Die Bad Hersfelder Festspiele wurden 1951 gegründet. Sie waren in den 1950er-Jahren eines der bedeutendsten Festspiele der jungen Bundesrepublik - mit Klassikertheater, Schauspielern des Wiener Burgtheaters, Publikum aus ganz Deutschland und regelmäßigen Besuchen des Bundespräsidenten.
Die Anwesenheit von Theodor Heuss und all seinen Nachfolgern deutet auf die politische Dimension der Festspiele hin: Sie wurden von Bundesseite stark gefördert, vielmehr noch - ohne die von Anfang an starke Unterstützung des Bundesstaates wären die Festspiele in ihrer qualitativ hochwertigen Form undenkbar gewesen. Dies hat in erster Linie mit der Lage Bad Hersfelds an der Zonengrenze zu tun. Das Theater sollte "Leuchtturm" und "Bollwerke" gegenüber der kommunistischen Kulturauffassung sein. Nicht weniger bedeutend ist aber auch das kulturelle Programm, das in den Augen der Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums in besonderem Maße die Programmatik des jungen deutschen Staates traf: Christliche Werte, Klassizität, Öffnung gegenüber dem Westen - in einem Wort: die kulturelle Beschwörung des Abendlandes.
In dieser Studie wird detailliert untersucht, welche Einrichtungen am Erfolg der Festspiele teilhaben: in erster Linie freilich die Bürger der Stadt, die die Ruine bereits seit Jahrzehnten, seit der Zeit des rührigen Gymnasialdirektors Duden, zu beleben versuchten, war doch die Ruine ein einziger zu füllender Leerraum inmitten der Stadt. Nach Anfängen im Goethejahr und unter Nutzung von Verbindungen aus der NS-Zeit nahmen die Festspiele unter den Fittichen des FDP-Bundespolitikers August-Martin Euler einen rasanten Aufstieg, den sich auch der Gründungsintendant Johannes Klein nicht hatte träumen lassen.
Ausgehend von den Mysterienspielen Hugo von Hofmannsthals, insbesondere "Jedermann" und dem "Salzburger Großem Welttheater" wurde in Bad Hersfeld ein Klassikerprogramm entwickelt, das die Bildungselite des Weststaates, aber auch von jenseits der Zonengrenze nach Bad Hersfeld kommen ließ.
Detailliert werden politische Entscheidungen hinter den Kulissen des Festspielbetriebs nachgezeichnet, werden Förderströme und politische Widerstände benannt, die anfangs vom Land Hessen kamen, dem die Bundesinitiative in Bad Hersfeld gar nicht recht war.
So sind die Festspiele letztlich Ergebnis nicht nur einer künstlerischen Anstrengung, die seinesgleichen im sommerlichen Kulturleben der Bundesrepublik Deutschland suchen musste, sondern auch eines politischen Willens.
Inhaltsverzeichnis
- 1. FESTSPIELE IN BAD HERSFELD ALS PROJEKT DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT
- 1.1 Schlaglichter und Erinnerungen – die „Pionierzeit der Festspiele“
- 1.2 Festspielarchiv und Chancen der Quellenlage
- 1.3 „Festspielforschung“ als interdisziplinäres Projekt - die Forschung
- 1.4 Problemfelder, Vorgehensweise und Fragestellungen
- 1.5 Festspiele als Indikator - Reflexion der Method
- 2. EINORDNUNG DER BAD HERSFELDER FESTSPIELE
- 2.1 Annährung durch Definitionen – Entwicklungsetappen des Festspiels als Kulturinstitution
- 2.2 Festspielformen der 1950er Jahre – Bad Hersfeld als Prototyp
- 2.3 Festspiele in Hessen in der Nachkriegszeit
- 3. INSTITUTIONALISIERUNGSVERSUCHE UND FUNKTIONSWANDEL BÜRGERLICHER FESTLICHKEIT IN DER STIFTSRUINE
- 3.1 „Genius loci“ oder das Verhältnis der Hersfelder zur Stiftsruine
- 3.2 Bürgerliche Feiern im 19. Jahrhundert
- 3.3 Institutionalisierungsversuche um die Jahrhundertwende - Konrad Dudens „Festspielverein“
- 3.4 Festspiele im Nationalsozialismus – Heimatfestspiele?
