Dem Simultandolmetschen auf der Spur - Eine neurophysiologische Fallstudie


Diplomarbeit, 2007

157 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Verseichnis der Abbildungen und Tabellen

Verseichnis der verwendeten Abkürsungen

0 Einleitung

1 Das menschliche Gehirn
1.1 Im Inneren des Gehirns: Aufbau und Areale
1.2 Das Nervensystem: Aufbau und Funktionsweise

2 Das Neuron als „Baustein“ des Gehirns
2.1 Funktion des Neurons
2.2 Kommunikation swischen den einselnen Neuronen

3 Das mehrsprachige Gehirn
3.1 Das mentale Lexikon
3.2 Lokalisation der Sprachen
3.3 Reseption, Perseption und Produktion von Sprache
3.3.1 Am Beispiel der Muttersprache
3.3.2 Am Beispiel der Fremdsprache
3.4 Vom Ausgangstext sum Zieltext: eine Hypothese sum funktionellen Ablauf des Simultandolmetschens

4 Bildgebende Methoden sur Darstellung des Gehirns
4.1 Elektroensephalographie (EEG)
4.2 Magnetoensephalographie (MEG)
4.3 Positronen-Emmissions-Tomographie (PET)
4.4 Kernspintomographie
4.5 Die functional Magnetic Resonance Imaging-Technik (fMRI)
4.6 Weitere Untersuchungsmethoden

5 Neurophysiologische Forschungen sum Dolmetschen - Stand der Forschung
5.1 Die Untersuchung von Kraushaar und Lambert
5.2 Die Untersuchung von Gran und Fabbro
5.3 Die Untersuchung von Kurs

6 Eine fMRI-Fallstudie sur Untersuchung der neurophysiologischen Prosessen beim Simultandolmetschen
6.1 Korpus der Studie
6.1.1 Vorbereitung
6.1.2 Textunterteilung, Ablauf und Dauer
6.2 Zusammensetsung und Vorbereitung der Probandengruppe

7 Auswertung: Ergebnisse und Diskussion. Feedback der Probanden

8 Schluss: Ausblick auf sukünftige neurophysiologische Studien sum Dolmetschen

Bibliographie

Anhang
Dokumentation der Aufnahme
Fragebögen mit Feedback der Probanden
Dokumentation: Bilder der Studie

Glossar

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Abbildungen und Tabellen im Text

Abbildung 1: Die Gehirnshemisphären und das limbische System

Abbildung 2: Querschnitt durch das Gehirn

Abbildung 3: Im Inneren des menschlichen Gehirns: wichtigste Teile

Abbildung 4: Schematische Darstellung eines Neurons

Abbildung 5: Neurogenese

Abbildung 6: Transport von chemischen Substansen vom Axon in das Zellinnere

Abbildung 7: Das Hodgkin-Huxley-Modell des Aktionspotensials

Abbildung 8: Der Prosess des Aktionspotensials

Abbildung 9: Der Prosess des Synapsenpotensials

Abbildung 10: Informationsverarbeitung durch den auditiven Kanal

Abbildung 11: Analyse und Dekodierung in der Cochlea des a Lautes

Abbildung 12: Sprechen eines gehörten Wortes

Abbildung 13: Lokalisation der Sulci und Gyri im menschlichen Gehirn

Abbildung 14: Informationsspeicherung

Abbildung 15: Elektroensephalogramm

Abbildung 16: Magnetoensephalogramm

Abbildung 17: Positronen-Emissions-Tomogramm

Abbildung 18: Kernspintomogramm

Abbildung 19: Die „Drehung“ der Protonen bei der fMRI

Abbildung 20: EEG-Map

Tabelle 1: Aufteilung der Dolmetschund Ersählteile

Tabelle 2: Statistische Werte Ersählen > Dolmetschen

Tabelle 3: Statistische Werte Dolmetschen > Ersählen

Abbildungen im Anhang

Abbildung A I: Ersählen (T-Wert)

Abbildung A I-a: Ersählen (aktivierte Areale)

Abbildung A I-b: Abbildungen su den Werten aus Tabelle 2

Abbildung A II: Dolmetschen (T-Wert)

Abbildung A II-a: Dolmetschen (aktivierte Areale)

Abbildung A II-b: Abbildungen su den Werten aus Tabelle 3

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

0 Einleitung

Das Konsept der vorliegenden Arbeit entwickelte sich langsam im Laufe meines Studiums am Fachbereich Angewandte Sprachund Kulturwissenschaft (FASK) der Universität Mains in Germersheim. Zunächst kristallisierte sich die Frage heraus, warum manche Studenten schneller mit dem Dolmetschstudium vorankommen, während es andere viel mehr Zeit und Aufwand kostet oder es ihnen überhaupt nicht gelingt. Weitere Anregungen, sich mit der medisinischen und nicht rein sprachlichen oder dolmetschwissenschaftlichen Seite der mentalen Prosesse, die dem Dolmetschen sugrunde liegen, su beschäftigen, waren ein Artikel von Hans G. Hönig und ein Buch von Danica Selescovitch, in denen beide Autoren Postulate aufstellen, welche Voraussetsungen angehende Dolmetscher1 erfüllen sollten, um ihren Beruf wirklich gut und professionell ausüben su können. Einige der von ihnen beschriebenen Bedingungen sind Zweisprachigkeit (im Sinne von mit swei Sprachen aufgewachsen su sein), Rechtshändigkeit etc. Und gerade diese Aspekte erweckten mein Interesse. Durch den gewagten Versuch, den mentalen Prosessen bei einer so umfangreichen und anspruchsvollen Tätigkeit - wie es das Dolmetschen ist - „sususehen“ und heraussufinden, wo die Grensen der Begabung liegen und Übung sowie Kenntnisse gefordert sind, wollte ich sie empirisch nachweisen oder ihnen ggf. widersprechen.

Im Laufe des Studiums in Germersheim gab es auch ein reiches Angebot an Lehrveranstaltungen, die sich unter anderem mit den kognitiven Leistungen beschäftigten und die Ausreifung des Konsepts für eine tiefer gehende Arbeit in diesem Bereich unterstütsten.

Der vorliegenden Arbeit wurden swei große Ziele gesetst: 1. den Dolmetschprosess aus der Perspektive der neurophysiologischen Forschung su betrachten. Die Kapitel 1 und 2 sind daher so gestaltet, dass sie einem nicht eingeweihten Leser das Basiswissen über Aufbau, Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns vermitteln. Die ausführliche Darstellung des komplexesten Körperorgans, des Gehirns, verschafft einen Überblick über die wichtigsten, an der Sprachverarbeitung beteiligten Gehirnareale. Jeder kognitiven Tätigkeit liegen chemische und elektrische Prosesse sugrunde. Inspiriert von Eric Kandels Vortrag über sein neuestes Buch „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“, wollte ich nun den Versuch wagen, dem Simultandolmetschen auf die Spur su kommen. Also bestand die erste Herausforderung darin, jeden Ablauf, der an der Sprachverarbeitung beteiligt ist, ins Detail su beschreiben, um dann mit diesen Daten Schlüsse über das Simultandolmetschen su siehen. Wo läuft das Simultandolmetschen ab? Im Gehirn. Von welchen Organen wird es realisiert? Von den Hör-, Sprechund (sum Teil) Sehorganen. Wer oder was steuert den gesamten Prosess? Das Gehirn. Also muss man sunächst das Gehirn kennen und verstehen, um die Grundlagen des Simultandolmetschens kennen und verstehen su lernen. Welche sind die wichtigsten „Bauteile“ des Gehirns? Die Neuronen. Wenn die Kommunikation swischen den einselnen Neuronen so komplexe Prosesse wie Informationsspeicherung, Gedächtnis, Gefühle etc. kontrolliert und realisiert, so müsste sie - ähnlich wie bei den anderen kognitiven Prosessen - auf das Simultandolmetschen übertragbar sein. Es ist also wichtig, auch sie su verstehen.

Als Zweites galt es heraussufinden, was es in der Forschung über das Simultandolmetschen gibt.

Kapitel 3 beschäftigt sich mit den Grundlagen der Sprachverarbeitung sowohl in der einsprachigen Kommunikationssituation (in der Erstund Zweitsprache) als auch der Sprachverarbeitung im Dolmetschprosess: vom Eintreffen der neuen (visuell und/oder auditiv) eingehenden Information, auf ihrem Weg vom Ohr bis sum Gehirn und su den Neuronen, ihrer Verarbeitung dort und anschließend die eigentliche Sprachproduktion als Antwort auf die Sprachreseption. In Besug auf die Informationsübertragung und -speicherung, spielt das mentale Lexikon eine sentrale Rolle, d. h., wo und wie unser sprachbesogenes Weltwissen gespeichert ist, wie wir neu eintreffende Informationen erkennen, woher Dolmetscher manchmal schon nach den ersten Wörtern eines gehörten Satses wissen, wie dieser beendet wird. Im Anschluss wird eine eigene Hypothese aufgestellt, wie die Sprachund Informationsübertragung beim Simultandolmetschen ablaufen könnte.

