Ziel meines Forschungsvorhabens ist das Erkennen der Konzeption des tunesischen Staates und Nation nach der Unabhängigkeit im Jahre 1956. Das Nationenkonzept ist eine "Exportware" Europas wobei besonders Frankreich als der Nationalstaat schlechthin gilt der nach dem Motto "Ein Staat, eine Nation, eine Sprache" funktioniert. Nachdem das Wort "Nation" nicht eindeutig definiert werden kann, ist der erste Teil meiner Arbeit dieser Aufgabenstellung gewidmet und behandelt unter anderem die Charakteristika und die Konzeption einer Nation genauso wie das Konzept der Nation im arabischen Kontext. Der Hauptfokus des zweiten Teils meiner Arbeit liegt auf Habib Bourguiba, dessen politisches Engagement schon ab den 1930er Jahre erkennbar ist und der den tunesischen Staat durch seine Ideen und seine lange politische Karriere stark prägen wird. Er ist stark von den französischen Ideen der Aufklärung beeinflusst und versucht nach der Unabhängigkeit in Tunesien einen Nationalstaat zu errichten, der stark auf seine Person und seine politischen genauso wie gesellschaftlichen Ideen fokussiert ist. Mein Ziel ist es darzustellen, welche Komponenten er verwendet und auf welche Art er die tunesische Gesellschaft, die zwar eine relative Homogenität aufweist aber zur Zeit der Unabhängigkeit keineswegs als eine nationale Gemeinschaft bezeichnet werden kann, als eine Nation aufbauen möchte. Es liegt an Bourguiba eine Definition des Nationalstaates zu finden, der mit dem arabisch- islamischen Kontext, in dem sich Tunesien befindet, vereinbar ist aber noch immer modern und fortschrittlich genug ist, um eine neue gesellschaftliche Ordnung hervorzubringen und um seinen Vorstellungen zu genügen. Einer der Schwerpunkte seines Reformprogramms ist die gesellschaftliche Neupositionierung der Frau ebenso wie der Fortschritt der Gesellschaft durch Reformen im religiösen Bereich ebenso wie im Schulsystem und im Unterricht. Die Vergangenheit und Geschichte werden herangezogen um richtungsweisend für die Gegenwart und Zukunft zu wirken. Gerade in den Jahren nach der Unabhängigkeit wird die Geschichte als französisches Protektorat im Geschichtsunterricht thematisiert und soll dazu dienen, die Ereignisse von damals in Erinnerung zu behalten. Die französische Sprache bleibt durch die Bemühungen der Regierung weiterhin ein wichtiger Bestandteil im tunesischen Alltagsleben und wird auf diese Weise zu einem Bestandteil der tunesischen Gesinnung.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Was ist eine Nation?
- Die Französische Revolution
- Das Volk als Träger der Nation
- Die Proklamierung der Menschenrechte
- Die Eigenschaften einer Nation - nach Benedict Anderson
- Das Nationenkonzept - nach Ernest Gellner
- Das nationale Bewusstsein - Die kollektive Identität
- Nationalismus
- Standardisierung einer Nationalsprache/Nationalstaat und Nationalsprache
- Zwei unterschiedliche Konzepte von Nation: Deutschland - Frankreich
- Der Weg zur Bildung der deutschen Nation
- Eine intellektuelle Bewegung zur deutschen Nationenbildung
- Das aktuelle deutsche Grundgesetz
- Die aktuelle französische Verfassung
- Die Französische Revolution: Ursachen und Folgen
- Das französische Konzept der Nation
- Die Nationenfrage im kolonialen und postkolonialen Zusammenhang
- Exkurs: Was ist unter Kolonialismus zu verstehen?
