welche in der realen Welt nur sehr begrenzt möglich wäre und mitunter erhebliche Sanktionen nach sich ziehen würde.
Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind daher vier Texte der britischen Literatur, welche den Konflikt von Trieb und Kultur thematisieren und unter jeweils verschiedenen Vorzeichen diskutieren. Dies sind im Einzelnen William Shakespeares Römerdrama Antony and Cleopatra, Emily Brontës Roman Wuthering Heights, Joseph Conrads Erzählung Heart of Darkness sowie Ian McEwans Roman The Cement Garden. Es soll dabei vor allem erläutert werden, wie das Triebleben des Menschen als Motor der Kulturentwicklung wirkt, wieso die wechselseitige Dynamik zwischen Trieb und Kultur – sowie der menschlichen Triebe untereinander – zwangsläufig zu tiefgreifenden Widersprüchen und Konflikten auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene führen muss sowie die Frage, ob es überhaupt Wege aus dem Dilemma von Triebbedürfnis und kultureller Triebversagung geben kann.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Theoretischer Teil: Freuds Kulturtheorie in Das Unbehagen in der Kultur
- 2.1 Wofür überhaupt Kultur?
- 2.2 Der Ursprung des kulturellen Unbehagens
- 2.3 Die (Un-)Lösbarkeit des Unbehagens in der Kultur
- 2.4 Kritik und Modifikationen: Kritische Theorie
- 3. William Shakespeare, Antony and Cleopatra
- 3.1 Die Signifikanz von Dichotomien und Alterität für das Stück
- 3.1.1 Die Dichotomie Rom - Ägypten
- 3.1.2 Antonys Dilemma
- 3.2 Antony and Cleopatra aus Sicht der Freudschen Kulturkritik
- 3.2.1 Rom und Ägypten als Paradigma von Kultur und Trieb
- 3.2.2 Antony, Cleopatra und der Eros
- 3.2.3 Die Signifikanz des Todestriebs für das Stück
- 3.2.4 Octavius Caesar: ein römisches Über-Ich?
- 3.2.5 Antonys Versuch der Synthese und sein Scheitern
- 3.3 Fazit
- 4. Emily Brontë, Wuthering Heights
- 4.1 Kulturelle und soziale Spannungsfelder in Wuthering Heights
- 4.1.1 Die Abgrenzung der Sphären „Stadt“, „Land“ und „Wildnis“
- 4.1.2 Die Opposition von Wuthering Heights und Thrushcross Grange
- 4.2 Die Kulturkritik in Wuthering Heights aus Freudscher Perspektive
- 4.2.1 Krankheit als Ausdruck kultureller Neurosen
- 4.2.2 Heathcliff als monomanischer Kulturmensch
- 4.2.3 Eine Liaison von Kultur und Trieb? Zwei Generationen im Vergleich
- 4.3 Schlussfolgerung
- 5. Joseph Conrad, Heart of Darkness
- 5.1 Anthropologischer und kolonialer Kontext
- 5.1.1 Zivilisation und Barbarei als Funktion von Evolution und Regression
- 5.1.2 Kolonialismus als Menschheitsbestimmung?
- 5.2 Der Trieb-Kultur-Konflikt in Heart of Darkness
- 5.2.1 Kulturversagung und Kulturbehauptung bei den Europäern
- 5.2.2 Die „barbarische Gemeinschaft“ der Afrikaner
- 5.2.3 Die Verbannung des Eros
- 5.2.4 Kurtz: barbarisches Es oder kulturelles Über-Ich?
- 5.2.5 Marlows „choice of nightmares“
- 5.3 Ergebnisse
- 6. Ian McEwan, The Cement Garden
- 6.1 Ausgangssituation: Patriarchalische Gesellschaft und kränkliche Zivilisation
- 6.1.1 Das brüchige Regiment des Vaters
- 6.1.2 Der zementierte Garten als Symbol einer verfehlten Kultur
- 6.1.3 Formen und Funktion der Männlich-Weiblich-Dichotomie im Roman
- 6.2 The Cement Garden als Parabel kulturellen Unbehagens
- 6.2.1 Die Erosion der Kultur
- 6.2.2 Inzestuöse Geschwistergemeinschaft als Alternative?
- 6.2.3 Das väterliche Über-Ich zwischen Schuldgefühl und Auflehnung
- 6.2.4 Derek als ambivalenter Kulturmensch
- 6.3 Fazit
- 7. Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Trieb-Kultur-Konflikt in ausgewählten literarischen Texten von William Shakespeare, Emily Brontë, Joseph Conrad und Ian McEwan. Sie analysiert, wie diese Autoren die Dynamik zwischen individuellen Trieben und den Anforderungen der Kultur darstellen und welche Strategien ihre Figuren entwickeln, um mit diesem Konflikt umzugehen. Die Arbeit basiert auf Freuds Kulturtheorie und erweitert diese durch kritische Perspektiven.
- Der Dualismus von Natur und Kultur
- Die Ambivalenz des Verhältnisses des Menschen zu Natur und Kultur
- Die Darstellung kultureller Neurosen in literarischen Texten
- Die Kritik an kulturellen Normen und Zwängen
- Die Rolle des Triebes in der kulturellen Entwicklung
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 führt in die Thematik des Trieb-Kultur-Konflikts und die Relevanz literarischer Texte für die kulturtheoretische Betrachtung ein. Kapitel 2 stellt Freuds Kulturtheorie dar und diskutiert kritische Perspektiven. Die Kapitel 3-6 untersuchen jeweils einen ausgewählten literarischen Text im Hinblick auf den Trieb-Kultur-Konflikt. Dabei werden die spezifischen kulturellen und sozialen Spannungsfelder jedes Werkes beleuchtet und die individuellen Strategien der Figuren analysiert, um mit den Konflikten zwischen Trieb und Kultur umzugehen.
Schlüsselwörter
Trieb-Kultur-Konflikt, Freud, Kulturtheorie, Literaturanalyse, Shakespeare, Brontë, Conrad, McEwan, Kulturkritik, Natur, Zivilisation, Barbarei, Neurosen, Individuum, Gesellschaft.
- Arbeit zitieren
- Stephan Ester (Autor:in), 2008, ‘A choice of nightmares’: Der Trieb-Kultur-Konflikt in Texten von William Shakespeare, Emily Brontë, Joseph Conrad und Ian McEwan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120151