- 3.5 Aufbruchsstimmung und Fortsetzung - die Goethefestwoche als Fest-Spielprojekt
- 4. PHASENMODELL DER BAD HERSFELDER FESTSPIELE
- 4.1 Politischer Entstehungskontext der Festspiele
- 4.2 Erste Phase 1950-1952: Institutionalisierung und Anspruch – „hessisches Salzburg“
- 4.3 Zweite Phase 1953-1955: Ausbau der Festspiele durch Bund und Land – „kulturelles Leuchtfeuer für die SBZ“
- 4.4 Dritte Phase 1956-1959: „Bundesfestspiele“ – „Ort nationaler Repräsentation“
- 4.5 Vierte Phase 1960-1966 und Ausblick: Funktionswandel und Neupositionierung – „Festspiele in der Krise“
- 5. BIOGRAPHISCHE SKIZZE: GRÜNDUNGSINTENDANT JOHANNES KLEIN
- 6. STRUKTURANALYSE I: FÖRDERABSICHTEN UND FINANZIERUNG
- 6.1 Fürsprecher in Stadt und Region
- 6.2 Die „Gesellschaft der Freunde der Stiftsruine“ als Lobbyorganisation
- 6.3 Rolle von Bundesministerien, Auswärtigem Amt und des Bundespräsidenten als Schirmherr
- 6.4 Verhältnis des Landes Hessen und des HR zu den Festspielen
- 6.5 Festspiele als Finanzierungsrisiko und Standortfaktor
- 7. STRUKTURANALYSE II: PROGRAMMGESTALTUNG, WERBUNG, GEOGRAPHISCHE UND SOZIALE HERKUNFT DER BESUCHER
- 7.1 Einflussnahme der Institutionen auf Programm und Inhalte – der „Überörtliche Arbeitskreis Festspiele“
- 7.2 Strukturen des Programms
- 7.3 Werbung für die Festspiele – „Propaganda“
- 7.4 Die Herkunft der Zuschauer aus BRD, DDR und dem Ausland
- 7.5 Sozialer Kontext der Festspielbesucher – Integrationsort für Eliten?
- 7.6 Veranstaltungen und Orte um die Festspiele
- 8. FRAGEN AN DEN KRISTALLISATIONSPUNKT FESTSPIELE - ASPEKTE VON KULTURPOLITIK IN DEN 1950ER JAHREN
- 8.1 Wie beurteilten die US-Behörden und Militär die Festspiele?
- 8.2 Gab es Konflikte zwischen Bund und Land in der Frage der Kulturhoheit?
- 8.3 Waren die Festspiele ein geplantes Ergebnis von Kulturpolitik?
- 8.4 Waren die Festspiele Symbol ungebrochener Bürgerlichkeit und Konservativismus?
- 8.5 Wie spiegelt sich die Selbstdarstellung der BRD gegenüber dem Ausland im Festspielprojekt?
- 8.6 Wie reflektierten die Festspiele das deutsch-deutsche Verhältnis?
- 8.7 Welche Rolle spielten die Kirchen bei den Festspielen?
- 8.8 Welche Funktionen hatten die Festspiele als Fest für die nationale Repräsentation der frühen Bundesrepublik?
- 9. DIE „IDEOLOGIE“ DER BAD HERSFELDER FESTSPIELE
- 9.1 Ideologische Aspekte in den Festspielreden – Überblicksversuch nach Feldern
- 9.2 Die Hofmannsthal-Gedenkrede von Theodor Heuss als Folie für ein „Hersfelder Programm“
- 9.3 Zeitgenössische Kritik: Adornos „Jargon der Eigentlichkeit“
- 9.4 Festspiele als Zeichen immanenter kultureller Modernisierung
- 10. RÜCKBLICK UND AUSBLICK
- 10.1 Ergebnisse des Ansatzes - Bad Hersfelder Festspiele als Indikator
- 10.2 Festspiele im Vergleich - kulturelle Repräsentation der jungen BRD
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Bad Hersfelder Festspiele der frühen Bundesrepublik Deutschland als Institution kultureller Repräsentation. Ziel ist es, die Entwicklung, Strukturen und Ideologie dieser Festspiele zu analysieren und ihren Platz im politischen und kulturellen Kontext der Nachkriegszeit zu beleuchten.
- Entwicklung der Bad Hersfelder Festspiele von der Gründung bis in die 1960er Jahre
- Finanzierung und Förderung der Festspiele durch staatliche und private Institutionen
- Programmausrichtung und die Rolle der Festspiele in der Kulturpolitik der BRD
- Ideologische Aspekte der Festspiele und ihre Spiegelung des deutsch-deutschen Verhältnisses
- Soziokultureller Kontext der Festspiele und deren Besucher
Zusammenfassung der Kapitel
1. FESTSPIELE IN BAD HERSFELD ALS PROJEKT DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT: Dieses Kapitel legt die methodologische Grundlage der Arbeit dar. Es beschreibt den Forschungsansatz, die Quellenlage (insbesondere das Festspielarchiv) und die Herausforderungen der interdisziplinären Forschung an diesem Thema. Die Festspiele werden als Indikator für die kulturelle und politische Situation der frühen Bundesrepublik vorgestellt, und die methodischen Vorgehensweisen werden detailliert erläutert.
