„Das doppelte Lottchen“: Ein Filmvergleich USA-Deutschland


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2008

93 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Charlie & Louise: Das doppelte Lottchen in Hamburg & Berlin
2.1. Der Film und sein Regisseur
2.2. Besonderheiten der Verfilmung
2.2.1. ‚Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr’
2.2.1.1. Frau Kröger und Herr Palfy stellen sich vor
2.2.1.2. 10 Jahre später – Chaos vs. Ordnungswahn
2.2.1.3 Ihr habt doch zwei Kinder!
2.2.2. Der Erzähler: Erich Kästners ‚Vermächtnis’
2.2.2.1. Die moralische Instanz
2.2.2.2. Es war so schön: der Erzähler als Weissager
2.2.2.3. Die Rolle des Erzählers
2.3. Probleme der Verfilmung
2.3.1. Erich Kästner als Vorlage
2.3.2. Die Zwillinge: Siehst du mich (nicht)?

3. Ein Zwilling kommt selten allein: Das doppelte Lottchen in Hollywood & London
3.1. Der Film und seine Regisseurin
3.2. Besonderheiten der Verfilmung
3.2.1. Mrs. James und Mr. Parker stellen sich vor
3.2.1.1. 11 Jahre und 9 Monate - eine lange Zeit!
3.2.2. Ein besonderer Anfang braucht ein besonderes Ende
3.2.2.1. So schön, schön war die Zeit
3.2.2.2 Noch einmal! Weil es so schön war
3.2.3. Schade, schon vorbei!
3.3. Probleme der Verfilmung
3.3.1 Wir brauchen dich doppelt: digitale Welt
3.3.1.1. Bluescreen und Body Double
3.3.1.2. Split Screen und Motion-Control Kamera
3.3.2. Schöne heile Welt: Geldsorgen ade

4. Das Hollywoodschema vs. deutsches Bildungskino
4.1. Der ‚Heros in 1000 Gestalten’
4.1.1. Die Abenteuer des ‚Heros’
4.1.2. Der Aufbruch des ‚Heros’
4.1.3. Der Weg der Prüfungen
4.1.4. Der ‚Heros’ in Hollywood
4.2. Walt Disney: Schöne heile Welt
4.3. Deutsches Bildungskino
4.4 Das Publikum – hohe Ansprüche vs. Unterhaltungswille

5. Schluss

6. Literaturverzeichnis

7. Anhang
7.1. Sequenzprotokoll „Charlie und Louise: das doppelte Lottchen“
7.2. Sequenzprotokoll „Ein Zwilling kommt selten allein“

1. Einleitung

Es duftet nach Popcorn, Menschen drängen sich dicht aneinander, Stimmen erfüllen den Raum. Langsam füllt sich der Saal, und das Licht geht aus. Das Reden verstummt, und gebannt starren alle auf die weiße Wand.

Egal ob auf der großen Kinoleinwand oder auf dem heimischen Bildschirm, ob allein, zu zweit, mit der Familie oder Freunden, Filme faszinieren mehr denn je. Angepriesen durch die Medien, gespickt mit den großen Stars aus der Presse und beworben durch Freunde kommt keiner mehr an diesem Medium vorbei. Aber auch der Zuschauer besitzt einen großen Anteil an Einfluss auf die Filmindustrie, entscheidet doch allein sein Geschmack über ‚Top’ oder ‚Flop’.

Doch wie schaffen es die Regisseure immer wieder aufs Neue, durch Geschichten zu fesseln, zu erschrecken, zum Lachen zu bringen oder auch völlig am Zuschauergeschmack vorbei zu erzählen?

Am Beispiel einer der bekanntesten Kindergeschichten Deutschlands, dem „Doppelten Lottchen“ soll gezeigt werden, dass eine Geschichte viele Möglichkeiten bietet, sie zu verfilmen. Die Geschichte von Erich Kästner ist ein beliebtes Kinderbuch in Deutschland und fasziniert klein und groß. Zu erleben, wie zwei Kinder es schaffen mit ihrem Schicksal umzugehen und ihre Eltern „austricksen“ können, um ihnen später zu einem glücklichen Ende zu verhelfen, ist eine mitreißende Geschichte. Ebenso wie der Roman sind die zahlreichen Verfilmungen der Literaturvorlage ein Genuss für die ganze Familie. Natürlich ist nicht jede getreu dem Original, doch allein die Grundhandlung von einem Zwilling, den die geschiedenen Eltern trennten, hat sich auch ‚über den großen Teich’ bis nach Hollywood durchgesetzt und wird heute noch gern als Familienunterhaltung genutzt.

In den 90er Jahren wurden in Deutschland und den USA innerhalb von vier Jahren zwei Kinofilme veröffentlicht, getreu der Thematik des doppelten Lottchens. Während sich der Regisseur Joseph Vilsmaier an die Vorlage Erich Kästners hielt und seinen Film sogar mit dem Untertitel „Charlie und Louise: Das doppelte Lottchen“ versah, ging man in Hollywood andere Wege. Der Titel wurde zwar passend zum Thema gewählt „Ein Zwilling kommt selten allein“, dennoch erschließt sich dem Zuschauer nicht sofort der Hinweis auf Erich Kästners Romanvorlage. Es wird sogar noch verwirrender, zieht man den Originaltitel hinzu. Bei „The Parent Trap“, wo die Zwillingsthematik außen vor gelassen wird, fehlt dem Zuschauer gänzlich die Verweismöglichkeit.

Dennoch ist es bezeichnend, dass ein Regisseur allein die Möglichkeit hat, das Drehbuch nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu verfilmen, wodurch jeder Film eine unweigerliche Handschrift erhält.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, anhand von ausgewählten Szenen, bestimmte Besonderheiten der Filme vorzustellen aber auch diese nicht außer Acht zu lassen, die dem Zuschauer Probleme beim Verständnis bereiten können. Abschließend erfolgt ein Vergleich der Produktionsländer bezüglich der Herstellung der Filme. Somit soll gezeigt werden, dass die Thematik der Literaturvorlage Kästners in unterschiedlicher Weise verarbeitet werden kann und dennoch nach wie vor den Zuschauer in seinen Bann zieht. Der deutsche Zuschauer, um den es in dieser Arbeit vorrangig geht, ist idealtypisch und geschlechtsunspezifisch.

