„Das Ethische ist gleich langweilig in der Wissenschaft wie im Leben. Welch ein Unterschied: unter dem Himmel der Aesthetik ist alles leicht, schön, flüchtig; wenn die Ethik dreinkommt, wird alles hart, eckig, unendlich langweilig.“5 In Kierkegaards „Tagebuch des Verführers“ drehen sich seine Gedanken um Verlobung und um Ehe. Von Verlobung hält er nicht viel, sondern spricht nur dem treuen Bund der Ehe das Fundament tiefer, irdischer Erfüllung zu. Stellen wir uns die Erlebnispädagogik als Ehe vor. Was vor Dekaden in Form vieler loser Anbahnungen begann und viel- versprechende Zukunft gelobte, ist mittlerweile zu einem gefestigten Bereich der Pädagogik geworden. Kurt Hahn eröffnete seine erste Outward Bound-Schule 19416; der Gesellschaft zur Förderung der Erlebnispädagogik (GFE) fehlen nur noch fünf Jahre zur „Silberhochzeit“7 und der Bundesverband Erlebnispädagogik ist längst über die Rosenhochzeit hinaus8. Noch immer machen sich viele ambitionierte Trainer selbständig oder fusionieren mit größeren Gemeinschaften, doch der Boom erliegt langsam der Stagnation. Der Leiter des Informationsdienstes Erlebnispädagogik Michael Rehm konstatiert, die Entwicklungsjahre wären vorbei und „es schaut so aus, als ob die Szene im deutschsprachigen Raum konsolidiert.“9
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Einleitung
2 Eingrenzung
2.1 Pädagogik – Ein freiheitlicher Fingerzeig
2.2 Erlebnispädagogik
2.2.1 Erlebnispädagogik im Verlauf ihrer Definition
2.2.2 Kleine Dialektik der Erlebnispädagogik
2.2.3 Erlebnis Leben
2.2.4 Die Erlebnispädagogik als Gegenstand der Sozialen Arbeit
2.2.5 erlebnistage
2.3 Ethik
2.3.1 Die elementare Bedeutung der Ethik
2.3.2 Wozu teleologische Ethik?
2.3.3 Der Utilitarismus – Streben nach Fortunas Maximum
3 Der Mensch im Hinblick auf ausgesuchte Ziele der Erlebnispädagogik
3.1 Gesellschaftsaspekte
3.1.1 Natur und Kultur
3.1.2 Ökologische Bildungsarbeit als sozialer Kontext
3.1.3 Handlungslernen als Antwort auf Konsum
3.2 Das Selbst
3.2.1 Persönlichkeitsbildung – Im Angesicht der Grenzen
3.2.2 Leben am Seil
3.2.3 Zu sich kommen
3.2.4 Erkenne dich selbst!
3.3 Die Gruppe
3.3.1 Geeinte Wahrheit im Plural
3.3.2 Der Zweck des Spaßes
3.3.3 Verbindliche Verantwortung am Seil
3.3.4 Interaktionsübungen – Kooperierte WIRklICHkeit
3.4 Reflexion
3.4.1 Sinn zu sich
3.4.2 Sinn zur Gruppe
3.5 Transfer – Die Tragweite erlebnispädagogischen Nutzens
4 Selbst & Gruppe als WIRklICHkeit: Conclusio
5 Fazit
6 Literatur
6.1 Bücher
6.2 Zeitungen / Zeitschriften / Prospekt
6.3 Internet
6.4 Audio
6.5 Video
6.6 Bildnachweise
7 Funkenflug
Vorwort
In dieser Arbeit war es mir ein inneres Bedürfnis, nicht lediglich ein konventionelles und trockenes Mahl der Wissenschaftlichkeit zu bereiten, sondern mit allerlei Zutaten zu würzen, die die vorliegende Speise womöglich schmackhafter machen.
Ich sage bewusst schmecken und bediene mich damit eines veralteten Stils, denn im Folgenden behandle ich vor allem den Menschen, also den homo sapiens. Sapiens heißt einsichtig, ähnelt dem lateinischen sapere, dem Verb für schmecken und bedeutet gelegentlich einsichtig sein. Etwas weiter vom Wortstamm entfernt ist die scientia, die Einsicht bzw. die Wissenschaft[1], womit der Kreis sich schließt. Wissenschaftlich, darin bin ich einsichtig, ist diese Arbeit insofern, als dass ich belege, nachvollziehbar und somit überprüfbar mache, was ich schreibe. Meine Forschung bezieht sich allerdings auf einen Blickwinkel des Themas und nicht auf wissenschaftliche Empirie wie etwa interrogative Erhebungen oder standardisierte Analysen. Vielmehr war es mein Anliegen, die substanzielle erlebnispädagogische Literatur mit philosophischen Schweifen, belletristischen und lyrischen Beispielen zu umhüllen, um von dieser Außenperspektive andere Einsichten zu erlangen, als würde ich auf den erlebnispädagogischen Kanon insistieren.
Dieser Gang ist nicht abwegig, denn trotz aller Wissenschaftlichkeit sollte eine Arbeit wie diese Charakter besitzen, der schließlich nicht von glatter Oberflächlichkeit abrutschen, sondern Eindruck hinterlassen soll. Gemäß Norbert Francks Prämissen imponieren solche Ausarbeitungen, „wenn sie zum Beispiel
- informativ sind
- originelle Fragen behandeln oder
- auf einen interessanten Zusammenhang verweisen“.[2]
Meines Erachtens sind es gerade die interessanten Zusammenhänge, die die Themenschwerpunkte „zwischen seiend“[3] als Bindeglieder durchdringen und von wo aus dieselben einsichtiger, also auch schmackhafter sind.
Die vorliegende Arbeit mag wie ein kleiner Wolkenbruch anmuten, dessen Fußnoten auf dem Papier niederschlagen. Obschon meine Aussagen größtenteils mit Zitationen und Vergleichen versehen sind, möchte ich betonen, dass es nicht nur fremdes Gedankengut ist, das meine Arbeit ausmacht, sondern zum großen Teil mein eigenes.
Aus stilistischen Gründen schreibe ich nicht stetig, dass ich die gleiche Meinung vertrete wie dieser und jener Autor oder die betreffende Aussage längst selbst wusste. Es liegt mir daran, meine Meinung nicht bloß in direkten Aussagen, sondern auch indirekt im individuellen Strang meiner Rezeption zu suchen.
Bezüglich der verwendeten Literatur teile ich mit, dass ihr Erscheinungsdatum nicht ausschließlich auf dem neusten Stand ist. Freilich ist es legitim, hinsichtlich anthropologischer Aussagen nicht notwendig aus dem Jahre 2007 zu zitieren, da sich der Mensch als solcher nicht jedes Jahr von Grund auf ändert. Die erlebnispädagogische Grundlagenliteratur ist aber mittlerweile auf über fünfzehn Jahre gealtert. Die Zahl der
Veröffentlichungen ist in den letzten Jahren eminent geringer geworden[4] und die Publikationen beziehen sich heute noch auf Bücher, die der besagten Grundlagenliteratur entstammen und sie nach wie vor aktuell erscheinen lassen.
Des Weiteren habe ich auch auf Verlage zurückgegriffen, die mitunter so genannte Bahnhofsliteratur publizieren. Das ist jedoch nicht abträglich, solange ich mir der Referenz und der konsekutiven Konstruktion meiner Literatur im jeweiligen Kontext bewusst bin. Letzthin gestalte ich einen interaktiven Blickwinkel. Man kann die Augen schließen oder mit ihnen hinaus sehen. Gesehen wird aus einer eigenen WIR kl ICH keit.
