Ethik und Moral in der Ethnologie

Komplizierte Ethik und verantwortungsvolle Forschung


Hausarbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Ethos versus Ethik

3 Ethik in Ethnologie als Wissenschaft
3.1 Ethische Probleme
3.2 Empirischer Umgang

4 Ethik-Codes
4.1 American Anthropological Association
4.1.1 Ziele der AAA
4.1.2 Ethische Normen der AAA
4.1.3 Europäische Übertragung
4.2 Kategorischer Imperativ nach Immanuel Kant

5 Fallbeispiele
5.1 Projekt Camelot
5.2 Running for my life in El Salvador

6 Trend: individuelle Ethik
6.1 Voraussetzungen
6.2 Lösungsansatz: Aktionsethnologie
6.3 Konsequenzen

7 Schlussbetrachtung

8 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„[…] stellen Sie sich mal einen Ethnologen vor: der Mann hat zwei Jahre bei einem fremden Volk gelebt, ist auf die Jagd gegangen, hat Knollen ausgebuddelt, war einsam und vergnügt, hat mit seinen Gastgebern gelacht, geheult, getanzt und geliebt, der Medizinmann hat ihm anvertraut, wie man mit den Feen in den Bergen bumst, und dann geht er heim und schreibt eine strukturell-funktionale Analyse der Eigentums- und Verwandtschaftsverhältnisse der Tarahumara unter der Berücksichtigung der marxistischen XY. Das ist eine schamlose Ausbeutung der Menschlichkeit dieser Leute, die gottseidank [sic!] dieses Buch niemals lesen werden“ (Duerr 1977: 100).

Diese Problematik zwischen Verbindung zu den Erforschten und wissenschaftlichem Publikationsdiktat ist Diskussionsgegenstand der Ethnologie, da eine Lösung, die allen Ansprüchen genügt, unmöglich zu finden scheint.

Die Debatte ist in den größeren Kontext der Ethik einzuordnen und unter Berücksichtigung des richtigen ethischen Verhaltens für Ethnologen in ihrer Feldforschung zu führen. Somit stellt sich die Frage, ob beziehungsweise wie Ethnologen während ihrer Forschung verantwortlich und ethisch korrekt handeln können. Die Thematisierung von Ausnahmesituation ist dabei zu berücksichtigen. Im Kontext dieser Auseinandersetzung steht zusätzlich die Betrachtung der Verantwortung die Ethnologen den Untersuchten gegenüber tragen und welche Probleme sich ergeben.

Zunächst werde ich Ethik definieren und vom Begriff des Ethos abgrenzen, da diese beiden Terme relevant für die weitere Auseinandersetzung sind. Hieran gliedert sich der Umgang mit Ethik in der Ethnologie als Wissenschaft, welche Entscheidungen Forscher treffen, indem sie sich der Akademie verschreiben und welcher Umgang in der Empirie gewählt wird, da dies Ausgangslage weiterer Entwicklungs- und Lösungsansätze ist. Anschließend werde ich die American Anthropological Association[1] mit ihren Zielen und ihrem Vorschlag einer ethischen Handlungsrichtlinie thematisieren und den Kategorischen Imperativ nach Immanuel Kant als ethische Norm mit ihren Konsequenzen bespchen, um Ansätze des verantwortlichen Umgangs mit Feldforschungsproblemen aufzuzeigen. Die darauf folgenden Beispiele des Projektes Camelot und einer Feldstudie in El Salvador/ Honduras verdeutlichen die Schwierigkeiten der Durchsetzung und konsequenten Anwendbarkeit einer ethischen Norm in einer reaktiven Wissenschaft wie der Ethnologie. Abschließend werde ich den aktuellen Trend in der Ethikdiskussion in Form der individuellen Entscheidungsträgerschaft des Forschers in Kombination mit der partizipativen Methode darlegen, denn diese eröffnen dem Ethnologen während seiner Forschung neue Perspektiven und Handlungsspielräume, verpflichten aber gleichzeitig zu größerer Verantwortung und kreativerer empirischer Umsetzung.