Zu Beginn der Arbeit steht der Film „Charlie und Louise: das doppelte Lottchen“ von Joseph Vilsmaier aus dem Jahr 1994 im Mittelpunkt. Es werden einige Szenen, einen prägnanten Unterschied zu Nancy Meyers Film sind, nach filmtechnischen Analyseverfahren erläutert, um die Vorgehensweise des Regisseurs bei der Bearbeitung der Literaturvorlage zu verdeutlichen. Im Verlauf des Kapitels wird in Frage gestellt, ob bei der Verfilmung eines Klassikers die Darstellung der Zwillinge vor ihrer gegenseitigen Entdeckung dem Zuschauer Schwierigkeiten bezüglich der Glaubwürdigkeit bereiten könnte, die dem Zuschauer Schwierigkeiten in der Glaubwürdigkeit bereiten könnte. Vilsmaier lässt ‚seine’ Zwillinge gemeinsam im Zug reisen, dennoch dauert es eine Weile bis sie sich gegenseitig erkennen.

Im zweiten Kapitel wird der Film „Ein Zwilling kommt selten allein“ von Nancy Meyers, aus dem Jahr 1998, vorgestellt. Besonders soll darauf hingewiesen werden, dass bei dieser Verfilmung die deutsche Synchronisation verwendet wurde, um einen besseren Vergleich zur Rezeption des deutschen Zuschauers zu ermöglichen. Diesen Film macht nicht nur die Tatsache besonders, dass es eine Regisseurin mit dem Thema aufnimmt, sondern auch die Darstellung eines in Amerika weitgehend unbekannten Kinderbuches. Durch das amerikanische Publikum, in erste Linie das Zielpublikum von Meyers, das keinen Vergleich mit einem Klassiker vornimmt, kann die Regisseurin eine andere Richtung einschlagen. Doch ob sie dies auch tut, soll anhand von einzelnen ausgewählten Szenen gezeigt werden, die sich vom deutschen Film besonders abheben und somit einen anderen Strukturaufbau zeigen sollen. Aber wie bei jedem Film, können auch hier in der Zuschauerrezeption Fragen aufgeworfen werden, die einzelne Szenen mit sich bringen. Denn ein jeder, der sich eingehen über einen Film informiert, wird erfahren haben, dass die Schauspielerin der Mädchen, Lindsay Lohan, im realen Leben keine Zwillingsschwester hat und mit Hilfe digitaler Technik ‚geklont’ wurde.

Anhand der Analyse dieser und weiterer Szenen soll gezeigt werden, dass ebenso in einer freieren Interpretation der Kästner Vorlage Tücken liegen und diese Einfluss auf die Zuschauerrezeption ausüben könnten.

Anschließend soll ein direkter Vergleich der Vorgehensweise in deutschen und amerikanischen Filmstudios aufzeigen,

warum die Regisseure den Filmstoff auf ihre Weise geprägt haben. Ebenso sollen bestimmte kulturelle Klischees, die durch die Zeit, in der der Film entstanden ist, den jeweiligen Filmmarkt beeinflusst haben, aufgezeigt werden. Weiterhin wird auch der Zuschauer, der größte Einflussfaktor des Filmmarkts, und seine Erwartungshaltung, die für einen Erfolg erfüllt werden sollte, vorgestellt werden. Durch diese abschließende Analyse, die die Besonderheiten und die weniger erfolgreichen Szenen der beiden Filme in Zusammenhang mit ihren Produktionsländern stellt, soll der endgültige Beweis erbracht werden, dass eine Grundgeschichte unterschiedlich dargestellt werden kann, da sie weiteren Einflussfaktoren unterliegt.

In dieser Arbeit wird mit der eingängigen Literatur der Filmanalyse gearbeitet, besonders nach Knut Hickethier richtet, da dieser sehr ausführlich die Analyse der Besonderheiten eines Filmes darstellt. Dessen Ansatz wird ergänzt durch Helmut Korte, Werner Faulstich und Sigrid Lange, die eine Einführung in die Filmanalyse geben und dennoch weitere Methoden vorstellen, die die Filmdarstellung dieser Arbeit bekräftigen. Bei allen Autoren sind es dieselben Begrifflichkeiten einer Filmanalyse, die verwendet werden. Weiterhin wird mit Forschungsliteratur bezüglich filmtechnischer Fragen, Besonderheiten erfolgreicher Kinoproduktionen, wo besonders Campbell hervorgehoben werden soll, der sich ausgiebig mit der Struktur der Heldengeschichte auseinandergesetzt hat und diese großen Anklang in Hollywood gefunden hat. Weiterhin wird mit Literatur zur kulturellen Bedeutung der Szenen gearbeitet.

Leider gibt es in der Forschung wenig Material über weitläufige Filmanalyse, die über die technischen Besonderheiten hinausgeht. Gerade im Bereich der Familienunterhaltung gibt es kaum Werke, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen. Ebenso findet sich über die beiden Filme kaum einschlägige Literatur, da der Forschungsmarkt sich eher ausgiebig mit den älteren Zeiten des Kinos beschäftigt und gerade das deutsche Kino der 90er Jahre kaum Beachtung findet. Aber ebenso in der Erich Kästner-Forschung, beschränkt man sich eher auf die originalen Literaturverfilmungen als auf adaptierte Filme der späteren Kinozeit. In dieser Arbeit wird besonders Elisabeth Lutz-Kopp verwendet,

die verschiedene Kästner Verfilmungen untersucht hat. Leider war der Film „Charlie und Louise: das doppelte Lottchen“ bei der Veröffentlichung ihres Buches noch nicht fertig gestellt. Dennoch macht sie deutlich, dass Kästner auch Drehbuchautor war, wie im Fall des „Doppelten Lottchens“ von Josef von Bàky aus dem Jahre 1950. Dieser Film findet in der vorliegenden Arbeit ebenso Verwendung, da sich dieser exakt an die Literaturvorgabe hält und somit auch Einfluss auf die Neuverfilmung haben könnte. Weiterhin findet sich auch über den Zuschauer in Deutschland wenig Forschungsliteratur, da dieser Markt noch wenig erforscht wurde und sich die Filmproduktion erst seit geraumer Zeit für die Rezeption als Solches zwecks Erfolgorientiertheit interessieren.