- Der Gedanke der civilisation française und der Versuch einer Interpretation
- Conclusio des Kapitels „Das deutsche und französische Nationenkonzept“
- Ein theoretischer Einblick in das postkoloniale Konstrukt von Nation
- Nation, Nationalismus und Nationalstaat in der arabischen Welt
- Exkurs: Ein Ein-/Überblick in die Kolonialgeschichte Algeriens und Marokkos
- Algerien
- Das Aufkommen eines algerischen Nationalismus
- Der FLN
- Die Unabhängigkeit und das Danach
- Zusammenfassung
- Marokko
- Aufkeimender nationaler Widerstand - Der Rifkrieg und seine Folgen
- Zusammenfassung
- Tunesien - Ein einleitender Überblick in die Geschichte
- Tunesien bis ins 19. Jahrhundert
- Arabisierung und Islamisierung Tunesiens
- Die gesellschaftliche Zusammensetzung
- Das europäische/französische Eingreifen in Tunesien
- Die französische Einflussnahme in Tunesien - Der Schutzvertrag von Bardo/Le Traité du Bardo 1881
- Tunesien als ein französisches Protektorat - Der Vertrag von La Marsa/La convention de La Marsa 1883
- Exkurs: Was ist ein Protektorat?
- Französischer Einfluss auf die Verwaltung und Gesellschaft
- Erste Ansätze einer Reformpolitik durch General Kheredine
- Das Collège Sadik
- Die Anfänge des tunesischen Nationalismus
- Die Destour-Partei
- Die Neo-Destour-Partei
- Parteiinterne Differenzen um eine gemeinsame politische Linie
- Die innere Autonomie Tunesiens
- Die Unabhängigkeit Tunesiens
- Die Bildung eines unabhängigen tunesischen Nationalstaates
- Habib Bourguibas Vorstellung der tunesischen Nation
- Die Heimat - La patrie
- Die Einheit als notwendige Stütze
- Die gemeinsame Vergangenheit als gemeinsames Bewusstsein
- Die Neo-Destour-Partei als Pfeiler der tunesischen Nation und Einheit
- Gemeinsames Erinnern an die Parteigründung als nationaler Grundpfeiler
- Die Parteistruktur vor der Unabhängigkeit
- Die Parteistruktur nach der Unabhängigkeit
- Die Modernisierung der Gesellschaft durch ...
- ... die Neudefinition der Rolle des Islams in der Gesellschaft und im Staat und die Auslegung der arabisch-islamischen Identität Tunesiens
- Die „Tunisifizierung“ Tunesiens
- Ein politischer Neuanfang !? - Die tunesische Verfassung aus dem Jahre 1959
- „Das nationale Symbol“ Habib Bourguiba
- Das Führungsprinzip Bourguibas
- Die tunesische Nation als Familie - Bourguiba in der Vaterrolle
- Habib Bourguiba und die Öffentlichkeitsarbeit
- Die Reden Bourguibas als Kommunikations- und Propagandainstrument
- Stützen und Symbole des Nationalstaates
- Nationale Organisationen
- Das Schulwesen Tunesiens
- Der Lehrinhalt
- Die Sprachenthematik in Tunesien
- Habib Bourguiba und die arabische Sprache
- Exkurs: Die Bewegung der Frankophonie
- Habib Bourguiba und die französische Sprache
- Die tunesische Armee
- Die tunesische Flagge
- Die tunesische Hymne und der tunesische Nationalfeiertag
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Entstehung des tunesischen Nationalstaates nach der Unabhängigkeit, insbesondere die Jahre vor und nach 1959. Das Hauptziel ist die Darstellung der Elemente, auf denen Staat und Nation aufgebaut wurden. Die Arbeit konzentriert sich auf den konstruktivistischen Ansatz zur Nationenbildung.
- Die Entwicklung des tunesischen Nationalismus
- Die Rolle Habib Bourguibas bei der Nationenbildung
- Die Bedeutung von Sprache und Bildung im Aufbau des Nationalstaates
- Der Einfluss der französischen Kolonialherrschaft auf die tunesische Identität
- Die Symbole und Institutionen des tunesischen Nationalstaates
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung beschreibt die Komplexität des Begriffs „Nation“ und seine Verbindung zu „Heimat“, „Volk“ und „Staat“. Sie erläutert die Schwierigkeiten einer eindeutigen Definition und skizziert die Voraussetzungen für die Bildung einer Nation, mit Fokus auf die französische Revolution als prägendes Ereignis. Der konstruktivistische Ansatz von Anderson, Gellner und Hobsbawm wird als theoretische Grundlage der Arbeit vorgestellt. Die Forschungsfrage wird formuliert, und die Zielsetzung der Arbeit – die Untersuchung der Anfänge Tunesiens als unabhängiger Nationalstaat – wird klar definiert. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung wird auf die Jahre vor und nach der Unabhängigkeit bis 1959 begrenzt. Schließlich wird die Auswahl Tunesiens als Fallstudie begründet und die Besonderheiten der geschichtlichen Entwicklung im Maghreb im Vergleich zum Maschrek hervorgehoben.