2. EINORDNUNG DER BAD HERSFELDER FESTSPIELE: Dieses Kapitel ordnet die Bad Hersfelder Festspiele in den Kontext der Entwicklung von Festspielen als Kulturinstitution ein. Es vergleicht sie mit anderen Festspielformen der 1950er Jahre und betrachtet sie im Kontext der hessischen Nachkriegskulturlandschaft. Der Fokus liegt auf der Etablierung eines Prototyps für eine bestimmte Form von Festspiel im Kontext der frühen Bundesrepublik.
3. INSTITUTIONALISIERUNGSVERSUCHE UND FUNKTIONSWANDEL BÜRGERLICHER FESTLICHKEIT IN DER STIFTSRUINE: Das Kapitel untersucht die Geschichte des Ortes – der Stiftsruine – als Veranstaltungsort und beleuchtet die Versuche der Institutionalisierung von bürgerlichen Festlichkeiten an diesem Ort über verschiedene historische Epochen. Es analysiert die Nutzung der Ruine im 19. Jahrhundert, die Versuche um die Jahrhundertwende und die Rolle der Festspiele während des Nationalsozialismus. Die Goethefestwoche wird als Vorläufer der Bad Hersfelder Festspiele betrachtet.
4. PHASENMODELL DER BAD HERSFELDER FESTSPIELE: Dieses Kapitel unterteilt die Geschichte der Festspiele in verschiedene Phasen, die jeweils durch unterschiedliche politische, finanzielle und programmatische Ausrichtungen gekennzeichnet sind. Jede Phase wird detailliert analysiert, wobei der Einfluss von Bund, Ländern und anderen Akteuren auf die Entwicklung der Festspiele hervorgehoben wird. Der Kapitelverlauf zeichnet ein Bild der Entwicklung und der Herausforderungen der Institution.
5. BIOGRAPHISCHE SKIZZE: GRÜNDUNGSINTENDANT JOHANNES KLEIN: Dieses Kapitel widmet sich der Biographie des Gründungsintendanten Johannes Klein und dessen Rolle bei der Gründung und der frühen Entwicklung der Bad Hersfelder Festspiele. Der Fokus liegt auf seinem Einfluss auf die institutionelle Ausrichtung und Programmgestaltung. Hier wird der Einfluss einer Schlüsselfigur beleuchtet.
6. STRUKTURANALYSE I: FÖRDERABSICHTEN UND FINANZIERUNG: Der Fokus liegt auf den Finanzierungsstrukturen und Förderabsichten der Festspiele. Das Kapitel analysiert die Rolle verschiedener Akteure (Stadt, Region, Bund, Land, Sponsoren) und die Herausforderungen der Finanzierung eines solchen Kulturprojektes. Die vielfältigen finanziellen Strategien und die dahinterliegenden Interessen werden im Detail analysiert.
7. STRUKTURANALYSE II: PROGRAMMGESTALTUNG, WERBUNG, GEOGRAPHISCHE UND SOZIALE HERKUNFT DER BESUCHER: In diesem Kapitel wird die Programmplanung der Festspiele detailliert untersucht, ebenso wie die Werbe- und Marketingstrategien. Darüber hinaus wird die soziale und geographische Herkunft der Besucher analysiert, um den kulturellen und gesellschaftlichen Kontext zu beleuchten. Der Fokus liegt auf der Zusammensetzung des Publikums und der Reichweite der Veranstaltungen.
8. FRAGEN AN DEN KRISTALLISATIONSPUNKT FESTSPIELE - ASPEKTE VON KULTURPOLITIK IN DEN 1950ER JAHREN: Dieses Kapitel behandelt verschiedene Aspekte der Kulturpolitik, die sich in den Festspielen widerspiegeln. Es befasst sich mit Fragen der Kulturhoheit, der Rolle der USA, des deutsch-deutschen Verhältnisses und der Funktion der Festspiele als nationale Repräsentation der BRD. Dieser Abschnitt stellt die Festspiele als Kristallisationspunkt der politischen und kulturellen Debatte dar.