Im Anhang dieser Arbeit befinden sich Sequenzprotokolle zu den jeweiligen Filmen, somit erübrigt sich eine Zusammenfassung der Werke zu Beginn der Kapitel 1 und 2.

2. Charlie & Louise: das doppelte Lottchen in Hamburg & Berlin

2.1. Der Film und sein Regisseur

Der Regisseur Joseph Vilsmaier ist für viele Produktionen in Deutschland bekannt, wie z.B. die Comedian Harmonists von 1997 bekannt und gilt als der meist kommerziell erfolgreichste Regisseur-Produzent-Kameramann der 90er Jahre.[1] Da der Regisseur und seine „Regie an erster Stelle der sinnlichen Ausführen (stehen, da) alles andere, die Kameraaufnahmen, das Bauen, die Darstellung und der Schnitt, […] unter der Anweisung des Regisseurs (erfolgt)“[2], wird im folgenden von Vilsmaier und seinen Ideen bezüglich des Filmkonzepts gesprochen werden und weitere Beteiligte der Filmproduktion außer Acht gelassen.

„Nur die Kinder sind für unsere Ideale reif“[3], mit diesem Zitat von Erich Kästner beginnt der Vorspann des Filmes. Dieser Satz stammt aus dem Buch Kästners „Fabian. Geschichte eines Moralisten“ und wird von Stephan Labude, ein guter Freund von Jakob Fabian, der durch „überschwänglichen Aktionismus und Radikalität (auffällt). […] (Der) […] rigoros und unwiederbringlich handelt […]. (Und) […] sich ohne Vorankündigung (umbringt)“[4], in seinem Abschiedsbrief verwendet. Kästners Ausspruch zielt auf die Erziehbarkeit des Menschen ab; aber leider sind unsere Ideale oder Werte, auf die wir in der Gesellschaft bauen, oft nicht die, die wir ausführen. Nur die Kinder können diese Ideale, richtig beigebracht, aufnehmen und verwerten, da sie noch völlig wertfrei gegenüber anderen sind, was die Erwachsenen verlernt haben. So möchte doch der ein oder andere eine glückliche Ehe führen, seine Kinder gut erziehen und Erfolg im Beruf haben. Dennoch erfüllt sich dies nicht immer. Im Fall von Vilsmaier und ‚seinen’ Zwillingen geht dieses Konzept auch nicht auf. Die Eltern haben sich, und dies kann nur vermutet werden, aus gewissen Gründen für Kinder entschieden, obwohl ihnen ihre finanzielle Lage bewusst war. Dennoch scheitern sie am Versuch gemeinsam die Kinder zu erziehen und geben auf, was in einer Scheidung endet, im Fall von Labude in Selbstmord. „Wichtige Teile seiner (Labude`s) bürgerlichen Lebensziele, wie die Aussicht auf eine berufliche Karriere und die geplante Familiengründung, sind ihm verloren gegangen.“[5] Dieses Zitat verweist auf Kästner

und der Filmtitel „Charlie und Louise: das doppelte Lottchen“ auf die literarische Vorlage des Filme, wodurch eine gewisse Erwartungshaltung beim Zuschauer geweckt wird.

„Sie darf auf gar keinen Fall die Kinder kriegen, hören Sie, auf gar keinen Fall.“[6] Mit diesem Satz, gesprochen von Heiner Lauterbach, der den Vater verkörpert, beginnt der Film. Somit gelingt dem Regisseur ein ziemlich drastischer Einstieg, der dem Zuschauer verdeutlicht, worauf der Film hinaus laufen wird. Er ist aber auch als Überraschungsmoment zu sehen, da der Zuschauer mit Vorkenntnissen über Kästners Buch nicht mit solch einem Einstieg gerechnet hat, denn die Literaturvorlage beginnt mit den beiden Protagonisten, in diesem Fall Charlie & Luise. Der Einstieg erzeugt Spannung. Es ist ungewiss, in welche Kategorie der Film hineinpassen wird, da man bei der Thematik eher von einem Familienfilm sprechen kann.

Weil diese Szene bereits ein deutliches Zeichen für die Regieleitung ist, soll sie etwas näher erläutert werden. Wie es Knut Hickethier passend formulierte enthält „der Anfang als Beginn des Films […] eine Eröffnung, ein ‚Opening’, das den Zuschauer zunächst erst einmal beeindrucken, faszinieren und sein Interesse auf das, was dann kommt, wecken soll.“[7] Genau dies gelingt Vilsmaier, indem er den Zuschauer, trotz der bekannten Thematik der Zwillingsgeschichte, fesselt und ihn ein ungewöhnliches Konzept vorstellt. Während Kästner die Scheidung und ihre Gründe erst später vorstellt, zeigt der Regisseur in diesem Fall jegliche Einzelheit des elterlichen Zwistes. Damit wird die Vorgeschichte (‚set-up’) dargestellt, „[…] hier wird das Wissen vermittelt, das notwendig ist, um die Figuren in ihrer Situation zu begreifen, all das, was der Zuschauer wissen muss, um dem Geschehen, das dann stattfindet folgen zu können.“[8] Es wird die Grundlage für die Trennung der Kinder gezeigt, denn Vater und Mutter möchten nichts mehr miteinander zu tun haben, zu sehr sind sie durch den Anderen verletzt worden.

