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Die Jesuiterkirche in G.

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In eine elende Postchaise gepackt, die die Motten, wie die Ratten Prosperos Fahrzeug, aus Instinkt verlassen hatten, hielt ich endlich, nach halsbrechender Fahrt, halb gerädert, vor dem Wirtshause auf dem Markte in G. Alles Unglück, das mir selbst begegnen können, war auf meinen Wagen gefallen, der zerbrochen bei dem Postmeister der letzten Station lag. Vier magere abgetriebene Pferde schleppten nach mehrern Stunden endlich mit Hülfe mehrerer Bauern und meines Bedienten das baufällige Reisehaus herbei; die Sachverständigen kamen, schüttelten die Köpfe und meinten, daß eine Hauptreparatur nötig sei, die zwei, auch wohl drei Tage dauern könne. Der Ort schien mir freundlich, die Gegend anmutig, und doch erschrak ich nicht wenig über den mir gedrohten Aufenthalt. Warst du, günstiger Leser! jemals genötigt, in einer kleinen Stadt, wo du niemanden – niemanden kanntest, wo du jedem fremd bliebst, drei Tage zu verweilen, und hat nicht irgendein tiefer Schmerz den Drang nach gemütlicher Mitteilung in dir weggezehrt, so wirst du mein Unbehagen mit mir fühlen. In dem Wort geht ja erst der Geist des Lebens auf in allem um uns her; aber die Kleinstädter sind wie ein in sich selbst verübtes, abgeschlossenes Orchester eingespielt und eingesungen, nur ihre eignen Stücke gehen rein und richtig, jeder Ton des Fremden dissoniert ihren Ohren und bringt sie zum Schweigen. – Recht mißlaunig schritt ich in meinem Zimmer auf und ab; da fiel mir plötzlich ein, daß ein Freund in der Heimat, der ehemals ein paar Jahre hindurch in G. gewesen, oft von einem gelehrten geistreichen Manne sprach, mit dem er damals viel umgegangen. Auch des Namens erinnerte ich mich: es war der Professor im Jesuiter-Collegio Aloysius Walther. Ich beschloß hinzugehen und meines Freundes Bekanntschaft für mich selbst zu nutzen. [:::]