Berlin, im Juli 2007
Thomas Potyka
1 Einleitung
„Das Ethische ist gleich langweilig in der Wissenschaft wie im Leben. Welch ein Unterschied: unter dem Himmel der Aesthetik ist alles leicht, schön, flüchtig; wenn die Ethik dreinkommt, wird alles hart, eckig, unendlich langweilig.“[5]
In Kierkegaards „Tagebuch des Verführers“ drehen sich seine Gedanken um Verlobung und um Ehe. Von Verlobung hält er nicht viel, sondern spricht nur dem treuen Bund der Ehe das Fundament tiefer, irdischer Erfüllung zu. Stellen wir uns die Erlebnispädagogik als Ehe vor. Was vor Dekaden in Form vieler loser Anbahnungen begann und viel- versprechende Zukunft gelobte, ist mittlerweile zu einem gefestigten Bereich der Pädagogik geworden. Kurt Hahn eröffnete seine erste Outward Bound-Schule 1941 [6] ; der Gesellschaft zur Förderung der Erlebnispädagogik (GFE) fehlen nur noch fünf Jahre zur „Silberhochzeit“[7] und der Bundesverband Erlebnispädagogik ist längst über die Rosenhochzeit hinaus[8]. Noch immer machen sich viele ambitionierte Trainer selbständig oder fusionieren mit größeren Gemeinschaften, doch der Boom erliegt langsam der Stagnation. Der Leiter des Informationsdienstes Erlebnispädagogik Michael Rehm konstatiert, die Entwicklungsjahre wären vorbei und „es schaut so aus, als ob die Szene im deutschsprachigen Raum konsolidiert.“[9]
Nun ist es, um in der Metapher zu bleiben, der Ehe zu Eigen, allzu oft davon bedroht zu sein, mit trüben Augen im Fluss der Routine zu ertrinken. Zwar ist Erlebnispädagogik noch immer in Bewegung und weitet sich sogar auf internationaler Ebene aus[10], doch um eine stabile Identität zu gewährleisten, kommt man nicht umhin, zuweilen bei den essentiellen Fragen inne zu halten, ob die Erlebnispädagogik noch mit ihrem ursprünglichen Ansinnen verwurzelt ist und zu welchem Zweck sie sich in der heutigen Zeit behauptet.
Es liegt mir fern, mit meiner ethischen Betrachtung die Erlebnispädagogik hinterfragend aus ihren Fugen zu reißen oder den rauschenden Fluss mit einer Fragemauer einen Stausee werden zu lassen, der überläuft und etwaige pädagogische Dürre flutet bzw. mit verwinkeltem Richtig-Falsch-Dogma das Flussbett zu begradigen und somit das Leichte der Erlebnispädagogik im Sinne Kierkegaards als eckig und langweilig verkommen zu lassen. Allerdings ist es wichtig, die Erlebnispädagogik immer wieder einer reflektierten Kritik auszusetzen, denn sie ist auf der einen Seite in aller Munde, mitunter als Heil bringender Ansatz, gar als letzte pädagogische Möglichkeit für besonders schwierige „Fälle“ weit verbreitet, aber auf der anderen Seite diversen Gegenargumenten ausgesetzt. Handelt es sich bei der Erlebnispädagogik nun um eine kapitalistisch orientierte Modeerscheinung wie schon 1991 auf einer Tagung des Forums für Erlebnispädagogik gefragt wurde?[11] Welche Bedeutung haben Erfahrungen in der Natur für das Leben in der heutigen hochmodernen Zivilisation? Geht Erlebnispädagogik mit Aktivitäten im Grenzbereich zu weit bzw. was sind die Vorteile von derlei Extremen?
Damit die „Ehe“ Erlebnispädagogik nicht geschieden wird und sich erneut nur lockere Anbahnungen bzw. „Verlobungen“ bilden, bedarf es einer Reflexion, um sie auch fürderhin in ihrem aufrechten Gang zu bestärken. Darum müssen positive Momente hervorgehoben, aber auch Gefahren transparent gemacht werden, denn obschon sich die Erlebnispädagogik mit menschlichem Selbstverständnis auseinandersetzt, darf sie nicht thematisch blind und in ihren Handlungsmöglichkeiten selbstv]erständlich werden.
Es versteht sich sehr wohl von selbst, dass diese Arbeit nicht das gesamte Spektrum der Erlebnispädagogik abdecken kann. Ich werde als Schwerpunkt die anthropologischen Segmente Selbst und Gruppe differenzieren. Dabei ist es von Belang, die diesen Segmenten immanenten Merkmale der Identität bezüglich der Persönlichkeits- sowie der Gruppenbildung gegenüber den relevanten erlebnispädagogischen Ressourcen zu diskutieren. Was und vor allem wie kann die Erlebnispädagogik darin wirken also nachgerade die WIR kl ICH keit beeinflussen?
Die teleologische Ethik fragt nach den diesbezüglichen Zielen und dem Zweck derselben. Dabei sollen weniger finale Antworten gegeben als vielmehr Fragen aufgeworfen werden oder um es mit Fromm auszudrücken: „Die Fragen, und nicht die Antworten machen (…) das Wesen des Menschen aus.“[12] Es handelt sich um eine Betrachtung, die zum Nachdenken darüber anregen soll, was die Fragen beleuchten.
Schließlich will ich herausstellen, inwieweit die Erlebnispädagogik die Segmente Selbst und Gruppe in ihrer jeweiligen Bildung hervorzubringen und in ihrem bedingten Miteinander zu verzahnen vermag. Die vorliegende Arbeit ist demnach der Versuch, die Erlebnispädagogik durch das ethische Auge auf die Angemessenheit ihrer Ziele und Zwecke hin zu beschauen. In Frage kommende Ursachen haben immer auch eine Wirkung. In dem Begriff Erlebnispädagogik steckt Leben. Dass hierin Individuum und Gruppe mitgestaltend sind, steht außer Frage – wie WIR kl ICH keit sich entpuppt, nicht.
2 Eingrenzung
Die Erlebnispädagogik ist ein weites Feld, obschon sie wissenschaftlich bei Weitem noch nicht so erforscht ist wie andere Bereiche der Pädagogik. Sie erstreckt sich über Kurzzeitangebote von wenigen Tagen bis hin zu Langzeitangeboten über mehrere Jahre. Es wird gesegelt, geklettert, gewandert, Problemlösungsaufgaben werden gestellt, Wasser, Berge, Flachland sind Austragungsorte, ja nicht nur in der Natur, sondern auch in der Stadt und gar in Büros wird Erlebnispädagogik praktiziert.
Erst recht die Ethik mit ihren mannigfachen Disziplinen ist eine immense Schablone, die, wesentlich älter als die Erlebnispädagogik, über die Jahrtausende gewachsen ist.
Damit die Ausarbeitungen dieser Arbeit nicht ins Unermessliche wuchern, muss hier eine strikte Eingrenzung vollzogen werden. Weil die Erlebnispädagogik das Handeln groß schreibt, ist eine Fokussierung vonnöten, wenn die im weiteren Verlauf behandelte Semantik des Handelns noch richtungweisend bleiben soll. „Denn in den Untersuchungen über das Handeln sind die allgemeinen Aussagen zwar umfassender, die Einzelheiten aber wahrer.“[13] Im Folgenden werde ich zunächst auf Pädagogik im Allgemeinen eingehen, darauf die Erlebnispädagogik skizzieren, ihre für diese Arbeit wichtigsten Komponenten hervorheben, Zusammenhänge mit der Sozialen Arbeit beleuchten und hiernach auf erlebnistage[14] zu sprechen kommen, bei denen ich im Winter 2006/07 ein Praktikum absolvierte. Im dritten Teil der Eingrenzung widme ich mich der Ethik. Ich begründe die Notwendigkeit der Ethik für dieses Thema überhaupt, enge sie ein, indem ich die Teleologie bemühe und spezifiziere sie schließlich mit dem besonders für die Gruppe bedeutungsvollen Utilitarismus.
2.1 Pädagogik – Ein freiheitlicher Fingerzeig
„Erlebnispädagogik“ ist ein schillernder Begriff. Damit er eindeutiger wird, trenne ich zunächst die „Pädagogik“ ab und versuche ein Bild von ihr zu zeichnen, das den Intentionen der Erlebnispädagogik weithin entspricht.
Die Etymologie geht auf das Griechische zurück. Paidagōgós heißt Kinderführer, der früher ein Sklave war, welcher die Kinder führte und begleitete.[15] Später entwickelten sich daraus die Wörter Betreuer und Lehrer[16], die auch als Erzieher im Sinne einer „Erziehungskunst“[17] bezeichnet werden.
Kinder begegnen der Welt mit immenser Lern-, Leistungs- und Anpassungsfähigkeit[18], sind fortwährend überrascht, was sie ihnen zu bieten hat und wundern sich. Eben dieses Wundern, das Staunen, ist der Moment, in dem sie neugierig am Scheideweg stehen und Antworten suchend zum Dialog bereit sind – der Moment der Pädagogik. Auf die antiken Griechen lässt sich eben diese philosophische Einstellung zurückführen, die das skeptische Infragestellen der scheinbar klaren Dinge die Welt von Grund auf erhellen lässt.[19] Sich Wundern können heißt philosophieren können. „Erziehen aus Philosophieren, das heißt, Nachdenklichkeit in das Erziehungshandeln hineinzutragen, und zwar so, daß diese Nachdenklichkeit als Möglichkeit noch von dem ergriffen werden kann, auf den die Erziehung sich richtet. Es heißt nicht, daß man nun keine verkehrten Wege mehr geht, aber doch wiederum, daß man die Verkehrtheit eines Wegs erkennen und zugeben kann.“[20] Erziehung zur Einsicht also, und diese Einsicht muss aus dem Zögling selbst hervortreten.
