Das Opfer der Berufung. Über drei Gedichte der Annette von Droste-Hülshoff.


Term Paper, 2002

16 Pages, Grade: sehr gut (1,0)


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Macht und Aufgabe der Dichtung

3. Das gespaltene Ich

4. Die Folgen der Berufung

5. Literaturverzeichnis
5.1. Primärliteratur
5.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Diese Arbeit soll den Versuch machen bisher weitestgehend unabhängig voneinander behandelte Gedichte der Droste parallel zu lesen. Damit wird jenen eine innere Zusammengehörigkeit unterstellt, die schließlich auch aufgefunden werden konnte, doch entzieht sich die Argumentation dem Vorwurf des Zirkelschlusses nicht gänzlich. Hauptsächliches Ziel war es der „Geheimnisebene“[1] Raum zu schaffen. Wie Peter von Matt sagt „[...]fordert [diese Dichtung] alle Lesekunst und –erfahrung, gerade weil sie so konventionell daher kommt.“[2] Um diese Anforderung, zumindest im Kleinen, zu erfüllen, wurden manche Spitzfindigkeiten nicht nur geduldet sondern sogar gesucht. Mit der Hoffnung einer allen untersuchten Gedichten zugrunde liegenden Intention gerecht werden zu können. Der untersuchte Corpus ist daher absichtlich klein gehalten worden, damit das je Besondere in den Focus gerückt werden konnte. Oft verbirgt sich nämlich gerade hier, im Detail, das Allgemeine.

Zuerst werden das so genannte Dichtergedicht „Mein Beruf“[3] und das Gedicht „Das Spiegelbild“[4] gelesen. Deren Interpretation entscheidende Aspekte zum Verständnis des zweiten Teils von „Der Dichter – Dichters Glück“[5] (oft auch als eigenständiges Fragment „Locke nicht du Strahl aus der Höh“ betrachtet) beitragen kann.

Hier wird deutlich, dass die göttliche Berufung zur Dichtung leidvolle Auswirkungen auf die Dichterin selbst hat. Sie wird zum Opfer. Zum einen gibt sie sich dabei selbst her. Sie opfert sich. Zum anderen wird sie geopfert, indem Gott sie beruft. Die Dichterexistenz, wie sie die Droste versteht, ist daher, im vollen Sinne des Wortes, tragisch zu nennen.

2. Macht und Aufgabe der Dichtung

Das Gedicht „Mein Beruf“ sollte, nach Vorsehung der Droste, zusammen mit „Meine Todten“ und „Katharine Schücking“ die 1844 bei „Cotta“ verlegte Gedichtausgabe eröffnen. Da das Gedicht inhaltlich eine sehr konkrete und rhetorisch durchdacht dargestellte Vorstellung von Dichtung vertritt, würde es am Beginn eines Buches als eine Art Vorwort gelesen werden können, ihm käme also eine besondere, programmatische Bedeutung zu.[6] Dass es letztendlich in besagter Ausgabe an marginaler Stelle, unter der Rubrik „Gedichte vermischten Inhalts“ erschien, ist hauptsächlich auf briefliches Anraten Schückings zurückzuführen.[7] Im Antwortschreiben der Droste heißt es: „Gegen die Versetzung der Einleitungsgedichte habe ich Nichts.“[8] Diese eilig scheinende Zustimmung lässt vermuten, dass der Dichterin nicht unbedingt daran gelegen war, dem Gedicht die oben angesprochene Bedeutung zukommen zu lassen; da Schückings konkrete Beweggründe aber unbekannt sind, ließen sich darüber nur Spekulationen anstellen.[9]

Die erste Strophe beginnt mit wörtlicher Rede. Das Ich der Dichtung wiederholt eine zuvor an es herangetragene Frage: „Was meinem Kreise mich enttrieb,/ Der Kammer friedlichem Gelasse?“[10] Erklärend wird die Motivation dieser Worte nachgeschoben. „Das fragt ihr mich als sey, ein Dieb,/ Ich eingebrochen am Parnasse.“[11] Das Ich sieht sich mit einem Vorwurf konfrontiert. Dass es dichtet, so scheint es, ist für die anonym bleibenden Frager legitimationsbedürftig. Aber es kann das Recht zu dichten, von höchster Instanz verliehen, verkündet werden. „Bei der Geburt bin ich geladen,/ Mein Recht so weit der Himmel tagt,/ Und meine Macht von Gottes Gnaden.“[12] Diese inhaltliche Rechtfertigung ist ebenso Bedingung für das Gedicht selbst. Somit muss es bereits als Erfüllung des in ihm formulierten Anspruchs auftreten.

Die Legitimationsbemühungen der Autorin leiten den Text zudem klassisch rhetorisch ein. „So hört denn, hört, weil ihr gefragt[...]“[13]. Die Figur der captatio benevolentiae[14] wird unübersehbar.