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In eine elende Postchaise gepackt, die die Motten, wie die Ratten Prosperos Fahrzeug, aus Instinkt verlassen hatten, hielt ich endlich, nach halsbrechender Fahrt, halb gerädert, vor dem Wirtshause auf dem Markte in G. Alles Unglück, das mir selbst begegnen können, war auf meinen Wagen gefallen, der zerbrochen bei dem Postmeister der letzten Station lag. Vier magere abgetriebene Pferde schleppten nach mehrern Stunden endlich mit Hülfe mehrerer Bauern und meines Bedienten das baufällige Reisehaus herbei; die Sachverständigen kamen, schüttelten die Köpfe und meinten, daß eine Hauptreparatur nötig sei, die zwei, auch wohl drei Tage dauern könne. Der Ort schien mir freundlich, die Gegend anmutig, und doch erschrak ich nicht wenig über den mir gedrohten Aufenthalt. Warst du, günstiger Leser! jemals genötigt, in einer kleinen Stadt, wo du niemanden – niemanden kanntest, wo du jedem fremd bliebst, drei Tage zu verweilen, und hat nicht irgendein tiefer Schmerz den Drang nach gemütlicher Mitteilung in dir weggezehrt, so wirst du mein Unbehagen mit mir fühlen. In dem Wort geht ja erst der Geist des Lebens auf in allem um uns her; aber die Kleinstädter sind wie ein in sich selbst verübtes, abgeschlossenes Orchester eingespielt und eingesungen, nur ihre eignen Stücke gehen rein und richtig, jeder Ton des Fremden dissoniert ihren Ohren und bringt sie zum Schweigen. – Recht mißlaunig schritt ich in meinem Zimmer auf und ab; da fiel mir plötzlich ein, daß ein Freund in der Heimat, der ehemals ein paar Jahre hindurch in G. gewesen, oft von einem gelehrten geistreichen Manne sprach, mit dem er damals viel umgegangen. Auch des Namens erinnerte ich mich: es war der Professor im Jesuiter-Collegio Aloysius Walther. Ich beschloß hinzugehen und meines Freundes Bekanntschaft für mich selbst zu nutzen. Man sagte mir im Collegio, daß Professor Walther zwar eben lese, aber in kurzer Zeit endigen werde, und stellte mir frei, ob ich wiederkommen oder in den äußeren Sälen verweilen wolle. Ich wählte das letzte. Überall sind die Klöster, die Kollegien, die Kirchen der Jesuiten in jenem italienischen Stil gebaut, der, auf antike Form und Manier gestützt, die Anmut und Pracht dem heiligen Ernst, der religiösen Würde vorzieht. So waren auch hier die hohen, luftigen, hellen Säle mit reicher Architektur geschmückt, und sonderbar genug stachen gegen Heiligenbilder, die hie und da an den Wänden zwischen ionischen Säulen hingen, die Superporten ab, welche durchgehends Genientänze oder gar Früchte und Leckerbissen der Küche darstellten. – Der Professor trat ein, ich erinnerte ihn an meinen Freund und nahm auf die Zeit meines gezwungenen Aufenthalts seine Gastlichkeit in Anspruch. Ganz wie ihn mein Freund beschrieben, fand ich den Professor; hellgesprächig – weltgewandt – kurz, ganz in der Manier des höheren Geistlichen, der, wissenschaftlich ausgebildet, oft genug über das Brevier hinweg in das Leben geschaut hat, um genau zu wissen, wie es darin hergeht. Als ich sein Zimmer auch mit moderner Eleganz eingerichtet fand, kam ich auf meine vorigen Bemerkungen in den Sälen zurück, die ich gegen den Professor laut werden ließ. „Es ist wahr“, erwiderte er, „wir haben jenen düstern Ernst, jene sonderbare Majestät des niederschmetternden Tyrannen, die im gotischen Bau unsere Brust beklemmt, ja wohl ein unheimliches Grauen erregt, aus unseren Gebäuden verbannt, und es ist wohl verdienstlich, unsern Werken die regsame Heiterkeit der Alten anzueignen.“ – „Sollte aber“, erwiderte ich, „nicht eben jene heilige Würde, jene hohe, zum Himmel strebende Majestät des gotischen Baues recht von dem wahren Geist des Christentums erzeugt sein, der, übersinnlich, dem sinnlichen, nur in dem Kreis des Irdischen bleibenden Geiste der antiken Welt geradezu widerstrebt?“ – Der Professor lächelte. „Ei“, sprach er, „das höhere Reich soll man erkennen in dieser Welt, und diese Erkenntnis darf geweckt werden durch heitere Symbole, wie sie das Leben, ja der aus jenem Reich ins irdische Leben herabgekommene Geist darbietet. Unsere Heimat ist wohl dort droben; aber solange wir hier hausen, ist unser Reich auch von dieser Welt.“ Jawohl, dachte ich: in allem, was ihr tatet, bewieset ihr, daß euer Reich von dieser Welt, ja nur allein von dieser Welt ist. Ich sagte aber das, was ich dachte, keinesweges dem Professor Aloysius Walther, welcher also fortfuhr: „Was Sie von der Pracht unserer Gebäude hier am Orte sagen, möchte sich wohl nur auf die Annehmlichkeit der Form beziehen. Hier, wo der Marmor unerschwinglich ist, wo große Meister der Malerkunst nicht arbeiten mögen, hat man sich, der neuern Tendenz gemäß, mit Surrogaten behelfen müssen. Wir tun viel, wenn wir uns zum polierten Gips versteigen, mehrenteils schafft nur der Maler die verschiedenen Marmorarten, wie es eben jetzt in unserer Kirche geschieht, die, Dank sei es der Freigebigkeit unserer Patronen, neu dekoriert wird.“ Ich äußerte den Wunsch, die Kirche zu sehen; der Professor führte mich hinab, und als ich in den korinthischen Säulengang, der das Schiff der Kirche formte, eintrat, fühlte ich wohl den nur zu freundlichen Eindruck der zierlichen Verhältnisse. Dem Hochaltare links war ein hohes Gerüste errichtet, auf dem ein Mann stand, der die Wände in Gialloantik übermalte. „Nun, wie geht es, Berthold?“ rief der Professor hinauf. Der Maler wandte sich nach uns um, aber gleich fuhr er wieder fort zu arbeiten, indem er mit dumpfer, beinahe unvernehmbarer Stimme sprach: „Viel Plage – krummes verworrenes Zeug – kein Lineal zu brauchen – Tiere – Affen – Menschengesichter – Menschengesichter – o ich elender Tor!“ Das letzte rief er laut mit einer Stimme, die nur der tiefste, im Innersten wühlende Schmerz erzeugt; ich fühlte mich auf die seltsamste Weise angeregt, jene Worte und der Ausdruck des Gesichts, der Blick, womit er zuvor den Professor anschaute, brachten mir das ganze zerrissene Leben eines unglücklichen Künstlers vor Augen. Der Mann mochte kaum über vierzig Jahre alt sein; seine Gestalt, war sie auch durch den unförmlichen schmutzigen Maleranzug entstellt, hatte was unbeschreiblich Edles, und der tiefe Gram konnte nur das Gesicht entfärben, das Feuer, was in den schwarzen Augen strahlte, aber nicht auslöschen. Ich frug den Professor, was es mit dem Maler wohl für eine Bewandtnis hätte. „Es ist ein fremder Künstler“, erwiderte er, „der sich gerade zu der Zeit hier einfand, als die Reparatur der Kirche beschlossen worden. Er unternahm die Arbeit, die wir ihm antrugen, mit Freuden, und in der Tat war seine Ankunft ein Glücksfall für uns; denn weder hier noch in der Gegend weitumher hätten wir einen Maler auftreiben können, der für alles, dessen es hier zu malen bedarf, so tüchtig gewesen wäre. Übrigens ist es der gutmütigste Mensch von der Welt, den wir alle recht lieben, und so kommt es denn, daß er in unserm Collegio gut aufgenommen wurde. Außer dem ansehnlichen Honorar, das er für seine Arbeit erhält, verköstigen wir ihn; dies ist aber für uns ein sehr geringer Aufwand, denn er ist beinahe zu mäßig, welches freilich seinem kränklichen Körper zusagen mag.“

Häufig gestellte Fragen

Worum geht es in der Geschichte?

