Der Wandel des homerischen Heldenideals

Ein Vergleich von Achilleus und Odysseus vor dem Hintergrund des Wertewandels im archaischen Adel


Hausarbeit, 2021

21 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das homerische Heldenbild

3. Die homerische Gegenwart
3.1. Eine Zeit im Umbruch (?)
3.2. Der archaische Adel

4. Die homerischen Heldenbilder im Vergleich
4.1. Achilleus - der ideale Held?
4.2. Odysseus - der andere Held?

5. Gründe für die kontrastierenden Heldenbilder

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Als Fluchtpunkt aller Idealvorstellungen, als unerreichbare und dennoch erstrebenswerte Identifikationsfiguren waren Heldenfiguren schon immer Hauptbestandteil literarischer Werke. Am Ursprung der griechischen Literaturgeschichte stehen dabei die homerischen Heldenepen „Ilias“ und „Odyssee“1, die ihre Nachwelt entscheidend beeinflusst haben.2 Der Begriff des Helden unterliegt jedoch Wandlungen und Inkonsistenzen, die oft auf gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen sind. Genau diesen Zusammenhang greift Joachim Latacz in einer These auf, die den Anstoß für diese Hausarbeit gegeben hat. So kommt er zu der Behauptung, dass Odysseus das neue Ideal des Menschen sei, der Achilleus in dieser Funktion abgelöst hätte: „Das Strenge, Abwehrbereite, Ehrvergessene und übermäßig Konsequente hat sich gelockert. Wer vielgewandt ist wie Odysseus, hat jetzt den Schutz der Götter. Die Götter lieben nicht mehr so sehr den starken Arm als den klugen Kopf.“3 Der Grund für diese Entwicklung liege beim Adel, dessen Weltauffassung sich gewandelt habe.4

Untersucht werden soll in dieser Hausarbeit, inwieweit diese These Gültigkeit besitzt. Zwar gibt es viele Stimmen, die, ebenso wie Latacz, einen scharfen Kontrast zwischen den Helden postulieren5, aber auch solche, die die Komplementarität6 der beiden Protagonisten betonen. Diese gegensätzlichen Standpunkte legen zwei Fragen nahe, die in dieser Hausarbeit erörtert werden sollen: Wie gestaltet sich das Heldenbild des Achilleus im Vergleich zu dem des Odysseus? Worauf lassen sich diese etwaigen Abweichungen zurückführen?

Die Voraussetzung, um zu einem überzeugenden Ergebnis zu gelangen, ist, zunächst eine zeitliche Einordnung der Epen vorzunehmen und ihren Quellenwert zu bestimmen. Dass die homerischen Epen als Quellen zum Gewinn historischer Erkenntnisse herangezogen werden können, wird in der Forschung mehrheitlich bejaht.7 Zwar weisen die Epen Übertreibungen8 und anachronistische Verfremdungen9 auf, doch wird die Aussagekraft der Epen über die Mentalität und Lebensweise des homerischen Publikums dadurch nicht beeinträchtigt. Aus der Sicht der archaischen Oberschicht verfasst10, manifestieren die Epen den Prozess, in dem sich das aristokratische Selbstverständnis und Wertesystem verfestigte.11 Die Entstehungszeit der Epen wird mehrheitlich auf die zweite Hälfte des achten vorchristlichen Jahrhunderts festgesetzt12, in der der Adel die „kulturell tonangebende Schicht“13 war und deshalb zur Ausformung eines „differenzierte[n] aristokratische[n] Werteempfinden[s]“14 der Dichtungen beigetragen hat.

Der Aufbau dieser Hausarbeit richtet sich nach den genannten Fragen. Bevor die Helden Achilleus (4.1.) und Odysseus (4.2.) mit Hinblick auf ihre konstitutiven Eigenschaften und Fähigkeiten verglichen werden, wird das homerische Heldenbild (2.) in seinen allgemeinen Charakteristika umrissen. Anschließend wird skizziert, welchen historischen Gegebenheiten (3.1.) dieses Heldenbild entsprang, was den archaischen Adel kennzeichnete und welche Veränderungstendenzen sich andeuteten (3.2.). Schließlich werden alle Aspekte - die historischen und literarischen - zusammengeführt, um zu erklären, welche Begebenheiten dem Wandel des Heldenideals (5.) zugrundeliegen. Ein Fazit (6.), das die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfasst und ein Ausblick auf weiterführende Fragestellungen beschließen diese Hausarbeit.

