Bildungshistorie von Subsahara-Afrika. Beitrag zu der kontemporären Bildungskrise der Region


Akademische Arbeit, 2021

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Ubuntu und die traditionelle afrikanische Bildung

3. Bildung in Afrika zu Zeiten der Missionierung

4. Bildung in Afrika zu Zeiten der Kolonialisierung

5. Fazit

6. Bibliographie

1. Einleitung

“Among second grade students assessed on numeracy tests in several Sub-Saharan African countries, three-quarters could not count beyond 80 and 40 percent could not do a one-digit addition problem. In reading, (…) 50 (to) 80 percent of children in second grade could not answer a single question based on a short passage they had read, and a large proportion could not read even a single word.” (The World Bank, 2018)

Die Weltbank (2018) und die UNESCO (2014) sind sich einig: Subsahara-Afrika steht vor einer „schweren Bildungskrise“. Etwa 88 Prozent der Kinder und Jugendlichen in der Region, das entspricht 202 Millionen Menschen, verfügen nicht über grundlegende Lese- und Rechenkompetenzen – und das obwohl etwa zwei Drittel von ihnen eine Schule besuchen (vgl. Deutsche UNESCO-Kommission, 2017). Den Hintergrund dieser Problematik zu begreifen, erfordert, die kontemporäre Bildung Subsahara-Afrikas zu kontextualisieren und sie bildungshistorisch einzuordnen.

Immanuel Kants sagte in einer Vorlesung 1788/89 über seine Rassentheorie: „Die Race der Neger (…) n(immt) Bildung an, aber nur ein(e) Bildung der Knechte, d.h. sie lassen sich abrichten“ (Leutgöb, 2014, S. 64 f.; zit. n. Band XXV, 2). Als Universalist ging Kant zwar von der für das 18. Jahrhundert fortschrittlichen Annahme aus, sämtliche Ethnien gehörten zu der singulären „Naturgattung“ Mensch (vgl. Tautz, 2004, S. 50); der gängigen Meinung, Afrikaner*innen wären stupide und Europäer*innen intellektuell unterlegen, widersprach jedoch auch er nicht. Dieselbe Ansicht vertraten zahlreiche Kolonialisierende, die im 19. und 20. Jahrhundert in afrikanischen Ländern westliche Bildungssysteme etablierten, um die afrikanische Bevölkerung entsprechend ihrer Rassenideologie zu unterwerfen - sie wurden zu eben jenen „Knechten“ ausgebildet, die Kant bereits vorhergesagt hatte (vgl. Kapitel 4). Gleichzeitig wurde die Kolonialherrschaft als „Zivilisationsmission“ propagiert und legitimiert (vgl. Sonderegger, 2010), die den Afrikaner*innen erstmals Bildung bringen sollte – eine grobe Lüge angesichts der gut etablierten traditionellen afrikanischen Bildung, die sich bereits Jahrhunderte vor dem ersten Kontakt mit Europäer*innen entwickelt hatte (vgl. Kapitel 2).

In dieser Arbeit soll es um die Bildungshistorie in Subsahara-Afrika gehen, wobei diese in die drei Stadien traditionell, missionarisch und kolonial unterteilt wird. Ich möchte mich hierbei mit der Frage beschäftigen, inwieweit sich das Verständnis von Bildung und ihrer Vermittlung über die Jahrhunderte gewandelt hat und wie dies zu der heutigen Bildungskrise beigeträgt. Besonderes Augenmerk soll auf die „Bildung der Knechte“ während der Kolonialzeit gelegt werden, um hier zu diskutieren, inwieweit diese der Bezeichnung „Bildung“ entspricht. Da es sich um eine Betrachtung nicht-deutschsprachiger Kulturen handelt, birgt die Bestimmung des Begriffes „Bildung“ einige Schwierigkeiten. Aus dem Alt- oder Mittelhochdeutsch entstammend (vgl. Krüger und Grunert, 2006, S. 66, zit. n. Schilling, 1961), findet die Vokabel in vielen afrikanischen Sprachen keine exakte Entsprechung. Daraus entsteht die Problematik, möglicherweise etwas zu diskutieren, das in der Lebensrealität der Afrikaner*innen so nicht vorliegt oder dem ein völlig anderes Verständnis zukommt (vgl. Foaleng, 2015). Gleichwohl erschweren die unterschiedlichen Begriffe und Begriffsverständnisse den Vergleich des Bildungsverständnisses über die Jahrhunderte erheblich. Darüber hinaus sind zahlreiche deutsche Bildungsbegriffe, darunter auch Kants, bewusst oder unbewusst rassistisch geprägt, was bei der Verwendung dieser Interpretationen für afrikanische Bildungsprozesse berücksichtigt werden muss (vgl. Brumlik, 2021, S. 62 ff.). Um trotzdem eine Basis für einen Vergleich zu schaffen, sollen die nachfolgend beschriebenen Prozesse, um dem Begriff „Bildung“ zu entsprechen, Teilaspekte der Bildungstheorien Kollers, Horkheimers und Klafkis erfüllen: Als bewusste und reflektierende Prozesse sollen sie zum Erwerb von Wissen und Fähigkeiten, sowie zur Identitätsfindung und geistigen Emanzipation eines Individuums beitragen und dessen Selbst- und Weltverhältnis verändern. Die Merkmale oder Ziele, die über diese Basis hinausgehen, sind dann auf das distinkte Verständnis von Bildung zurückzuführen, das dem Ort und der Zeit entspricht. Teils werde ich dieses Verständnis durch das Hinzuziehen deutscher Erziehungs- und Bildungstheorien reflektieren; es wird jedoch auch der Versuch unternommen, einen kulturrelativistischen Blick beizubehalten, der die afrikanische Bildung nach afrikanischen Normen misst.