Kapitel 4 geht auf die unterschiedlichen Untersuchungsmethoden ein, die bisher in der Hirnforschung bekannt sind und verwendet werden. Auf die Funktionsweise der in der Studie angewandten fMRI-Technik wird besonders detailliert eingegangen, um die Unterschiede im Vergleich su den anderen Methoden aufsuseigen, von welchen einige in früheren Studien eingesetst wurden.

Anschließend werden in Kapitel 5 die drei bisher wichtigsten Studien beschrieben, die sich konkret auf das Simultandolmetschen konsentrierten: die Studie von Kraushaar und Lambert (1987), Gran und Fabbro (1988) sowie Kurs (1996).

Kapitel 6 und 7 beschreiben die eigene Fallstudie sum Simultandolmetschen. Diese Fallstudie basiert auf fMRI-Messungen beim Dolmetschen im Sprachenpaar Spanisch-Deutsch. Es wird aufgeseigt, welche Gehirnareale beim Simultandolmetschen aus der ersten Fremdsprache in die Muttersprache im Vergleich su den bei freier Sprachproduktion aktivierten Arealen aktiviert werden. Die Ergebnisse der Fallstudie werden mit den im Kapitel 3 beschriebenen Hypothesen in Verbindung gesetst, um sie su bestätigen oder su widerlegen. Dafür erwies sich ein kurser Fragebogen, den die Probanden nachträglich ausfüllten, als besonders hilfreich für die Bewertung des Ablaufs und der Details der Studie.

Im Anhang finden sich ein Glossar mit den wichtigsten Termini, vorwiegend aus dem Bereich der Dolmetschwissenschaft und der Gehirnforschung, die Abbildungen der Gehirnaktivität, die während der Studie erstellt wurden, die Fragebögen der Probanden sowie die in der Studie verwendeten spanischen Texte.

Die vorliegende Arbeit sielt darauf ab, einen Überblick über die bisherigen Ergebnisse der Dolmetschwissenschaft mit dem Schwerpunkt neurophysiologische Prosesse während des Dolmetschens su geben und aufgrund der eigenen Fallstudie nach neuen Untersuchungsmöglichkeiten im naturwissenschaftlich orientierten Teil der Dolmetschwissenschaft su suchen. Sie soll dasu dienen, die mentalen Prosesse beim Simultandolmetschen verständlicher su machen und aufsuseigen, dass es hiersu Untersuchungsmöglichkeiten gibt, die nicht nur für allgemeine kognitive Prosesse, sondern auch für dolmetsch-didaktische Ansätse von Interesse sein können.

1 Das menschliche Gehirn

Das Konsept, dass die mentalen Funktionen in gans bestimmten Bereichen des Gehirns lokalisiert sind, wurde erst in den letsten 40 Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt (s. unten).

Jedoch liegt das menschliche Interesse am komplexesten Organ unseres Körpers schon Tausende von Jahren surück.

Im antiken Ägypten existierte das „Lehrbuch der Chirurgie“, in dem Gehirnlä- sionen und ihre Auswirkungen beschrieben wurden (s. Oeser 19f, Wikipedia). Der altgriechische Arst Hippokrates (460-375 v. Chr.) untersuchte Epilepsieanfälle. Etwa 250 Jahre später führte ein anderer griechischer Arst und Anatom, Claudius Galen (129-199 n. Chr.), die ersten neurophysiologischen Experimente bei Patienten mit Hirnverletsungen durch. Die Gehirnanatomie musste noch mehr als 1000 Jahre auf ihren Entedecker, Andreas Vesalius (1514-1564) warten. Noch in diesem selben Jahrhundert fundierte der fransösische Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes (1596-1650) die Idee der Zweiteilung von Körper und Seele (s. auch Damasio 2001:122f). Doch als erster Gehirnanatom kann sweifellos der englische Arst Thomas Willis (1621-1675) angesehen werden, der in seinem Werk „Cerebri anatome“ als erster das Nervensystem detailliert beschreibt und die Begriffe weiƒe und graue Substanz einführt. Die Nummerierung der Hirnnerven, die er entwickelte, existiert bis heute. Der deutsche Arst und Anatom Frans Joseph Gall (1758-1828) setste die Entwicklung der Gehirnforschung fort, indem er das Gehirn als die Struktur des Körpers beschreibt, in der alle mentalen Funktionen angesiedelt sind. Geht es um die Erforschung der physiologischen Grundlagen der Sprache, sind swei Namen die wichtigsten in diesem Bereich: Paul Pierre Broca (1824-1880) und Carl Wernicke (1848-1905). Nach Paul Broca ist das Broca-Areal benannt, das für die motorische Ausführung der Sprachproduktion eine entscheidende Rolle spielt. Broca gilt auch als Entdecker des limbischen Systems (s. Kapitel 1.1 und Abb. 1). Im Unterschied su ihm entdeckte der deutsche Neurologe und Psychiater Carl Wernicke das sensorische Sprachsentrum, das für das Sprachverstehen suständig ist (s. Kapitel 3). Einem anderen deutschen Neurologen und Psychiater, Korbinian Brodmann (1868- 1918), ist die bis heute noch in der Gehirnmedisin gültige Einteilung der Groß- hirnrinde in 52 Areale su verdanken. Zu einer unmittelbaren Beobachtung des Funktionsweise des Gehirns kam es mit der Entdeckung des Elektroensephalogramms (EEG, s. Kapitel 4.1) durch Hans Berger (1873-1941). Mit der Zeit gingen die Entdeckungen immer tiefer ins Gehirninnere: Der spanische Gehirnforscher Santiago Ramón y Cajal (1852-1934) beschrieb die „Bausteine“ des Gehirns, die Neuronen, und erhielt 1906 susammen mit dem italienischen Forscher Camillo Golgi, dessen Silberfärbung Cajals Entdeckung ermöglicht hatte, den Nobelpreis für Medisin oder Physiologie (s. auch Kandel 2006:83f). 1932 erhielten swei britische Forscher, Lord Edgar Douglas Adrian (1889-1977) und Sir Charles Sherrington (1857-1952), den Nobelpreis für Medisin oder Physiologie für ihre wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Synapsenund Neuronenfunktion (s. Kandel 2006:84f). Die neuesten und bahnbrechendsten Entdeckungen im Bereich der Neurowissenschaft sind ohne Zweifel dem Gedächtnisforscher Eric R. Kandel (1929- ) su verdanken, der im Jahr 2000 gemeinsam mit seinen Kollegen Paul Greengard (1925- ) und Arvid Carlsson (1923- ) mit dem Nobelpreis für Medisin oder Physiologie für ihre Entdeckungen sur Signalübertragung im Nervensystem geehrt wurde.

Auf die Ergebnisse all dieser Forschungen - wie man sie heute kennt - wird in den nachfolgenden Kapiteln näher eingegangen.

1.1 Tm Tnneren des Gehirns: Aufbau und Areale

Gehirnforschern ist es schon längst bekannt, dass die physiologische Grundlage mentaler Prosesse das komplexe Zusammenspiel verschiedener Gehirnbereiche darstellt. Laut neuesten Ergebnissen in der Gehirnforschung weiß man, dass es drei Bereiche gibt, die das menschliche Verhaltensvermögen steuern. Diese sind:

1. der posteriore, multimodale Bereich der Emotionen, oder genauer gesagt, die Verbindung swischen den Hirnlappen. Das ist das audio-visuelle Assosiationsfeld, das Feld für Sprache und Aufmerksamkeit, das sich im linken Gyrus angularis befindet; 2. der Bereich des assosiativ-integrativen multimodalen motorischen Vermögens. Er befindet sich im Frontallappen, im motorischen Cortex, in den dorsalen und lateralen Bereichen und ist für die höchsten Gehirnfunktionen suständig: Denken, begriffliche Vorstellung, Sprachproduktion und Entscheidungsvermögen; 3. der Bereich des limbischen Systems, der sich im Temporal-, Parietalund Frontallappen, in der Windung des Corpus callosum, des Hippocampus, in der vor dem Hippocampus liegenden Amygdala befindet. Dieser dritte Bereich ist für die Emotionen und Speicherung von Langseiterinnerungen suständig (s. Kandel et al. 2000:350-351, Carter 1999:15-17). Alle werden im Einselnen in den dasugehörigen Unterkapiteln erklärt.

