„Es gibt etwas mehr erziehungswissenschaftliche Anteile, aber fast keine Aus-weitung der Praxis - angehende Lehrer verbringen während ihres gesamten Studiums nur zehn Wochen in der Schule.“
Das sagt Klaus Klemm, Erziehungswissenschaftler und Beirat der Kultusministerkonferenz zur Bildungsberichterstattung im Interview mit einer überregionalen Tageszeitung. Klemm spricht damit einen der seit etlichen Jahren geäußerten Hauptkritikpunkte an der in Deutschland durchgeführten Lehrerausbildung an. Es herrscht nach wie vor eine strikte Trennung zwischen theoretischer Studienphase und Praxiserwerb. Landesregierungen und Universitäten reagieren darauf zwar ständig, aber keine der bisher durchgeführten Reformen hat etwas Prinzipielles verändert. Dementsprechend lautet Klemms nüchterne Antwort auf die Frage, ob Lehrerinnen und Lehrer heute besser vorbereitet an die Schulen gehen würden als 1972: „Nein, eigentlich nicht.“
Diesem Ansatz folgend, wird diese Arbeit nun einen Blick auf die gängige Kri-tik an der Lehrerausbildung an den deutschen Universitäten werfen, den status quo beleuchten, Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen und innovative Aus-bildungsakzente vorstellen.
Einleitung
„Es gibt etwas mehr erziehungswissenschaftliche Anteile, aber fast keine Ausweitung der Praxis - angehende Lehrer verbringen während ihres gesamten Studiums nur zehn Wochen in der Schule.“[1]
Das sagt Klaus Klemm, Erziehungswissenschaftler und Beirat der Kultusministerkonferenz zur Bildungsberichterstattung im Interview mit einer überregionalen Tageszeitung. Klemm spricht damit einen der seit etlichen Jahren geäußerten Hauptkritikpunkte an der in Deutschland durchgeführten Lehrerausbildung an. Es herrscht nach wie vor eine strikte Trennung zwischen theoretischer Studienphase und Praxiserwerb. Landesregierungen und Universitäten reagieren darauf zwar ständig, aber keine der bisher durchgeführten Reformen hat etwas Prinzipielles verändert. Dementsprechend lautet Klemms nüchterne Antwort auf die Frage, ob Lehrerinnen und Lehrer heute besser vorbereitet an die Schulen gehen würden als 1972: „Nein, eigentlich nicht.“[2]
Diesem Ansatz folgend, wird diese Arbeit nun einen Blick auf die gängige Kritik an der Lehrerausbildung an den deutschen Universitäten werfen, den status quo beleuchten, Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen und innovative Ausbildungsakzente vorstellen.
Diese Viergliederung strukturiert auch den Inhalt dieser Arbeit. Zunächst erfolgt ein kurzer Rückblick auf die Entwicklung der Lehrerausbildungskrtik im 20. Jahrhundert, dann geht es um Ausbildungskritik und Reformvorschläge, im dritten Teil werden die einzelnen Ausbildungsinstitutionen unter die Lupe genommen und abschließend werden, auszugsweise, Klipperts neue Akzente der Lehrerausbildung vorgestellt.
