In dieser Arbeit soll die Wirkung der Rechtssprechung auf den Prozess der europäischen Integration untersucht werden. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) als wichtigsten Akteur im Integrationsprozess zu. Das Recht hat bisher eine entscheidende Rolle bei der europäischen Integration gespielt, da es als Gestaltungsmittel zur Umsetzung der Vertragsziele die politischen Akteure an ihre vertraglichen Verpflichtungen bindet. Wenn die Mitgliedsstaaten die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften und jetzt der Europäischen Union nicht einhalten, ist die Integration zum Scheitern verurteilt. Der EuGH wird in diesem Zusammenhang daher oft als „Motor der Integration“ bezeichnet, da ihm u.a. die rechtliche Kontrolle bei der Umsetzung von Rechtsakten zukommt. Es wird hier also die These vertreten, dass der Fortschritt der europäischen Integration nicht nur den Änderungsverträgen zu den Gründungsverträgen und der Gesetzgebung auf europäischer Ebene zu verdanken ist, sondern zu einem beträchtlichen Anteil auch der Rechtssprechung des EuGHs. Im Rahmen dieser Arbeit wird zunächst überblicksartig auf die Entwicklung des Neofunktionalismus und auf den Altmeister der klassischen Integrationstheorie Ernst B. Haas eingegangen und dessen Weiterentwicklung durch Burley/Mattli vorgestellt. Im Anschluss daran werden als Gegenposition bzw. als Weiterentwicklung zum Neofunktionalismus die Annahmen des Neoinstitutionalismus skizziert und hauptsächlich in seiner historischen Ausprägung nach Paul Pierson näher beleuchtet. Als Synthese aus beiden Theorierichtungen wird abschließend die mehrstufige Theorie von Richard Münch dargestellt und untersucht, inwieweit sie eine Brückenfunktion zwischen Neofunktionalismus und Neoinstitutionalismus einnimmt. Zwei Fragestellungen werden beim Vergleich der Theorien immer im Vordergrund stehen: wie beschreibt die jeweilige Theorie das Zusammenspiel zwischen EuGH und nationalen Akteuren und wie ist vor allem die Zurückhaltung der Mitgliedsstaaten gegenüber der expansiven Rechtssprechung des EuGH zu erklären, die ja in gewisser Hinsicht die Kompetenzen und Souveränitäten der Nationalstaaten beschneidet.
Inhaltsverzeichnis
- Theorien europäischer Integration
- Entscheidungskompetenzen des Europäischen Gerichtshofs
- Europäische Integration vor dem Hintergrund neofunktionalistischer Theorien
- Entwicklung des Neofunktionalismus
- Erklärungsansatz von Burley/Mattli
- Akteure und Motive
- Prozess der Integration
- Politik im Prozess der Integration durch Recht
- Europäische Integration vor dem Hintergrund neoinstitutionalistischer Theorien
- Varianten des Neoinstitutionalismus
- Erklärungsansatz von Pierson
- Konzept der Pfadabhängigkeit
- Entstehung von Divergenzen
- Unfähigkeit zur Schließung von Lücken
- Europäische Integration im mehrstufigen Theorieaufbau von Münch
- Entwicklungsdynamik: Kräfte der Veränderung, „spillover“-Effekte
- Funktionale Ausdifferenzierung als soziale Konstruktion
- Entwicklungsdynamik gegen Entwicklungspfade: Kräfte der Beharrung, Trägheit und Pfadabhängigkeit
- Latenter Entwicklungskonflikt
- Der historische Institutionalismus als Weiterentwicklung des Neofunktionalismus?
- Münchs mehrstufiger Theorieaufbau als Brücke zwischen Institutionalismus und Neofunktionalismus?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Wirkung der Rechtssprechung, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), auf den Prozess der europäischen Integration. Es wird analysiert, wie das Recht als Gestaltungsmittel zur Umsetzung der Vertragsziele wirkt und inwieweit der EuGH als "Motor der Integration" fungiert. Die Arbeit vergleicht neofunktionalistische und neoinstitutionalistische Theorien, um das Zusammenspiel zwischen EuGH und nationalen Akteuren zu erklären und die Zurückhaltung der Mitgliedsstaaten gegenüber der expansiven Rechtssprechung des EuGH zu beleuchten.
- Die Rolle des Rechts in der europäischen Integration
- Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
- Vergleich neofunktionalistischer und neoinstitutionalistischer Theorien
- Das Zusammenspiel zwischen EuGH und nationalen Akteuren
- Die Reaktion der Mitgliedsstaaten auf die Rechtssprechung des EuGH
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 führt in die Thematik der europäischen Integrationstheorien ein und betont die Bedeutung des Rechts und des EuGH. Kapitel 2 beschreibt die Entscheidungskompetenzen des EuGH. Kapitel 3 beleuchtet die neofunktionalistische Perspektive auf die europäische Integration, einschließlich der Entwicklung des Neofunktionalismus und des Erklärungsansatzes von Burley/Mattli. Kapitel 4 befasst sich mit dem Neoinstitutionalismus, insbesondere Pierrsons Ansatz mit Pfadabhängigkeit und Divergenzen. Kapitel 5 präsentiert Münchs mehrstufigen Theorieansatz als Synthese beider Perspektiven. Die Kapitel 6 und 7 analysieren den historischen Institutionalismus und die Brückenfunktion von Münchs Theorie.
Schlüsselwörter
Europäische Integration, Recht, Europäischer Gerichtshof (EuGH), Neofunktionalismus, Neoinstitutionalismus, Pfadabhängigkeit, Spillover-Effekte, nationale Akteure, Souveränität, Integrationstheorien, Richard Münch, Paul Pierson, Ernst B. Haas, Burley/Mattli.
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- Dipl.-Soz. Gabriele Riedel (Autor), 2007, Die Rolle des Rechts für die europäische Integration, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121357