„[…] stellen Sie sich mal einen Ethnologen vor: der Mann hat zwei Jahre bei einem fremden Volk gelebt, ist auf die Jagd gegangen, hat Knollen ausgebuddelt, war einsam und vergnügt, hat mit seinen Gastgebern gelacht, geheult, getanzt und geliebt, der Medizinmann hat ihm anvertraut, wie man mit den Feen in den Bergen bumst, und dann geht er heim und schreibt eine strukturell-funktionale Analyse der Eigentums- und Verwandtschaftsverhältnisse der Tarahumara unter der Berücksichtigung der marxistischen XY. Das ist eine schamlose Ausbeutung der Menschlichkeit dieser Leute, die gottseidank [sic!] dieses Buch niemals lesen werden“ (Duerr 1977: 100).
Diese Problematik zwischen Verbindung zu den Erforschten und wissenschaftlichem Publikationsdiktat ist Diskussionsgegenstand der Ethnologie, da eine Lösung, die allen Ansprüchen genügt, unmöglich zu finden scheint.
Die Debatte ist in den größeren Kontext der Ethik einzuordnen und unter Berücksichtigung des richtigen ethischen Verhaltens für Ethnologen in ihrer Feldforschung zu führen. Somit stellt sich die Frage, ob beziehungsweise wie Ethnologen während ihrer Forschung verantwortlich und ethisch korrekt handeln können. Die Thematisierung von Ausnahmesituation ist dabei zu berücksichtigen. Im Kontext dieser Auseinandersetzung steht zusätzlich die Betrachtung der Verantwortung die Ethnologen den Untersuchten gegenüber tragen und welche Probleme sich ergeben.
Zunächst werde ich Ethik definieren und vom Begriff des Ethos abgrenzen, da diese beiden Terme relevant für die weitere Auseinandersetzung sind. Hieran gliedert sich der Umgang mit Ethik in der Ethnologie als Wissenschaft, welche Entscheidungen Forscher treffen, indem sie sich der Akademie verschreiben und welcher Umgang in der Empirie gewählt wird, da dies Ausgangslage weiterer Entwicklungs- und Lösungsansätze ist. Anschließend werde ich die American Anthropological Association mit ihren Zielen und ihrem Vorschlag einer ethischen Handlungsrichtlinie thematisieren und den Kategorischen Imperativ nach Immanuel Kant als ethische Norm mit ihren Konsequenzen besprechen, um Ansätze des verantwortlichen Umgangs mit Feldforschungsproblemen aufzuzeigen. Die darauf folgenden Beispiele des Projektes Camelot und einer Feldstudie in El Salvador/ Honduras verdeutlichen die Schwierigkeiten der Durchsetzung und konsequenten Anwendbarkeit einer ethischen Norm in einer reaktiven Wissenschaft wie der Ethnologie. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Ethos versus Ethik
- Ethik in Ethnologie als Wissenschaft
- Ethische Probleme
- Ethik-Codes
- American Anthropological Association
- Ziele der AAA
- Ethische Normen der AAA
- Europäische Übertragung
- Kategorischer Imperativ nach Immanuel Kant
- American Anthropological Association
- Fallbeispiele
- Projekt Camelot
- Running for my life in El Salvador
- Trend: individuelle Ethik
- Voraussetzungen
- Lösungsansatz: Aktionsethnologie
- Konsequenzen
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die ethischen Herausforderungen in der ethnologischen Feldforschung. Sie beleuchtet den Konflikt zwischen der Beziehung zu den untersuchten Menschen und den Anforderungen wissenschaftlicher Publikationen. Ziel ist es, verschiedene ethische Ansätze und ihre Anwendbarkeit in der Praxis zu diskutieren und Möglichkeiten für verantwortungsvolles Handeln aufzuzeigen.
- Abgrenzung von Ethos und Ethik
- Ethische Probleme in der ethnologischen Feldforschung
- Ethik-Codes und ihre Anwendung (AAA, Kant)
- Fallstudien zur Veranschaulichung ethischer Dilemmata
- Der Trend zur individuellen Ethik und Aktionsethnologie
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung präsentiert das zentrale Problem des Textes: den Konflikt zwischen der menschlichen Verbindung zu den Forschungsteilnehmern und den Anforderungen der wissenschaftlichen Publikation. Sie führt in die Thematik der ethischen Verantwortung von Ethnologen in der Feldforschung ein und skizziert den Aufbau der Arbeit, der die Definition von Ethos und Ethik, die Diskussion von Ethik-Codes und Fallbeispiele umfasst, um schließlich den aktuellen Trend zur individuellen Ethik zu beleuchten.
Ethos versus Ethik: Dieses Kapitel differenziert zwischen Ethos als kulturell geprägten, unbewussten moralischen Grundsätzen und Ethik als expliziter, reflexiver Theorie des richtigen Handelns. Es wird betont, dass Ethos kulturrelativ ist und keiner Bewertung unterliegt, während Ethik normative Prinzipien aufstellt und Verhalten als "gut" oder "böse" kategorisiert. Die Schwierigkeit liegt in der Anwendung ethischer Prinzipien auf ein kulturrelevantes Feld.
Ethik in Ethnologie als Wissenschaft: Dieses Kapitel diskutiert die inhärenten ethischen Herausforderungen der Ethnologie als Wissenschaft. Die akademischen Anforderungen an Objektivität und Theoriebildung können dazu führen, dass die Forschungsteilnehmer zu bloßen "Material" degradiert werden. Der Text argumentiert, dass Ethnologie nicht ethisch neutral sein kann, da sie das Ethos anderer Kulturen beschreibt und somit mit verschiedenen Ethikkonzepten konfrontiert wird.