Schwerpunkt der Arbeit ist eindeutig die universitäre Ausbildung. Referendariat und Lehrerfortbildungen werden weitestgehend ausgeklammert. Auch die Umstellung der Studiengänge auf das Bachelor- und Mastersystem wird nur am Rande behandelt, da aussagekräftige Ergebnisse über den Nutzwert dieser Veränderung noch nicht getroffen werden können.[3]
2. Entwicklung der Lehrerausbildungskritik im 20. Jahrhundert
Kritik an der Lehrerausbildung ist kein reines Phänomen unserer heutigen Zeit. Schon 1925 legte die Philosophische Fakultät der Berliner Universität eine Denkschrift[4] vor, in der festgestellt wurde, dass das Studium der Lehramtsstudenten nicht der zukünftigen Berufsaufgabe entsprechen und Praxisbezug weitestgehend fehlen würde. Im Laufe der Zeit ist aber eine deutliche Fortentwicklung der Diskussion zu erkennen. Während in der Zeit vor 1945 ausschließlich das Universitätsstudium Gegenstand von Erörterungen war – den unerfüllten Erwartungen, das Studium solle erkennbar auch den künftigen Beruf mit berücksichtigen, stand das klassische deutsche Universitätsideal einer zweckfreien Beschäftigung mit Wissenschaft gegenüber –, wurden nach dem 2. Weltkrieg die Untersuchungen, Stellungnahmen und Gutachten differenzierter und das Gesamtgefüge der Lehrerbildung, einschließlich Referendariat und Fortbildung geriet zunehmend in den Fokus des Interesses.[5]
Eine erhebliche Steigerung der Reformdiskussion setzte schließlich Mitte der 1960er Jahre ein. Die Einsicht in die Mängel der Gymnasiallehrerausbildung erreichte um 1968 ihren Höhepunkt, sodass diese sogar grundlegend in Frage gestellt wurde.[6] Die Lehrerausbildungskommission Nordrhein-Westfalens schloss sich 1970 diesem Tenor an und stellte fest:
„Im Grunde ist der Studiengang eine ziemlich willkürliche Addition von Spezialitäten. Eine Kontrolle des Ausbildungserfolgs ist unmöglich, weil es an elementaren Voraussetzungen fehlt, das durch die Ausbildung erwirkte überhaupt festzustellen. Die jetzige Ausbildung führt nicht zum pädagogischen Fachmann.“[7]
Die alte Ausbildungsstruktur mit ihrer ausschließlich auf die Fachwissenschaften ausgerichteten ersten Phase hatte keine Fürsprecher mehr. Alle Stellungnahmen sprachen sich stattdessen für ein stark ausgeweitetes Begleitstudium aus, welches deutlich auf die Schule hinzielte und die drei Hauptelemente Pädagogik, Fachdidaktik und Schulpraktika umfasste. Den Folgejahren blieb die Aufgabe, diese Reform, die aus der über Jahrzehnte angewachsenen Unzufriedenheit entsprang, im Einzelnen auszugestalten.[8]
Doch die Klagen sind kaum weniger geworden und die heutigen Hauptkritikpunkte ähneln denen der 1960er und 1970er Jahre doch sehr: Zum einen betrifft es die Studienpläne, die in den Fachwissenschaften zumeist ohne Rücksicht auf das Berufsfeld Lehrer aufgestellt werden. Und ebenso das Lehrangebot der Erziehungswissenschaften, das sich oftmals durch Beliebigkeit und geringen Praxisbezug auszeichnet. Darüber hinaus mangelt es vielerorts an inneruniversitärer Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachbereichen sowie an ausreichender Betreuung während der Schulpraktika, die dazu nicht in das übrige Studium eingebettet sind. Und zuletzt trifft die Kritik die Randständigkeit der Lehrerausbildung an den Universitäten, die von den Hochschulen oft nur mit geringem Engagement betrieben wird, was sich negativ auf Selbstbewusstsein und Motivation der Lehramtsstudenten auswirken kann.[9]
3. Lehrerausbildung in der Kritik
3.1 Ansehen der Lehrerausbildung in der Universität
Ungeachtet dessen, dass es einige Querverbindungen zum Image des Lehrerberufs in der Öffentlichkeit gibt[10], ist unverkennbar, dass die Lehrerbildung in den Universitäten ebenfalls nicht hoch angesehen ist.
Besonders deutlich macht sich dies in den Fachwissenschaften, in denen generell die reine Wissenschaft angesehener ist als die angewandte und die Forschung angesehener ist als die Lehre. Dementsprechend gelten hier die Magister- und Diplomstudenten als wichtigere und attraktivere Adressatengruppe des Lehrangebots.[11]
Folglich ist der Stellenwert der Lehramtsstudiengänge eher gering. Eine Konsequenz daraus ist, dass die Lehramtsstudenten so eine Atmosphäre vorfinden, die ihre Berufswahl nicht bestätigt, die das Selbstgefühl nicht hebt, die der Studienmotivation nicht förderlich ist und die dem Aufbau einer Identifikation mit dem künftigen Beruf während der Studienzeit abträglich ist.[12] Eine Untersuchung an Philologiestudenten bestätigt diese Entfremdung:
