Alfred Hitchcock ist als ‚Meister des Suspense’ in die Filmgeschichte eingegangen, eine Bezeichnung, die sich zu seiner Zeit zu einem eigenen Genre entwickelte. Die meisten Kritiker scheuen jedoch eine Definition des Begriffs Suspense; häufig wird er lediglich mit ‚Spannung’ gleichgesetzt. Das dem nicht so ist, wird in dieser Arbeit dargestellt und am Beispiel von Rope (1948), einem Film, der sich nicht in den Kanon der hitchcockschen Klassiker einreiht, näher erläutert. Es wird sich herausstellen, dass die Kunst, ein Publikum zu fesseln, eine Vielzahl von Voraussetzungen bedarf, welche erst durch ihre Kombination den Zuschauer in ihren Bann schlagen. André Bazin äußerte sich 1954 sehr treffend und einfach zum Stil Hitchcocks, indem er Suspense mit einem schweren Stahlblock vergleicht, der auf glattem Gefälle langsam zu rutschen beginnt. Mittels durchdachter Regiearbeit erziele der Regisseur eine Bedrohlichkeit, eine unruhige Erwartungshaltung die so eindrücklich ist, dass aus einfachem Interesse an der Handlung automatisch Angst wird.
Mit der Metapher des Stahlblocks verdeutlicht Bazin die Eigenart des Suspense: Die Folgen der Handlung sind vorhersehbar. Für den Zuschauer bedeutet dies: Irgendetwas ist geschehen, das die alltägliche Welt ins Wanken gebracht hat. Der Zuschauer erlebt auf der Leinwand einen moralischen Konflikt – „eine Störung des Gleichgewichts“ (Fischer 1979, 3) – dessen Resultat abzusehen ist und den er auf sich selbst überträgt. Die Alltäglichkeit führt Hitchcock dem Publikum sehr bald im Film vor Augen, um früh sein Interesse zu wecken, indem er es beispielsweise in Rear Window (1954) in beliebige Fenster eines Hochhauses blicken lässt, Bodega Bay in The Birds (1963) als kleinen Allerweltsort vorstellt oder Marion und Sam in Psycho (1960) anfangs als mittelloses Paar ausgibt. Seine Protagonisten stellt er beinahe immer zunächst als durchschnittliche Bürger dar. Der Zuschauer unternimmt eine „Exkursion in die Intimsphäre seiner Nachbarn“ (Gerold 1984, 64). Nicht selten offenbaren sich diese dann jedoch als Diebe (To Catch a Thief, 1954) oder Mörder (Dial M for Murder, 1954), deren ‚Absonderlichkeiten’ dem Zuschauer aber erst bewusst werden, wenn es zu spät ist, nämlich dann, wenn er in das Geschehen involviert ist.
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Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Suspense
- Alltäglichkeit und Identifikation
- Spannung und Überraschung
- In suspenso
- Erscheinungsformen
- Die Fesselung des Zuschauers – Rope
- Das verfilmte Theater
- Der unsichtbare Schnitt
- Die Einbeziehung des Publikums
- Involvierung des Zuschauers zu Beginn des Films
- Eine Truhe und ein Seil
- Mit Humor zum Finale
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Alfred Hitchcocks Meisterschaft des Suspense anhand seines Films Rope (1948). Ziel ist es, die verschiedenen Elemente zu analysieren, die Hitchcock einsetzt, um das Publikum zu fesseln und in Spannung zu versetzen, und dabei über eine einfache Definition von Spannung hinauszugehen.
- Hitchcocks Definition und Anwendung von Suspense
- Die Rolle von Alltäglichkeit und Identifikation im Aufbau von Spannung
- Der Einsatz von Überraschung und Schockeffekten
- Die aktive Einbeziehung des Publikums in die Handlung von Rope
- Die filmischen Mittel zur Erzeugung von Spannung in Rope
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema ein und erläutert die Schwierigkeiten bei der Definition von Suspense. Das Kapitel über Suspense analysiert die Konzepte von Alltäglichkeit und Identifikation, Spannung und Überraschung, und beleuchtet verschiedene Erscheinungsformen. Der Hauptteil der Arbeit befasst sich mit Rope, untersucht die filmischen Besonderheiten wie den unsichtbaren Schnitt und die aktive Einbeziehung des Publikums durch verschiedene Techniken. Es wird die frühzeitige Involvierung des Zuschauers und der Einsatz von Humor thematisiert.
Schlüsselwörter
Suspense, Alfred Hitchcock, Rope, Spannung, Überraschung, Publikumseinbindung, filmische Mittel, moralische Konflikte, Identifikation, Alltäglichkeit, Schockästhetik.
- Quote paper
- Daniel Peitz (Author), 2005, To catch an audience - Von der Kunst ein Publikum zu fesseln, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/121574