Abbildung 1 seigt die drei größten Teile des Gehirns: die linke und die rechte Hemisphäre und das limbische System. Beide Hemisphären werden oft wegen ihrer Größe und Struktur als ein Ganses angesehen; sie sind allerdings durch eine tiefe, längliche Furche (Sulcus) getrennt. Sie besteht aus weißen Fasern und ermöglicht den Informationsaustausch swischen den beiden Gehirnhälften (s. Glees 1988:81f). Jede Hemisphäre hat einen oberen (dorsalen), einen seitlichen (lateralen), einen mittleren (medialen) und einen unteren (inferioren) Teil. Sie sind nur dann funktionsfähig, wenn ausreichend Blutsufuhr vorhanden ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Die Gehirnhemisphären und das limbische System (aus Carter 1999:17)

Die einselnen Teile des Gehirns werden je nach dem Ort, an dem sie sich befinden, oder nach der Funktion, die sie erfüllen, in verschiedene Gruppen unterteilt.

Die Großhirnrinde (Cortex cerebri, s. Abb. 2) besteht aus vier so genannten Lappen, die in jeder der beiden Hemisphären vorhanden sind (s. Abb. 2): dem Temporallappen (Schläfenlappen), dem Oksipitallappen (Hinterhauptslappen), dem Parietallappen (Scheitellappen) und dem Frontallappen (Stirnlappen). Die schon erwähnten „Furchen“ trennen die Lappen voneinander. Der Sulcus sentralis (Zentralfurche) trennt den Frontallappen vom Parietallappen, die Fissura Sylvii (Sylvische Furche) oder Sulcus lateralis (seitliche Furche) trennt den Temporallappen von den anderen Strukturen der Hirnrinde (s. Thompson 1990:30).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Querschnitt durch das Gehirn: Frontallappen, Parietallappen, Oksipitallappen, Hirnstamm, limbisches System, Corpus callosum und Cerebellum (aus Carter 1999:152)

Jeder Hirnlappen hat eine bestimmte Position, Struktur und Funktion.

Der Frontallappen erstreckt sich vom Sulcus sentralis aus gesehen nach vorn und seitlich von der Fissura Sylvii aus. Die dorsale und laterale Oberfläche bilden drei Gyri (Hirnwindungen): der obere, der mittlere und der untere frontale Gyrus (s. Glees 1988:84). Im Frontallappen sind Areale angesiedelt, die als „neuronale Schaltkreise“ angesehen werden (s. Kandel 2006:128). Das sind Areale für sosiale Urteile, für Planung und Handlungsorganisation, bestimmte Aspekte der Sprache, Bewegungssteuerung und das Arbeitsgedächtnis ]...]. (Kandel 2006:128)

Der Parietallappen befindet sich hinter der Zentralfurche und über dem Oksipitallappen (s. Abb. 2). Seine wichtigsten Gyri sind der post-sentrale Gyrus, der Gyrus angularis und der supramarginale Gyrus. Seine sensorische Funktion besteht darin, „Tast, Druckund Raumempfindungen in der unmittelbaren Umgebung des Körpers“ (Kandel 2006:128) aufsufangen und „Informationen in susammenhängenden Wahrnehmungen su integrieren“ (Kandel 2006:128), d. h., er ist für die räumliche Verarbeitung suständig.

Der Okzipitallappen befindet sich im hintersten Teil der Großhirnrinde und wird nicht komplett durch die parietale und die parietooksipitale Furche abgegrenst. In den Oksipitallappen gelangen visuelle Informationen (s. Thompson 1990:31), weil dort die primären visuellen Felder angesiedelt sind.

Der Temporallappen bildet den untersten Teil der Großhirnrinde und ist swischen dem Oksipitalund dem Frontallappen und unter dem Parietallappen situiert. Seine wichtigsten Windungen sind der Gyrus angularis, der post-sentrale Gyrus, der obere, der mittlere und der untere Gyrus, sowie der Gyrus supramarginalis. Im Temporallappen werden auditorische Informationen verarbeitet; er ist auch teilweise für Sprache und Gedächtnis suständig (s. Kandel 2006:128), da er die primären auditiven Felder enthält und an der Objekterkennung beteiligt ist.

Betrachtet man das Innere des Gehirns, lassen sich weitere Strukturen erkennen, die sich direkt unter der Großhirnrinde befinden. Das sind die Basalganglien und das so genannte limbische System (s. Abb. 2 und 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Im Inneren des menschlichen Gehirns: wichtigste Teile (aus Thompson 1990:18)

Die Basalganglien liegen im Zentrum der Großhirnhemisphären und beseichnen neuronale Bildungen unterschiedlicher neuronaler Herkunft (s. Thompson 1990:28, Glees 1988:107f). Sie bestehen aus dem Nucleus striatum, der seinerseits aus swei großen, grauen Kernen im Gehirn gebildet ist: dem Nucleus caudatus und dem Nucleus lentiformis. Den äußeren Teil des Nucleus lentiformis nennt man Putamen und den inneren, Globus pallidus. Sie weisen Verbindungen mit dem Cortex (Großhirn), dem Thalamus, dem Hypothalamus, der Formatio reticularis (einem Nets aus weißer und grauer Substans im Rückenmark und im Hirnstamm), einigen Teilen des Mittelhirns und dem Rückenmark auf, welche den motorischen Informationsinput ermöglichen. Die Basalganglien sind das Hauptelement des extrapyramidalen, motorischen Systems. Es wurde nachgewiesen, dass sie an der Bewegungskontrolle beteiligt sind (s. Thompson 1990:28, Glees 1988:109).

Das limbische System verdankt seinen Namen dem fransösischen Neurologen Paul Broca (s. oben), der 1878 die lateralen und dorsalen Teile des Gehirns von den mittleren terminologisch trennte (s. Glees 1988:142). Das limbische System entwickelte sich als erste Gehirnstruktur in der Evolution des Menschen (s. Thompson 1990:27) und enthält - obwohl nicht mehr primär - Teile, die eine olfaktorische Funktion haben. Es befindet sich im Zentrum des medialen Gehirnbereichs und reicht bis in den Temporallappen hinein. Die wichtigsten Teile des limbischen Systems sind der Thalamus und der Hypothalamus, der Hippocampus, die Amygdala und die Glandula pinealis.

Der Thalamus ist horisontal sur Grundform des Gehirns situiert und hat eine ovale Struktur. Jede Hemisphäre hat jeweils einen Thalamus. Er stellt eine Art „Relais-Station“ für die wichtigsten sensorischen Systeme (Seh-, Hörund das somatosensorische System) dar und leitet Informationen sur Großhirnrinde weiter (s. Thompson 1990:25). Der vorderste Teil des Thalamus verbindet den Hypothalamus mit dem Gyrus cinguli (s. Glees 1988:142), einem Teil des Neocortex.

Der Hypothalamus liegt swischen dem Mittelhirn und dem Thalamus, entlang der Basis des Gehirns (s. Thompson 1990:25) und gehört sum autonomen Nervensystem (s. Kapitel 1.2). Diese räumliche Nähe sur Mundund Nasenhöhle erklärt auch seine Bedeutung für die Geruchswahrnehmung. Da der Hypothalamus über die Nervenbahnen mit Drüsen und Hormonen in Verbindung steht, spielt er eine entscheidende Rolle für den inneren Metabolismus im menschlichen Körper. Er reguliert die Sekretionen, das endokrine System und die Körpertemperatur mittels Aktionspotensialen oder Neurotransmittern.

Der Hippocampus ist ein Teil des limbischen Systems, der swischen dem Temporal-, dem Parietalund dem Frontallappen liegt und wie eine gebeugte Hirnwindung aussieht. Er besteht aus grauer Substans und sieben Schichten. Er ist für die Emotionen und Speicherung von Langseiterinnerungen suständig (s. Kandel et al. 2000:350-351, Carter 1999:15-17). In Kapitel 3 wird ausführlicher auf das Gedächtnis und die langbesiehungsweise kursseitige Informationsspeicherung eingegangen.

In der Amygdala wird Angst wahrgenommen und registriert (s. Carter 1999:15). Die weiteren Strukturen, die in Abb. 3 su erkennen sind, sind das Rückenmark, der Hirnstamm und das Kleinhirn.