Im weiteren Verlauf der ersten Filmminute wird man Zeuge, wie beide Elternteile auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, und es wird deutlich, dass beide keinerlei wohlwollende Gefühle füreinander hegen. „Es wäre `ne Katastrophe, wenn der die Kinder bekommen würde, der kommt ja nicht mal mit sich selber klar“ (CUL, 1:10 Minute) spricht eine verbitterte Corinna Harfouch, die die Mutter verkörpert. Die Fronten sind verhärtet und den Zuschauer überkommt ein mulmiges Gefühl, was wohl mit den Kindern passieren wird. Dieses Gefühl des Zuschauers entwickelt sich dadurch, dass durch die azentrale Form der Imagination die Ereignisse auf der Leinwand imaginiert werden, als seien sie real. Dabei muss nur vorgestellt werden, dass die Ereignisse geschehen.

Dabei „lässt sich Imagination als Annahme, Vermutung oder Voraussetzung einer Realität definieren. Die emotionalen Reaktionen […] sind in der Regel Mitgefühl (Sympathie) oder (wie in diesem Fall) Ablehnung (Antipathie).“[9]. „Was soll das heißen? Natürlich lieb ich meine Kinder!“ gibt der Vater mit kräftiger Stimme zu verstehen. „Soll das heißen, ich liebe meine Kinder nicht?“ antwortet Sabine, die Mutter. „Für ihn sind die Kinder doch nur ein Störfaktor!“ „Für mich?“ fragt Herr Palfy ungläubig (CUL, 1: 38 Minute ff). Beide wollen nicht zurückweichen und die Kinder für sich haben. Die Geschichte wird den Zuschauer im Verlauf eines besseren belehren, dennoch kann man zu Beginn irritiert sein, wird doch im Titel und im Vorspann mit Kästner geworben, und dann erfolgt ein solch abrupter Einstieg in das Thema.

Wer die Vorlage kennt, erinnert sich, dass dieses Vorgehen nun gar nicht zu Kästner passt, und die Stimmung, die erzeugt wird, eher düster als familiär wirkt. Dadurch könnte eine erste Enttäuschung seitens der Zuschauer erfolgen, die sich einen unterhaltsamen Familienfilm erhofft haben. Wie im Fall von Kästner`s Figur Labude, die einen tragischen Tod erlebt, weil sie eine Lüge in den Selbstmord trieb[10], verkommen hier die Eltern zu unliebsamen Wesen, die der Zuschauer erkennt und die selbst eine Art Selbstmord in ihren moralischen Werten erleben. Der Zuschauer möchte, trotz hart arbeitenden Menschen, liebevolle Eltern erkennen, die nur das Beste für ihre Kinder wollen, doch dies wird verwehrt. Dies liegt daran, dass

der Zuschauer […] sich bei seiner emphatischen Teilhabe des Öfteren die Frage (stellt), was er in der im Film gezeigten Situation gefühlt oder wie er sich darin verhalten hätte. In dieser Funktion kann Empathie zur Selbst-Reflexion führen: Der Zuschauer benutzt die imaginative Simulation der fiktionalen Ereignisse, um über seine eigene Lage nachzudenken.[11]

Wenn nun der Beobachter streitende Eltern sieht, was dem Ein oder Anderen durchaus aus dem Privatleben bekannt sein kann, stellt sich die Frage ob man es besser machen könnte oder man ähnlich reagieren würde, wenn einen der Partner so verletzt. Auf der Leinwand sieht man zankende Erwachsene, die sich wie Kinder ihre schlechten Charaktereigenschaften vorwerfen. Somit wird der Zuschauer verleitet, beiden wenig Sympathie entgegenzubringen

und hart nun der Dinge, die da kommen mögen. Natürlich wird in der Forschung argumentiert, dass es einfacher ist, Kinder aufzuteilen, gerade wenn beide Eltern berufstätig sind, da „die Bindung an ein Elternteil noch wichtiger ist als an die Geschwister,

schon weil in der Jugend das Zusammensein mit den Eltern im Allgemeinen mehr Zeit umfasst als das mit Geschwistern, […].“[12] Dennoch ist man der Meinung, dass ein Aufwachsen mit Geschwistern „erzieherisch vorteilhaft ist, wenn ein Kind in täglicher Gemeinschaft mit anderen Kindern aufwächst, […] Geschwister können auch über die Abwesenheit eines Elternteils hinwegtrösten.“[13] Die beste Lösung sollte also zum Wohl der Kinder getroffen werden, im Film ist es eher deutlich, dass es sich die Eltern mit dieser Lösung bequem machen, den anderen nicht mehr sehen zu müssen. Von Vorteil ist dabei, dass eineiige Zwillinge sich natürlich gleichen und man so auch immer das andere Kind vor Augen hat.

Es wird deutlich, dass Vilsmaier sich absetzen möchte mit seinem Film. Zwar benennt er Kästners Vorlage im Untertitel, doch als Titel nennt er die Namen der beiden Mädchen: Charlie & Louise, wo Kästner doch eher das Augenmerk auf Lotte legte, da diese Wesenszüge eines Musterknaben zeigt: „Und du hast inzwischen nicht gespielt wie andere Kinder, sondern aufgewaschen, gekocht, den Tisch gedeckt.“[14] Da Kästner sonst Jungen diesen Part hat zukommen lassen, ist anzunehmen, dass das Buch/der Film deshalb „Das doppelte Lottchen“ und nicht Luischen heißt.[15] Generell wird bei Vilsmaier durch die Namenwahl der Verweis auf das Lottchen gänzlich ausgeblendet, da mit Charlie die Kurzform gewählt wurde. Bei Lousie setzt auf orthographische Abgrenzung zur Luise der Literatur. Besonders deutlich wird die Abgrenzung zur Literaturvorlage, da der Regisseur die Charaktere der beiden Mädchen ausgetauscht hat. Bei Kästner ist es Lotte, die lieb und nett ist doch bei Vilsmaier ist sie es die, die den größten Unfug treibt und einmal sogar den Zug anhält um ihre Mütze wiederzubekommen.[16] Um diesen Charakterwechsel auch sinnvoll zu erklären tauschen die Mädchen auch die Eltern: Lotte, die im Buch bei ihrer Mutter lebt: „Ich hab nur eine Mutti“, flüstert Lotte“ (BDDL, S. 16), wird im Film zu ihrem Vater nach Berlin geschickt.