„Je länger also der zukünftige Lehrer studiert, desto mehr wird er einer seiner Berufsaufgaben entfremdet.“[13]
Viele Studenten würden so im Laufe des Studiums in Richtung Fachwissenschaft umerzogen. Sofern ein Student sich dennoch bemühe, sein Studium mit Blick auf den künftigen Beruf zu gestalten, so wirke sich das im Hinblick auf ein erfolgreiches Abschneiden im Staatsexamen laut Möllers eher ungünstig aus.[14]
3.2 Kritik an der Ausbildungspraxis
Richtig zufrieden mit der gängigen Ausbildungssituation ist eigentlich niemand. Kritik kommt nicht nur von Seiten der Lehrerschaft und der Bildungspolitik, sondern insbesondere auch von Seiten der Studenten und Referendare. Im Wesentlichen trifft die Kritik dabei die erste Phase der Lehrerausbildung an den Universitäten. Hauptkritikpunkte sind dabei die Realitätsferne der Ausbildung, die einseitige fachwissenschaftliche Ausrichtung, die Zersplitterung der Ausbildungsabläufe sowie die Vernachlässigung erziehungswissenschaftlicher und schulpraktischer Studien.[15] Weiterhin stehe die spätere Tätigkeit als Lehrer während der Ausbildung viel zu wenig im Blick, da beispielsweise Unterrichtspraktika nur als Randerscheinung aufträten und stattdessen fachspezifische Studien im Vordergrund ständen. Auch pädagogische Handlungskompetenzen der Lehreranwärter würden im Studium kaum eine Rolle spielen, und schon gar nicht Teil der Prüfungen im Ersten Staatsexamen sein.[16] Besonders der Gymnasialzweig stelle hierbei ein mittelschweres Problem dar, weil ein Großteil der angehenden Gymnasiallehrer während ihres Studiums nicht einmal mit den elementarsten jugend- und lernpsychologischen Erkenntnissen in Berührung kämen. Die Lehrerausbildung sei hier bloß ein Anhängsel eines fachwissenschaftlichen Studiums, das im Grundsatz vielmehr den Zweck der Ausbildung zum Wissenschaftler verfolge.[17] Ähnliche Beanstandungen finden sich in den „Hamburger Thesen zur Revision der Lehrerbildung“ aus dem Jahr 1993:
„Wer nicht Fächer, sondern Schüler unterrichten will, der muss Fachwissen so erwerben können, dass es als Grundlage für Vermittlungsprozesse und Instrument zur Gestaltung von Wirklichkeit taugt.“[18]
Dies geschehe in der Regel aber nicht. Vielmehr bestehe ein mangelnder Berufsbezug und die praktische Lehrerarbeit spiele kaum eine Rolle. Die schulpraktischen Studien seien eher marginal und zudem noch wenig koordiniert[19] Die vor einigen Jahren eingerichtete KMK-Kommission spricht gar von einem „weithin unkoordinierten, lückenhaften Flickenteppich fernab der spezifischen Situation und Aufgaben von Schullehren.“[20]
Bei all den aufgeführten Mängeln und Beanstandungen der Lehrerausbildung verwundert es folglich nicht, dass zahlreiche Reformvorschläge zur Verbesserung der Lage gemacht wurden.
[...]
[1] Klemm S. 18.
[2] Klemm S. 18.
[3] Hierzu Klemm S. 18: „Grundsätzlich lässt sich noch nicht absehen, wozu die Einführung des Bachelor und Master führen wird.“
[4] Universität Berlin, Die Ausbildung der höheren Lehrer an der Universität - Denkschrift der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Leipzig, 1925.
[5] Vgl. Merzyn S. 148.
[6] Vgl. ebd. S. 31.
[7] Kommission NRW, S. 16.
[8] Vgl. Merzyn S. 32.
[9] Vgl. ebd. S. 75.
[10] An dieser Stelle soll nur kurz auf das Zitat des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder verwiesen werden, der seine Meinung über Lehrer unmissverständlich zum Ausdruck brachte, indem er diese als „faule Säcke“ titulierte und damit die Urteilsbildung über den Beruf in der Öffentlichkeit maßgeblich beeinflusste. (u.a .: http://de.wikiquote.org/wiki/Gerhard_Schr%C3%B6der, Stand 14.02.2008)
[11] Ein Motiv der Lehrenden beschreibt der anerkannte Chemiker Herbert W. Roesky: „Die Beschäftigung mit Lehrern und Lehrerstudenten bringt keine wissenschaftliche Anerkennung.“
[12] Vgl. Merzyn S. 110f.
[13] Krumm/Vollmer S. 453.
[14] Vgl. Möllers. S. 474.
[15] Vgl. Klippert S. 112.
[16] Vgl. Lenzen S. 475ff.
[17] Vgl. Kahl S. 57.
[18] Zitiert nach Huber S.54.
[19] Vgl. Klippert S. 113.
[20] Vgl. KMK-Kommission, S. 27f.
- Arbeit zitieren
- Stefan Schusterbauer (Autor:in), 2004, Lehrerausbildung an der Universität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/120990