2. Der homerische Heldenbegriff

Die Bedeutung unseres modernen Heldenbegriffs und des entsprechenden antiken Wortes heros ist inkongruent.15 Der uns geläufige Begriff des Heroischen hat sich erst in der Frührenaissance, unabhängig von der griechischen Überlieferung, gebildet.16 Zwar sind Helden damals wie heute Leitbilder einer Gesellschaft, die für die Menschen aufgrund ihrer Exzellenz eine normativ-prägende Funktion besitzen und gleichermaßen faszinierend wie irritierend sind.17 Doch inkludiert das griechische Wort heros noch Semantiken, die dem modernen Heldenbegriff verloren gegangen sind: Neben den Helden des Heroenkults bezeichnet heros auch historische Personen.18 Eine dritte Bedeutungskategorie bilden die Helden mythisch-narrativer Erzählungen, zu denen auch die homerischen Helden zählen.19 Für das zeitgenössische Publikum waren sie Vorfahren aus einer fernen Vergangenheit, deren Heldenstatus sich primär in ihren Taten zu Lebzeiten bemaß.20

Das Griechische hat demnach keine einheitliche Definition idealen Heldentums. In Bezug auf die homerischen Helden kristallisiert sich die Betonung herausragender Fähigkeiten und ein exzeptioneller Status innerhalb der epischen Gesellschaft als charakteristisch heraus.21 Konkret handelt es sich um Männer in bestem Alter und von edlem Aussehen.22 Die äußeren Qualitäten eines Helden - Schönheit, Größe und Vornehmheit - indizieren seine Fertigkeit und Kampfkraft.23 Wird die Diskrepanz zwischen Aussehen und Fähigkeiten hervorgehoben, kann eine Heldenhaftigkeit praktisch ausgeschlossen werden, da nach homerischem Verständnis die ^voig eines Menschen in seinem Äußeren zum Ausdruck kommt.24 Die äußeren Kennzeichen spielen jedoch, genauso wie die Abkunft des Helden, nur eine untergeordnete Rolle. Zwar rezitieren die Helden gerne ihre umfangreichen Genealogien, doch fällt auf, dass sich diese Hinweise immer nur auf den individuellen Helden beziehen.25 Ihre Selbstdarstellung spiegelt ein Stadium wider, in dem sich die Vorstellung einer abgeschlossenen Elite noch nicht verfestigt hat. Genealogische und äußere Beschreibungen dienen hier einzig der Funktion, „Ansprüche auf Prominenz im Vergleich zu anderen Standesgenossen zu untermauern“26.

Entscheidend ist die synonyme Verwendung des Heldenbegriffs mit der des Kriegers.27 Helden sollen ihre Stärke und Tapferkeit im Kampf unter Beweis stellen - geistige Fähigkeiten werden hingegen nur dann gewürdigt, wenn sie in Verbindung mit Kampfkraft hervortreten.28 Ruhm zu erwerben und Entehrung zu vermeiden, sind die zentralen Triebfedern dieser Kriegerkultur: „Tapferkeit ist wesentliches Kennzeichen eines Helden, Ehre das wesentliche Ziel.“29 Erfolg und Ansehen bemessen sich an der individuellen Leistungsfähigkeit eines Helden, wodurch „competitiveness [...] the prime feature of the heroic world“30 darstellt. Zu einer Maxime verdichtet, findet sich der "allgegenwärtige Leistungs- und Agonalitätsgedanke“31 in dem Ausspruch: „Immer Bester zu sein und überlegen zu sein den anderen“ (Hom. Il. 6, 208)32. Gerne wird dieser Satz als Motto der homerischen Helden betrachtet, dabei drückt er in Wahrheit kein stabiles Ethos, sondern ein Dilemma aus: kein Held kann überall der Beste sein.33 Stattdessen gibt es nur eine „Relativität des Besten“34, wodurch sich die Individuen in einem steten Wettkampf mit ihren Standesgenossen und Feinden befinden.