Die Grundgeschichte ist natürlich gleich geblieben, doch auch die Namensänderung der Mutter tritt in den Vordergrund. Aus Luiselotte Körner wird Sabine Kröger. Während im Buch der Name der Mädchen von der Mutter abgeleitet wird, was eine besondere Beziehung erschließen lässt, wird diese im Film genommen. Man könnte die These aufstellen,

dass Luise als Buchfigur deshalb bei der Mutter bleibt, da sie ihren Anfangsnamen trägt aber dieses bleibt ungeklärt sowohl im Roman als auch im Film. Die besondere Namensbeziehung zwischen Töchtern und Mutter nimmt Vilsmaier, indem er Frau Kröger einen anderen Vornamen und natürlich Nachnamen gibt.

Auch der Nachname der Mutter, vor und nach der Scheidung, wird im Buch deutlich gemacht. So ist Körner ihr Mädchenname, den sie nach der Scheidung wieder angenommen hat. „Luiselotte Palfy, geb. Körner, kaum zwanzig Jahre alt […].“(BDDL, S. 66). Im Film wird keinerlei Erklärung für Frau Krögers Nachnamen gegeben, es kann nur vermutet werden, dass sie wie im Roman ihren Mädchennamen wieder angenommen hat. Bei Herrn Palfy bleibt zwar der Nachname gleich, doch der Vorname ändert sich. Er wird von seiner Tochter Wolf genannt, während er im Buch als „Ludwig Palfy“ (BDDL, S. 67) aufgeführt wird. Ein Merkmal um sich vom Original zu distanzieren. Natürlich kann dies auch daran liegen, dass literarische Figuren unter das Urheberschutzrecht fallen können[17] und Vilsmaier diese Änderungen vornehmen musste. Auch ändern sich die Orte und einige Grundmerkmale der Geschichte werden zeitlich angepasst, denn heute geht man doch eher in den Dönerladen zum Essen als ins vornehme Hofbräuhaus der Stadt. Ebenso fährt man nicht mehr ins Ferienlager, sondern zur Sprachreise nach Schottland. Somit kommt Kästners Geschichte endgültig in den 90er Jahren an.

Um nun einen genaueren Einblick in den Film zu erhalten, werden im Folgenden einzelne Szenen analysiert. Zum ersten solche, die hervorstechen und eine Besonderheit darstellen, zum anderen Szenen, die Probleme für eine glaubwürdige Filmrezeption darstellen.

2.2. Besonderheiten der Verfilmung

2.2.1. ‚Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr’

2.2.1.1. Frau Kröger und Herr Palfy stellen sich vor

Zu Beginn des Films erlebt man beide Eltern nur auf ihrem Vorteil bedacht (siehe Kapitel 2.1.). Herr Palfy tritt mit fester Stimme und sehr bestimmt mit Anzug und Krawatte gekleidet in Erscheinung, neben seinem Anwalt. Die Kamera zeigt beide in Nahaufnahme und folgt ihnen, während sie durch die Gänge eines Gebäudes laufen. Diese Einstellung wird benutzt, um den Menschen von „Kopf bis zur Mitte des Oberkörpers (zu zeigen). Mimische und gestische Elemente stehen im Vordergrund. (Sie) werden vorzugsweise für das Zeigen von Diskussionen und Gesprächen benutzt“[18], wie auch in diesem Fall. Diese Position, in der sich die Kamera auf Augenhöhe der Figuren befindet und dabei frontal auf das Geschehen gerichtet ist, nennt man objektiv.[19] Für den Zuschauer ist es aufgrund der typischen Staatskleidung des Anwaltes ersichtlich, dass es sich um ein Gerichtsgebäude handelt. Das Thema wird durch den ersten Satz „Sie darf auf gar keinen Fall die Kinder bekommen!“ (CUL, 1. Minute) deutlich: es handelt sich um einen Scheidungsprozess, der auch eigene Kinder involviert. Dennoch erlebt man Herrn Palfy sehr aufgebracht und gegen seine Frau eingestellt: „Mutter? Sie ist eine überforderte Studentin!“ (CUL, 0:42 Minute) sagt er mit fester Stimme.

Es folgt ein Szenenwechsel zu Frau Kröger, ebenfalls in Nahaufnahme gezeigt. Sie steht vor einem Fenster und dreht sich zu ihrer Anwältin um (CUL, 1. Minute). „Es muss vor allen Dingen deutlich werden, warum ich mein Examen nicht zurück stellen kann.“ Sie raucht und läuft auf der Stelle, ein Anzeichen von Nervosität. Ihre Anwältin wird aus der Vogelperspektive gezeigt (CUL, 1. Minute), da es für den Zuschauer den Anschein hat, Frau Kröger sehe auf sie herunter. Der Zuschauer hat ebenso einen erhöhten Standpunkt auf das Geschehen, und es wirkt überschaubar[20]. Normalerweise wird durch diese Kameraeinstellung Unterlegenheit, Einsamkeit oder Schwäche[21] suggeriert, was hier jedoch wenig plausibel erscheint, da Frau Kröger als Klientin auf ihre Anwältin angewiesen ist. Dennoch äußert die Mutter sich zu keinem Zeitpunkt der Szene und lässt Frau Kröger ungehindert fortfahren. Diese Art der Kameraführung wird auch als subjektive Kamera bezeichnet,

da sie den „Blick- und Wissenshorizont einer Figur übernimmt“ und die Frosch- und Vogelperspektive eine Szene „kommentiert“[22].

Sehr bezeichnend ist die Tatsache, dass beide Anwälte ihres eigenen Geschlechts haben. Sehr wahrscheinlich ist die Argumentation, dass sich beide in der Wahl ihres Anwaltes, Verständnis für ihre Position erhoffen: Eine Anwältin ebenfalls ein Studium ableisten muss, wie dies Frau Kröger in dieser Situation hat, und ein Anwalt möchte ebenso Karriere und Familie vereinen, wie Herr Palfy.