Stellvertretend für diese pädagogische Praxis steht Sokrates, der „Die Arbeit des Suchens, aber mit dem Vertrauen des Findens“[21] in Gang bringt. Er fragt die Menschen auf dem Marktplatz nach Ansichten, derer sie sich sicher wähnen, hält mit der Vorgabe, selbst nichts zu wissen, Widerrede und überführt auch sie des Unwissens.[22] Auf der Grundlage der vorgegebenen kindlichen Unbeholfenheit lässt er seine Dialogpartner jedoch nicht im Stich, sondern fördert durch geschicktes Fragen Wahrheiten zutage, die längst in den Befragten schlummern und die Sokrates nur noch heraufholen muss. Dieses Heraufholen, die Hilfe, die Wahrheit zu gebären, ist Sokrates’ Mäeutik bzw. Hebammenkunst[23] und sie wird deutlich im Gespräch mit Theaitetos, der, obzwar noch unwissend, nicht vom Verlangen nach der Antwort ablassen kann. Darauf meint Sokrates: „Du hast eben Geburtsschmerzen, (…) weil du nicht leer bist, sondern schwanger gehst.“[24] Das heißt Pädagogik besinnt sich darauf, dass der Mensch bereits bestimmte Anlagen in sich trägt, die vermittels einer guten Pädagogik vom Menschen selbst ausgetragen werden. Wie diese Anlagen aussehen und worauf nachgerade die Erziehung begründet werden muss, darüber streiten sich Philosophen, Psychologen und Pädagogen seit eh und je. Kant dachte an das Gute im Menschen[25], Piaget attestierte einen Egozentrismus und folglich einen Hobbes’schen Krieg aller gegen alle, sofern man Erziehung unterließe[26] und Rousseau, auf den ich noch zurückkommen werde, verneinte den kultivierten Menschen, der die natürlichen Anlagen zerstören würde, woraus die Aufforderung „Zurück zur Natur“[27] resultiert. Die sokratische Mäeutik legte den Grundstein zur „modernen“ Subsidiarität, der Hilfe zur Selbsthilfe und leitete mit ihr ein auf Freiheit fundamentiertes pädagogisches Ideal ein. Der Hinweis auf das eigene Handlungspotential, die Selbstverantwortlichkeit des Handelns, das sind sokratische Ideale wie sie sich in Kants Aufklärung aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit, in Schillers Harmonie mit dem Erzieher oder in Kierkegaards Einsicht wieder finden lassen, dass Können nur vermittels indirekter Handlungsimpulse und Beachtung nebst Wahrung der Freiheit des einzelnen ermöglicht wird[28], denn schließlich: „der Mensch wird nur durch sich selbst zum Mensch.“[29]
Auch Nietzsche war Sokrates nahe, wenngleich er Zeit seines Lebens gegen ihn polemisierte[30] und vertrat das Selbstsein in Höchstform, als er Zarathustra den Übermenschen lehren ließ: „Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll.“[31] Nietzsche meinte damit die Emanzipation von jedweden äußeren Einflüssen, insonderheit von der christlichen Moral. Freilich führt das für die allgemeine Pädagogik zu weit und läuft ihr gar zuwider, dass der Zögling sich aber vom Lehrer im Zuge seiner werdenden Eigenständigkeit abnabeln soll, darin stimmt Nietzsche mit dem Geburtshelfer Sokrates überein: „Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schüler bleibt. Und warum wollt ihr nicht an meinem Kranze rupfen? (…) Hütet euch, dass euch nicht eine Bildsäule erschlage! (…) Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden“.[32] Zarathustra ist jemand, der nicht untätig zusehen wollte, wie sich die Anlagen des Menschen entwickeln, denn ein Erzieher hat das Potential, den Menschen in seiner jeweiligen Disposition zu fördern.[33] Gemäß welcher Kasuistik erzogen wird, entscheidet sich entsprechend dem kulturhistorischen Menschenbild und das ist immer einem wandelnden Zeitgeist unterworfen. Zuoberst setzt die Ethik für die Pädagogik jedoch die Prämisse der Freiheit, welche zur Selbständigkeit verhelfen soll, damit Menschen mühelos den aufrechten Gang vollziehen können und nicht von Dogmen gekrümmt werden. Dieser Anspruch verwirklicht sich nicht als abrupter Zustand, sondern erweist sich als Prozess, in dem der Pädagoge Unterstützer ist.[34] Der Mensch soll zum kritischen Subjekt im Wechselspiel mit der Gesellschaft ermächtigt werden und dabei muss sich die Pädagogik im Klaren sein „daß sich Erziehung nicht zum Hebel der Veränderung aufspielen kann; aber sie kann zeigen, wo man ihn ansetzen muß.“[35]
2.2 Erlebnispädagogik
2.2.1 Erlebnispädagogik im Verlauf ihrer Definition
Die Überschrift deutet an, dass es sich bei der Definition der Erlebnispädagogik noch keinesfalls um einen allseits anerkannten Begriff handelt, sondern dass die Festigung des Begriffes noch immer im Werden begriffen ist. Hans Bauer brachte es auf den Punkt: „Es charakterisiert die Erlebnispädagogik, dass es eine solche als klar definiertes oder definierbares Gebilde (im Sinne etwa einer Theorie oder einer relativ eindeutig umreißbaren Form von Theorie und Praxis) weder gegeben hat noch gibt.“[36]
Wiewohl dieses Zitat bereits 23 Jahre alt ist, entbehrt es nicht seiner Aktualität. Freilich hat es Kongresse zuhauf gegeben, die sich mit Grundsatzdiskussionen mühten, eine eindeutige Definition zutage zu fördern, Michael Jagenlauf hat 1990 mit seiner Wirkungsanalyse für Outward Bound einen Grundstein empirischer Wissenschaft hinsichtlich der Erlebnispädagogik gesetzt[37], ein Hochschulforum für Erlebnispädagogik wurde 1997 gegründet[38], man kann Erlebnispädagogik bereits innerhalb von vier Semestern als Zusatzqualifikation u. a. an der Universität Augsburg studieren[39] und immer wieder kommen Bücher auf den Markt, die einen rahmenden Wortlaut anbieten. Das heißt sehr wohl hat sich die theoretisierende Wissenschaft angestrengt, sich der Praxis zu nähern und das „Gebilde“ eindeutiger zu umreißen. Allerdings besteht längst kein endgültiger Konsens über eine Definition der Erlebnispädagogik. Das liegt zum einen an der vorgeworfenen Unglaubwürdigkeit von Theorie bzw. der Diskrepanz zwischen Voreingenommenheit und pauschaler Ignoranz seitens der Forschung sowie dem Laienverständnis wissenschaftlicher Untersuchungen.[40] Des Weiteren ist es ein Fakt, dass Erlebnispädagogik eine Bindestrichpädagogik ist, die sich auf der einen Seite von anderen pädagogischen Zweigen emanzipieren will, aber auf der anderen Seite mit ihnen zusammenarbeitet. Sie lässt sich auf alte Grundmomente der Pädagogik zurückführen und der Bindestrich ist für manchen Kritiker somit obsolet.[41]
Keine Pädagogik kommt ohne Erlebnisse aus, denn ihr Bezug ist keine Leichenhalle, sondern der lebende Mensch und ohne Erlebnisse kein Leben – das ist unstrittig. Berechtigt ist also die Frage, was denn das Neue an Erlebnispädagogik ist. Heckmair und Michl antworten darauf: „Das Neue ist in der Tat nichts anderes als die Wiederbelebung des Alten zum rechten Augenblick.“[42] So verstanden ist die heutige Erlebnispädagogik eine Reaktion auf die Gegebenheiten der Zeit. Gemeint ist damit implizit das Buch „Erleben und Lernen“ der genannten Autoren, das als Standardwerk der Erlebnispädagogik verstanden wird. Seit der Erstveröffentlichung 1993 fallen die Zitate daraus wie Dominosteine. Die darin zu Anfang auftauchenden Vordenker der Erlebnispädagogik Rousseau und Thoreau werden immer noch vielerorts als Urväter gepriesen, obwohl man Werner Michl auf Seminaren sagen hören kann, dass er diese beiden Wegbegründer zwar aus nachvollziehbaren und nahe liegenden Gründen gewählt habe, man könne aber auch andere „Urväter“ wählen. Den Erfolg des Buches macht Michl daran fest, dass es zur rechten Zeit geschrieben worden sei.[43] Nichtsdestotrotz finden sich darin geeignete Verweise, die Intentionen der Erlebnispädagogik zu verdeutlichen.