Die expositio auf inhaltlicher Ebene fortführend, wird in der zweiten Strophe der aktuelle Zeitbezug formuliert. Dies ist der zweite Punkt der Legitimation des dichterischen Sprechens der Droste, die Berufung geschieht zu einem bestimmten Zweck. Dichtung wird somit nicht als l´art pour l´art verstanden, sondern im weitesten Sinne politisch[15]. Die Droste dichtet um lebensweltliche Realität zu beeinflussen. Und um diese ist es schlecht bestellt:

„Jetzt wo hervor der todte Schein

Sich drängt am modervollen Stumpfe,

Wo sich der schönste Blumenrain

Wiegt über dem erstorbnen Sumpfe,

Der Geist, ein blutlos Meteor,

Entflammt und lischt im Moorgeschwehle,

Jetzt ruft die Stunde: »tritt hervor,

Mann oder Weib, lebend´ge Seele!“[16]

Die Bildlichkeit eröffnet eine vertikale Polarisierung; dabei können hier die Gegensätze oben und unten christlich gelesen werden, womit auf das Begriffspaar Gut – Böse (bildlich: Überirdisch – Unterirdisch, Himmel – Hölle) abgezielt wird. Dazwischen aber liegt das Irdische, auf das Himmel wie Hölle wirken. Während unten das Dunkle und Modrige, das offensichtlich Schlechte oder Böse epidemisch wächst, ist oben, im Irdischen, davon (noch) nichts spürbar. Hier herrscht, anschaulich gemacht in der Metapher vom sich wiegenden Blumenrain, Idylle. Doch wird die Schicht zwischen den Räumen immer dünner, das Fundament des Irdischen schwindet. Die Idylle ist in ihren Wurzeln schon vom „todten Schein“, dem Nicht-Glauben[17], angefressen. Der Geist ist leblos und kalt geworden. So hoch er sich noch in Romantik und Klassik schwingt, die Welt von der höchsten Position aus zu erkennen und zu verstehen, so tief fällt er gleichsam vom Himmel in das wüste Chaos des Unten[18], von dem aus Wahrnehmung nur noch perspektivisch möglich ist. Die Explosion der wissenschaftlichen Spezialgebiete und das damit immer schneller wachsende Wissen, verbunden mit der Massenherstellung von Büchern und den daraus folgenden, besseren Publikationsmöglichkeiten,[19] macht die Übersicht für ein einziges Individuum unmöglich.

In höchster Not ruft die personifizierte Zeit selbst zum Handeln auf. Es findet sich ein inhaltlich doppelter Bezug, denn durch die wörtliche Rede der „Stunde der Zeit“ wird der Leser unmittelbar angesprochen und muss so den Ausspruch auch auf sich beziehen: „Mann oder Weib, lebend´ge Seele!“[20] Die Dichotomie von Gut und Böse wird auch in der Strophenform deutlich, in der dem „todten Schein“ im ersten Vers die „lebend´ge Seele“ im letzten gegenübersteht.

[...]


[1] Peter von Matt: Das doppelte Gesicht der Annette von Droste-Hülshoff. Über das Gedicht »Die Schwestern«. In: ders.: Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte. München: 1998, S. 239.

[2] Ebd., S. 218.

[3] Annette von Droste-Hülshoff: Historisch-kritische Ausgabe. Werke – Briefwechsel. Hg. v. Winfried Woesler. Bd. I, 1. Gedichte zu Lebzeiten. Text. Tübingen: 1985, S. 97 – 98.

[4] Ebd., S. 168 f.

[5] Annette von Droste-Hülshoff: Historisch-kritische Ausgabe. Werke – Briefwechsel. Hg. v. Winfried Woesler. Bd. II, 1. Gedichte aus dem Nachlaß. Text. Tübingen: 1994, S. 69 f.

[6] vgl. Ortrun Niethammer: Die programmatischen Einleitungsgedichte zur 1844er Gedichtausgabe der Droste. In: Ein Gitter aus Musik und Sprache. Feministische Analysen zu Annette von Droste-Hülshoff. Hg. v. Ortrun Niethammer und Claudia Belemann. Paderborn: 1992, S. 55 – 62.

[7] Der Brief Schückings, indem er den Vorschlag wahrscheinlich unterbreitete, ist verloren.

[8] Annette von Droste-Hülshoff: Historisch-kritische Ausgabe. Werke – Briefwechsel. Hg. v. Winfried Woesler. Bd. X, 1. Briefe 1843 – 1848. Text. Tübingen: 1992, S. 150; zit. nach: dies.: Historisch-kritische Ausgabe. Werke – Briefwechsel. Hg. v. Winfried Woesler. Bd. I, 2. Gedichte zu Lebzeiten. Dokumentation. Tübingen: 1985, S. 930.