Nun wechselt die Kamera wieder auf Herrn Palfy und seinen Anwalt; beide werden ebenfalls aus der Froschperspektive gezeigt; wie sie eine Treppe emporkommen (CUL, 0:54 Minute). Diese Einstellung nimmt „das Gezeigte von unten her auf […] und […] dadurch (lässt es dieses) gegenüber dem Zuschauer erhöht bzw. größer wirken“[23]. Die beiden laufen auf die Kamera zu, bis sie auf Augenhöhe und in Nahaufnahme zu sehen sind. Nun wechselt die Kamera ein letztes Mal in dieser Szene auf Frau Kröger und folgt ihrer Hand, die eine Zigarette wegwirft (CUL, 1:08 Minute). Im Hintergrund sind nun neben den typischen Hintergrundgeräuschen wie das Öffnen von Türen und Schritten auch die Stimmen von Herrn Palfy und seinem Anwalt zu hören. Frau Kröger lacht kurz auf, als sie die Stimme ihres Mannes hört. Es ist ein kurzes, höhnisches Lachen auf seine Argumentation. Sie läuft auf die Kamera zu, und ihr Kopf erscheint in Grossaufnahme „Es wäre ne Katastrophe wenn der die Kinder bekommen würde“ (CUL, 1:12 Minute). Sie erscheint immer noch nervös und läuft ständig auf und ab. Ihr Mann dagegen macht einen souveränen Eindruck und weiß genau gegen sie zu argumentieren, während Frau Kröger eher auf ihr Examen bedacht ist.

Nun treffen sich beide Parteien. Herr Palfys Anwalt gibt beiden Frauen die Hand und begrüßt sie, während Frau Krögers Anwältin sitzen bleibt. Frau Kröger selber steht am Fenster, Herr Palfy in der Mitte des Flurs. Die Kamera befindet sich in einigem Abstand hinter ihm und zeigt die Szene in der Halbtotale. Dabei ist „die menschliche Figur von Kopf bis Fuß zu sehen. Diese Einstellung eignet sich für die Darstellung von Menschengruppen sowie körperbetonte Aktionen.“[24] Dann wechselt sie zwischen den beiden Gesichtern der Eheleute und zeigt sie in Grossaufnahme, die

den Blick des Zuschauers ganz auf den Kopf des Abgebildeten (konzentriert). Hier wird der mimische Ausdruck hervorgehoben. Damit werden auch intime Regungen der Figur gezeigt, die den Dargestellten charakterisieren und die oft auch die Identifikation des Zuschauers mit der Figur erhöhen sollen.[25]

Beide wirken extrem angespannt, und der Zuschauer kann deutlich erkennen, dass ihnen dieses Treffen unangenehm ist.

Nun wird das Verfahren Schuss-Gegenschuss angewendet, wie es häufig bei Dialogen der Fall ist. Bei dieser Einstellung sind die miteinander sprechenden Figuren, wie in diesem Fall, abwechselnd in Nah- und Grosseinstellungen zu sehen. Durch den frontalen Einsatz der Schauspieler, und diese dabei schräg an der Kamera vorbei blickend, gewinnt der Zuschauer den Eindruck, er stehe in unmittelbarer Nähe zu den beiden Dialogpartnern.[26] Herr Palfy wirkt freundlich geneigt, dennoch angespannt und versucht ein kleines Lächeln: „Tag Sabine“ (CUL, 1:38 Minute), aber Frau Kröger macht einen traurigen unausgeglichenen Eindruck. Sie zögert kurz zu Antworten und sagt schließlich mit leicht gesenktem Blick „Hallo.“ (CUL, 1:39 Minute) Herr Palfys Anwalt versucht ein letztes Mal zwischen beiden zu vermitteln „Wollen sie nicht versuchen sich gütlich einigen? Sie lieben ihre Kinder doch!“ (CUL, 1:40 Minute) Herr Palfy fühlt sich angegriffen und interveniert: „Natürlich liebe ich meine Kinder!“ (CUL, 1:41 Minute) sagt er trotzig und schaut auf den Boden, dabei spielt er mit seinen Händen hinter dem Rücken, ein Zeichen für Nervosität. Auch Frau Kröger ist erregt: „Soll das heißen, ich liebe meine Kinder nicht?“ (CUL, 1:42 Minute) fragt sie ihren Mann anblickend. Es zeigt sich keinerlei Regung in ihrer Körpersprache, sie steht immer noch am Fenster, hält sich aber an der Heizung fest, ebenfalls ein Zeichen von Unruhe. Die ganze Zeit über sitzt Frau Krögers Anwältin passiv auf einer Bank und beobachtet die Szene. Nun erfolgt Musik und übertont den weiteren Dialog. Natürlich erkennt man als Zuschauer, dass von einer Trennung der Kinder keine Rede ist. Dennoch möchte jeder die Kinder für sich, da er dem anderen nicht über den Weg traut. „Für ihn sind die Kinder doch nur ein Störfaktor“ (CUL, 1:45 Minute), sagt Frau Kröger trotzig mit Blick auf den Anwalt ihres Mannes.

Die Charaktere beider Eltern werden egoistisch dargestellt, weil sie eher auf ihren Vorteil bedacht sind und die Kinder nur haben möchten, damit der andere sie nicht bekommt aber eine eigentlich gute Basis für ein liebevolles Zuhause fehlt. Als Zuschauer ist man geneigt, zu hoffen, dass sich die Eltern ändern werden um der Kinder willen, doch weiter wird man nicht ins Bild gebracht.

2.2.1.2. 10 Jahre später – Chaos vs. Ordnungswahn

Zu Beginn der Szene (SP CUL, Sequenz 2) erfolgt eine Überblendung, welche ein „teilweises Überlappen von Einstellungsende und Anfang der nächsten Einstellung“[27] ist und eine Möglichkeit bietet, Elemente weich zu verbinden.

In diesem Fall sollen die Personen in einen inhaltlichen Zusammenhang gebracht werden[28], vom elterlichen Streit im Gericht zu einem Bahnhof (CUL, 2:10 Minute).