Was ist eine Nation?: Dieses Kapitel analysiert verschiedene Konzepte von Nation, unter anderem die Ansätze von Anderson und Gellner. Es untersucht die Rolle der französischen Revolution und die Entwicklung des Nationalbewusstseins. Der Abschnitt über Deutschland und Frankreich vergleicht zwei unterschiedliche Wege der Nationenbildung, während der koloniale Kontext und der Gedanke der „civilisation française“ beleuchtet werden. Der Kapitelzusammenfassung wird die komplexe, vielschichtige und nicht eindeutig definierbare Natur der Nation im Hinblick auf die verschiedenen Theorien und Beispiele herausgearbeitet. Das Kapitel legt den Grundstein für die spätere Analyse der tunesischen Nationenbildung, indem es verschiedene Ansätze der Nationsbildung vorstellt und den historischen Kontext beleuchtet.
Ein theoretischer Einblick in das postkoloniale Konstrukt von Nation: Dieses Kapitel bietet einen theoretischen Rahmen für das Verständnis der postkolonialen Nationenbildung. Es analysiert den Einfluss des Kolonialismus auf die nationale Identität und die Herausforderungen beim Aufbau eines unabhängigen Nationalstaates im postkolonialen Kontext. Der theoretische Rahmen bildet die Grundlage für die anschließende Fallstudie Tunesiens.
Nation, Nationalismus und Nationalstaat in der arabischen Welt: Dieses Kapitel liefert einen Überblick über Nation, Nationalismus und Nationalstaat in der arabischen Welt, mit besonderer Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Maghreb und Maschrek im Hinblick auf den Kolonialismus. Es dient als Kontextualisierung für die detailliertere Untersuchung Tunesiens in den folgenden Kapiteln. Der globale Blick wird der Fallstudie Tunesien gegenübergestellt und die Gründe für die Auswahl Tunesiens werden nochmals hervorgehoben.
Tunesien - Ein einleitender Überblick in die Geschichte: Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Geschichte Tunesiens bis zur Unabhängigkeit, mit besonderem Fokus auf die französische Kolonialherrschaft und deren Einfluss auf die Gesellschaft und Politik. Die Kapitelzusammenfassung zeigt, wie die französische Kolonialisierung Tunesien geprägt hat und welchen Widerstand die Bevölkerung entgegenbrachte. Es wird die politische, soziale und wirtschaftliche Situation vor der Unabhängigkeit beschrieben, sowie der Weg zur nationalen Selbstbestimmung. Das Kapitel legt den historischen Kontext der folgenden Kapitel fest.
Die Bildung eines unabhängigen tunesischen Nationalstaates: Dieses Kapitel analysiert Bourguibas Vision der tunesischen Nation und die Rolle der Neo-Destour-Partei bei der Staatsbildung. Es untersucht verschiedene Aspekte der Nationenbildung, einschließlich der Bedeutung von Sprache, Bildung und der Konstruktion einer gemeinsamen Identität. Die Zusammenfassung beleuchtet die verschiedenen Strategien, die Bourguiba zur Etablierung einer starken Nationalidentität einsetzte.
Stützen und Symbole des Nationalstaates: Dieses Kapitel beschreibt die Institutionen und Symbole, die zum Aufbau des tunesischen Nationalstaates beitrugen, wie z.B. nationale Organisationen, das Schulsystem, die Sprache und die Armee. Es werden wichtige Strategien und Maßnahmen der Regierung für die Stärkung der nationalen Identität zusammengefasst.
Schlüsselwörter
Nation, Nationalismus, Nationalstaat, Tunesien, Habib Bourguiba, Kolonialismus, Postkolonialismus, Identität, Sprache, Bildung, Neo-Destour-Partei, französische Kolonialherrschaft, arabische Identität, Nationalbewusstsein, Staatsbildung.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Arbeit: "Das Tunesische Nationenkonzept nach der Unabhängigkeit"
Was ist der Hauptfokus dieser Arbeit?