Schlüsselwörter
Bad Hersfelder Festspiele, Bundesrepublik Deutschland, Nachkriegszeit, Kulturpolitik, Institutionelle Entwicklung, Finanzierung, Programmgestaltung, Ideologie, nationale Repräsentation, deutsch-deutsche Beziehungen, Bürgerlichkeit, Kulturgeschichte.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Bad Hersfelder Festspiele als Projekt der Geschichtswissenschaft
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Die Arbeit untersucht die Bad Hersfelder Festspiele der frühen Bundesrepublik Deutschland als Institution kultureller Repräsentation. Analysiert werden deren Entwicklung, Strukturen, Ideologie und Platz im politischen und kulturellen Kontext der Nachkriegszeit.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Arbeit beleuchtet die Entwicklung der Festspiele von der Gründung bis in die 1960er Jahre, die Finanzierung und Förderung durch staatliche und private Institutionen, die Programmausrichtung und Rolle der Festspiele in der BRD-Kulturpolitik, ideologische Aspekte und deren Spiegelung des deutsch-deutschen Verhältnisses sowie den soziokulturellen Kontext und die Besucher der Festspiele.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in zehn Kapitel. Kapitel 1 legt die methodologische Grundlage dar. Kapitel 2 ordnet die Festspiele in den Kontext der Festspielentwicklung ein. Kapitel 3 untersucht Institutionalisierungsversuche und den Funktionswandel bürgerlicher Festlichkeit in der Stiftsruine. Kapitel 4 präsentiert ein Phasenmodell der Festspiele. Kapitel 5 bietet eine biographische Skizze des Gründungsintendanten Johannes Klein. Kapitel 6 und 7 analysieren die Förderabsichten und Finanzierung sowie die Programmgestaltung, Werbung und die Besucherstruktur. Kapitel 8 befasst sich mit kulturpolitischen Aspekten der 1950er Jahre im Kontext der Festspiele. Kapitel 9 analysiert die Ideologie der Festspiele und Kapitel 10 bietet einen Rück- und Ausblick.
Welche Quellen wurden verwendet?
Ein zentraler Bestandteil der Arbeit ist die Auswertung des Festspielarchivs. Die Arbeit stützt sich auf interdisziplinäre Forschungsmethoden und kombiniert die Analyse von Archivalien mit weiteren relevanten Quellen.
Welche methodischen Ansätze werden verwendet?
Die Arbeit verwendet einen interdisziplinären Ansatz, der die Analyse von Archiven, die Untersuchung von Programmstrukturen und die Betrachtung des soziokulturellen Kontextes kombiniert. Die Festspiele werden als Indikator für die kulturelle und politische Situation der frühen Bundesrepublik genutzt.
Welche Rolle spielten die Festspiele in der Kulturpolitik der BRD?
Die Arbeit untersucht die Rolle der Festspiele als Instrument der Kulturpolitik der BRD, die Einflussnahme von Bund, Ländern und anderen Institutionen und die damit verbundenen politischen und ideologischen Aspekte.
Wie spiegeln sich das deutsch-deutsche Verhältnis und die nationale Repräsentation in den Festspielen wider?
Die Arbeit analysiert, wie die Festspiele das deutsch-deutsche Verhältnis reflektierten und welche Funktion sie als nationale Repräsentation der frühen Bundesrepublik innehatten. Dazu werden die politischen und ideologischen Botschaften der Festspiele untersucht.
Welche Bedeutung hat die Stiftsruine im Kontext der Festspiele?
Die Arbeit beleuchtet die Geschichte der Stiftsruine als Veranstaltungsort und analysiert deren Bedeutung für die Entwicklung und den Charakter der Festspiele. Die Nutzung der Ruine in verschiedenen historischen Epochen wird untersucht.
Wer waren die Besucher der Bad Hersfelder Festspiele?
Die Arbeit untersucht die soziale und geographische Herkunft der Festspielbesucher, um den soziokulturellen Kontext zu beleuchten. Die Zusammensetzung des Publikums wird analysiert.
Welche Schlussfolgerungen zieht die Arbeit?
Die Arbeit zieht Schlussfolgerungen zur Bedeutung der Bad Hersfelder Festspiele als Indikator für die kulturelle und politische Situation der frühen Bundesrepublik und vergleicht sie mit anderen kulturellen Repräsentationsformen der jungen BRD.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt?
Bad Hersfelder Festspiele, Bundesrepublik Deutschland, Nachkriegszeit, Kulturpolitik, Institutionelle Entwicklung, Finanzierung, Programmgestaltung, Ideologie, nationale Repräsentation, deutsch-deutsche Beziehungen, Bürgerlichkeit, Kulturgeschichte.
- Quote paper
- Holger Reiner Stunz (Author), 2003, Das "hessische Salzburg" - Festspiele in Bad Hersfeld, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120474