Ethik-Codes: Dieses Kapitel analysiert ethische Richtlinien, insbesondere die der American Anthropological Association (AAA). Es werden die Ziele und ethischen Normen der AAA vorgestellt und die Übertragbarkeit auf den europäischen Kontext diskutiert. Zusätzlich wird der kategorische Imperativ Kants als ethische Norm betrachtet und seine Konsequenzen für die ethnologische Feldforschung beleuchtet. Die Diskussion konzentriert sich auf die Herausforderungen der Anwendung solcher Normen in der Praxis.
Fallbeispiele: Dieses Kapitel präsentiert Fallstudien, wie "Projekt Camelot" und eine Feldstudie in El Salvador/Honduras, um die Schwierigkeiten bei der Umsetzung und konsequenten Anwendung ethischer Normen in der Ethnologie zu verdeutlichen. Die Fallstudien dienen als praxisnahe Beispiele für ethische Dilemmata und deren Auswirkungen.
Trend: individuelle Ethik: Dieser Abschnitt erörtert den aktuellen Trend hin zur individuellen ethischen Verantwortung des Forschers, verbunden mit partizipativen Methoden. Es werden Voraussetzungen, Lösungsansätze wie die Aktionsethnologie und die daraus resultierenden Konsequenzen für Ethnologen in der Feldforschung diskutiert. Der Fokus liegt auf den erweiterten Handlungsspielräumen und der erhöhten Verantwortung, die sich aus dieser Entwicklung ergeben.
Schlüsselwörter
Ethik, Ethos, Ethnologie, Feldforschung, verantwortungsvolle Forschung, ethische Dilemmata, American Anthropological Association (AAA), Kategorischer Imperativ, partizipative Methode, Aktionsethnologie, Kulturrelativismus, Ethnozentrismus.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu "Ethik in der Ethnologie"
Was ist der zentrale Gegenstand dieses Textes?
Der Text behandelt die ethischen Herausforderungen in der ethnologischen Feldforschung. Im Mittelpunkt steht der Konflikt zwischen dem Aufbau einer Beziehung zu den untersuchten Menschen und den Anforderungen wissenschaftlicher Publikationen. Es geht darum, verantwortungsvolles Handeln in der Forschung zu ermöglichen.
Welche Themen werden im Text behandelt?
Der Text behandelt die Abgrenzung von Ethos und Ethik, ethische Probleme in der ethnologischen Feldforschung, die Anwendung von Ethik-Codes (AAA, Kant), Fallstudien zu ethischen Dilemmata, den Trend zur individuellen Ethik und Aktionsethnologie.
Wie werden Ethos und Ethik im Text unterschieden?
Ethos wird als kulturell geprägte, unbewusste Moral beschrieben, während Ethik eine explizite, reflexive Theorie des richtigen Handelns darstellt. Ethos ist kulturrelativ und wertfrei, während Ethik normative Prinzipien aufstellt und Verhalten bewertet.
Welche ethischen Probleme werden in der ethnologischen Feldforschung diskutiert?
Der Text diskutiert die Gefahr, dass die Forschungsteilnehmer durch den Fokus auf Objektivität und Theoriebildung zu bloßen "Material" degradiert werden. Die Ethnologie kann nicht ethisch neutral sein, da sie mit verschiedenen Ethikkonzepten konfrontiert wird.
Welche Ethik-Codes werden analysiert?
Der Text analysiert die ethischen Richtlinien der American Anthropological Association (AAA) mit ihren Zielen und Normen sowie deren Übertragbarkeit auf den europäischen Kontext. Der kategorische Imperativ Kants wird ebenfalls als ethische Norm betrachtet.
Welche Fallstudien werden vorgestellt?
Der Text verwendet die Fallstudien "Projekt Camelot" und eine Feldstudie in El Salvador/Honduras, um die Schwierigkeiten bei der Umsetzung ethischer Normen zu veranschaulichen.
Was ist der Trend zur individuellen Ethik und Aktionsethnologie?
Der Text beschreibt den Trend hin zu individueller ethischer Verantwortung des Forschers und partizipativen Methoden. Aktionsethnologie wird als Lösungsansatz diskutiert, der erweiterte Handlungsspielräume und erhöhte Verantwortung mit sich bringt.
Welche Schlüsselwörter kennzeichnen den Text?
Schlüsselwörter sind: Ethik, Ethos, Ethnologie, Feldforschung, verantwortungsvolle Forschung, ethische Dilemmata, American Anthropological Association (AAA), Kategorischer Imperativ, partizipative Methode, Aktionsethnologie, Kulturrelativismus, Ethnozentrismus.
Wie ist der Text aufgebaut?
Der Text beginnt mit einer Einleitung, die das zentrale Problem beschreibt. Es folgen Kapitel zu Ethos versus Ethik, ethischen Problemen in der Ethnologie, Ethik-Codes, Fallbeispielen, dem Trend zur individuellen Ethik und einer Schlussbetrachtung.
Für wen ist dieser Text relevant?
Dieser Text ist relevant für Studierende und Wissenschaftler der Ethnologie, Anthropologie und verwandter Disziplinen, die sich mit ethischen Fragen in der Feldforschung auseinandersetzen.
- Citation du texte
- Julia Helmstädter (Auteur), 2007, Ethik und Moral in der Ethnologie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120904