Die Arbeit untersucht die Entstehung des tunesischen Nationalstaates nach der Unabhängigkeit, insbesondere die Jahre vor und nach 1959. Der Hauptfokus liegt auf der Darstellung der Elemente, auf denen Staat und Nation aufgebaut wurden, unter Anwendung eines konstruktivistischen Ansatzes zur Nationenbildung.
Welche Themen werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt die Entwicklung des tunesischen Nationalismus, die Rolle Habib Bourguibas bei der Nationenbildung, die Bedeutung von Sprache und Bildung im Aufbau des Nationalstaates, den Einfluss der französischen Kolonialherrschaft auf die tunesische Identität und die Symbole und Institutionen des tunesischen Nationalstaates.
Welche theoretischen Ansätze werden verwendet?
Die Arbeit stützt sich auf den konstruktivistischen Ansatz zur Nationenbildung, mit Bezug auf die Theorien von Anderson, Gellner und Hobsbawm. Der Einfluss des Kolonialismus und des Postkolonialismus wird ebenfalls theoretisch behandelt.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit ist in mehrere Kapitel gegliedert, beginnend mit einer Einleitung, die den Begriff "Nation" erläutert und die Forschungsfrage formuliert. Es folgen Kapitel, die verschiedene Konzepte von Nation analysieren (einschließlich Vergleiche zwischen Deutschland und Frankreich), einen theoretischen Einblick in das postkoloniale Konstrukt von Nation geben, Nation, Nationalismus und Nationalstaat in der arabischen Welt betrachten, einen Überblick über die Geschichte Tunesiens bis zur Unabhängigkeit bieten und schließlich die Bildung des unabhängigen tunesischen Nationalstaates und dessen Stützen und Symbole detailliert untersuchen.
Welche Rolle spielt Habib Bourguiba in der Arbeit?
Habib Bourguiba spielt eine zentrale Rolle in der Arbeit, da seine Vision der tunesischen Nation und die Rolle der Neo-Destour-Partei unter seiner Führung für die Staatsbildung entscheidend waren. Seine Strategien zur Etablierung einer starken Nationalidentität werden ausführlich analysiert.
Welche Bedeutung haben Sprache und Bildung in der Arbeit?
Sprache und Bildung werden als essentielle Elemente im Aufbau des tunesischen Nationalstaates betrachtet. Die Arbeit untersucht, wie Sprache und Bildung zur Konstruktion einer gemeinsamen Identität und zur Stärkung des Nationalbewusstseins eingesetzt wurden.
Wie wird der Einfluss der französischen Kolonialherrschaft behandelt?
Der Einfluss der französischen Kolonialherrschaft auf die tunesische Identität wird als ein entscheidender Faktor in der Nationenbildung analysiert. Die Arbeit beleuchtet sowohl den Widerstand gegen die Kolonialmacht als auch die anhaltenden Auswirkungen der Kolonialzeit auf die Gesellschaft und Politik Tunesiens.
Welche Symbole und Institutionen des tunesischen Nationalstaates werden untersucht?
Die Arbeit untersucht verschiedene Symbole und Institutionen, die zum Aufbau des tunesischen Nationalstaates beitrugen, darunter nationale Organisationen, das Schulsystem, die Sprache (Arabisch und Französisch), die Armee, die Flagge, die Hymne und den Nationalfeiertag.
Warum wurde Tunesien als Fallstudie ausgewählt?
Die Auswahl Tunesiens als Fallstudie wird in der Arbeit begründet und die Besonderheiten der geschichtlichen Entwicklung im Maghreb im Vergleich zum Maschrek hervorgehoben. Tunesien bietet einen interessanten Fall für die Untersuchung der postkolonialen Nationenbildung.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Nation, Nationalismus, Nationalstaat, Tunesien, Habib Bourguiba, Kolonialismus, Postkolonialismus, Identität, Sprache, Bildung, Neo-Destour-Partei, französische Kolonialherrschaft, arabische Identität, Nationalbewusstsein, Staatsbildung.
- Citation du texte
- Dr. Claudia Nowotny (Auteur), 2008, Die Bedeutung des Nationenkonzepts im kolonialen und postkolonialen Kontext - Eine Analyse anhand des ehemaligen französischen Protektorats Tunesien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121573