Die Geschichte beginnt damit, dass der Erzähler in einer heruntergekommenen Postkutsche in der Stadt G. ankommt, nachdem sein Wagen bei der vorherigen Station zusammengebrochen ist. Gezwungen, dort einige Tage zu verbringen, erinnert er sich an einen Freund, der ihm von einem Professor namens Aloysius Walther am Jesuitenkolleg erzählt hat, und beschließt, diesen zu besuchen.

Wer ist Professor Aloysius Walther?

Professor Walther ist ein gelehrter und weltgewandter Jesuitengelehrter, der dem Erzähler von seinem Freund empfohlen wurde. Er ist aufgeschlossen und gebildet und führt den Erzähler durch das Kolleg.

Was ist die Bedeutung der Kunstwerke im Jesuitenkolleg?

Die Kunstwerke, insbesondere die Gemälde und die Architektur, spiegeln einen italienischen Stil wider, der Anmut und Pracht gegenüber religiösem Ernst bevorzugt. Dies wird durch die Darstellung von Genientänzen und kulinarischen Motiven neben Heiligenbildern hervorgehoben. Der Erzähler kritisiert diesen Stil und argumentiert, dass er nicht den wahren Geist des Christentums widerspiegelt.

Wer ist Berthold und welche Rolle spielt er in der Geschichte?

Berthold ist ein fremder Künstler, der mit der Restaurierung und Dekoration der Kirche im Jesuitenkolleg beauftragt wurde. Er malt die Wände mit Gialloantik aus und wirkt dabei mürrisch und aufgeregt. Er verwendet eine geniale Methode mit einem Schattennetz, um eine perspektivische Altarillusion auf die Blende zu malen. Berthold philosophiert über Kunst, Mathematik und die menschliche Natur, wobei er seine tiefe innere Zerrissenheit offenbart.

Was sind Bertholds Ansichten über Kunst und das menschliche Streben?

Berthold verachtet die Vorstellung, Kunst in eine Rangordnung zu zwängen. Er glaubt, dass das Streben nach dem Höchsten gefährlich sein kann und vergleicht es mit der Geschichte von Prometheus. Er betont die Bedeutung von Regelmäßigkeit und Messbarkeit in der Kunst und verhöhnt gleichzeitig die Beschränktheit des irdischen Daseins und das Ideal als lügnerischen Traum.

Wie verhält sich der Erzähler zu Berthold?

Der Erzähler ist zunächst beeindruckt von Bertholds Talent und seiner Methode, die perspektivische Illusion zu erzeugen. Im Laufe des Gesprächs wird er Zeuge von Bertholds innerer Zerrissenheit und seinen philosophischen Betrachtungen über Kunst und das Leben. Der Erzähler hilft Berthold bei seiner Arbeit und hört seinen Ausführungen zu.

Was ist die Bedeutung des verhängten Gemäldes im Kolleg?

Das verhängte Gemälde ist das schönste Werk des Kollegs, geschaffen von einem jungen Künstler. Es wird aus unbekannten Gründen verhängt, und der Professor weicht einer näheren Erklärung aus, was Neugier und Spekulation beim Erzähler auslöst.

Welche Themen werden in der Geschichte behandelt?

Die Geschichte behandelt Themen wie Kunst und Illusion, religiösen Ausdruck, innere Zerrissenheit, das Streben nach dem Höchsten, die Beschränktheit des menschlichen Daseins, Ironie und die philosophische Betrachtung über die Natur des Lebens und der Kunst.

Welche Schlüsselwörter lassen sich in der Geschichte finden?

Postkutsche, Jesuitenkolleg, Professor Walther, Berthold, Maler, Kirche, Architektur, Kunst, Illusion, Perspektive, Schattennetz, Philosophie, menschliches Streben, innere Zerrissenheit, Prometheus, Regelmäßigkeit, Messbarkeit, Ideal, Ironie.

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Title: Die Jesuiterkirche in G.

Classic , 2008 , 31 Pages

Autor:in: E. T. A. Hoffmann (Author)

German Studies - Modern German Literature
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Details

Title
Die Jesuiterkirche in G.
Author
E. T. A. Hoffmann (Author)
Publication Year
2008
Pages
31
Catalog Number
V120171
ISBN (eBook)
9783640235711
ISBN (Book)
9783640235797
Language
German
Tags
Jesuiterkirche
Product Safety
GRIN Publishing GmbH
Quote paper
E. T. A. Hoffmann (Author), 2008, Die Jesuiterkirche in G., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120171
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