Bei der Betrachtung ethischer Normen während der ethnologischen Feldforschung werde ich mich auf empirisch ersichtliche und praxisbezogene Prinzipien beschränken und dabei philosophisch-ethische Debatten auf abstrakter Metaebene vernachlässigen.

Die Werke von Hornbacher (1993; 2006) und die Veröffentlichungen der American Anthropological Association (2000; 2007) waren auf Grund ihrer Verständlichkeit und der Nähe zur Ethnologie sehr hilf- und aufschlussreich. Gleichzeitig waren die Beschreibungen von Feldforschungen und auftauchenden Problemen von Bourgois (1982) und Horowitz (1965) wegen der empirischen Nähe sehr anschaulich. Da sie als Schlüsselstudien der Ethikdiskussionen zählen „Project Camelot […] launched the debate on ethics in anthropology“ (Sluka 2007: 272) waren sie in besonderem Maße kontrovers, aber nennenswert.

Eigene Kenntnisse waren in geringem Maße vorhanden. Die Thematik der Ethik wurde mehrere Male im Rahmen des Studiums angesprochen, doch nicht in der inhaltlichen Tiefe wie in der vorliegenden Arbeit besprochen.

2 Ethos versus Ethik

Gemeinsame moralische und ethische Grundsätze dienen als Voraussetzung gegenseitiger, menschlicher Kommunikation und Interaktion (vgl. Downing 1988b: 9). Diese sind meist in Form unbewusster übereinstimmender Regeln, Lebenshaltungen und Voraussetzungen wiederzufinden, welche somit ein potentiell harmonisches Miteinander ermöglichen. Aufgabe der Ethnologie ist es unter anderem, diese mit Hilfe der teilnehmenden Beobachtung zu erfahren, beschreiben und interptieren (vgl. Hornbacher 2006: 13). Jedoch ist dies noch keine Ethik: es ist das Ethos, welches kulturspezifische Ausprägungen annimmt und menschliche Verschiedenheit prägt. Es ist „[t] he character, sentiment, or disposition of a community or people, considered as a natural endowment” (Internet: Online Dictionary).

Ethik hingegen gilt „als philosophische Disziplin und explizite Theorie des rechten menschlichen Handelns auf die reflexive Bestimmung und normative Festlegung von gültigen ethischen Prinzipien“ (Hornbacher 2006: 13) und versucht durch das Aufstellen ethischer, unumstößlicher, grundsätzlicher Normen dem Anspruch der Allgemeingültigkeit gerecht zu werden.

Dabei ist eine Kategorisierung des Verhaltens – scharf ausgedrückt - in gut und böse nicht zu vermeiden, denn „[ e ] thical postulates state that particular action or belief is better […] than other behavior or belief“ (Barnett 1988: 22), und nehmen dadurch eine Beurteilung entspchender Verhaltensweisen vor, während Ethos kulturbedingt ist, dementspchend keiner Evaluierung unterliegen kann, und somit unter dem Schutz des Kulturrelativismus steht, welcher allerdings nicht immer den Forscher vor ethnozentristischer Rezension schützt (vgl. Barnett 1988: 23).

3 Ethik in Ethnologie als Wissenschaft

Nicht nur der ethnologischen Methode, der teilnehmenden Beobachtung, liegen ethische Entscheidungen zu Grunde, vielmehr findet Ethik schon aus dem Verständnis von Wissenschaft heraus statt. Denn durch die Zweckabhängigkeit einer Wissenschaft wie der Ethnologie, werden dieser Werte und Ansprüche wie Objektivität und Theoriebildung impliziert, wodurch die akademischen Anforderungen als „Panzer gegen menschliche Wirklichkeit“ (Hornbacher 1993: 39) erscheinen. Genau dieser Versuch der theoretischen Grundlagenbildung führt zur Degradierung des Untersuchungsgegenstandes, der im Fall der Ethnologie meist reflexive Lebewesen darstellt, welche dadurch zum „bloßen Material“ wird (Hornbacher 1993: 39) und nur noch dem Selbstzweck des Ethnologen dienlich sein soll. Allein diese akademische Haltung impliziert eine ethische Entscheidung und entfacht Diskussionen über den Umgang mit außerwissenschaftlichen Erfahrungen des Forschers wie subjektiven Eindrücken und Empfindungen (vgl. Hornbacher 2006: 14).