[...]


1 Vgl. Boehringer, Daniel: Heroenkulte in Griechenland von der geometrischen bis zur klassischen Zeit. Attika, Argolis, Messenien, Berlin 2001 (Klio 3), S. 25. Jede Betrachtung des Begriffs müsse bei Homer beginnen. Die erste Untersuchung des Begriffs wurde von Rohde 1898 vorgenommen, der als erster ein tragfähiges Gesamtmodell vorstellte, dessen evolutionistische Perspektive heute aber abzulehnen sei (s. dazu Rohde, Erwin: Psyche, Seelenkult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen, Freiburg 1898.)

2 Zur Rezeption der homerischen Epen s. Rengakos, Antonios/Zimmermann, Bernhard (Hg.): Homer Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart 2011.

3 Vgl. Latacz, Joachim: Homer, Der erste Dichter des Abendlands, 4. Aufl. Düsseldorf/Zürich 2003.

4 Vgl. Ebd.

5 Vgl. z.B. Edwards, Anthony T.: Achilles in the Odyssey, Königstein/Ts. 1985 (Beiträge zur Klassischen Philologie 171), S. 1.; Latacz, Joachim: Achilleus. Wandlungen eines europäischen Heldenbildes, 2. Aufl., Stuttgart/Leipzig 1997 (Lecto Teubneriana III), S. 65.

6 Vgl. z.B. Horn, Fabian: Held und Heldentum bei Homer. Das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung, Tübingen 2014 (Classica Monacensia Münchener Studien zur Klassischen Philologie 47), S. 335.

7 Vgl. z.B. Raaflaub, Kurt A.: Homeric Society, in: Ian Morris/Barry B. Powell (Hg.): A new Companion to Homer, Leiden 1997 (Mnemosyne 163), S. 624-648, hier S. 627; Blum, Hartmut: Die „homerische Gesellschaft“. Adelsherrschaft oder „big-man society“?, in: Hilmar Klinkott (Hg.): Anatolien im Lichte kultureller Wechselwirkungen, Tübingen 2001, S. 25-39, hier S. 25.

8 Vgl. Schmitz, Winfried: Die griechische Gesellschaft. Eine Sozialgeschichte der archaischen und klassischen Zeit, Heidelberg 2014 (Alte Geschichte Forschung 1), S. 10.

9 Vgl. Stein-Hölkeskamp, Elke: Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum griechischen Adel in archaischer und klassischer Zeit, Stuttgart 1989, S. 16.

10 Vgl. Schmitz 2014, S. 19.

11 Vgl. Stein-Hölkeskamp 1989, S. 22.

12 Vgl. z.B. Raaflaub 1997, S. 625; Blum 2001, S. 26; Schmitz 2014, S. 27.

13 Deger, Sigrid: Herrschaftsformen bei Homer, Wien 1970 (Dissertationen der Universität Wien 43), S. 28.

14 Hose, Martin: Kleine griechische Literaturgeschichte. Von Homer bis zum Ende der Antike, München 1999 (Beck'sche Reihe 1326), S. 30.

15 Vgl. Meyer, Marion/von den Hoff, Ralf: Helden wie sie - Helden wie wer? Zur Einführung, in: Dies. (Hg.): Helden wie sie. Übermensch - Vorbild - Kultfigur in der griechischen Antike. Beiträge zu einem altertumswissenschaftlichen Kolloquium in Wien 2.-4. Februar 2007, Freiburg 2010 (Paradeigmata 13), S. 9-18, hier S. 10.