Aus Jean-Jaques Rousseaus „Émile“ lassen sich Ansichten finden, die den aristokratischen Verhältnissen seiner Zeit widersprachen und die mit Axiomen der Erlebnispädagogik kongruent sind: das Gute der Sprache in der Natur, Lernen durch Handeln, die Unmittelbarkeit sinnlichen Erlebens usf.[44] Ebenso bietet sich David Henry Thoreau als Gesellschafts- und Konsumkritiker an, der allein, aber nicht einsam in einen Wald kehrte und den materiellen Überfluss der prosperierenden und psychisch krank machenden Industriegesellschaft entsagte.[45] Aber man kann auch andere Wegbereiter herbei zitieren. Anette Reiners fokussiert z. B. John Dewey, der weg vom Kognitiven und hin zur erfahrbaren Wirklichkeit pragmatischer Werte philosophierte.[46] In dieser Zeit stand die Reformpädagogik in der Blüte. Im Sinne Deweys wandte sie sich etwa zwischen 1890 und 1930 gegen herkömmliche, autoritäre Frontalpädagogik und betrachtete die Erziehung vom Kinde aus. Dabei stellte sie die Ganzheitlichkeit gemäß des Leitsatzes „mit Kopf, Herz und Hand“[47] obenan und mithin die Erfahrung des Körpers als Medium handlungsorientierten Lernens. Die Reformpädagogik ist also auch eine Reaktion auf die Zeit und sie gedeiht mit Waldorf- und Montessorischulen sowie mit Summerhill und anderen freien Schulinstitutionen noch heute.[48]
Die Schlagwörter der Reformpädagogik lauten „Erlebnis, Augenblick, Unmittelbarkeit, Gemeinschaft, Natur, Echtheit und Einfachheit“.[49] Diese pädagogischen Postulate summierte schließlich Kurt Hahn in sein Konzept der Erlebnistherapie.[50] Kurt Hahn (1886-1974) ist weniger ein Urvater als der Vater der modernen Erlebnispädagogik. Er hat für sie Handlungsfelder geschaffen, die gespickt mit den Schlagwörtern der Reformpädagogik heute noch aktuell sind.[51] Das Motiv seiner Pädagogik erhält die Legitimation aus dem Attest Hahns, anhand dessen er die Zivilisation, gleich vieler seiner Vordenker, als krank diagnostiziert. Er sieht in der Gesellschaft vier wesentliche „Verfallserscheinungen“[52]:
- Mangel an menschlicher Anteilnahme,
- Verfall der körperlichen Tauglichkeit,
- Verfall der Sorgsamkeit und der
- Mangel an Initiative und Spontaneität.
Der Mensch würde oberflächlich, seiner persönlichen Verantwortung verlustig, bequem und anfällig für Rauschmittel, selbstgefällig, phantasielos sowie sensationslustig, ohne selbst aktiv werden zu wollen.[53] Kurt Hahn entwickelte ein Programm, gewissermaßen eine Therapie, mit der er jenen Verfallserscheinungen entgegen wirken wollte:
- körperliches Training,
- Rettungsdienst,
- Projekt und
- Expedition.[54]
Das körperliche Training wie Leichtathletik, Berg- oder Wassersport sollten Vitalität, Kondition, Mut und Überwindungskraft steigern. Rettungsdienst als „Dienst am Nächsten“[55] wurde in Form von See- und Bergrettungsdiensten gestaltet und sollte für kommunale Dienste sensibilisieren. Projekte hatten die Aufgabe, die Teilnehmer selbständig Prozesse planen und steuern zu lassen, wobei kreative und musikalische Fähigkeiten eingesetzt werden sollten. Eine Expedition schließlich erfolgte als Tour über mehrere Tage, zu Fuß, auf Skiern oder im Boot. Hierbei sollten Entschluss- und Überwindungskraft geprägt werden.[56]
Im Vordergrund stand dabei immer ein ganzheitlicher Ansatz. Das bedeutete, nicht nur kognitiv zu lernen, sondern ebenso mitmenschlich und insbesondere praktisch zu agieren[57], woraus sich der Leitspruch „mit Kopf, Herz und Hand“ manifestierte.[58]
Um seine „Therapie“ anzuwenden, gründete Hahn die Landerziehungsheime Salem am Bodensee und Gordonstoun in Schottland. In Aberdovey in Wales eröffnete er kurz darauf mit dem Reeder Lawrence Holt 1941 die erste Outward Bound-School und bot dort Kurzzeitkurse für Schüler an, die zumeist zwei Wochen dauerten.[59] „Outward Bound“ ist ein Begriff aus der Seefahrt und umschreibt „ein zum Auslaufen bereites Schiff“.[60] Dieser Begriff gilt nunmehr als synonyme Metapher für die Pädagogik Kurt Hahns, die ihren Ausdruck weiterhin in dem erlebnispädagogischen Verein Outward Bound findet, aber auch anderen Trägern Deutschlands, so auch erlebnistage, ihr erlebnispädagogisches Fundament gibt.
Eines der wesentlichsten Ansinnen Hahns eklektischer Pädagogik wurzelt in Platons Staatslehre. Der konsequente Wille, einer idealen Gesellschaft entgegenzusteuern, die das Gute verkörpert[61] und in den Teilnehmern die „positiven Potentiale“[62] zu fördern entspricht der reifen Philosophie Platons, die er Sokrates in seinen mittleren Dialogen aussprechen lässt. Weil diese Philosophie ein Grundstein aufgeklärter Pädagogik überhaupt, aber auch der Emanzipation von Scheinwelten hin zum aufrichtigen Selbst mit kommunalem Auftrag im Besonderen ist und ihr Ziel letztlich in der Wirklichkeit mündet, will ich im Folgenden Platons Höhlengleichnis skizzieren. Es ist dies wichtig, denn es begründet den erlebnispädagogischen Auftrag in einer Zeit, in der urbane Agglomerationen das Leben des organischen Bodens tendenziell entheben und in der noch immer überwiegend kognitiv-betonter Frontalunterricht die Lehre dominiert. Nicht zuletzt werde ich im Verlauf der Arbeit auf das Höhlengleichnis immer wieder zurückkommen.
Im siebenten Buch Platons Politeia legt Sokrates seinem Freund Glaukon ein Gleichnis dar. Glaukon soll sich vorstellen, wie Menschen in einer Höhle an eine Wand gekettet sind und zwar dergestalt, dass sie nicht einmal ihre Köpfe umdrehen können. Hinter ihnen befindet sich im oberen Bereich ein Mauerabsatz, auf dem Menschen „allerlei Geräte (…) Bildsäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder“[63] entlang tragen. Noch weiter hinten brennt ein Feuer, das die Gegenstände auf dem Mauerabsatz beleuchtet, welche nunmehr in Form von Schatten an die Wand geworfen werden, die die Angeketteten betrachten. Ihr Leben lang haben sie nichts anderes gesehen und daher denken sie, die Stimmen der Menschen, die die Gegenstände tragen, würden zu den Schatten gehören, die sie als Wirklichkeit erachten. Würde nun jemand entfesselt und ginge den Weg hinauf zum Ausgang der Höhle, wo er die Sonne erblickte, so hätte er dabei Schmerzen und könnte „wegen des flimmernden Glanzes nicht recht (…) jene Dinge (…) erkennen, wovon er vorher die Schatten sah.“[64] Er wäre verwirrt und misstraute den neuen Bildern, die keine Abbilder mehr wären und er müsste sich erst mühsam an sie gewöhnen. Irgendwann aber ließen die Schmerzen nach und der Hinaufge- stiegene könnte die Sonne als wahre Quelle erkennen und er wäre glücklich über diese Erkenntnis. Stiege er wieder in die Höhle hinab, so müsste er sich einerseits wieder an die Dunkelheit gewöhnen und andererseits würden die Angeketteten seiner Erkenntnis kaum Glauben schenken. Sokrates erklärt nun das Gleichnis. Der Aufstieg zur Erkenntnis über die Sonne als Urheber des Lichtes, das wirkliche Bilder erhellt, steht stellvertretend dafür, dass „nur mit Mühe die Idee des Guten erblickt wird“[65] und dass diese sehen müsse, „wer vernünftig handeln will.“[66] Die pädagogische Importanz ergibt sich nun daraus, dass laut Sokrates jeder prinzipiell die Fähigkeit habe, Erkenntnis zu erlangen, wofür jedoch Gewöhnung und Übung vonnöten sind[67], Erziehung also ihre Zeit braucht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Daraus resultiert die Pflicht derjenigen, welche die Idee des Guten als ein wahres Ideal guten Lebens geschaut haben, wieder zurückzukehren zu den noch Unwissenden und ihnen, zwar unter den Mühen der Erziehung, hinauf zur Wahrheit zu verhelfen, damit „im ganzen Staate Wohlsein“[68] gebieten kann. Nicht den „Schattengefechten“[69] soll man sich regungslos hingeben, sondern handelnd die Realität, die wahre Natur ergreifen.