Ein Zwischentext, der die erzählte Zeit rafft und die Position des Redenden außerhalb des visuellen Geschehens einnimmt und „sich als Kommentare zum visuellen Geschehen zusammenfassen (lassen)“[29], wird eingeblendet: „10 Jahre später“ (CUL, 2:13 Minute). Der Zuschauer erkennt Sabine Kröger, die mit ihrer Tochter spricht: „Nun komm schon Louise“ (CUL, 2:19 Minute), und sie zum Zug bringt - zu einer Studienfahrt nach Schottland, wie der Zuschauer später erfährt. Die Kamera folgt den beiden parallel[30], um ihren Bewegungsablauf zu simulieren. Dabei sind deutlich Geräusche zu hören, die typisch für einen Bahnhof sind: Züge, die abfahren und ankommen und Menschen, die im Hintergrund reden. Durch diese Hintergrundgeräusche wird dem Zuschauer Lebendigkeit signalisiert. Dadurch wird eine akustische Atmosphäre erzeugt, die den Wirklichkeitseindruck des Visuellen steigert.[31] Nun folgt die Kamera den beiden in Richtung Zug. Dabei benutzen Mutter und Tochter eine Rolltreppe. Die Bewegung nimmt der Zuschauer aber nur durch die Kamera war, die die Rolltreppe „hinunterfährt“. Dabei ist die Handlung mit der Blickachse des Zuschauers deckungsgleich.[32] Diese subjektive Kamera zieht den Zuschauer unmittelbar in die Handlung mit ein, indem er durch die Augen einer der Darsteller sieht[33], und das Gefühl hat selber auf der Rolltreppe zu fahren.

Nun folgt die Kamera den beiden wieder parallel, um ihren Weg, der am Zug vorbei führt zu zeigen, bis schließlich der Abschied folgt. Die Kamera zeigt beide Gesichter in Grossaufnahme und man kann die Traurigkeit in Louises Gesicht sehen. Sie schaut nach unten und ihre Mundwinkel sind leicht nach unten geneigt. Der Zuschauer fühlt sich bei solchen Einstellungen sofort emphatisch der Figur verbunden. Durch diese subjektiven Kameraeinstellungen, auch ‚point of view’ bezeichnet, bei der der Blick- und Wissenshorizont der Figur übernommen wird[34], wird dem Zuschauer ein Zugang zu dem gegeben, was die Figur beschäftigt, worauf ihre Aufmerksamkeit gerichtet ist und wie sie emotional darauf reagiert. In diesem Fall auf den Abschied, der Luise traurig macht. Man sieht eine liebevolle Mutter, die ihre Tochter zum Abschied tröstet: „Und wenn das Heimweh zu groß wird, dann rufst du mich einfach an“ (CUL, 3.10 Minute).

Dies steht im Kontrast zum ersten Auftreten von Frau Kröger. Sie macht einen souveränen Eindruck und scheint erfolgreich im Geschäftsleben zu sein, was sich in ihrer adretten Kleidung zeigt. Aber im Gespräch wird deutlich, dass sie wenig Zeit für ihr Kind hat. „Du bist so ernst und einfach viel zu oft allein“ (CUL, 3:25 Minute). Natürlich weiß der Zuschauer bis dato noch nicht, woran das liegt, aber Louise macht einen wohlerzogenen Eindruck, bestätigt durch die Aussage ihrer Mutter „Louise, ich bin deine Mutter, nicht du meine.“ (CUL, 3:30 Minute). Diese Form des Rollentausches findet sich häufig bei Scheidungskindern und deren jeweiligen Erziehungsberechtigen. Die Eltern sind manchmal nicht in der Lage „angemessene Grenzen zwischen dem Kind und sich aufrechtzuerhalten.“ Dadurch erfolgt eine „Verwischung der intergenerationalen Grenzen […].“[35]

Louise ist ganz in weiß gekleidet und bildet somit den genauen Gegensatz zu ihrer Schwester, die mit ihrer schwarzen Kleidung deutlich hervorsticht, wenn sie ins Bild tritt. Auch die Kopfbedeckung der beiden bildet ein Gegensatzpaar: so trägt Louise einen modischen Hut, ebenso in weiß, während Charlie einen schwarze Kappe trägt, eher im Jungenstil. So werden die beiden als Kontrastpaar verdeutlicht, genauso wie ihre Charaktere unterschiedlich sind. Während die Kinder kontrastiv dargestellt werden, zeigen die Eltern doch erstaunliche Parallelen in ihrem Leben. Beide erzählen ihren Kindern, dass ihr weiteres Elternteil in Australien lebt (CUL, 16. Minute), anstatt ihnen die Wahrheit zu berichten.

Zu Beginn des Tauschprojekts muss Charlie allein nach Hause fahren. (siehe Sequenzprotokoll, Sequenz 3). Die Kamera zeigt sie aus der Vogelperspektive, dabei wirkt sie gegenüber dem riesigen Haus sehr klein, was ihre Angst, in eine fremde Umgebung zu kommen, verdeutlicht. Kurz darauf sieht man in der Halbtotale ihr ängstliches Gesicht. Sie wird seitlich vom Sonnenlicht angestrahlt, dabei wird sie in den Bildmittelpunkt gestellt und es umgibt sie eine friedliche Atmosphäre von Vogelgezwitscher, welches in diesem Fall für Authentizität sorgt. Nun sieht man die Nachbarin, Frau Brinkmann, aus dem Fenster blicken und nach Luise rufen (CUL, 33. Minute). Sie kann der Grund für die Vogelperspektive sein,

da sie das Mädchen die ganze Zeit zu beobachten scheint. Schließlich betritt Charlie eine leere Wohnung. Dennoch gefällt es ihr zu Beginn: eine fröhliche Musik untermalt die Szenerie, in der die Kamera Charlie durch die Wohnung auf Augenhöhe (Normalsicht) ihrer Mutter begleitet. In dieser Perspektive werden „weder Unter- noch Aufsichten auf die Figuren (gezeigt),

[...]