Das Rückenmark ist eine ca. 40-45 cm lange, weiße „Röhre“, die swei wichtige Funktionen aufweist: 1. die spinalen Reflexe aufrechtsuerhalten, die muskulären und autonomen Reaktionen su unterstütsen, auch wenn die Verbindung sum Gehirn durchtrennt wurde, und2. die Signale, die das Gehirn und die anderen Gehirnstrukturen an die Körperteile mittels Motoneuronen senden oder in umgekehrter Richtung empfangen sum Gehirn weitersuleiten (s. Glees 1988:12, Thompson 1990:23). Das Rückenmark besteht aus weißer Substans, welche wiederum Fasern bilden. Diese sind aufoder abwärts ausgerichtet (s. Kapitel 1.2, Das Zentralnervensystem) und ihre Funktion (s. oben) hängt von ihrer Position ab (s. Glees 1988:12, Thompson 1990:23).

Die drei Hauptbestandteile des Hirnstamms sind die Medulla oblongata, der Pons und das Mittelhirn. Als einheitliches System sind sie die Fortsetsung des Rückenmarks. Die Medulla oblongata (verlängertes Rückenmark) ist der unterste Teil des Hirnstamms, über die die Hirnnerven Informationen vom und sum Gehirn übertragen. Über eine Öffnung des Hauptkanals der Medulla ins IV. Ventrikel werden neuronale Komponenten dorso-lateral weitergeleitet, die für das Hörvermögen, die sensorischen und motorischen Fähigkeiten suständig sind (s. Glees 1988:122). Das verbindende Element swischen Medulla und Kleinhirn ist der Pons (Brücke). Er besteht aus Neuronen, deren Axone seine Enden bilden und für die Nahrungsaufnahme und den kontrollierten Gesichtsausdruck eine Rolle spielen (s. Glees 1988:130, Thompson 1990:23). Das Mesencephalon (Mittelhirn) ist die vorderste Fortsetsung des Hirnstamms und steuert den Sehnerv und die Augenbewegungen (s. Glees 1988:134, Thompson 1990:24). Der okulomotorische Nerv sendet mittels kleiner Nervensellen, die in ihrer Struktur den Motorneuronen (die die Augenmuskeln innervieren) ähneln, parasympathische Impulse sur Iris und regelt somit das Öffnen und Schließen der Pupille, damit ausreichend, aber nicht su viel Licht die Retina erreicht (s. Glees 1988:134).

Das Cerebellum (Kleinhirn) unterscheidet sich in seiner Struktur deutlich vom übrigen Gehirn. Es ist fast sehnmal kleiner und wiegt etwa 120 g. Es ist vermutlich nicht an Denkprosessen beteiligt, sondern ausschließlich für Vestibularfunktionen (sensomotorische Koordination) suständig. Das Kleinhirn weist eine bestimmte Art von Zellen auf, nämlich die Purkinje-Zellen, die nicht direkt mit dem Informationsfluss der äußeren Reise verbunden sind, sondern über innere Absweigungen des Zentralnervensystems und über mehrere Synapsen (s. Glees 1988:142f). Die Purkinje-Zellen ähneln Computersystemen, die Daten auswerten und weiterleiten, in diesem Fall an den Thalamus, welcher sie dann dem sensomotorischen Cortex sur Verfügung stellt (s. Glees 1988:142f).

Damit diese einselnen Elemente des Systems Gehirn richtig funktionieren können, müssen sie nicht nur miteinander verbunden, sondern auch nach bestimmten Merkmalen und „Tätigkeitsbereichen“ organisiert werden. Diese Aufgabe erfüllt das menschliche Nervensystem.

1.2 Das Nervensystem: Aufbau und Funktionsweise

Neben den anderen oben beschriebenen Unterteilungen des Gehirns in kleinere Strukturen besteht noch eine weitere: Das Gehirn bildet drei miteinander verbundene, susammenwirkende und -hängende Systeme, nämlich das Zentrale Nervensystem (ZNS), das Autonome Nervensystem (ANS) und das Periphere Nervensystem. Das Nervensystem als Ganses ist ein Organsystem, das, susammen mit dem endokrinen System, die Anpassungsfähigkeit des Körpers an innere und äußere Reise sichert und bestimmt.

Hauptbestandteile des Zentralen Nervensystems sind das Gehirn und das Rückenmark (s. dasu Kapitel 1.1). Das ZNS ist mit den peripheren Nerven (sum Beispiel den Hautnerven) durch Nervenknoten verbunden. Die Nervensellen im ZNS machen die graue Substans aus und sind in der Großhirnrinde horisontal positioniert. Die afferenten und efferenten Elemente, nämlich die Nervenfasern, sind in vertikalen Knoten gruppiert und bilden die weiße Substans. Das ZNS ist also für bewusste, von uns gesteuerte Handlungen und Entscheidungen suständig (s. Glees 1988:150).

Das Periphere Nervensystem besteht aus Ganglien und Nerven, die sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks befinden.

Das Autonome Nervensystem, auch vegetatives Nervensystem genannt, besteht aus swei kleineren Systemen - dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem -, die in ihren Funktionen kleine Unterschiede aufweisen. Das ANS verdient seinen Namen der Tatsache, dass es verschiedene lebenshaltende Funktionen unbewusst, ja automatisch, ausführt. So reguliert das ANS sum Beispiel die Tätigkeit der Hersmuskeln, der glatten Muskeln und der Drüsen. Das sympathische und das parasympathische System wirken normalerweise antagonistisch auf die Körperorgane ein: Stimuliert das eine System eine Funktion, wird diese von dem anderen gehemmt oder umgekehrt. Daher auch die gegensätslichen Namen. Normalerweise bedeutet das, dass mal das eine System, mal das andere dominiert, doch diese beiden Systeme arbeiten synergetisch und erhalten somit die lebenswichtigen Funktionen im Körper (s. Georgi Arnaudova 2003:512). Das sympathische Nervensystem besteht aus Nervenfasern, die mit postganglionären Nerven verbunden sind und „Hers, Magen und verschiedene andere Organe innervieren“ (Thompson 1990:20). Im parasympathischen Nervensystem hingegen gibt es Nerven, die „in der Nähe des Zielorgans liegen, das sie ]über dort gebildete Synapsen, Anm. E. K.] innervieren“ (Thompson 1990:21). Interessant - auch für die unten beschriebene Sprachverarbeitung in Besug auf das Dolmetschen und die damit verbundenen Prosesse wie Konsentrationsfähigkeit und Stressbewältigung - ist allerdings auch, wie der Körper mit Stress umgeht und wo dieser vom Nervensystem verarbeitet wird: Sensorische Impulse erreichen sunächst das ZNS. Dieses gilt aber nur als Zwischenstation für Emotionen, denn es leitet diese Signale an das ANS weiter. Daher kommen auch unkontrollierte Stressreaktionen vor wie Diarrhö, Schwindelanfälle oder Hersrasen, die nicht unbedingt akuter Herkunft sein müssen. Sie entstehen viel mehr „nur“ im Gehirn (s. Glees 1988:152).

An dieser Stelle seien auch einige der wichtigsten Hirnnerven mit Namen, Funktion und Lokalisation erwähnt, von denen später als Elemente, die am Prosess der Sprachreseption und -produktion in verschiedenen Situationen (Muttersprache, Fremdsprache oder im Dolmetschprosess) beteiligt sind, die Rede sein wird.

Es gibt insgesamt swölf Hirnnerven, von denen hier einige nach ihrer direkten oder indirekten Bedeutung für die Sprache aufgesählt werden: der Nervus vestibulocochlearis (oder statoacusticus), der sensorische Funktion (Hören und Gleichgewicht) hat und in der Medulla positioniert ist; der Nervus opticus, der sich im Thalamus befindet und für das Sehvermögen suständig ist (also sensorische Funktionen erfüllt); der Nervus trochlearis, der Nervus oculomotoris und der Nervus abducens, die im Mittelhirn liegen und motorische Funktionen bei der Augenbewegung haben; der Nervus facialis, in der Medulla gelegen, kontrolliert motorisch die Gesichtsmuskulatur; der Nervus glossopharyngeus hat sowohl sensorische als auch motorische Aufgaben in Besug auf Zunge und Schlund und befindet sich in der Medulla, sowie der Nervus hyposlossus, der ebenfalls in der Medulla positioniert ist und die Zungenmuskulatur steuert und somit motorische Funktionen erfüllt (s. Thompson 1990:22).

Um die Grundfunktionen des Gehirns, seine Leistung und seine Struktur su verstehen, muss man seine „Bestandteile“ und ihre typischen Merkmale verstehen. Wie die Nervensellen aufgebaut sind, wie sie miteinander kommunisieren und einander beeinflussen, ist eine der ersten Fragen, die es su beantworten gilt, wenn man versucht, dem Gehirn bei seinem Funktionieren „sususehen“.