Heutige Zielgruppen der Erlebnispädagogik decken ein breites Spektrum ab:
- Vorschule,
- Schule,
- berufliche Bildung,
- Mitarbeiterschulung in Betrieben,
- Sportvereine,
- Sozialarbeit,
- insbesondere Jugendarbeit und auch
- therapeutische Einrichtungen.[70]
So reagiert z. B. das Jugendzentrum Raphaelshaus Dormagen mit Erlebnispädagogik auf Drogenkonsum. Es wird dort eine „Ardennentrophy“ veranstaltet, die das Selbstbewusstsein und die Teamfähigkeit im Sinne der Hahnschen vier Elemente gegen die Verfallserscheinungen steigern sollen. Angespielt wird auf die perfide „Cameltrophy“ und die „Marlboro-Cups“ zweier Zigarettenmagnate.[71]
Erlebnispädagogik ist also nichts gänzlich Neues, aber immer auch eine Reaktion auf die Gegebenheiten der Zeit. In „Erleben und Lernen“ kann man gar lesen, dass die Erlebnispädagogik im Dilemma stünde, schlicht eine Idee im Zuge des Fortschritts der Pädagogik ähnlich der Reformpädagogik sei, um einem Stillstand der Innovation vorzubeugen.[72]
Die hier vertretene Herleitung ist keine allgemeingültige Wahrheit, sondern ein aus meiner Sicht passender Auszug. Ich werde mich, wie erwähnt auf Platon und später auf Aristoteles und John Stuart Mill beziehen, bin mir aber bewusst, dass dies eine austauschbare Perspektive und keine Grundwahrheit ist. Des Weiteren berufe ich mich auf die Lebens- bzw. auf die Existenzphilosophie, um der Bedeutung der Erlebnispädagogik Ausdruck zu verleihen. Mit deren Wichtigkeit für die Erlebnispädagogik stimme ich mit Heckmair und Michl überein.[73] Nietzsche oder Kierkegaard, Sartre oder Korczak finden in dieser Arbeit daher ihren Platz. Die Blickwinkel, aus denen ich die Erlebnispädagogik mitunter betrachte, zielen also immer auch auf Kants alte Frage, was der Mensch sei. Antwort darauf gibt im Allgemeinen die philosophische Anthropologie; eine solche ist für die Pädagogik folglich unabdingbar.[74]
2.2.2 Kleine Dialektik der Erlebnispädagogik
Trotz oder gerade wegen der vielen Fakten findet sich in den meisten Büchern keine konkrete Definition der Erlebnispädagogik. Geschrieben werden fragmentarische Versuche und überdies wird darüber gestritten, ob es sich bei der Erlebnispädagogik um eine Disziplin oder eine Methode handelt.
Bei Heckmair und Michl findet man das Plädoyer für eine „handlungsorientierte Methode, in der die Elemente Natur, Erlebnis und Gemeinschaft pädagogisch zielgerichtet miteinander verbunden werden.“[75] Demgegenüber spricht sich Jörg Ziegenspeck, Leiter des Instituts für Erlebnispädagogik an der Universität Lüneburg, für die Kategorie Teildisziplin aus, da „noch keine geschlossene ´Theorie der Erlebnispädagogik`“[76] vorhanden ist, sie aber als Kind der Erziehungswissenschaft zu verstehen wäre und im Vergleich zu anderen Disziplinen wie Schul-, Sonder-, Sport-, Sozial- oder Freizeitpädagogik noch keine angemessen andauernde Daseinsberechtigung als voll anerkannte Disziplin habe.[77] Für Heckmair und Michl liegt die Schwierigkeit der Bezeichnung als Disziplin darin, dass der Handlungsbegriff gewissermaßen jeder Pädagogik immanent ist, wonach „die Erlebnispädagogik nur eine unter vielen Methoden ist.“[78] Aber auch Michael Rehm hält Widerrede und spricht sich für die Kategorie Teildisziplin aus, wenn er sagt, dass „durch ihre eigene Forschung, Philosophie, Praxis und dem Anspruch auf gesellschaftliche Veränderung (…) von einer ´Methode` allein nicht mehr gesprochen werden“[79] kann, was er in einem kontextuellen Schaubild entfaltet, aus dem die Bezüge zur Erlebnispädagogik aber auch die Wechselwirkung auf dieselben abzulesen sind:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Brockhaus hingegen spricht eher für Heckmair und Michl, indem er die Erlebnispädagogik dezent als Teilgebiet der Pädagogik bezeichnet.[80] Meines Erachtens resultiert der Disput daher, dass aufgrund der vielen Bezugswissenschaften eine partielle Verlagerung während eines erlebnispädagogischen Kurses stattfinden kann, die nicht mehr allein erlebnispädagogisch, sondern z. B. vornehmlich freizeitpädagogisch oder sportpädagogisch ist. Das heißt nicht jede Aktion ist erlebnispädagogisch, sondern Erlebnispädagogik ergibt sich aus dem Kontext der „Gesamtsequenz“[81] eines Kursprogramms. Wenn nun aber doch von einer Methode die Rede ist, „müsste u. a. reflektiert werden, ob die Wirklichkeit, auf die die Methoden wirken sollen, nicht längst eine andere ist als zum Zeitpunkt der Entwicklung der Methoden. Denn Methoden sind nicht zeit- und gesellschaftsunabhängig“[82], was aus dem vorigen Abschnitt ersichtlich wurde.
These und Antithese – zu einer Dialektik gehört bekanntermaßen eine Synthese: Ich bin der Meinung, die Erlebnispädagogik als Konzept betrachten zu müssen. Johannes Schilling bietet eine Definition, die ich für den dargestellten Kontext angemessen finde:
„Ein Konzept ist ein Handlungsmodell des Pädagogen, in dem Ziele, Inhalte und Methoden in einem sinnhaften Zusammenhang stehen. Ein Konzept ist ein Entwurf, in dem das angestrebte Ziel und die effektivste Methode zu diesem Ziel gedanklich vorweggenommen werden. (…) Ein Konzept ist die theoretisch begründete Anleitung zur sinnvollen Abfolge von Handlungen, deren Erläuterung und Reflexion.“[83] Diese Definition enthält im Hinblick auf die im nächsten Kapitel geschilderte Teleologie die wichtigen Bestandteile Handlungsmodell, Ziel und Gedanklich-Vorwegnehmen. Auf die Erlebnispädagogik übertragen heißt das, dass in ihr Ziele gesetzt werden, zu denen planbare Handlungen gehören. Ein hierzu passendes und vor allem schönes Bild, das die Erlebnispädagogik wiedergibt, findet sich bei Heckmair und Michl. Das Bild beschreibt eine Waage, in deren linker Waagschale das vom Pädagogen herbeigeführte Ereignis liegt und in deren rechter Waagschale der Ausdruck des Erlebten, sprich Erfahrung, Reflexion und Transfer. Das Standbein der Waage steht für die Persönlichkeit des Teilnehmers. Neigt die Waage nach links, handelt es sich tendenziell um Freizeitbeschäftigung, neigt sie nach rechts herrscht Selbsterfahrung vor. Die Erlebnispädagogik macht es sich zur Aufgabe, beide Waagschalen auszutarieren.[84]
2.2.3 Erlebnis Leben
Der Begriff „Erlebnis“ macht es schwierig, die Erlebnispädagogik von anderer Pädagogik abzugrenzen. Dennoch ist der Begriff treffend gewählt, denn er weist hin auf das existenzielle Grundmoment schlechthin: das Leben. Wer in der Pädagogik das Leben beleuchtet, darf den Tod nicht im Dunkeln lassen. Rauschenberger beruft sich diesbezüglich auf die Pädagogik Janusz Korczaks, dessen Ansicht nach jedes Kind ein Recht auf den eigenen Tod hat und fordert in diesem Sinne von der Erziehung allgemein die pädagogische Inklusion der Sterblichkeit als Grundfaktum der Existenz.[85] Selbstverständlich wird das Leben als solches auch andernorts thematisiert, doch bin ich der Meinung, dass besonders die Erlebnispädagogik über sehr geeignete Methoden und Techniken verfügt, das Leben, das eigene Sein inmitten vieler Seiender bewusst zu machen. Das soll natürlich nicht heißen, dass in erlebnispädagogischen Kursen immer auch ein bestimmter Prozentsatz der Teilnehmer in den Abgrund gestürzt werden soll, nur um zu zeigen, dass der Mensch sterben kann. In Gefahrensituationen mit Ernstcharakter, zum Beispiel beim Abseilen oder beim Wandern längerer Strecken, wird aber das eigene (Er-)Leben in einer Intensität verdeutlicht, wie es mit Film und Fernsehen oder vermittels klassischen Dozierens nicht möglich ist. Weil in heutigen Gesellschaften zunehmend zur individualisierenden Wahl der Lebensführung aufgefordert wird[86], ist es schwieriger geworden, das Erlebnis in folglich „zweckrational gestalteten Lebensräume(n)“[87] ganzheitlich wahrzunehmen.