Aus dieser fachbedingten Problematik ergibt sich die Vermutung, Ethnologie könne nicht ethisch neutral und normativ sein, da sie das Ethos Anderer beschreibt, und dadurch sich ethische Orientierungslosigkeit ergibt, da unterschiedliche Ethikkonzepte miteinander korrelieren, doch kann gewisse Unregelmäßigkeit als normativ gelten (vgl. Habermeyer 1993: 27; Hornbacher 2006: 14).

3.1 Ethische Probleme

Der Ethnologe befindet sich zwischen zwei moralischen Standpunkten während seiner Forschung: zum Einen ist er seinem Untersuchungsgegenstand, seinen Informanten und Erforschten, gegenüber moralisch verpflichtet, da er mit diesen ein Verhältnis eingegangen ist; zum Anderen muss der Ethnologe für seinen Auftraggeber und Sponsor gewünschte Leistungen erbringen. Diese ethischen Anforderungen können je nach Akzentuierung und Verbundenheit dem jeweiligen Subjekt gegenüber variieren (vgl. Koepping 1993: 114): „We now appear to be confused about who our „clients“ are“ (Sluka 2007: 272, Herv. i. O.).

Bei der Zuordnung zu einem dieser beiden Pole steht im Mittelpunkt der Überlegungen der Schutz der Privatsphäre der Untersuchten. Auf Grund seines Bezuges zu diesen übernimmt der Forscher allein die Verantwortung für eine ausgewogene und gerechte Beziehung, da nur er seine gesamten Absichten kennt und einzuschätzen vermag, denn auf Seiten der Erforschten herrscht „verminderte Situationskontrolle und Intransparenz“ (Schuler 1982: 348). Deshalb nimmt die Vertraulichkeit von erfassten Daten eine prominente Rolle bei Feldforschungsproblemen ein.

Weiterhin muss der Forscher die Thematik der Missinformation berücksichtigen, denn nicht immer führt die volle Wahrheit zu gewünschten Untersuchungsergebnissen, da die komplette Offenlegung der Forschungsabsicht die Gegebenheiten verändern könnte. Selbst die Anwesenheit des Ethnologen kann Einfluss auf die Ergebnisse nehmen, da dessen Präsenz nicht unreaktiv bleibt. Die Integration des Forschers führt zu Verschiebungen in der zu untersuchenden Gemeinschaft[2]. Daraus ergibt sich das nächste Problem, welches methodologisch begründet ist: durch die aktive Teilnahme des Forschers am Leben der Untersuchten verletzt er deren Privatsphäre, da er in intime Lebensbereiche eindringt. Weiterhin wird der Forscher die gewonnenen Erkenntnisse nicht wie andere Lebensteilnehmer privat behandeln, denn die wissenschaftliche Stellung erfordert die Veröffentlichung. Somit stehen sich methodische Erfordernisse und ethische Handlungsrichtlinien oft gegensätzlich gegenüber. (vgl. Schuler 1982: 342-348).

[...]


[1] Abkürzung: AAA

[2] Diese Verlagerungen und von der Realität abweichenden Ergebnisse sind nicht nur für Auftraggeber contraproduktiv: auch für die Untersuchten selbst kann sich dies beispielsweise in der Entwicklungszusammenarbeit negativ auswirken, indem notwendige Maßnahmen nicht ersichtlich werden.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Ethik und Moral in der Ethnologie
Untertitel
Komplizierte Ethik und verantwortungsvolle Forschung
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Ethnologie und Afrikastudien)
Veranstaltung
Grundseminar: Methoden und Techniken det Ethnologie
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V120904
ISBN (eBook)
9783640251599
ISBN (Buch)
9783656150664
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Anmerkund des Dozenten: "Insgesamt sehr ausführlich aber zum Teil abstrakt diskutiert"
Schlagworte
Ethik, Moral, Ethnologie, Grundseminar, Methoden, Techniken, Ethnologie
Arbeit zitieren
Julia Helmstädter (Autor:in), 2007, Ethik und Moral in der Ethnologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120904

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