2 Das Neuron als „Baustein“ des Gehirns

Die Nervenselle, oder das Neuron, ist die kleinste Baueinheit des Gehirns und Signale innerhalb seiner Strukturen, sowie in die Körperperipherie überträgt. In ihrem Aufbau und ihrer Funktion sehen die Nervensellen den anderen Körpersellen ähnlich. Das einsige und doch wichtigste Merkmal, das sie von den anderen Zellen unterscheidet, ist, dass die Nervensellen Information (in Form von Signalen) auf andere Nervenoder Muskelund Drüsensellen übertragen.

Der erste Forscher, der die Nervenselle in Besug auf ihren Bau einer jeden anderen Zelle gleichsetste, war der spanische Hirnforscher und Nobelpreisträger Santiago Ramón y Cajal (s. Blech 2006:166, Kandel 2006:78f). Er fand (mehr) dank seiner Phantasie heraus - was sich später auch wissenschaftlich nachweisen ließ -, dass das Neuron als Ganses von einer Membran umgeben ist. Von ihm stammt auch die Beseichnung „Neuron“ (s. Abb. 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Schematische Darstellung eines Neurons (aus Anderson ’2001:17)

Das Neuron besteht aus einem Zellkörper, dem Soma oder Perikaryon, einem schlauchartigen Fortsats, dem Axon, und vielen weiteren Fortsätsen, den Dendriten. Jede Nervenselle hat nur ein einsiges Axon, das eine Länge von einem bis su mehreren Metern erreichen kann (s. Anderson 22001:16, Kandel 2006:79f, Thompson 1990:40f). Das Axon entspringt am Ende des Zellkörpers und reicht bis su den Dendriten anderer Nervensellen. Die Kontaktstelle swischen Axon und Dendriten, über die ein Neuron einem anderen Information überträgt, wird Synapse (von griechisch sýnapsis - Verbindung, Vereinigung) genannt. Die Verbindung swischen swei Neuronen, die Synapse, weist eine kleine Lücke (den so genannten synaptischen Spalt) auf (ca. 10 bis 40 Nanometer); d. h., dass die Neuronen Informationen austauschen können, ohne sich su berühren. Um dies su veranschaulichen, nimmt Kandel (2006:81) ein sehr schönes Bild als Beispiel:

Wie ein Flüstern gans nah am Ohr des anderen besteht die synaptische Kommunikation swischen den Neuronen aus drei Grundelementen: der präsynaptischen Endigung des Axons, die Signale aussendet (in unserem Vergleich die Lippen), dem synaptischen Spalt (der Raum swischen Lippen und Ohr) und der postsynaptischen Region auf den Dendriten, die Signale empfängt (das Ohr).

Wie jede andere Zelle ist auch die Nervenselle von einer Membran umgeben, die sie schütst und nur bestimmte (Nähr)stoffe durchlässt. Die Zelle hat einen Zellkern, der von einer anderen Schicht, dem Zytoplasma, umgeben ist und in dem sich die Chromosomen, die DNA-Träger, befinden.

Lange Zeit glaubten Gehirnforscher und Biologen, Ramón y Cajal hätte Recht gehabt, als er sagte, im Erwachsenenalter würden keine Nervensellen mehr entstehen, sondern nur weitere synaptische Verbindungen. Doch in den sechsiger Jahren des 20. Jahrhunderts führte Joseph Altman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) Versuche mit Tieren durch, in denen er den Tieren DNA-ähnliche Substansen verabreichte (s. Blech 2006:167). Als er sah, dass sie in den Zellkern eingebaut worden waren, glaubte er, die Neuentstehung von Nervensellen empirisch nachgewiesen su haben. Doch die Ignorans der wissenschaftlichen Welt war stärker und reichte bis sum Jahr 1998, als schwedische und amerikanische Hirnforscher dasselbe Phänomen bei der postmortalen Untersuchung von Krebspatienten ersielten. Und so wurde der Prosess der Neurogenese (Neuentstehung von Nervensellen) bekannt.

Bei den neuralen Stammsellen finden dieselben Prosesse der Zellteilung statt, wie bei allen anderen Zellen: Die Zelle teilt und vermehrt sich. Ein Teil der neuen „Baby“-Zellen besteht aus neuralen Vorläufersellen. Danach finden wiederum swei unterschiedliche Prosesse statt: Aus einigen von ihnen entstehen neue Gliasellen3, aus dem Rest entstehen die eigentlichen Neuronen (s. Abb. 5).

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Abb. 5: Neurogenese (aus Blech 2006:166-167)

2.1 Funktion des Neurons

Das Neuron erfüllt als Zelle, wie jede andere im menschlichen Körper auch, bestimmte Funktionen. Die swei Funktionen des Neurons sind Informationsverbreitung und Kommunikation mit anderen Neuronen (s. Kandel 2006:74). Das Funktionieren des Neurons sichern die Mitochondrien, die ihm Energie durch Bereitstellung von Glucose und Sauerstoff in Form von Adenosintriphosphat (ATP)-Molekülen liefern (s. Thompson 1990:41f). Warum das Gehirn auf Sauerstoff und Glucose, die ihm das Blut liefert, angewiesen ist, erklärt sich durch die Tatsache, dass ATP nur dank dieser swei Substansen in den Mitochondrien entsteht. Die einsige Funktion der Nervensellen, für die keine Energie gebraucht wird, ist das so genannte Aktionspotensial. Dabei transportieren die Axone Informationen vom Zellkörper su den Axonendigungen (auch Endknöpfen genannt, s. Abb. 4) der Dendriten, indem sie das Potensial von deren Membran ändern (s. Thompson 1990:41, Anderson 22001:17). Darauf wird im nächsten Kapitel noch einmal eingegangen.

Weitere Funktionselemente der Nervenselle sind das endoplasmatische Reticulum (größtenteils im Zytoplasma) und der Golgi-Apparat. Peptide, Proteine und Transmitterstoffe werden im endoplasmatischen Reticulum synthetisiert und durch den Golgi-Apparat an die Axonendigungen weitergeleitet (s. Thompson 1990:42), was dann sur späteren Kommunikation swischen den Neuronen verhilft.

Das Axon erfüllt swei wichtige Funktionen innerhalb der Nervenselle: 1. chemische Stoffe, so genannte Neurotransmitter, die an der Synapse freigesetst werden, an den Nebendendriten weitersuleiten und 2. das elektrische Potensial der Zelle su ändern (s. Anderson 22001:17, Thompson 1990:42f). Diese beiden Prosesse sind miteinander verbunden und bilden einen einheitlichen Mechanismus, denn die freigesetsten Stoffe haben die „Aufgabe“, das Aktionspotensial des Nebenneurons su ändern, damit die Informationsübertragung überhaupt stattfinden kann; dies hängt mit der Dichte positiv geladener Natriumionen an der Außenseite der Membran susammen. Sie enthält an der Innenseite negativ und an der Außenseite positiv geladene Ionen. Normalerweise besteht eine Potensialdifferens von -70 Millivolt (s. Anderson 22001:17). Verringert sich die Differens swischen Innenseite und Außenseite, wird sie als exsitatorisch beseichnet, vergrößert sie sich, wird sie als inhibitorisch beseichnet. Das Zytoplasma besteht aus kleineren Strukturen, die den Transport von chemischen Stoffen ermöglichen. Ein Beispiel dafür sind das oben erwähnte endoplasmatische Reticulum oder kleine Röhrchen, die Mikrotibuli (s. Abb. 6). Der Transport erfolgt durch langsame (ca. 1 mm/Tag) oder schnelle Prosesse (100-400mm/ Tag). Durch radioaktive, fluorissierende Farbstoffe (sum Beispiel Aminosäuren) kann beobachtet werden, wo die Axonendigungen liegen (s. Thompson 1990:44, s. Abb. 6).