Es ist wichtig, den Begriff „Erlebnis“ und seine Stellung in der Pädagogik genau zu klären und zu unterscheiden „zwischen sinn- und wirkungsvoll eingesetzten erlebnispädagogischen Methoden von solchen, die sich des in den letzten Jahren inflationär gebrauchten ´Erlebnis`-Begriffs nur kommerziell bedienen.“[88] Erlebnispädagogik darf nicht verwechselt werden mit Bungee Jumping, Erlebnisbädern oder so genannten Event-Hochseilparks. Es kann auch nicht angehen, dass in einem in die Erlebnispädagogik einführenden Seminar, wie ich selbst beim „IPD“[89] miterlebte, autoritäre Dozenten in Tarnuniform gänzlich unreflektiert mit asiatischer Energielehre beeindrucken und den Kurs weitgehend kommentarlos mit Kampftritten „abwinken“.
Anstelle des Erlebnis-Begriffes kursiert im pädagogischen Metier auch der Begriff Abenteuer. Aufgrund der Assoziation mit unreflektierter „Action“ genießt er in Fachkreisen jedoch nur marginale Anerkennung. Dabei korreliert er aus etymologischer Sicht mit dem Erlebnis-Begriff und mit erlebnispädagogischen Intentionen. Abenteuer geht auf das mittellateinische adventura zurück, heißt Ereignis und hat als Partizip Futur von advenire eine Beziehung zur Zukunft, denn advenire heißt herankommen, sich ereignen.[90] Die zeitliche Komponente ist von hoher Bedeutung, denn ein Erlebnis zeugt von Besonderheit und Einmaligkeit, ist unmittelbar und darum auch nicht einhundertprozentig kalkulierbar.[91] Das sich ereignende und eigen werdende Leben in seiner absoluten Aktualität wahrnehmen heißt, sich auf das Jetzt zu konzentrieren. „Die erlebte Zeit erfüllt sich aber nicht in der Gegenwart, sondern greift über diese hinaus in die Vergangenheit und in die Zukunft, und der Mensch muß sich auch zu ihnen in das richtige Verhältnis setzen.“[92] Das heißt, um ein Erlebnis in seiner Wirklichkeit bewusst zu machen, muss Einsicht in die Vergangenheit gewährt werden, dass vorher etwas anders war sowie in die Zukunft, dass künftig etwas anders sein kann. Dieser einsichtige Bezug des Gewesenen und des Herankommenden auf die Gegenwart kumuliert in der prägnanten Formel des Augustinus „Gegenwärtig! Geahnt, geplant, erinnert“.[93] Genau das ist die Lehre des Kairos: „der günstige Augenblick“ bzw. „der entscheidende Zeitpunkt“.[94] Es ist dies auch der substanzielle Moment der Existenzphilosophie – das Bewusstwerden der Tragweite einer Entscheidung für das Leben.[95] Formuliert man die Formel des Augustinus pädagogisch, so entpuppen sich die drei Fragen „Wer war ich?“, „Wer bin ich?“ und „Wer kann ich werden?“.
Den Menschen bzw. den Teilnehmer eines erlebnispädagogischen Kurses dergestalt in Frage zu stellen, in einem kairologischen Moment präsent zu sein und die Wirkung des Erlebnisses in ein Ambiente zu betten, das es dem Teilnehmer ermöglicht, sich besonnen zu sich selbst zu verhalten und seine Persönlichkeit zu entwickeln, unterscheidet die Erlebnispädagogik vom degenerierenden Erlebnis-Kommerz. Das Ambiente ist wichtig, weil im Moment des Erlebnisses, erst recht in Momenten mit Gefahrencharakter die eigene Existenz ins Bewusstsein rücken kann und somit die Wahrnehmung und das potenzielle Verhalten aus der Gewohnheit gestoßen wird, in einen Raum der Freiheit, der den Menschen seit jeher mit Angst erfüllt.[96] Sich einem solchen Erlebnis zu stellen heißt nachgerade, sich einem Wagnis auszusetzen und das wiederum bedeutet, wie Wolfgang Antes richtig bemerkt, abzuwägen.[97] Dabei gilt es für den Erlebnispädagogen, nicht mit Extremen zu agieren, sondern mit Aristoteles gesprochen, es „gehören zur Schlechtigkeit das Übermaß und der Mangel, zur Tugend aber die Mitte.“[98] Erlebnispädagogik ist schließlich die Mitte zwischen tiefenpsychologischer Empathie in Persönlichkeiten und wildem Aktionismus.[99]
Der Mensch bleibt nie gleich, sondern er verändert sich permanent. Bertholt Brecht akzentuiert mit Herrn Keuner dieses anthropologische Faktum und den Bedarf des Erlebens der Veränderung in seiner Kalendergeschichte „Das Wiedersehen“:
„Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ´Sie haben sich ja gar nicht verändert.`
´Oh!` sagte Herr K. und erbleichte.“[100] Nicht das Verändern des Menschen überhaupt, wohl aber die Möglichkeit des Einflusses auf Veränderung wird von verschiedenen anthropologischen Strömungen, z. B. vom Behaviorismus, angezweifelt.[101] Um die Erlebnispädagogik an dieser Stelle nicht ad absurdum zu führen, gehe ich im Einklang mit Michl davon aus, dass der Mensch sich zu sich selbst verhalten, sich in Frage stellen und somit auch Einfluss auf seine Veränderung nehmen kann, wobei die Erlebnispädagogik mit der Betonung der Körperlichkeit inmitten der Natur ein ideales Terrain zur Persönlichkeitsentwicklung offeriert.[102]
Michael Rehm unterscheidet zwischen Persönlichkeitsveränderung und Persönlichkeitserweiterung.[103] Bei Ersterem wird zunächst die insistierende Persönlichkeitsstruktur aufgebrochen, hiernach verändert und letztlich die Veränderung gefestigt und bei Letzterem operiert der Erlebnispädagoge mit Bewusstseinsbildung und Erweiterung der Persönlichkeit durch Integration des Neuen.[104] Michl konstatiert eine solche Veränderung resp. Entwicklung als Möglichkeit in der Gruppe, als „Selbstverwirklichung und Gemeinschaftsgefühl“.[105] Individualisierung und soziales Lernen reichen einander die Hand. Der Teilnehmer lernt eigene Grenzen kennen und wird bei größeren und komplexeren Herausforderungen der Notwendigkeit der Gruppe gewahr.[106] Überdies haben Erlebnisse erst dann eine vollwertige Relevanz[107], wenn sie vermittels Sprache in Relation[108] zur Umwelt, zu den Mitmenschen gesetzt werden.