[9] An den Beginn der Ausgabe wurden die „Zeitbilder“ gesetzt. Dies kann durchaus mit marktstrategischen Überlegungen des Verlegers in Zusammenhang stehen. Denn der restaurative Standpunkt, der in den „Zeitgedichten“ zum Ausdruck kommt, dürfte sich besser verkauft haben als die Dichtungsprogrammatik und die Problematisierung der Legitimation (auch als Dichterin) in „Mein Beruf“, „Katharine Schücking“ und „Meine Todten“. Ebenso scheint die allerdings tendenziös gegen Schücking gerichtete Interpretation Niethammers eine Möglichkeit darzustellen. vgl. Ortrun Niethammer: Die programmatischen Einleitungsgedichte zur 1844er Gedichtausgabe der Droste. In: Ein Gitter aus Musik und Sprache. Feministische Analysen zu Annette von Droste-Hülshoff. Hg. v. Ortrun Niethammer und Claudia Belemann. Paderborn: 1992, S. 55.

[10] Annette von Droste-Hülshoff: Historisch-kritische Ausgabe. Werke – Briefwechsel. Hg. v. Winfried Woesler. Bd. I, 1. Gedichte zu Lebzeiten. Text. Tübingen: 1985, S. 97, V. 1 - 2.

[11] Ebd., V. 3 - 4.

[12] Ebd., V. 6 - 8.

[13] Ebd., V. 5.

[14] Ortrun Niethammer: Die programmatischen Einleitungsgedichte zur 1844er Gedichtausgabe der Droste. In: Ein Gitter aus Musik und Sprache. Feministische Analysen zu Annette von Droste-Hülshoff. Hg. v. Ortrun Niethammer und Claudia Belemann. Paderborn: 1992, S. 58.

[15] Die „Zeitgedichte“ entsprechen weit eher dem Begriff des Politischen. Für das behandelte Gedicht wäre diese Bezeichnung jedoch unpassend, da die Beispiele, die die Dichterin hier für das Eingreifen der Dichtung gibt, allein im familiären Milieu einzuordnen sind.

[16] Annette von Droste-Hülshoff: Historisch-kritische Ausgabe. Werke – Briefwechsel. Hg. v. Winfried Woesler. Bd. I, 1. Gedichte zu Lebzeiten. Text. Tübingen: 1985, S. 97, V. 9 – 16.

[17] In diesem Kontext muss das Wort tot christlich gedeutet werden. Es besagt hier nicht gläubig, bzw. fern von Gott, was im weitesten Sinne böse bedeutet.

[18] Mit dieser Art Analyse ihrer Zeit stand die Droste in den gesellschaftlichen Umwälzungen der Frühindustrialisierung nicht allein. Die Erfahrung des Schmerzes über den Verlust des Vergangenen und das Bestreben dieses festzuhalten sowie die Angst vor dem was kommen sollte, teilte sie mit Vielen ihrer Zeitgenossen. So lässt Immermann seine Figur Wilhelmi konstatieren: „Wir sind, um in einem Worte das ganze Elend auszusprechen, Epigonen, und tragen an der Last, die jeder Erb- und Nachgeborenenschaft anzukleben pflegt. Die große Bewegung des Geistes, welche unsere Väter von ihren Hütten und Hüttchen aus unternahmen, hat uns eine Menge von Schätzen zugeführt,[...].“ vgl. Karl Immermann: Werke in fünf Bänden. Hg. v. Benno von Wiese. Zweiter Band. Die Epigonen. Familienmemoiren in neun Büchern 1823 – 1835. Frankfurt am Main: 1971, S. 121.

[19] vgl. Peter Stein: Sozialgeschichtliche Signatur 1815 – 1848. In: Zwischen Revolution und Restauration 1815 – 1848. Hg. v. Gert Sautermeister. München: 1998 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 5), S. 16 – 37; Ulrich Schmid: Buchmarkt und Literaturvermittlung. In: Zwischen Revolution und Restauration 1815 – 1848. Hg. v. Gert Sautermeister. München: 1998 (=Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 5), S. 60 – 93.

[20] Annette von Droste-Hülshoff: Historisch-kritische Ausgabe. Werke – Briefwechsel. Hg. v. Winfried Woesler. Bd. I, 1. Gedichte zu Lebzeiten. Text. Tübingen: 1985, S. 97., V. 16.

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Details

Title
Das Opfer der Berufung. Über drei Gedichte der Annette von Droste-Hülshoff.
College
Free University of Berlin  (Institut für deutsche und niederländische Philologie)
Course
Annette von Droste-Hülshoff: Gedichte und Balladen
Grade
sehr gut (1,0)
Author
Year
2002
Pages
16
Catalog Number
V12146
ISBN (eBook)
9783638181037
File size
519 KB
Language
German
Keywords
Droste-Hülshoff, Droste, Biedermeier, Lyrik, Frauen, Schriftstellerinnen
Quote paper
Falk Quenstedt (Author), 2002, Das Opfer der Berufung. Über drei Gedichte der Annette von Droste-Hülshoff., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12146

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