16 Vgl. Himmelmann, Nikolaus: Helden und Heroen, in: Meyer/von den Hoff 2010., S. 29-38, hier S. 29.

17 Vgl. Meyer/von den Hoff 2010, S. 12.

18 Vgl. Ebd., S. 10.

19 Vgl. Danek, Georg: Der homerische Held zwischen heroischer Monomanie und gesellschaftlicher Verantwortung, in: Meyer/von den Hoff 2010, S. 55-70, hier S. 55.

20 Vgl. Meyer/von den Hoff 2010, S. 10.

21 Vgl. Horn 2014, S. 10; Finkelberg, Margalit: Odysseus and the genus ,hero‘, G&R 1 (1995), S. 1-14, hier S. 5; siehe zusätzlich Patzer, Harald: Die Formgesetze des homerischen Epos, Stuttgart 1996, S. 165. Berücksichtigt werden muss, wie einleitend bereits erwähnt wurde, dass die Menschen der homerischen Welt gegenüber der Gegenwart des Dichters als weit überlegen imaginiert wurden. Mittels dieser epischen Distanz wurde die Vergangenheit gegenüber der Gegenwart als weitaus ruhmvoller imaginiert, dessen sich das Publikum aber bewusst war. Vgl. dazu Gehrke, Hans-Joachim/Schneider, Helmuth (Hg.): Geschichte der Antike. Ein Studienbuch, 5. Aufl., Berlin 2019, S. 93.

22 Vgl. Horn 2014, S. 144.

23 Vgl. Ebd., S. 18.

24 Vgl. Ebd., S. 19. Einzige Ausnahme stellt Thersites dar. Obwohl er als hässlich (Hom. Il. 2, 216f.) beschrieben wird, hat er als ,Held‘ während des Trojanischen Krieges gekämpft. Für sein umansprechendes Äußeres wird er von der Gemeinschaft verachtet. Vgl. dazu Bernsdorff, Hans: Zur Rolle des Aussehens im homerischen Menschenbild, Göttingen 1992 (Hypomnemata 97).

25 Stein-Hölkeskamp: Das archaische Griechenland. Die Stadt und das Meer, München 2015.

26 Ebd. Eine Besonderheit ist die zwar dem Transzendenten verwurzelte Herkunft der Helden, aber die säkulare Begriffsverwendung bei Homer. Helden waren Menschen, in deren Adern Blut und nicht i'/räp floss und die keinen eigenen Kult besaßen. Trotz ihrer genealogischen Verbindung mit Göttern sind die homerischen Helden deutlich von ihnen zu unterscheiden, vgl. dazu Boehringer 2001, S. 26.

27 Vgl. Ulf, Christoph: Die homerische Gesellschaft. Materialien zur analytischen Beschreibung und historischen Lokalisierung, München 1990 (Vestigia 43), Vorwort VII.

28 Vgl. Horn 2014, S. 61.

29 Ulf 1990, S. 4.

30 Edwards, Mark W: Homer's Iliad, in: John Miles Foley (Hg.): A companion to ancient epic, Malden 2005, S. 302-314, hier S. 309.

31 Horn 2014, S. 56.

32 Homer: Ilias, übersetzt von Wolfgang Schadewaldt, 19. Aufl., Frankfurt a. M. 2018. Sofern nicht anders angegeben, handelt es sich im Folgenden um die Übersetzung von Schadewaldt.

33 Vgl. Meister, Jan B.: 'Adel' und gesellschaftliche Differenzierung im archaischen und frühklassischen Griechenland, Stuttgart 2020 (Historia 263), S. 195.

34 Ulf 1990, S. 29.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der Wandel des homerischen Heldenideals
Untertitel
Ein Vergleich von Achilleus und Odysseus vor dem Hintergrund des Wertewandels im archaischen Adel
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
1,0
Jahr
2021
Seiten
21
Katalognummer
V1216695
ISBN (eBook)
9783346642820
ISBN (Buch)
9783346642837
Sprache
Deutsch
Schlagworte
wandel, heldenideals, vergleich, achilleus, odysseus, hintergrund, wertewandels, adel
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Der Wandel des homerischen Heldenideals, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1216695

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