Ein weiteres entscheidendes Kriterium der Wirksamkeit eines Erlebnisses ist der Kontext, in dem es steht. Werden persönlichkeits- oder gruppenbildende Prozesse dort versucht in Gang zu setzen, wo die Teilnehmer sich ohnehin fortwährend aufhalten, also zu Hause, in der Schule oder auf dem Hofspielplatz, dann fällt es schwer, sich zu sich zu verhalten. Um nicht von der alltäglichen Gewohnheit befangen zu sein, ist es von erheblichem Vorteil, nicht nur reflexiv aus sich selbst, sondern auch aus seinem Alltagskontext herauszutreten[109] oder wie Thiersch es drastischer formuliert: „Will ich den anderen in seiner Alltäglichkeit verstehen, muß ich aus meiner Alltäglichkeit ausbrechen.“[110] In heutiger Urbanität und Zivilisation sind individuelle Risiken und die Erfahrbarkeit derselben radikal gemindert.[111] Die eigene Existenz zerrinnt im Zerrspiegel der Darstellung kapitalorientierter Dienstleistung. Demgegenüber vermag der Erlebnisraum Natur gewissermaßen archetypische Konstanten im Menschen wachrufen, die er vielleicht nicht mehr jeden Tag braucht, die er aber immer noch in sich trägt.[112] „In der Erlebnispädagogik kann man anthropologische Wurzeln spüren, und die Sinnfragen – woher komme ich, wohin gehe ich, wer bin ich, was erwarte ich von der Welt, was erwartet die Welt von mir – entdecken.“[113]
Obwohl das ein über die Maßen treffender Schlusssatz ist, möchte ich nicht unberücksichtigt lassen, dass ein Erlebnis nicht zwangsläufig, wie oben beschrieben, von der Bewusstwerdung abhängt, sondern dass es ebenso ein unbewusstes, introvertiertes Erleben gibt. Rüdiger Safranski beschreibt Jean-Jaques Rousseau, wie er sich, angewidert von der Aristokratie, von der Gesellschaft zurückzieht und in sich verfällt, während er Waldspaziergänge macht und Selbstgespräche führt. In Briefen hält er fest, dass er dabei bei sich selbst sein kann wie nie zuvor – das Außen schmilzt und geht in das Selbst über.[114] Dabei kann eine erfüllende Dynamik entstehen, die bisweilen eine „Ichvergessenheit“[115] bewirkt, wonach es nur noch Empfindungsereignisse gibt. In der Pädagogik, aber auch im Sport ist dieses Empfinden als „Flow“-Erleben bekannt. Es ist dies ein Moment höchster Authentizität menschlichen Erlebens, denn „das Verschmelzen von Handlung und Bewußtsein“[116] lässt keine Außenperspektive zu; das ist pures Sein. In Anlehnung an Descartes liest man bei Heckmair und Michl: „ich erlebe, also bin ich.“[117]
2.2.4 Die Erlebnispädagogik als Gegenstand der Sozialen Arbeit
Es bezeichnet die Soziale Arbeit, dass sie ähnlich wie die Erlebnispädagogik einem Legitimationsdruck ausgesetzt ist, anderen Wissenschaften, etwa der Pädagogik oder der Erziehungswissenschaft, subsumiert und ihre Autorität mithin in Abrede gestellt wird.[118]
Mollenhauer verstand 1959 unter Sozialpädagogik den „Inbegriff einer Gruppe von neuen pädagogischen Maßnahmen und Einrichtungen als Antwort auf typische Probleme der Gesellschaft“.[119] Die Erlebnispädagogik ist an sich nicht neu (vgl. Kap. 2.2.1), doch ihre moderne Ausprägung und die Kanonisierung des Erlebnis-Begriffes gewann erst Ende des letzten Jahrhunderts an Bedeutung. Sie reagiert auf „typische Probleme der Gesellschaft“, indem sie Bewohner tendenziell entnaturalisierter Lebensräume entschleunigen und für elementare anthropologische Konstanten zumeist inmitten der Natur sensibilisieren möchte. Ob es nun die Therapie attestierter „Verfallserscheinungen“ bei Kurt Hahn oder Persönlichkeits- und Gruppenbildung in Zeiten der Individualisierung von Menschen in pluralen Lebenswelten sind – die Erlebnispädagogik genießt Aktualität, weil sie auf die Gegebenheiten der Zeit reagiert.[120]
Sozialer Arbeit geht es darum, „Menschen zu befähigen, ihre Bedürfnisse so weit wie möglich aus eigener Kraft, eigenen wie fremden, neu zu erschließenden Ressourcen zu befriedigen (…) darauf hinzuarbeiten, dass menschenverachtende soziale Regeln im soziokulturellen Umfeld (…) [und, T. P.] dass behindernde Machtstrukturen in begrenzende Machtstrukturen transformiert werden.“[121] Die Erlebnispädagogik hat vorwiegend zum Thema, die Teilnehmer subsidiär in ihrer Selbstkompetenz zu ermächtigen und ihr Gruppengefüge für Ausgewogenheit gegenseitig respektierter Freiheit empfindlich zu machen, sprich sie in ihrer Sozialkompetenz zu animieren.[122] Die breite Palette sozialpädagogischer Berufsfelder impliziert erlebnispädagogische Elemente entweder partiell (z. B. in der Heim- und Heilpädagogik, etwa Eigenverantwortung und Teamgeist vermittels längerer Wanderungen mit Gepäck und kooperativer Handlungsprojekte in der gemeinnützigen Einrichtung der Jugendhilfe in
Regenstauf im Thomas Wiser Haus oder Verselbständigung und gruppendynamische Selbststeuerung vermittels Berg-, Höhlen- und Kletteraktionen in den Einrichtungen der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Regensburg e. V.[123] ) aber auch umfassend wie die Ardennentrophy im Raphaelshaus Dormagen zeigt.[124] Die Erlebnispädagogik findet demnach ihre Anwendung in der Sozialen Arbeit – das zeigt außerdem das Curriculum der Zusatzqualifikation Erlebnispädagogik der Universität Augsburg auf.[125] Aber inwiefern handelt die Erlebnispädagogik professionell? Für die Soziale Arbeit hebt Sylvia Staub-Bernasconi untre anderem folgende Fragen für eine entsprechende Handlungstheorie hervor:
Was ist die Ausgangsproblematik?
Warum oder weshalb ist diese Problematik entstanden? Wohin tendiert die Situation?
Was ist nicht gut?
Was sollte sein?
Wer soll was verändern?
Womit, das heißt mit welchen Ressourcen soll die Veränderung ermöglicht werden? Was muss auf der Grundlage der erhobenen Wissensgrundlagen und Optionen entschieden werden?
Wie, mit welchen speziellen Handlungstheorien und Methoden soll die Veränderung herbeigeführt werden?
Wurden die Ziele erreicht?[126]
Ferner orientiert sich Soziale Arbeit im Sinne Paulo Freires an der Bewusstseinsbildung strukturell Benachteiligter. Sie zeigt Wissen auf, das den Adressaten umgibt und ihm nützlich sein kann und weist ihn auf Ziele hin, die zur Besserung seines Zustandes beitragen können[127] Dabei wird wie folgt differenziert: Sensitivität gegenüber äußerer Stimuli, Gewahrsein von Veränderungen, Selbstwahrnehmung, denkendes Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Bewusstsein der Handlungsfreiheit.[128]
Natürlich gibt es bei erlebnispädagogischen Anbietern unterschiedliche Herangehensweisen, deswegen kann ich nicht pauschalisierend sagen, die Erlebnispädagogik würde den Ansprüchen der Sozialen Arbeit an Professionalität genügen. Aus eigener Erfahrung weiß ich jedoch, dass z. B. bei erlebnistage vorab eines Kurses, während der Durchführung und in der Nachbereitung desselben obige Fragestellungen unter Berücksichtigung der Bedarfe, der Zielsetzungen sowie der Evaluierung selbiger zur Geltung kommen.[129] Dass die Erlebnispädagogik ganzheitlich bewusstseinsfördernd im Sinne Kurt Hahns fungiert und Handlungsbewusstsein in Richtung Selbst- und Sozialkompetenz unterstützt, will ich dieser Stelle nicht näher ausführen. Wichtig ist die Tatsache, dass die Professionalität erlebnispädagogischer Arbeit nicht allein von der Institution abhängt, sondern zum entscheidenden Teil den Menschen bindet, der sie ausführt. Erlebnispädagogik ist kein geschützter Begriff, wonach sich jeder „Erlebnispädagoge“ titulieren darf. Ob er unter besagten erlebnispädagogischen Intentionen arbeitet, ist damit nicht gesagt.
[...]
[1] Vgl. Stowasser/Petsching/Skutsch 2004, S. 454/457
[2] Vgl. Franck 2003, S. 124
[3] Das Wort „interessant“ setzt sich zusammen aus den lateinischen Vokabeln „inter“ und „esse“, auf Deutsch „zwischen“ und „sein“.
[4] Vgl. Rehm 2006, S. 5
[5] Kierkegaard 1986, Abt. 1, Bd. 2, S. 396
[6] Jagenlauf 1990, S. 4
[7] Ende 2006 feierte die GFE 20jähriges Bestehen (vgl. Gesellschaft zur Förderung der Erlebnispädagogik e. V. (GFE) 2007, avl: http://www.erlebnistage.de/angebote/index.htm)
[8] Der Bundesverband für Erlebnispädagogik besteht seit 1992, vgl. Bundesverband Erlebnispädagogik e. V., avl.: http://www.bundesverband-erlebnispaedagogik.de/be/index.php
[9] Rehm 2006, S. 4
[10] Das Educo-Programm bietet Praktikantenplätze mit erlebnispädagogischem Ansatz in Kanada, den USA, Bulgarien und Südafrika (vgl. Gesellschaft zur Förderung der Erlebnispädagogik e. V. (GFE) 2007, avl.: http://www.erlebnistage.de/news/educo-international-internship-saison-2007 78.htm), Outward Bound hat erlebnispädagogische Schulen weltweit (vgl. 2007, avl.: http://www.outwardbound.net/locations/), um nur zwei internationale Bezugsgrößen zu nennen (s. a. Internationales Jugendprogramm, The Duke of Edinburgh’s Award, etc.)
[11] Vgl. Bedacht u.a. (Hg.) 1994
[12] Fromm 2006, S. 38
[13] Aristoteles 2006, II, 1107 a 24
[14] “erlebnistage” ist der Eigenname eines erlebnispädagogischen Trägers, der von Seiten des Trägers klein geschrieben wird
[15] Vgl. Kluge 2002, S. 674
[16] Vgl. ebd.