[1] vgl. Sabine Ha>

[2] Ernst Iros: Wesen und Dramaturgie des Films, . Neue, vom Verf. bearb. Ausg., Zürich : Niehans, 1957, S. 43.

[3] Erich Kästner: Fabian - Die Geschichte eines Moralisten, München: Deutscher Taschenbuchverlag, (Erstausgabe 1931), 1989.), S. 186.

[4] Nicolai Friedrichsen: Moral und Unmoral in Erich Kästners Fabian- die Geschichte eines Moralisten, Grin Verlag, 2007. S. 19f

[5] Ebd., S. 20.

[6] Vilsmaier, Joseph: Charlie & Luise, DVD, Lunaris Film/Bavaria Film/ Perathon Film, Filmveröffentlichung: 1994, DVD-Erscheinungstermin: 1. Oktober 2003, 0:38 Minute (die DVD- Ausgabe wird im folgenden zitiert unter der Verwendung der Sigle CUL und Seitenangabe)

[7] Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, 3. Auflage, Stuttgart (u.a.): Metzler, 2001 (Schriftenreihe: Sammlung Metzler ; Band 277: Realien zur Literatur),S. 124.

[8] Ebd., S. 124.

[9] Bruun Vaage, Claudia: Empathie. Zur periodischen Struktur der Teilhabe am Spielfilm. In:

Schick, Thomas; Ebbrecht, Tobias: Emotion - Empathie - Figur: Spielformen der Filmwahrnehmung. Berlin : Vistas, 2008, S. 29-160 (Schriftenreihe: Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft; Band 62), S. 31.

[10] vgl. Nicolai Friedrichsen: Moral und Unmoral in Erich Kästners Fabian- die Geschichte eines Moralisten,

S. 20: „als er von der vermeintlichen Ablehnung seiner Habilitationsschrift erfährt […]. […] bringt er sich ohne Vorankündigung um.“

[11] Claudia Bruun Vaage: Empathie. Zur periodischen Struktur der Teilhabe am Spielfilm, S.41.

[12] Friedrich Arntzen unter Mitwirkung von Michaelis-Arntzen, Else: Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern: ein Grundriß der forensischen Familienpsychologie, 2., durchges. und erg. Aufl., München: Beck, 1994, S. 27.

[13] Ebd., S. 26f.

[14] Erich Kästner: Das Doppelte Lottchen, Dressler Verlag; Auflage: 2, 2000, S. 22 (die Buchausgabe wird im Folgenden zitiert unter der Verwendung der Sigle BDDL und Seitenangabe).

[15] Vgl. Sven Hanuschek: Keiner blickt dir hinter das Gesicht: das Leben Erich Kästners, Nachdruck, München [u.a.]: Hansers, 1999, S. 358: „Wie Walter Trier sagte, der Titel klinge ‚phonetisch so lustig […]. Die kleine Luise kommt dabei etwas zu kurz – aber geschieht ihr scho recht- warum ist sie nicht so phonetisch.“

[16] siehe Anhang Sequenzprotokoll CUL, Sequenz 2 ( im Folgenden wird das Sequenzprotokoll unter der Sigle SP CUL und der Sequenzangabe zitiert)

[17] vgl. Robert Strasser: Die Abgrenzung der Laufbilder vom Filmwerk : unter besonderer Berücksichtigung des urheberrechtlichen Werkbegriffs, 1. Auflage, Baden-Baden: Nomos-Verlagsgesellschaft, 1995, (Schriftenreihe des Archivs für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht (UFITA); 126), Zugl: Diss, 1994, S. 26

[18] Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, S. 59.

[19] vgl. Sigrid Lange: Einführung in die Filmwissenschaft, Darmstadt: Wiss. Buchges., 2007, (Schriftenreihe: Einführungen Germanistik). S. 51.

[20] vgl. Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, S. 62.

[21] vgl. Helmut Korte: Einführung in die systematische Filmanalyse : ein Arbeitsbuch, 2., durchges. Aufl., Berlin : Erich Schmidt, 2001, S. 29.

[22] Sigrid Lange, Einführung in die Filmwissenschaft, S. 51.

[23] Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, S. 62.

[24] Ebd., S. 58.

[25] Ebd., S. 59.

[26] vgl. Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, S. 151.

[27] Werner Faulstich: Einführung in die Filmanalyse, 3. vollst. neu bearb. u. erhebl. erw. Aufl., Tübingen: Narr, 1976, (Schriftenreihe: Literaturwissenschaft im Grundstudium ; Band 1). S. 59.

[28] vgl. Helmut Korte, Einführung in die systematische Filmanalyse: ein Arbeitsbuch, S. 27f.

[29] Knut Hickethier: Film- und Fernsehanalyse, S. 103.

[30] vgl. Ebd., S. 64.

[31] vgl. Ebd., S. 96.

[32] vgl. Ebd., S. 65.

[33] vgl. Helmut Korte, Einführung in die systematische Filmanalyse: ein Arbeitsbuch, S. 30.

[34] vgl. Sigrid Lange: Einführung in die Filmwissenschaft, S. 11.

[35] Dümmler, Franzis Daniela :Wandel und Qualität von Familienbeziehungen bei Scheidung und Wiederheirat aus kindlicher Perspektive : Schwerpunkt: kindliche Bewältigungsformen von Scheidung, phil. Diss. Augsburg, 1997.S. 59f.

Final del extracto de 93 páginas

Detalles

Título
„Das doppelte Lottchen“: Ein Filmvergleich USA-Deutschland
Universidad
University of Göttingen
Calificación
2,0
Autor
Año
2008
Páginas
93
No. de catálogo
V120520
ISBN (Ebook)
9783640237869
ISBN (Libro)
9783640239900
Tamaño de fichero
824 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Lottchen“, Filmvergleich, USA-Deutschland
Citar trabajo
Mandy Stein (Autor), 2008, „Das doppelte Lottchen“: Ein Filmvergleich USA-Deutschland, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120520

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Título: „Das doppelte Lottchen“: Ein Filmvergleich USA-Deutschland



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