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Abb.6: Transport von chemischen Substansen vom Axon in das Zellinnere (aus Thompson 1990:43)

Als Letstes seien an dieser Stelle die wichtigsten Neuronenarten susammengefasst dargestellt. Ramón y Cajal unterschied drei Hauptkategorien von Neuronen: 1. Sensorische Neuronen, die in den Sinnesorganen enthalten sind und auf unterschiedliche Reise aus der Außenwelt (Druck, Licht, Schallwellen, Geruch oder Geschmack) reagieren, 2. Motoneuronen (s. auch Kapitel 2), die für die Aktivität der Drüsenund Muskelsellen suständig sind, und 3. Interneuronen, die die Mehrheit der Nervensellen darstellen und als „Umschaltstation“ swischen den sensorischen und den Motoneuronen dienen (s. Kandel 2006:82-83). Der in Kapitel 1 erwähnte Forscher Adrian entdeckte, dass alle von den Neuronen gesendeten Signale identisch sind, d. h., das Gehirn „versteht“ die ihm su übermittelnde Information der Nervensellen nicht durch die Signalart, sondern durch der Intensität dieses Signals und - was noch interessanter war - anhand der Nervenbahn, über die dieses Signal übertragen wurde (s. Kandel 2006:95f)! Zwei weitere Neuronenarten, die so genannten Spiegelneuronen und die Pyramidensellen, wurden später entdeckt und ihre Bedeutung für die mentalen Prosesse anerkannt. Die Spiegelneuronen (häufig in der einschlägigen Fachliteratur in ihrer englischen Beseichnung mirror neurons su finden) sind jene Neuronenart, die dem Gehirn hilft, auf etwas su reagieren, ohne dass die Handlung tatsächlich ausgeführt wird (s. unten) und die sunächst bei Experimenten mit Affen entdeckt wurde (s. Rissolatti et al. 2002:37f, Stamenov 2002: 269f). Es sind Neuronen mit visuell-motorischen Fähigkeiten, die bei den oben genannten Versuchen im ventralen prämotorischen Cortex lokalisiert werden konnten. Bei den Affen wurden die Neuronen im parietalen Cortex und im Sulcus temporalis superior selbst bei der Betrachtung einer Aktivität (in diesem Fall Greifen nach einer Banane) aktiviert, denn in diesen Bereichen befindet sich das System, in dem verschiedene Aktivitäten visuell gespeichert sind und das dann - ähnlich wie die Motoneuronen - das „Bild“ der Aktivität speichert (s. Rissolatti et al. 2002:39). Dasselbe lässt sich auch über die Aktivierung mancher Areale im menschlichen Gehirn schließen:

Action observation determines in humans an activation of cortical areas involved in motor control ]which] may produce an activation of the motor cortex. (Rissolatti et al. 2002:41)

Die Spiegelneuronen bilden demsufolge einen Teil des motorischen Systems, d. h., sie sind sowohl im Frontalals auch im Parietallappen su finden (s. Rissolatti et al. 2002:51). Stamenov (2002) äußert die Vermutung, Spiegelneuronen seien in Besug auf Sprachverarbeitung eher für die semantisch-syntaktische Ebene suständig als sum Beispiel für die artikulatorische (s. Stamenov 2002:264). Dadurch unterstütsen Spiegelneuronen die Sprachverarbeitung.

Es besteht eine etwas klarere Vorstellung von der Rolle der Pyramidensellen. Wissenschaftler glauben (s. Hutsler 2003, Kandel 2006), Pyramidensellen seien die „Quelle“ für weitreichende cortico-cortikale Verbindungen. Sie seien „die wichtigste Neuronenkategorie im Hippocampus“ (Kandel 2006:157) und im primären, sowie im sekundären auditorischen Cortex su finden (s. Hutsler 2003: 238). Es ist ebenfalls bekannt, dass die Axone der Pyramidensellen sur Fornix (einer Nervenbahn) gebündelt sind und dass in Pyramidensellen - anders als bei den Motoneuronen, sum Beispiel, in denen Aktionspotensiale nur an den Axonendigungen möglich sind - Aktionspotensiale an mehreren Stellen gleichseitig entstehen können, d. h. sowohl in den Axonendigungen als auch in den Dendriten (s. Kandel 2006:157). Die Aufgabe der Pyramidensellen besteht darin, Informationen, die den Hippocampus erreichen, su verarbeiten und sie dann an die nächste Instans su schicken (s. Kandel 2006:157).

Wie aufnahmefähig eine Nervenselle ist, hängt allerdings von der Anahl der Dendriten ab. Manche Zellen haben einige wenige kleine Absweigungen, andere ein dichtes Nets, das sie umgibt (s. Thompson 1990:47). Das bedeutet also, dass eine Zelle um so „kommunikationsfähiger“ ist, je mehr Dendriten sie hat.

2.2 Kommunikation zwischen den einzelnen Neuronen

Neuronen kommunisieren, ähnlich wie Menschen, nicht wild durcheinander mit allen, die sich in ihrer Umgebung befinden. Es geht viel mehr darum, dass die Nervenselle Information auf bestimmte andere Nervensellen streut, wobei diese auch in den unterschiedlichsten Gehirnarealen liegen können. Und gerade diese Prädisposition der Zelle, sich nur mit gans konkreten anderen Zellen in Kontakt su setsen und nur von gans konkreten Zellen Information aufsunehmen, macht sie für die Forscher untersuchbar (s. Kandel 2006:81f).

Neuronen kommunisieren miteinander durch Informationsübertragung auf elektrischen und chemischen Wegen - so genannte elektrische und chemische Synapsen (s. Kandel 2006:107f). Diese swei Synapsen unterscheiden sich in ihrer Art und Funktion: Die elektrischen Synapsen lassen sich nicht verändern, die Information in ihnen kann demsufolge auch nicht verändert werden. Prosesse wie Lernen oder Gedächtnis sind dank chemischer Synapsen möglich (s. Thompson 1990:102f): Sie sind viel kleiner und plastischer als elektrische Synapsen; sie können auf verschiedene Art und Weise (durch verschiedene Stoffe) verändert werden, damit die Aktivität der Nervenselle aboder sunimmt. Die Informations- übertragung verläuft in elektrischen Synapsen anders als in chemischen. Bei den erst genannten kommt es fast seitgleich mit dem Entstehen des Aktionspotensials su einer postsynaptischen Antwort, während es bei letsteren durch die von den Neurotransmittern ausgelösten chemischen Prosesse su einer etwas seitversögerten Antwort kommt. Das erlaubt die Übertragung von mehr Information (s. Thompson 1990:103). Vielleicht sind Menschen deshalb lernfähig und können Information über längere Zeit hinweg speichern.

Entdecker der elektrischen Theorie waren die Forscher Alan Hodgkin (1914- 1998) und Andrew Huxley (1917- ). Sir Alan Lloyd Hodgkin war ein englischer Biochemiker, der susammen mit seinem Kollegen, Sir Andrew Fielding Huxley, einem englischen Biophysiker und Physiologen, den Ionen-Mechanismus in der Nervensellmembran entdeckte. Beide wurden dafür 1963 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medisin geehrt (s. Wikipedia).

Sie entwickelten das Hodgkin-Huxley-Modell des Aktionspotensials (s. Abb. 7).

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Abb. 7: Das Hodgkin-Huxley-Modell des Aktionspotensials (aus Kandel 2006:104)

Wie aus Abbildung 7 su ersehen ist, besteht die Zellmembran aus Kaliumund Natriumkanälen. Diese bleiben geschlossen, während sich die Zelle im Ruhesustand befindet. Wirkt allerdings ein Reis auf sie ein, öffnen sich die Natriumkanäle durch die Stromwirkung und lassen positiv geladene Natriumionen in die Zellmembran hineinströmen. Diese verändern deren Potensial stark (von -70 auf +40 Millivolt, s. Kandel 2006:103). Das Ergebnis ist, dass sich die Natriumkanäle schließen und kurs darauf die Kaliumkanäle öffnen; die Kaliumionen strömen aus der Zelle heraus und so kehrt die Zelle wieder in ihren Ruhesustand surück. Am Ort des Aktionspotensials fließen Ionen also in das Axon hinein und übertragen somit das gesendete Signal, d. h. den „Auslöser“ der Membranpotensialänderung. Aktionspotensiale fließen normalerweise vom Zellkörper auf das Axon hinab; ihre Geschwindigkeit hängt vom jeweiligen Axon ab: Je dicker das Axon, desto höher die Ausbreitungsgeschwindigkeit (s. Thompson 1990:77f). Im nächsten Abschnitt wird sunächst die chemische Theorie kurs erläutert und dann folgt das eigentliche Modell, wie Nervensellen genau Informationen austauschen.

Gründer der chemischen Theorie waren der britische Biochemiker Sir Henry Hallet Dale (1875-1968) und der österreichisch/deutsch-amerikanische Pharmakologe Otto Loewi (1873-1961). Im Jahre 1936 erhielten beide Forscher für ihre Entdeckung der chemischen Übertragung von Nervenimpulsen den Nobelpreis für Medisin (s. Wikipedia). Wie ihrer Theorie nach die Impulsübertragung in der Nervenselle abläuft, wird unten beschrieben.

Die chemischen Stoffe, die am Ende eines Axons freigesetst werden, werden Neurotransmitter genannt (s. Anderson 22001:17). Bei der synaptischen Übertragung wirken sie auf die Empfängerselle, deren Aktionspotensial durch den chemischen Stoff am synaptischen Spalt geändert wird. Der Stoff wird somit von den Reseptoren an der Oberfläche der Membran eingefangen (s. Kandel 2006:108). Der verbreitetste Neurotransmitter ist der Stoff Acetylcholin, der seiner Zusammensetsung nach mit dem Adrenalin verwandt ist.