[17] Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hg.) 2003, S. 978
[18] Vgl. Huppertz/Schinzler 1995, S. 38
[19] Vgl. Pieper 2003, S. 158
[20] Rauschenberger 2000, S. 221
[21] Jaspers 1964, S. 84
[22] Vgl. Taylor 2004, S. 57 ff.
[23] Vgl. Jaspers 1964, S. 84
[24] Platon 2004, 148e, 3
[25] Vgl. Pieper 2003, S. 142
[26] Vgl. ebd., S. 139
[27] Ebd.
[28] Vgl. ebd., S. 141 ff.
[29] Huppertz/Schinzler 1995, S. 41
[30] Vgl. Taylor 2004, S.126
[31] Nietzsche 1994, S. 10
[32] Nietzsche 2006, S. 10 f.
[33] Vgl. Huppertz/Schinzler 1995, S. 45
[34] Vgl. Pieper 2003, S. 149 f.
[35] Fellsches 1977, S. 81
[36] Bauer 2001, S. 9
[37] Vgl. Jagenlauf, M./Bress, H. 1990
[38] Vgl. Paffrath 2007, avl: http://www.presse.uni-augsburg.de/unipress/up19992&3/artikel_30.shtml
[39] Vgl. Altenberger 2007, avl: http://www.sport.uni- augsburg.de/studium/015richtungen1/ep/1Erlebnispaed.pdf
[40] Vgl. Priest 1999, S. 27 f.
[41] Vgl. Heckmair/Michl 2004, S. 286
[42] Ebd., S. 282
[43] Diese Information wurde mir auf einem Grundlagenseminar von Werner Michl bei erlebnistage Anfang 2007 zuteil.
[44] Vgl. Heckmair/Michl 2004, S. 18 ff.
[45] Vgl. ebd., S. 23 ff.
[46] Vgl. Reiners 1995, S. 11 f.
[47] Ebd., S. 12
[48] Vgl. ebd. S. 13
[49] Heckmair/Michl 2004, S. 32
[50] Vgl. ebd., S. 34
[51] Vgl. ebd., S. 41
[52] Jagenlauf 1990, S. 4
[53] Vgl. ebd.
[54] Vgl. ebd., S. 5
[55] Heckmair/Michl 2004, S. 39
[56] Vgl. Jagenlauf 1990, S. 5
[57] Vgl. ebd., S. 13 ff.
[58] Vgl. Gesellschaft zur Förderung der Erlebnispädagogik e. V. (GFE) 2007, avl.: http://www.erlebnistage.de/erlebnispaedagogik/hintergruende.htm
[59] Vgl. Jagenlauf 1990, S. 4 u. S. 1
[60] Heckmair/Michl 2004, S. 39
[61] Vgl. Heckmair/Michl 2004, S. 37
[62] Ebd., S. 40
[63] Platon 1994, 514 c; es sind diese Bildsäulen, von denen erschlagen zu werden sich der Schüler hüten soll (vgl. Nietzsche FN 32)
[64] Ebd., S 515 c
[65] Ebd., 517 b
[66] Ebd., 517 c
[67] Vgl. ebd., 518 d-e
[68] Ebd., 520 a
[69] Ebd., 520 c
[70] Vgl. Altenberger 2007, S. 6, avl: http://www.sport.uni- augsburg.de/studium/015richtungen1/ep/1Erlebnispaed.pdf
[71] Vgl. Mastalerz 1998, S. 206 ff.
[72] Vgl. Heckmair/Michl 2004, S. 33
[73] Vgl. Heckmair/Michl 2004, S. 35
[74] Vgl. Bollnow 2000, S. 200
[75] Heckmair/Michl 2004, S. 101
[76] Jugendstiftung Baden-Württemberg (Hg.) 1993, S. 110
[77] Vgl. ebd.
[78] Vgl. Heckmair/Michl 2004, S. 99
[79] Rehm 2007, avl: http://www.erlebnispaedagogik.de/; (die schlechte Qualität der folgenden Grafik liegt dem Original zu Grunde. Wichtig sind die Überschriften und die dargstellten Bezüge. Im Kasten „Erlebnispädagogik“ steht: „alle Aktivitäten, welche die Natur und/oder Abenteuer, Spiele, Initiation als Medium benutzen, um ein erzieherisches, weiterbildendes, entwicklungsförderndes oder therapeutisches Ziel zu erreichen“
[80] Vgl. Der Brockhaus 2006, S. 300
[81] Ebd.
[82] Galuske 2001, S. 27
[83] Schilling 1995, S. 230
[84] Vgl. Heckmair/Michl 2004, S. 101
[85] Vgl. Rauschenberger 2000, S. 222
[86] Vgl. Peukert 2002, S. 317
[87] Jugendstiftung Baden-Württemberg (Hg.) 1993, S. 13
[88] Lorenz 2006, S. 7
[89] „IPD“ steht für „Innovative Psychosoziale Dienste“! Ich gehe nicht zu weit, wenn ich feststelle, dass derartigen Anbietern relativ egal ist, was hinterdrein ihre Impulse auslösen, dass sie unter dem Deckmantel der Erlebnispädagogik etwas anderes verbergen und somit im Sinne Harry Frankfurts „Bullshit“ evozieren (vgl. Frankfurt 2006, S. 31, 40 u. 63)
[90] Kluge 2002, S. 4
[91] Vgl. Jugendstiftung Baden-Württemberg (Hg.) 1993, S. 12 (Kursive dem Original entnommen)
[92] Bollnow 2000, S. 205
[93] Augustinus 2003, XI, 18
[94] Lexikonredaktion des Verlages F.A. Brockhaus (Hg.) 2004, S. 159
[95] Vgl. ebd.
[96] Vgl. Lorenz 1973, S. 262
[97] Vgl. Jugendstiftung Baden-Württemberg (Hg.) 1993, S. 12
[98] Aristoteles 2006, 1106 b 30
[99] Vgl. Heckmair/Michl 2004, S. 101
[100] Brecht 1965, S.168
[101] Vgl. Michl 1995, S. 203
[102] Vgl. ebd., S. 205 f.
[103] Vgl. Rehm 2007, avl.: http://www.erlebnispaedagogik.de/
[104] Vgl. ebd.
[105] Michl 1995, S. 206
[106] Vgl. ebd., ff.
[107] lat. relevare, erleichtern (vgl. Stowasser/Petsching/Skutsch 2004, S. 436)
[108] lat. relatus, Berichterstattung (vgl. ebd., S. 435); es kommt nicht von ungefähr, dass die Bedeutsamkeit (Relevanz) u. die Relation, also die Beziehung bzw. Berichterstattung, eng miteinander verknüpft sind: Über Erlebnisse muss gesprochen werden, damit sie verarbeitet werden können und nicht zur erdrückenden Last werden.
[109] Vgl. Michl 1995, S. 207
[110] Thiersch 1997, S. 46
[111] Vgl. Reiners 1995, S. 9
[112] Vgl. Michl 1995, S. 214 f.
[113] Ebd., S. 216
[114] Vgl. Safranski 1990, S. 20 f.
[115] Ebd. S. 23
[116] Csikszentmihalyi 1987, S. 61
[117] Heckmair/Michl 2004, S. 33
[118] Vgl. Staub-Bernasconi 2007, S. 157
[119] Hupperz/Schinzler 1995, S. 306
[120] Vgl. Ostenrieder/Weiß 1994, S. 23 ff. sowie hier S. 17 ff. u. Kap. 3.1.2 sowie 3.1.3
[121] Staub-Bernasconi 2007, S. 198
[122] Vgl. Gesellschaft zur Förderung der Erlebnispädagogik e. V. (GFE) 2007, avl.: http://www.erlebnistage.de/erlebnispaedagogik/index.htm
[123] Vgl. Weiß/Einwanger 1998, S. 211 ff. sowie Alberter 1998, S. 217 ff.
[124] Vgl. Mastalerz 1998, S. 206 ff.
[125] Vgl. Altenberger 2007, S. 6, avl: http://www.sport.uni- augsburg.de/studium/015richtungen1/ep/1Erlebnispaed.pdf
[126] Vgl. Staub-Bernasconi 2007, S. 204 f.
[127] Vgl. ebd., S. 311 ff.
[128] Vgl. ebd., S. 316 ff.
[129] Vgl. erlebnistage. 2005, S. 95 ff.
- Arbeit zitieren
- Diplom Sozialarbeiter / Sozialpädagoge Thomas Potyka (Autor:in), 2007, Erlebnispädagogik im Auge teleologischer Ethik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121174
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