Nachfolgend werde ich die Grundzüge der traditionellen afrikanischen Bildung und deren gesellschaftlichen Kontext vorstellen, um dann die Transformation des Bildungsverständnisses in Subsahara-Afrika während der Missionars- und Kolonialzeit zu untersuchen. Ziel ist es, aufzuzeigen, wie die Verdrängung und Negierung der traditionellen Bildung durch die europäischen Einflüsse zu der kontemporären Bildungskrise Subsahara-Afrikas beigetragen bzw. geführt haben.

2. Ubuntu und die traditionelle afrikanische Bildung

Entgegen weitverbreiteten Annahmen existierte in Afrika schon vor der ersten Ankunft der Europäer*innen eine distinkte Vorstellung von Bildung und deren Vermittlung (vgl. Ezeanya-Esiobu, 2019, S. 21). Um einen Zugang zu dieser traditionellen afrikanischen Bildung zu bekommen, ist es essentiell, die Philosophie (hier: synonym mit Weltanschauung oder Weltsicht) zu begreifen, auf der diese Bildung beruht. Nachfolgend wird daher die traditionelle afrikanische Philosophie „Ubuntu“ erläutert. Der Begriff Ubuntu entstammt dem Swahili und kann etwa mit „Ich bin, weil wir sind“ (Oviawe, 2016, S.1) übersetzt werden. Damit wird eine Weltanschauung mit Ursprung in Südafrika beschrieben, bei der das Individuum in seiner Bedeutung erst durch das Kollektiv und nur in Verbindung mit ihm entsteht (vgl. Venter, 2004, S. 151). Ubuntu vertritt den Glauben an fundamentale Interdependenzen von Personen innerhalb einer Kommunität und steht für die Werte Solidarität, Inklusivität, Altruismus, Großzügigkeit, Gleichberechtigung und Zusammengehörigkeit (vgl. Oviawe, 2016, S. 4; Brock-Utne, 2016, S. 31). Der Mensch ist hier untrennbar mit seiner sozialen und ökologischen Umgebung verbunden; er steht in reziproken Beziehungen sowohl mit Menschen als auch mit der Natur, die einander schützen und voneinander profitieren. Das Individuum sollte seine Bedürfnisse daher dem kollektiven Wohl unterordnen. Mit Ubuntu ist also auch ein moralischer Imperativ vergleichbar mit dem Konfuzianismus verbunden (vgl. Oviawe, 2016, S. 3). Zusammenfassend vertritt Ubuntu die Ideale des Kommunalismus, also eine hohe Wertung des Kollektivs gegenüber dem Individuum (vgl. ebd., 2016).

Es existieren diverse afrikanische Philosophien, die Ubuntu nahekommen. Ein Beispiel dafür ist Igwebuike, ein philosophisches Konzept der Igbo aus Nigeria, das übersetzt so viel heißt wie „Anzahl ist Macht“ oder „Anzahl ist Stärke“ (Kanu, 2019, S. 145). Der Begriff spielt darauf an, dass das Individuum nur innerhalb einer Gruppe stark und machtvoll ist. Ähnlich wie im Ubuntu wird die Kernaussage getroffen, zu sein heiße, in Verbindung und Solidarität mit anderen zu leben (vgl. ebd., 2017).

Philosophische Konzepte wie Ubuntu oder auch Igwebuike bildeten jahrhundertelang die Basis gesellschaftlichen Zusammenlebens in vielen Ländern Subsahara-Afrikas. Damit soll nicht impliziert werden, es habe nur eine Weltanschauung existiert, die für den ganzen Subkontinent gegolten habe, jedoch wurden bestimmte Werte wie der Kommunalismus in fast allen Gebieten als zentral für das soziale Miteinander erachtet (vgl. Onebunne, 2019). So unterschied sich auch die traditionelle afrikanische Bildung zwar je nach Ethnie und politischem, ökonomischen und sozialem System; aufgrund der Homogenität der philosophischen Basen wiesen sie jedoch Großteils ähnliche Charakteristika auf (vgl. Ezeanya-Esiobu, 2019, S. 21).

Grundsätzlich lässt sich die traditionelle afrikanische Bildung in die formelle und informelle Bildung unterteilen. So existierten verschiedene formelle Bildungsinstitutionen (vgl. Assié-Lumumba, 2016, S. 14), wie beispielsweise eine Geschichtsschule in Keta (heutiges Ghana), in der die Historie der verschiedenen Könige Ketas unterrichtet wurde (vgl. Rodney, 1973, o. S.).

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Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Bildungshistorie von Subsahara-Afrika. Beitrag zu der kontemporären Bildungskrise der Region
Hochschule
Universität Hamburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
16
Katalognummer
V1214609
ISBN (eBook)
9783346657572
ISBN (Buch)
9783346657589
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bildungshistorie, subsahara-afrika, beitrag, bildungskrise, region
Arbeit zitieren
Hannah Bruckmann (Autor:in), 2021, Bildungshistorie von Subsahara-Afrika. Beitrag zu der kontemporären Bildungskrise der Region, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1214609

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