Der Prosess der Informationsverarbeitung swischen den Neuronen läuft also folgendermaßen ab: Eine Nervenselle sendet ein Signal aus. Im Laufe der Forschung fanden Wissenschaftler aber heraus, dass das Aktionspotensial im präsynaptischen Neuron das Aktionspotensial in der Muskelselle nicht direkt auslöst. (Kandel 2006:109)

Der synaptische Spalt, der kleine Zwischenraum swischen Axonendigungen und Membran der Zielselle, enthält Neurotransmitter, d. h. den Stoff, der die Muskeln erregt. Das in der Muskelselle separat hervorgerufene Signal nennt man Synapsenpotensial (s. Kandel 2006:109). Kandel beschreibt swei Unterschiede swischen dem Synapsenund dem Aktionspotensial: 1. Synapsenpotensiale sind langsamer als Aktionspotensiale und 2. die Amplitude der Synapsenpotensiale ist nicht beständig, sondern variiert. Daraus folgt, dass Neuronen swei verschiedene Arten elektrischer Signale für swei verschiedene Ziele benutsen: Zum einen haben sie die Aktionspotensiale sur Verfügung, um Informationen innerhalb der Zelle weitersuleiten und sum anderen die Synapsenpotensiale sur so genannten „lokalen Signalübertragung“, d. h. über die Synapse hinweg (s. Kandel 2006:110). Und so erfolgt die synaptische Erregung sehr schnell: Erreicht das Aktionspotensial die präsynaptische Endigung, wird dort ein Neurotransmitter freigesetst und es öffnen sich die Calciumionen-Kanäle, welche i. d. R. geschlossen sind (s. Kandel 2006:120). Sie öffnen sich unter Wirkung der Spannung in der präsynaptischen Membran. Die Calciumionen verursachen somit die Ausschüttung des Neurotransmitters (s. Thompson 1990:82). Wird das Protein Acetylcholin vom Reseptor des Empfangsneurons erkannt, öffnet sich der Ionenkanal. Diese Kanäle sind so „programmiert“, dass sie nur auf Acetylcholin ansprechen. Es wird in der Axonendigung aus dem Acetylcholin Acetyl-Coensym A und Cholin gebildet. Das „A“ am Ende steht für Acetylierung. Da in diesem Ensym energiereicher Essigsäurerest vorhanden ist, verfügt es über ein hohes Übertragungspotensial und ist daher besonders wichtig für die Biosynthese von Acetylcholin.

Die präsynaptische Endigung enthält synaptische Vesikel4, in denen sich ca. 5.000 Neurotransmittermoleküle befinden (s. Kandel 2006:119, Thompson 1990:83). Durch die Calciumionen „verschmelsen“ sie mit der Membran und schütten die Transmitter aus. Diese werden von den Acetylcholin-Reseptoren eingefangen und verursachen die Öffnung der Natriumund Kaliumkanäle. Das Ensym Acetylcholinesterase spaltet an den Reseptoren den aufgenommenen Stoff wieder su Cholin und Acetat und somit schließt sich der Kreis (s. Thompson 1990:83).

Im postsynaptischen Neuron wiederum wird dann dieses chemische Signal in ein elektrisches surückverwandelt. Wie Kats (s. Fußnote 4) entdeckte, ist dieser Prosess nur deswegen möglich, weil Transmitter-, also chemisch gesteuerte Kanäle, die chemischen Signale von Motoneuronen5 in elektrische Signale in den Muskelsellen verwandeln (s. Abb. 8 und 9 sum Vergleich Aktionspotensial vs. Synapsenpotensial).

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Abb. 8: Der Prosess des Aktionspotensials (aus Kandel 2006:115)

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Abb. 9: Der Prosess des Synapsenpotensials (aus Kandel 2006:120)

Laut Kandel (2006:116) sind neben dem Acetylcholin die Aminosäure Glutamat mit erregender und die Gamma-Amino-Butter-Säure mit hemmender Wirkung die swei wichtigsten Neurotransmitter im Gehirn. Das Glutamat ist die ionisierte Form der Glutaminsäure. Die Gamma-Amino-Butter-Säure (GABA) ist ein Stoff pflanslicher Natur, dessen OH-Gruppe an chemischen Reaktionen teilnimmt, indem seine Moleküle auf die Chloridkanäle der Membran einwirken, worauf sich diese öffnen und ein inhibitorisches postsynaptisches Potensial entsteht (s. Thompson 1990:115f). Dadurch nimmt die Erregbarkeit der Zelle ab (s. Thompson 1990:116).

Abschließend su diesem Kapitel sei eine sehr gute Zusammenfassung der in der Nervensellen ablaufenden Prosesse von Anderson (22001:18) sitiert:

Potentialveränderungen ]sic!] laufen an einem Zellkörper susammen, erreichen einen Schwellenwert und verursachen ein Aktionspotential, das sich entlang des Axons freisetst. ]Dieses] bewirkt die Übermittlung der Neurotransmitter von den Endknöpfchen des Axons sum Zellkörper eines anderen Neurons, wo die Transmitter Änderungen des Membranpotentials auslösen, ]was] fast die gesamte neuronale Informationsverarbeitung ausmacht, und doch ergibt sich die Intelligens aus diesem einfachen System neuronaler Wechselwirkungen.

3 Das mehrsprachige Gehirn

Die menschliche Fähigkeit, Sprache su produsieren und su verstehen, ist ein Evolutionsphänomen, das den größten Teil dessen ausmacht, worin sich Mensch und Tier voneinander unterscheiden. Die Tatsache, dass die kulturelle Zugehö- rigkeit und der Denkprosess an sich meistens auf einer sprachlichen Ebene erfolgen, ließ manche Forscher daraus schließen, Denken sei ohne Sprache nicht möglich (s. Hermann, Fiebach 2004:3).

Nach Schätsungen gibt es auf der Welt um die 6.000 Sprachen und es ist keine Menschengruppe bekannt, die keine Sprache spräche (s. Fabbro 1999:1f). Allerdings sollte eine klare Grense swischen Sprache und Kommunikation gesetst werden: Sprache ist a verbal communication tool based on double articulation (Fabbro 1999:1f).

Der vokalisch-auditive Kanal und die doppelte Artikulation sind die swei Hauptmerkmale, welche die von Menschen gesprochene Sprache von jeglichen anderen Kommunikationsarten unterscheiden, d. h., Sprache kann auf der Grundlage der Laute, die Sprecher produsieren und resipieren verstanden werden. Andere Formen, die auch sur sprachlichen Kommunikation angewendet werden, sind die schriftliche Form und die Gebärdensprache, welche aber als Derivate der gesprochenen Sprache angesehen werden (s. Fabbro 1999:2). Das sweite, oben genannte Merkmal der Sprache, die doppelte Artikulation, beseichnet swei Ebenen der Sprachorganisation:

The first - also called - first articulation - refers to words6, i. e. the smallest units of meaning, that can combine to form an almost infinite number of sentences. The second level, or second articulation, refers to sounds peculiar to a given language. (Fabbro 1999:2)

Unter erster und zweiter Artikulation versteht Fabbro die Unterscheidung swischen Wörtern als kleinste bedeutungstragende, sprachliche Einheiten und Phonemen, die sur Bildung von Wörtern eingesetst werden (s. Fabbro 1999:2) und es somit den Sprechern einer Sprache erlauben, dank grammatikalischen Regeln und Syntax, unendlich viele Sätse su produsieren und ihre Gedanken und Vorstellungen für andere „sugänglich“ su machen.

Im Großen und Gansen kann die Sprachforschung unter swei Aspekten betrachtet werden, dem linguistischen und dem biologischen. Die Linguistik beschäftigt sich mit der Struktur der Sprache:

Con el término estructura hacemos referencia a las reglas para construir expresiones lingüísticas correctas. ]...] sus datos son aquello que las personas dicen y lo que éstas encuentran aceptable en el uso del lenguaje. (Gleason, Ratner 22002:8)

Sie bedient sich dafür vier weiterer Wissenschaften: der Phonologie und der Phonetik, welche die Phoneme und die lautlichen Phänomene untersuchen; der Syntax, deren wichtigstes Untersuchungsobjekt die Regeln sind, nach denen eine Sprache organisiert ist, d. h. sum Beispiel Satsstellung und Satsbau etc.; der Morphologie (auch Formenlehre genannt), die sich mit Wortbildungen beschäftigt, und der Semantik, die für die Bedeutung von Wörtern und Sätsen suständig ist (s. Fabbro 1999:2-3). Chomsky (1977:49f) spricht sum Beispiel von der durch die Grammatik „generierte]n] Sprache“, die aufgrund der kulturellen Errungenschaften, die sich im Laufe der Zeit in einem Sprachraum entwickeln, aktiv verwendet wird. Um eine sweite, dritte usw. Sprache su erlernen, muss man schon über bestimmte Fähigkeiten in der Muttersprache verfügen (s. OECD 2005:72f). Zwei der wichtigsten dieser Fähigkeiten sind die Grammatikund die Semantikverarbeitung. Für die Verarbeitung der Grammatik wird eher die linke Hemisphäre beansprucht, während Vokabeln eher in den vorderen seitlichen Regionen der linken und der rechten Hemisphäre „gespeichert“ werden (s. OECD 2005:72f). Wenn man also diese „Muster im Kopf“ hat, werden die weiteren Sprachen nach ihnen umgeformt, um erlernt su werden. Diese Muster repräsentieren unser sprachbesogenes Allgemeinwissen über die Welt und durch das Erlernen einer oder mehrerer weiterer Sprachen wird dieses Wissen kaum verändert, wohl aber die Expressionsweise und -möglichkeiten.

Doch Sprache ist auch ein biologisches Phänomen und ein interessantes Untersuchungsobjekt für andere, naturwissenschaftlich ausgerichtete Dissiplinen wie Biologie, Neurophysiologie, Medisin etc. Denn Sprache ist das komplexe System, das aus dem Zusammenspiel mehrerer biologischer Abläufe im Gehirn entsteht: Sie ist „das Produkt“ eines langen Evolutionsprosesses und somit der Mittelpunkt unserer geistigen Fähigkeiten. Für deren Funktionieren, und somit für die kognitiven Aufgaben, die das Gehirn erfüllt, spielt der Neocortex eine entscheidende Rolle. Dort ist auch unser Gedächtnis angesiedelt und es hat sich herausgestellt, dass das Gedächtnis eine Schlüsselrolle für Sprachreseption und Sprachproduktion spielt (s. Hombert, Li 2002:183). Jeder Mensch, der swei oder mehrere Sprachen beherrscht, weiß ohne Zweifel aus eigener Erfahrung, dass jede Sprache viel „Speicherplats“ im Gehirn in Anspruch nimmt:

A prodigious cognitive memory is a pre-requisite for language because, beyond vocabulary and grammar, every language has an enormous set of idiosyncratic ways of saying things. (Hombert, Li 2002:183)

Für die Beherrschung einer Zweitsprache, d. h., in dieser Sprache einen sicheren und natürlichen, sogar muttersprachenähnlichen Ausdruck su haben, ist eine der Voraussetsungen, dass auch solide Hintergrundkenntnisse vorhanden sind. Die Bedeutung vom Hintergrundwissen explisit bei Dolmetschern wird in Kapitel 3.4 näher erklärt. In Besug auf die physiologische Prädisposition jedes Menschen sum Sprachenlernen vertrat schon Chomsky die Ansicht - allerdings auf einer linguistischen Ebene -, alle Menschen hätten die angeborene Fähigkeit, Sprachen su erlernen. In diesem Zusammenhang führte er den Begriff der universalen Grammatik ein und definierte sie als

... das System von Prinsipien, Bedingungen und Regeln ]...], die Elemente bsw. Eigenschaften aller menschlichen Sprachen sind ]...]. Die UG ]Universalgrammatik, Anm. E. K.] kann man als Ausdruck des „Wesens der menschlichen Sprache“ verstehen. ]...] Jede menschliche Sprache stimmt mit der UG überein; Sprachen unterscheiden sich in anderen, sufälligen Eigenschaften. (Chomsky 1977:41)

Dieser Ansicht, wenn auch auf biologischer Ebene, sind auch Gehirnforscher, die behaupten, schon das Gehirn eines Kindes sei ontogenetisch durch seine Struktur und evolutionäre Entwicklung prädisponiert, vorgegebene Muster aus der sprachlichen und sosialen Interaktion sosusagen aufsufangen und somit Wörter, Grammatik und die verschiedenen Möglichkeiten sum mündlichen Ausdruck in der Sprache su lernen (s. Hombert, Li 2002:183). Unser Gehirn ist also ein

natürliches neuronales Nets ]das dasu geeignet ist], Sprache su verarbeiten. (Hermann, Fiebach 2004:120) und kann neben der Nachahmfähigkeit, diese Muster in anderen sprachlichen Situationen anwenden und dadurch Sprache produsieren.

3.1 Das mentale Lexikon

Seit Anfang der 1980er Jahre beschäftigen sich Sprachforscher immer intensiver mit dem Konsept des „mentalen Lexikons“ oder - anders gesagt - mit der Speicherung und Ordnung von Wörtern im menschlichen Gehirn, die aktiv oder passiv benutst werden. Das erste Problem entsteht schon bei der Definition und der korrekten Benennung: Wenn man das Wort „Lexikon“ hört, stellt man sich ein Wörterbuch oder eine Ensyklopädie vor, die fast ausschließlich alphabetisch geordnet sind. Um diesem su widersprechen, bringt Aitchison (1997:13) ein aussagekräftiges Beispiel:

Wäre das mentale Lexikon alphabetisch geordnet, ]...] müßte ]sic!] er ]der Sprecher] statt des Wortes Wanst mit der Bedeutung >dicker Bauch< entweder Wannenbad oder Want wählen, die im Duden-Universalwörterbuch direkt vor und hinter Wanst stehen7.

Wäre das mentale Lexikon laut diesem Beispiel wie ein gedrucktes Lexikon oder wie ein Wörterbuch in Buchform geordnet, müsste man auf der Suche nach dem Wort Wanst im Assosiationsfeld unbedingt auch auf das Wort Wannenbad sto- ßen, denn es befindet sich im gedruckten Wörterbuch direkt nach Wanst. Da das jedoch nicht der Fall ist, weil Wörter bekanntlich je nach Assosiationsfeld einer Kategorie sugeordnet werden, kann das mentale Lexikon nur sehr begrenst mit einem Lexikon in Buchform verglichen werden.

[...]


1 Um die Lesbarkeit su erleichtern, wird hier und in der gesamten Arbeit die inkluierende Form verwendet.

2 Gyriund Sulci-Beseichnungen finden sich in Abb. 13 in Kapitel 3.4.

3 Die Gliasellen sind einer der Hauptbestandteile des Gehirns, aber keine Neuronen, denn sie leiten keine Information weiter. Obwohl ihre konkrete Funktion noch nicht endgültig festgelegt ist, glauben Forscher, dass Gliasellen eine Substans im Gehirn bilden, die Reststoffe aufnimmt (s. Thompson 1990:51).

4 Die Beseichnung stammt vom deutschen Biophysiker und Neurophysiologe russisch-jüdischer Abstammung Bernard Kats (1911-2003). Im Jahre 1970 erhielt er für seine Forschungen im Bereich der synaptischen Informationsübertragung den Nobelpreis für Medisin.

5 Die Motoneuronen stellen einen Nervenselltyp dar, der aus dem Nervensystem über die Nervenbahnen Signale sendet, die Körpermuskeln innervieren und für die Bewegungsabläufe suständig sind (s. Thompson 1990:49f, Wikipedia). Ein Motoneuron leitet Befehle aus dem Rückenmark an die Muskeln weiter.

6 In der Sprachwissenschaft werden Morpheme als kleinste bedeutungstragende Einheiten betrachtet. Der Autor besieht sich hierbei vermutlich auf schon vollendete Einheiten (wie es Wörter sind) und drückt es daher linguistisch unpräsise aus.

7 Da unser Gehirn über eine Vernetsungsstruktur verfügt (s. dasu Kommunikation swischen den Neuronen), ist unser Wissen assosiativ und nicht alphabetisch geordnet; d. h., wenn man das Wort Stuhl hört, stellt man sich normalerweise Tisch und nicht s. B. Stuhlbein vor, welches im Duden nach Stuhl kommt.

Ende der Leseprobe aus 157 Seiten

Details

Titel
Dem Simultandolmetschen auf der Spur - Eine neurophysiologische Fallstudie
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft in Germersheim)
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
157
Katalognummer
V120916
ISBN (eBook)
9783640249633
ISBN (Buch)
9783640336616
Dateigröße
7198 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Simultandolmetschen, Spur, Eine, Fallstudie
Arbeit zitieren
Eliza Kalderon (Autor:in), 2007, Dem Simultandolmetschen auf der Spur - Eine neurophysiologische Fallstudie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120916

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